Nur Kurz mal weg... oder bald für immer? [Politik Backstage von Josef Votzi]
Warum Werner Kogler erst zögerte, mit Sebastian Kurz zu brechen, und nun ein Dauer-Showdown zwischen Türkis und Grün droht. Was bei den schwarzen Länderfürsten tatsächlich Panik auslöste. Wie Kurz seiner Entmachtung durch die ÖVP zuvorkam. Womit sich der Exkanzler jetzt retten will. Doch auch immer mehr in der eigenen Partei sagen: Kurz muss weg. [Teil 1, am Samstag 16.10.2021, folgt Teil 2: Showdown Türkis-Grün kommt in Zeitlupe]
Bald wird für Sebastian Kurz spürbar werden: Der Gestaltungsspielraum als Klubobmann ist gering, der Glanz enden wollend.
Es ist ein Wochenstart ganz nach dem Geschmack von Sebastian Kurz. Nach mehr als einem Jahr Reise- Lockdown steht endlich wieder ein Ausflug auf die internationale Bühne auf dem Programm. Fünf Tage USA zum jährlichen Stelldichein der Staats- und Regierungschefs bei der UNO. Allein fünf TV-Teams sind mit an Bord von Flug OS 89 Wien-New York.
Nach einem Jahr Corona und immer neuen Skandal-Chats kann er eine Woche mit skandalfreien und schönen Bildern gut gebrauchen. Und sich auf der Weltbühne erfolgreich zu bewegen, hat Kurz seit seinen Tagen als Außenminister längst perfektioniert.
An sich wäre es keiner Erwähnung wert, dass ein österreichischer Regierungschef in der Business-Class Platz nimmt. Aber bislang hat er selbst bei Langstreckenflügen Economy buchen lassen und seine Volksnähe medial in Wort und Bild auch gerne zelebriert.
Szenen einer Kanzler-Dämmerung
Während des Acht-Stunden-Flugs sucht der 35-Jährige die in den Reihen hinter der Business-Class sitzenden Journalisten auf, um mit jedem ein paar freundliche Worte zu wechseln. Kurz redet über seine Erwartungen an die UNO-Generalversammlung, seine jüngsten Eindrücke von einem Meeting mit CEOs und US-Politikern in Sachen China und beantwortet auch gerne die eine und andere Nachfrage. Nur ein Thema bringt ihn sichtlich aus der Fassung: Wurde er nun schon von einem Richter wegen des Vorwurfs der falschen Zeugenaussage im Ibiza-U-Ausschuss einvernommen? Kein Ja, kein Nein, nicht einmal ein "No comment".
Sebastian Kurz, der im öffentlichen Umgang eine fast servile Höflichkeit an den Tag legt, macht grußlos auf dem Absatz kehrt und sucht wieder seinen Sitzplatz auf.
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Das ist umso verwunderlicher, als das Kanzleramt drei Tage danach während seines New-York-Aufenthalts publik macht: Die Einvernahme ging bereits Anfang September über die Bühne. Kurz sei es bei dem sechsstündigen Termin gelungen, die Vorwürfe zu entkräften.
Staatsanwälte und Richter sind für Kurz offenbar ein derart rotes Tuch, dass der Kontrollfreak beim Stichwort "Justiz" immer wieder die Contenance verliert.
Ein Rundumschlag gegen die WKStA am Rande eines Hintergrundgesprächs im Jänner 2020, das danach geleakt wurde, markiert den eigentlichen Startpunkt der Kanzler-Dämmerung - just am Höhepunkt der politischen Karriere von Sebastian Kurz. Er war gerade zum zweiten Mal Regierungschef geworden.
Der ÖVP-Chef witterte beim Start von Türkis-Grün eine rote Zelle bei den Korruptionsermittlern. Anlass: Im Gefolge des Ibiza-Skandals wird nicht nur gegen Personen im Dunstkreis der FPÖ, sondern auch der ÖVP ermittelt. Vor allem die Erhebungen gegen Ex-Finanzminister Hartwig Löger empören Kurz, weil dieser nun in seinem beruflichen Fortkommen auf Monate, wenn nicht auf Jahre schwer gehandicapt sei.
Immer neue Ermittlungen der WKStA stehen auch am Ende der Ära von Sebastian Kurz als Kanzler. In der ÖVP gibt es auch immer mehr Granden, die meinen: Mit dem Kanzlersturz ist Sebastian Kurz auch als Spitzenpolitiker der ÖVP Geschichte.
Grüne Offensive bei ÖVP: Kurz muss weg
Fakt ist: Seit dieser Woche ist vorerst einmal die Ära Kurz-Kogler zu Ende -und damit auch die stark belastbare Achse zwischen den beiden Parteichefs. Sie müssen aber auch in der neuen Rollenverteilung miteinander kooperieren. Denn Türkis-Grün soll unter neuen Vorzeichen fortgesetzt werden. Kurz, sagen enge Vertraute, fühlt sich von Kogler auch persönlich verraten. Zumal der Vizekanzler noch Stunden nach Auftauchen der neuen Vorwürfe gegen Kurz und neun seiner engsten Mitstreiter in Sachen "Inseratenkorruption" noch folgende Linie vorgab: Wenn die Anschuldigungen zuträfen, dann ergäbe das "ein verheerendes Bild". Er habe freilich volles Vertrauen in die unabhängige Justiz.

AUSGESTRECKTE HÄNDE. Der neue Kanzler Alexander Schallenberg streckt im Parlament "die Hände zur Zusammenarbeit aus". Doch das soll vorerst nicht sein. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger streckt sich, um ihm erst einmal die Razziaanweisung zu überreichen.
Kein Wort von fraglicher Amtsfähigkeit oder zumindest einer Nachdenkpause. Kogler signalisiert nach innen und nach außen business as usual: In der wöchentlichen Ministerrunde, die fünf Stunden nach Start der spektakulären Razzia zusammensaß, hielt Kogler eine lange Lobrede auf die gemeinsame Steuerreform und sein türkises Verhandlungs-Visavis Gernot Blümel.
Die gleiche Botschaft platziert Kogler auch vor den versammelten Medien, die gespannt der ersten Wortspende zur Razzia im Kanzleramt harten: "Wichtig ist die Handlungsfähigkeit der Regierung: Sie sehen, dass hier mit zunehmender Geschwindigkeit agiert wird."
24 Stunden danach ist auch für Kogler die Handlungsfähigkeit von Kurz unwiderruflich dahin. Die Erklärung für den 180-Grad-Move in grünen Zirkeln: Kogler hatte die 104-seitige Anordnung zur Hausdurchsuchung schlicht noch nicht gelesen und den Sturm der Entrüstung in den eigenen Reihen krass unterschätzt.
Statt mit einer Bewertung bis dahin zuzuwarten, hatte Kogler reflexartig jene Position eingenommen, auf die sich die Grünen angesichts der Ermittlungen wegen falscher Zeugenaussage intern schmerzvoll geeinigt hatten: Solange keine Anklage vorliegt, steht die Amtsfähigkeit von Kurz auch nicht in Frage.
Nach Lektüre der neuen Chats und Indizienketten ist auch für Kogler & Co. klar: Hier ist Feuer am Dach, ein Weiterregieren würde die grüne Glaubwürdigkeit als Antikorruptionspartei vernichten.
Kogler zieht daher quietschend die Notbremse und eröffnet auf mehreren Ebenen einen beispiellosen Poker.
Flankenschutz nach außen hin
Grüne Spitzenleute rufen vertraute schwarze Kollegen in den Ländern durch, um ihnen zu vermitteln: Eine Fortsetzung von Türkis-Grün kann es nur unter einem neuen ÖVP-Kanzler geben. Werner Kogler selbst wird mit dieser Mission beim Steirer Hermann Schützenhöfer, Landeshauptmann seines Heimatbundeslandes, vorstellig.
In Vorarlberg, Tirol und Salzburg, in denen die Grünen vor Ort mitregieren, machen sich die lokalen Spitzen bei den ÖVP-Landeshauptleuten Markus Wallner, Günther Platter und Wilfried Haslauer für einen Wechsel auf dem Kanzlersessel stark, um die gemeinsame Koalition im Bund zu retten. Parole: Es braucht einen fliegenden Kanzlerwechsel zu einem " untadeligen" ÖVPler.
Die grüne Operation "Kurz muss weg" kommt binnen weniger Stunden auch dem Türkisen-Chef zu Ohren. Er sucht gegen den politischen Hackerangriff im eigenen Lager in einer Blitzaktion eine mehrfache Firewall zu errichten. Alle ÖVP-Regierungsmitglieder haben eine vom Kanzleramt vorgefertigte Erklärung zu unterschreiben: Wenn Grün den Plan wahr macht, den Kanzler notfalls per Misstrauensvotum zu stürzen, dann legen stante pede alle ihre Ämter zurück und lassen die Regierung platzen.
Während August Wöginger in einer Sonderklubsitzung die Abgeordneten auf Linie bringt, sucht sich Kurz bei seinen Länder- und Bündechefs Rückendeckung zu holen.
Das zwiespältige Ergebnis: Nach außen geben ihm die Länderchefs noch Flankenschutz. Intern hagelte es erstmals Kritik. Noch dominiert die Meinung: Die Chats sind "grindig", aber das Gros der Landeschefs macht Kurz als Kanzler die Mauer.
Niederösterreichs Johanna Mikl-Leitner und Sebastian Kurz scherzen noch gemeinsam über die zwischendurch als Ausweg ventilierte Idee von Werner Kogler, der werdende Vater solle doch in Karenz gehen und so sympathiebringend eine politische Auszeit nehmen.
Kurzes Patt im Poker
Der dringende Wunsch der Grünen, die ÖVP solle umgehend Ersatz für Kurz nominieren, geht freilich (noch) nicht auf. Im Gegenteil: Kurz erklärt sich Freitagabend zur besten Nachrichtensendezeit live vor Millionen Österreichern für von seiner Partei gestärkt, für handlungsfähig und handlungswillig und spekuliert weiter mit einem Einlenken der Grünen.
"Nach Neuwahlen sind sie weg vom Fenster", feixt ein türkiser Stratege, "reduziert auf den harten Kern ihrer Wähler, die ihnen nicht übel nehmen, schon wieder wählen gehen zu müssen, und mit null Aussicht auf Rückkehr in die Regierung."
Die Kogler-Truppe setzt den grünen Chip weiter auf alles oder nichts. Der grüne Vizekanzler kämpft auch um sein persönliches politisches Überleben. Immer mehr Grüne werfen ihm vor: Die grüne Regierungsmannschaft zeige schon länger Symptome des Stockholm-Syndroms. Und weitermachen mit Kurz wäre für Kogler &Co. Selbstmord auf Raten.
Der grüne Überlebenskünstler macht daher weiter auf mehreren Ebenen Druck. Mit diskreten Telefonaten Richtung ÖVP und einem offenen Flirt mit Rot-Blau-Pink. Teil der Doppelstrategie ist eine waghalsige Vision: die ökologischen Vorzeigeprojekte mit einem Vier-Parteien-Bündnis abzusichern und sich so zumindest bis ins kommende Frühjahr zu retten.
Drohkulisse Antikorruptionskabinett
Zwischen Rot, Grün, Blau und Pink gab es in der Tat ernsthafte Gespräche für eine Anti-Kurz-Koalition.
Thema war freilich nicht die absurde Vision einer Vier-Parteien-Koalition, in der Pamela Rendi-Wagner und Werner Kogler gemeinsam mit Herbert Kickl am Kabinettstisch sitzen. Vorbild war ausgerechnet ein Bündnis, das jüngst einen politischen Vorzeigefreund von Sebastian Kurz, Israels Langzeitpremier Benjamin Netanjahu, zu Fall gebracht hatte.
Der extrem heterogenen Acht-Parteien-Koalition unter Premierminister Naftali Bennett hatte niemand zugetraut, länger als einige Wochen zu überleben. Jüngst feierte sie unversehrt ihre ersten 100 Tage. Ihr bislang erfolgreicher Kitt: die gemeinsame Aufarbeitung der Skandal-Ära von Benjamin Netanjahu. Die Idee einer Anti-Kurz-Koalition auf Regierungsebene reifte an jenem Ort, wo Kurz jetzt um Asyl angesucht hat - in den Parlamentsklubs.

Im Ibiza-Ausschuss hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren zwischen den bislang verfeindeten Lagern Rot-Grün-Pink und Blau eine tragfähige Vertrauensachse gebildet. Demnächst starten die Oppositionsparteien einen neuen U-Ausschuss, den die Grünen neuerlich eifrigst mittragen wollen.
Begleitend dazu sollte, so der Plan, eine "Aufklärungsregierung" eingesetzt werden, die sich auf einige unabdingbare Vorhaben wie ein Budget einigt. In der Hauptsache sollten die roten, blauen, grünen und pinken Ministerinnen und Minister in den Akten der Vorgängerregierung wühlen und diese großzügig an den neuen Anti-Kurz-Ausschuss liefern.
Zur Wahrung des innerparteilichen Friedens in allen Lagern sollte Herbert Kickl weiter Klubchef bleiben, Ministerposten sollten vornehmlich mit Experten besetzt werden. Mehr als zwölf Monate Überlebenszeit bis zu Neuwahlen gaben auch die Erfinder dieses waghalsigen Vorhabens diesem Experiment nicht.
Alles in allem: politisch gänzliches Neuland, aber nach den jüngsten Skandalwellen mit einer Chance, auch der massiven Missstimmung bei den Wählern gerecht zu werden.
Größtes Problem für die rot-grünblau-pinken Ränkeschmiede: der Zeitdruck. Mit dem angekündigten Misstrauensvotum gegen Kurz samt Rücktritt aller ÖVP-Minister wäre das Land ohne Regierung dagestanden. Laut Verfassung muss der Bundespräsident aber dafür sorgen, dass das Land jederzeit regiert wird.
Mit dem Aus von Türkis-Grün wäre Alexander Van der Bellen möglicherweise aber noch ohne diese Alternative dagestanden. Denn Rendi-Wagner, Kickl, Kogler und Meinl-Reisinger wären mutmaßlich politisch noch nicht so weit gewesen, um in der Hofburg mit einer fertigen Ministerliste aufzutauchen. Und sie hätten auch kein fertiges Regierungsabkommen gehabt.
Das noch vage Projekt wurde in der ÖVP aber massiv ernst genommen. In den machtbewussten ÖVP-Ländern sorgte eine Vision umgehend für Panik: Kurz wird abgewählt, Türkis-Grün platzt. Ein U-Ausschuss liefert danach über Monate nur ein Stück: den türkis-schwarzen Tango Korrupti. Dank tatkräftiger Unterstützung durch eine von Opposition und Grünen gestützte Regierung, die bereitwillig für Aktennachschub sorgt.
Kurz kommt seiner Entmachtung durch Mikl & Co. zuvor
Denn ein dritter Ausweg erscheint allen Beteiligten selbstmörderisch: Neuwahlen mitten in der vierten Coronawelle und im beginnenden Wirtschaftsaufschwung. Kogler kalkuliert damit, dass auch Kurz dieses Harakiri mit Anlauf scheut, und beharrt daher weiter auf ÖVP-Ersatz für Kurz. Die Grünen haben Signale, dass die ÖVP-Länderchefs angesichts der Drohkulisse Antikorruptionsregierung spätestens nach Abwahl von Kurz im Parlament einlenken werden.
Mit der zweiten Chat-Welle Freitagnachmittag wendet sich das Blatt schneller als erwartet. Publik werden nun auch Beschimpfungen von ÖVP-Ministerkollegen ("Oarsch") und der skrupellose Vorstoß von Kurz ("Welches Bundesland kann ich aufhetzen?"), ein 1,2-Milliarden-Paket für Nachmittagsbetreuung zu torpedieren, um Christian Kern und Reinhold Mitterlehner zu diskreditieren.
Damit steht auch für Kurz' wichtigste Stütze in den Ländern, Niederösterreichs Johanna Mikl-Leitner, fest: Kurz ist als Kanzler nicht mehr zu halten.
Der türkise "Wonderboy" steht vor der schmählichen Perspektive: erst abgewählt und dann kaltschnäuzig von der eigenen Partei ersetzt zu werden, weil diese den Ballhausplatz für die ÖVP nicht verspielen will. Da bleibt Kurz lieber selber als Regisseur mit im Spiel. In einem spektakulären Move, der Freund und Feind überrascht, gibt er das Kanzleramt frei und zieht sich auf den Nebenschauplatz Klubführung im Parlament zurück.
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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