Politik Backstage von Josef Votzi: "Anschober sitzt am längeren Hebel"
Die nächsten Öffnungsschritte vor Ostern wackeln. Die aufständischen ÖVP-Wirtschaftsvertreter setzen nach verlorenem Match vorerst auf Abwarten. Ihr Tenor: "Jetzt rächt sich, dass die ÖVP keine Mitkompetenz im Epidemiegesetz hat" - und "dass Kurz erstmals angeschlagen ist".

Im Wiener Regierungsviertel macht sich das Zauberlehrlings-Syndrom breit: Sebastian Kurz wird die widersprüchlichen Geister, die er gerufen hatte nicht mehr los. Diesen Montag war am Ballhausplatz einmal mehr von früh bis spät Corona-Krisenkabinett mit Experten, Opposition und schlussendlich die spielentscheidende Elefantenrunde aus Bund und Länder angesagt.
Das Gros der Experten malt düstere Prognosen. Virologisch und epidemiologisch spräche alles gegen weitere Öffnungsschritte. Wenn die Fallzahlen weiter steigen, dann stünden selbst die bestehenden Lockdown-Lockerungen im Handel, bei Friseuren & Co und nur als ultima ratio auch der Halbzeit-Präsenzunterricht in der Schule bald wieder in Frage. Trotz verschärfter Maskenpflicht ist die Ausbreitung des Virus ungebremst.
Hauptgrund sind nicht die vorbildlich vielen Tests. Als eine wesentliche Ursache machen die Prognostiker, die für die Regierung die Modellrechnungen erstellen, einen ähnlich unfassbaren Gegner wie das Virus selbst aus: Die zunehmende passive Resistenz gegen die Anti-Corona-Maßnahmen.
Contact-Tracing bleibt eine Chimäre.
Das beginnt damit, dass immer mehr Betroffene positive Antigen-Tests weder melden noch einen PCR-Test machen und in Quarantäne gehen. Contact-Tracing bleibt in diesen Fällen so von Anfang an eine Chimäre.
Das Corona-Shaming und Blaming grassiert ein Jahr nach Beginn der Seuche mehr denn je, sagen Praktiker an der Corona-Front. Infizierte scheuen sich nach wie vor, "andere mit reinzuziehen". "Hier bräuchte es positive Anreize für den offenen Umgang mit einer Corona-Infektion", sagt ein Regierungsberater, "Denn nach wie vor dominiert die Angst vor negativen Folgen im privaten Bereich oder auch am Arbeitsplatz."
Bei steigenden Fallzahlen stößt freilich das Contact-Tracing auch bei Gutwilligen, die ihre Kontakte umfassend offenbaren, an Grenzen. Täglich 2000 und mehr Infizierte bedeuten täglich zehntausende neue K1-Personen, die von den Gesundheitsbehörden zu kontaktieren, zu testen und in Quarantäne zu schicken sind.
Achse Ludwig-Ruck
für schnelle Gastro-Öffnung
Von diesen lästigen Mühen der Ebene wollte sich diesen Montag aber keiner der Spitzenpolitiker nicht neuerlich aufhalten lassen. Nach den schwarzmalenden Virologen und Modellrechnern war die Ehrenrunde der Oppositions-Parteichefs angesagt. Mitzuentscheiden hatten sie aber auch an diesen Tag nichts – zumal sie nicht nur nach außen, sondern auch nach innen hin ein diffuses Bild boten.
Die kleineren Oppositionsparteien drängten auf Öffnung: Die FPÖ ohne jedes Maß, die Neos mit begleitender Kontrolle. Die SPÖ-Chefin warnte lautstark vor weiteren Öffnungsschritte. Für Pamela Rendi-Wagner bleibt – abseits der Schulen – selbst die bestehende Öffnung im Handel und bei den körpernahen Dienstleistern eine vorschnelle und fahrlässige Entscheidung.
Eine Renaissance des rot-schwarzen Machtbündnisses?
Wiens Bürgermeister, der in der SPÖ in Wahrheit den Ton angibt, kümmert das wenig. Gemeinsam mit Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner machte sich Michael Ludwig für den Wunschtermin der Gastronomie stark, am 15. März wieder bundesweit aufzusperren.
Bahnt sich hier gar eine Renaissance des rot-schwarzen Machtbündnisses Häupl-Pröll an, feixten hinterher Sitzungsteilnehmer? Der Einsatz des roten Wiener Bürgermeisters für die Wirte ist vor allem seiner Achse mit dem schwarzen Wirtschaftskammerchef Walter Ruck geschuldet.
Der ÖVP-Wirtschaftsbund und die Wirtschaftskammer hatten in den vergangenen Wochen gegen die Lockdown-Politik am Ballhausplatz revoltiert. Kurz suchte mit einem Gastro-Gipfel etwas Druck aus dem explosiven Kessel zu nehmen. Die meisten hörten die Botschaft des guten Willens, legten aber sicherheitshalber noch einmal lautstark nach.
"Der Lockdown treibt
in privaten Untergrund"
Harald Mahrer choreographierte wenige Tage danach blitzschnell eine ganztägigen Video-Gipfel mit Gastwirten, Hoteliers und aufsperrwilligen Experten: Sie warben mit positiven Beispielen und längst fertigen Sicherheitskonzepten fürs umgehende Aufsperren. Denn, so ein hochrangiger ÖVP-Wirtschaftsmann, "60 Prozent der Ansteckungen passieren im privaten Bereich. Mit dem Lockdown verdrängen wir noch mehr Menschen in den Untergrund. Wenn sich die Leute im öffentlichen Bereich treffen, besteht weitaus weniger Ansteckungsgefahr."
Wenn es nach den Landeshauptleuten und den Wirtschaftsvertretern gegangen wäre, dann hätte der türkise Kanzler dem Druck von gleich zwei Seiten nachgeben müssen.
Die Mehrzahl aus pragmatischen Gründen: Immer mehr Menschen ignorieren Vorgaben und Regeln. Die Politik müsse der "Abstimmung mit den Füßen" Rechnung tragen. Offene Wirtshäuser mit Tests und Abstandsregeln seien besser als immer unkontrollierte Zusammenkünfte im privaten Rahmen, so der Chor der Länderchefs in Gleichklang mit den Wirtschaftsvertretern.
Anschober: Veto gegen
rasche und breite Öffnung
Der eine und andere Landesfürst ließ auch den Zyniker raushängen: "Wir wissen, das das auf Dauer nicht geht. Aber wir müssen jetzt einmal aufsperren, weil wir den Druck bald nicht mehr aushalten."
Rudolf Anschober hielt vehement wie nie zuvor dagegen: "Dafür kann und werde ich nicht die Verantwortung übernehmen." Soll heißen: Der formal allein entscheidende Gesundheitsminister signalisierte ein Veto gegen rigorose Aufsperrwünsche. Dem Grünen sitzt noch seine Fehleinschätzung im Spätherbst in den Knochen: Erst hatte er eine zweite Welle zur Medienente erklärt. Als die Zahlen unleugbar stiegen, zögerte er zu lange mit grünem Licht zum Lockdown.

Bund-Länder-Gipfel: Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und der Vizerektor der Med Uni Wien Oswald Wagner.
Ein zweites Corona-Waterloo will der grüne Gesundheitsminister nicht riskieren. Da halfen auch die Einwände der Länderlobby nichts. "Es war ein ziemlicher Kampf Anschober gegen den Rest der Welt", resümiert ein Öffnungs-Fan.
Auffällig vorsichtig und ähnlich zurückhaltend präsentierte sich allein der Steirer Hermann Schützenhöfer. Beim Landeschef der grünen Mark hat die katastrophale Lage vor allem in den steirischen Alten- und Pflegeheimen im Herbst und Winter massiv Spuren hinterlassen.
Schützenhöfer war es auch, der den ÖVP-Chef beim Schmieden eines für alle Landesfürsten verträglichen Kompromisses unterstützte. Ergebnis war bei näherem Hinsehen nicht mehr als freundliches Versprechen: Mitte März will die Runde entscheiden, ob die Zahlen dafür taugen am Palmsonntag bundesweit tatsächlich zumindest die Gastgärten zu öffnen.
Vorarlberg, das Testlabor für ganz Österreich.
Als flackerndes Licht am Ende des Tunnels sollen allein in Vorarlberg die Wünsche von Harald Mahrer & Co wahr werden und Mitte März Hotels und Gastronomie wieder komplett aufmachen - als Testlabor für ganz Österreich.
Markus Wallner, erinnern sich Teilnehmer, war hin und hergerissen zwischen Begeisterung und Skepsis. "Er musste vom Kanzler in seine Rolle als Frontrunner hineingebeten werden", beschreibt ein Teilnehmer das Tauziehen.
Der ÖVP-Chef brauchte wenigstens ein Hoffnungs-Signal an die Wirtschaft. Das vermag Frust und Wut ob der Niederlage nicht wirklich zu dämpfen. Die Gräben zwischen Virologen und Wirtschaft scheinen am Tag nach dem jüngsten Corona-Gipfel noch tiefer.
Mahrer: "Virologen
als Kerkermeister"
Der Public-Health-Experte Gerald Gartlehner resümiert: "Die Ankündigung der Öffnung der Gastgärten ist eine Beruhigungspille. Dass die Zahlen bis dahin nicht steigen, ist eine Illusion."
Wirtschaftskammerchef Harald Mahrer nimmt Kurz & Co auch öffentlich kein Blatt mehr vor den Mund: "Die Öffnung nur der Gastgärten ist nicht nachvollziehbar. Offenbar gefallen sich die Virologen in der Rolle von Kerkermeistern."
Im Kanzleramt hofft man, dass der Anfang des Jahres eingeschlagene Kurswechsel aufgeht: Es lebe die - neuerdings Regionalisierung getaufte – Renaissance der Corona-Ampel. Der grüne Gesundheitsminister und die Länderchefs sollen sich mit der Mühsal von Lockdown-auf und Lockdown-zu herumschlagen.
Mit dem Angebot, selber über Corona-Bonus-Lösungen à la Vorarlberg zu entscheiden, konnten sich die Landesfürsten anfreunden. Gegen die Möglichkeit selber Corona-Malus-Sanktionen wie Quarantänen für ganze Orte und Bezirken zu verhängen, wehren sich viele Länderchefs mit praktischen Hürden und Hinhalten.
Kurz: Neues Hoffungsspiel
bei Impfung
Sebastian Kurz setzt alles daran diese mühselige Gemengelange, bei der es nur Zores zu gewinnen gibt, dem grünen Gesundheitsminister und den schwarzen Landesfürsten zu überlassen. Der türkise Parteichef, der sich zudem laufend mit Bad News aus den eigenen Reihen herumschlagen muss, sucht sich einmal mehr allein mit Good News in Szene zu setzen.
Je mehr Impfstoff in Aussicht ist, desto stärker fokussiert sich Kurz als Mister Impfung. Erst mit der erfolgreichen Beschaffung von hunderttausend Extra-Dosen des begehrten Impfstoffs von Biontech/Pfizer für den Tiroler Bezirk Schwaz, der das neue Ischgl zu werden drohte. Zuletzt mit einer publicityträchtigen Blitzvisite beim Corona-Impfweltmeister Israel.
Back home heißt es aber zurück an den Start. Die Infektionszahlen steigen wie von Virologen und Prognostikern prophezeit. Das Tauziehen um Öffnungsmaßnahmen geht nun in die Verlängerung.
Die Kurz-Partie ist erstmals angeschlagen.
In der schwarz dominierten Wirtschafts-Lobby setzt man nach der verlorenen Kraftprobe beim letzten Bund-Länder-Gipfel vorerst noch auf Abwarten. "Es hat jetzt keinen Sinn jeden Tag öffentlich draufzuhauen. Die steigenden Zahlen sind uns nun in die Quere gekommen. Jetzt macht sich wieder eine Stimmung breit als würde die Welt untergehen. Dabei sind wir von den besorgniserregenden Zahlen im vergangenen Frühjahr, was die Spitalsbetten anlangt, noch weit entfernt."
In gut einer Woche muss entschieden werden, ob die versprochenen zusätzliche Öffnungsschritte tatsächlich kommen. Ob das interne Match Mitte März ähnlich hart wird, wie das jüngste Montag dieser Woche, ist im Moment noch offen.
Die Stimmung im Vorfeld war in ÖVP-Wirtschaftskreisen schon weitaus besser. "Anschober sitzt am längeren Hebel. Er hat allein die Verordnungsermächtigung", sagt ein prominenter ÖVP-Mann, "Jetzt rächt sich, dass wir keine Mitkompetenz etwa des Innenministers in das Epidemiegesetz hineinverhandelt haben."
Nachdenklicher Nachsatz des einflussreichen ÖVP-Granden: "Das wird ein kurioses Match. Denn die Kurz-Partie ist erstmals angeschlagen und vor allem mit anderen Dingen beschäftigt. Das stärkt im Moment auch nicht gerade."
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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