Politik Backstage von Josef Votzi: Türkis-Grün ringt um "Tempolimit" für Corona

Parole "drei mal 24" - nach Start der Ampel sollen Superspreader in drei Phasen gebremst werden: Testen, Contact-Tracing, Quarantäne - binnen 24 Stunden. Dieses 72-Stunden-"Tempolimit" für Corona bleibt in der Praxis aber noch Chimäre.

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Politik Backstage von Josef Votzi: Türkis-Grün ringt um "Tempolimit" für Corona

DAS ALTE SPIEL geht in die Verlängerung: Türkis will die Schuld für das zunehmende Corona-Chaos in der Regierung vor allem Gesundheitsminister Anschober in die Schuhe schieben.

Wo ist eigentlich Sebastian Kurz? Hat er die Flucht ergriffen, weil ihm das Virus über den Kopf wächst?", lästerten die einen. "Ein Segen, dass er uns mit seinen Auftritten verschont", die anderen. Auf der Social- Media-Plattform Twitter kann es so gut wie kein Regierungspolitiker dem Gros der Poster recht machen. Kurz schon gar nicht.

Bei Türkis rümpft man darüber zwar gern die Nase, behauptet aber, Twitter nicht ernst zu nehmen und es links -wo sonst? - liegen zu lassen. Sobald sich das Twitter-Echo auch medial niederschlägt, ist es mit der demonstrativen Ignoranz aber vorbei. Just an dem Wochenende, an dem die Italiener mit "Ferragosto" den Ferienhöhepunkt ausrufen und auch hierzulande alles stillsteht, herrscht im Kanzleramt plötzlich wieder Hochbetrieb.

Die Gesundheitsbehörden alarmiert ein neues Phänomen: Die Corona-Infizierten werden immer jünger, der Anteil der Reiserückkehrer nimmt deutlich zu. Gesundheitsminister Rudolf Anschober hatte in Sachen neuer Corona-Alarm zwar auch medial die Stellung gehalten. Aus den türkisen Kabinetten macht aber einmal mehr die Flüsterbotschaft die Runde: Im Gesundheitsministerium geht alles zu langsam. Die Corona-Ampel sei längst überfällig. Kurz inszeniert sich zudem mit einem TV-Auftritt einmal mehr als Retter in der Corona-Not.

Das Kanzleramt lässt außerdem sickern, dass Kurz für den Tag nach seinem Soloauftritt den Innen-und den Gesundheitsminister zu sich beordert habe. Hätte Werner Kogler nicht gerade seinen Urlaub angetreten, schlüge erstmals nach der Sommerpause wieder die Stunde des "virologischen Quartetts". So blieb es beim "virologischen Trio" Kurz, Anschober und Karl Nehammer.

Der Neuigkeitswert war überschaubar. Total neu war die öffentliche Unterwerfungsgeste des türkisen Innenministers. Karl Nehammer wandte sich direkt an seinen Regierungsund Parteichef mit einem "Danke an den Bundeskanzler, dass er uns ein Mahner ist, dass wir bei den Kontrollen nachdrücken müssen". Kurz griff, für einen Regierungschef nicht gerade rollenkonform, postwendend neuerlich zu seinem jüngsten Stilmittel: Er appellierte wie ein besorgter Außenstehender an die Gesundheitsbehörden, die Grenzkontrollen für Reiserückkehrer massiv zu verstärken. Politisch ein neuerlicher kräftiger Seitenhieb auf Anschober.

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"Gesundheitsbehörde" ist, genau betrachtet, im föderalen Österreich ein diffuser Begriff. Oberste Gesundheitsbehörde ist das Ministerium. Für die praktische Umsetzung aller einschlägigen Gesetze und Verordnungen sind die neun Landesregierungen zuständig. Direkt an der Anti-Corona-Front selbst hat eine öffentlich unterschätzte Ordnungsmacht das Sagen: Österreichs 73 Bezirkshauptleute. Länder und Bezirksverwaltung sind traditionell überwiegend ÖVP-Bastionen.


Corona-Sündenbock Anschober


In der grünen Regierungsriege verfestigt sich daher der Eindruck: "Kurz tut alles, um sich nicht mit den eigenen Leuten in den Ländern anzulegen. Er will daher den Rudi einidrahn" - sprich, für Mängel bei Grenzkontrollen, Tests, Contact-Tracing und Quarantänemaßnahmen rechtzeitig den Gesundheitsminister als Sündenbock platzieren.

Türkis trommelt: "Rudi, tu was." Das grüne Gesundheitsministerium gibt den wachsenden Druck an die lokalen Behörden weiter: "Grenzkontrolleure, tut mehr!" Am vergangenen Wochenende ging das türkis-grüne Powerplay mit einem Megawumms nach hinten los.

Eine erst am Tag des Inkrafttretens bei den lokalen Gesundheitsbehörden aufschlagende Verordnung wurde - aus Sicht der Kärntner - wie angeordnet exekutiert: "Alles andere wäre Amtsmissbrauch." Aus Sicht Wiens hätten auch Stichproben statt flächendeckender Kontrollen gereicht.

Wäre das von Anfang so klar gewesen, hätte es wohl nicht einer nachträglichen schriftlichen Klarstellung bedurft. Zumal an der Kärntner Grenzfront ein Bezirkshauptmann im Einsatz war, der wegen eines Amtsmissbrauchsverfahrens (in einer anderen Causa) traumatisiert war. Ergebnis war ein Megachaos an der Grenze zwischen Slowenien und Kärnten wegen eines Formulars, das eine Staunacht lang jeder Durchreisende auszufüllen hatte. Die schlechte Nachrede hatten am Ende alle: Rudolf Anschober wegen des neuerlichen Verordnungschaos, Peter Kaiser wegen Kärntens anfangs sturen Dienstes nach Vorschrift, Sebastian Kurz wegen des rücksichtslosen Drucks auf mehr Kontrollen.


Geschwindigkeitsbremse für Coronavirus


Mitten in der anschwellenden Politiker-Panik vor einer zweiten Corona-Welle ein Lehrstück: Krisen-PR wird diesmal mehr denn je nicht reichen. Denn jeder, der genauer hinschaute, wusste es schon länger: Beim Vollzug der Anti-Corona-Regeln knirscht und kracht es auf Länder- und Bezirksebene gewaltig.

Die lokalen Gesundheitsbehörden haben in der Praxis noch lange nicht geschafft, was die Regierung seit Monaten proklamiert: testen, testen, testen! Kontaktpersonen von Infizierten blitzschnell finden! Infizierte und ihr Ansteckungsverdachtsumfeld sofort isolieren! Im Regierungsviertel macht daher eine neue plakative Formel für die Anti-Corona-Politik die Runde: drei mal 24. Bei jedem Corona-Verdachtsfall sollen künftig drei zwingend notwendige Folgemaßnahmen jeweils binnen 24 Stunden umgesetzt werden:

  • Binnen 24 Stunden muss jeder Corona-Verdachtsfall getestet werden.
  • Binnen 24 Stunden muss spätestens das Testergebnis vorliegen.
  • Binnen 24 Stunden müssen auch alle unmittelbaren Kontaktpersonen eines Corona-Infizierten identifiziert und in Quarantäne geschickt werden.

Spätestens im Lauf des Septembers habe so zusätzlich zur Corona-Ampel in ganz Österreich eine neue Geschwindigkeitsregel zu gelten: Jeder Verdachtsfall und seine Umgebung sollen binnen drei mal 24 Stunden, sprich: 72 Stunden, isoliert sein. Dieses Tempolimit für neue Corona-Spreader ist im Moment aber ein frommer Wunsch.

Derzeit bahnt sich bei den Tests ein ähnlicher Megastau wie jüngst vor dem Karawankentunnel an (siehe auch Seite 29). Das Warten auf die Auswertung wird länger statt kürzer: 48 Stunden und mehr sind zunehmend die Regel. Erst dann kann das flächendeckende Contact-Tracing einsetzen, auch das bleibt noch ein Wunschkonzert. In Wien etwa rückt zwar bei spektakulären Clusterfällen wie in einem Postverteilzentrum oder Flüchtlingsheim das "Büro für Sofortmaßnahmen" aus, das der heutige Gesundheitsstadtrat Peter Hacker einst aufgebaut hatte. Bei Alltagsfällen wie einer Ansteckung im Familienkreis, die das Gros der neuen Infizierten ausmachen, werden jedoch grobe Mängel sichtbar. Angekündigte Absonderungsbescheide kommen verspätet, Contact-Tracing bleibt oft ein Fremdwort.

Kurz war im Frühsommer intern ziemlich unrund, als die oberösterreichischen Behörden den Cluster in einer Freikirche und einer Fleischfabrik anfangs nicht in den Griff zu kriegen schienen.

Deutlichen Nachbesserungsbedarf, sagen Regierungsinsider, hätten auch Kärnten und die Steiermark. Gut aufgestellt sind Vorarlberg und - allerdings erst nach dem Einschlag in Ischgl - Tirol. Selbst Hilfsangebote im vornehmlich symbolischen Bereich müssen erst Standesdünkel überwinden. "Ich bin nicht Soldat geworden, um meine Soldaten zum Fiebermessen abzukommandieren", meuterte anfangs der eine oder andere Militärkommandant. Inzwischen stehen ein paar Hundert Heeresangehörige an der Grenze, die freilich mit Fiebermessen nicht viel mehr tun können, als zu signalisieren: "Nehmt Corona wieder ernst und lasst euch testen, sobald ihr zu Hause angekommen seid."

In der Regierungszentrale liefern sich Türkis und Grün im Kleinkrieg um die Poleposition bei der Anti-Corona-Politik derweil neue Scharmützel. Medial machte eine Szene aus der jüngsten Sitzung jener Corona-Kommission die Runde, die diesen Donnerstag die Verkehrsregeln für den Betrieb der Corona-Ampel festlegen sollte - vom Maskentragen bei Gelb oder Orange bis zum lokalen Shutdown bei Rot.

Das Ondit: Der Kanzler habe beim letztwöchigen Meeting durch eine Mitarbeiterin wissen lassen, dass er zur spielentscheidenden Sitzung kommen wolle - er sich also selbst hineinreklamiert habe. Da war sie also wieder, die Punze von der Corona-Schnecke Anschober und dem Tempomacher Kurz. Ein Check ergibt: Der Kanzler war zu dem Zeitpunkt seit Tagen zur finalen Sitzung eingeladen.

Und dann machten sich erst der FPÖnahe "Wochenblick" und postwendend auch des Kanzlers liebste Medienplattform "oe24" wegen eines Krankenhausaufenthalts auch noch "Sorgen um Anschober". Der Gesundheitsminister war vergangenen Sonntagabend für zwei Tage in ein Linzer Spital eingerückt. Ein jährlicher "Routinecheck, den er für den Sommer ausgemacht hatte", gab die grüne Regierungsriege umgehend Entwarnung.

Und wurde angesichts der medialen Inszenierung einmal mehr nachdenklich: Anschober schwächelt, Kurz wieder voll da. Türkis machte just an dem Tag mit der Ankündigung einer Kanzlerrede zur Lage der Nation Schlagzeilen wie diese: "Kurz-Offensive nach dem Krisenchaos".


Der Autor

Josef Votzi

Josef Votzi

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend beleuchtet er wöchentlich Österreichs Politik.

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