Politik Backstage von Josef Votzi: Auferstehung auf Raten
Die einen murren bereits: "War das alles notwendig?" Die anderen befürchten noch Schlimmeres. Die Tage vor und nach Ostern werden zur größten Herausforderung für die Krisen-Performance der Regierung.
LEERE MARIAHILFER STRASSE IN WIEN. Wie verhindert man nach Lockerung der Quarantäne den neuerlichen Ausbruch der Seuche? Das ist große Frage hinter den Regierungskulissen.
Bis Ostermontag stehen noch weitere 17 Tage soziale Fastenzeit bevor. Bis dahin steht das öffentliche Leben still, ein ganzes Land bleibt auf Notbetrieb. Diesen Freitag ist einmal mehr High Noon angesagt: Die Regierungsspitze will Bilanz ziehen, wie sehr es gelungen ist, die Verbreitungsgeschwindigkeit des unsichtbaren Feindes einzubremsen. Und erstmals skizzieren, wo und wann das Land vom Ausnahmezustand Richtung Notstand light hochgefahren werden könnte.
Eines macht der Kanzler schon davor klar. Der neue Alltag wird lange nicht mehr der alte sein. Das tägliche Leben wird noch Monate im Zeichen strenger Regeln und strikter Beschränkungen zur Virus-Eindämmung stehen.
Denn eine Frage stellt Kurz intern schon seit Wochen am häufigsten: Wie kann verhindert werden, dass sich das Virus nach Lockerung der Quarantäne-Maßnahmen neuerlich explosionsartig ausbreitet - und damit die massiven Einschränkungen hinterher gar als sinnlos erscheinen lässt? Sprich: Wie können Kurz & Co die Österreicher erfolgreich bei Laune halten, dass sie auch in den Wochen nach Ostern mit Einschränkungen leben müssen? Denn die von Kurz ausgerufene "Auferstehung" ist bestenfalls eine Auferstehung auf Raten. Die Erwartung, dass alle Schulen sofort wieder aufmachen, hat der Kanzler bereits gedämpft.
Als Erstes, so der Planungsstand knapp drei Wochen vor Osterdienstag, könnten Geschäfte abseits des Lebensmittelshandels wieder aufmachen. Allerdings mit Zugangsbeschränkungen bei der Anzahl der Personen, die sich dort gleichzeitig aufhalten dürfen. Lokale und Restaurants könnten erst danach dran sein, und auch da schrittweise, was Öffnungszeiten betrifft.
Geschäfte öffnen als Erste, Reisen bleibt Hindernislauf
Als in der zweiten Märzwoche die ersten Pläne ruchbar wurden, dass die Regierung alle Läden und Lokale dichtmachen will, gab es noch viele dramatische Anrufe von Parteifreunden und ÖVP-nahen Unternehmenschefs am Ballhausplatz: "Sebastian, du fährst das Land an die Wand." Das großflächige Angebot zur Kurzarbeit und das 38-Milliarden-Unterstützungpaket haben die totale Katastrophenstimmung in der Wirtschaft für das Erste gedämpft. Die Debatte, was wem wie lange zumutbar sein ist, wird in den Tagen vor und nach Ostern aber neu aufflammen.
Denn ganze Branchen werden auch danach wenig Land in Sicht sehen. "Das Reisen wird noch lange schwierig bleiben", sagt ein Krisenstäbler: "Ein Urlaub am Meer ohne Gesundheitszertifikat wird auch aus Sicht der Gastgeberländer schwer vorstellbar sein."
Die Liste an Verboten und Geboten wird nach Ostern mehrmals neu dosiert werden. "Die Debatte über die richtigen notwendigen Maßnahmen wird weitergehen", so der Tenor in höchsten Regierungskreisen, "Es wird ein wochenlanges Abwägen sein, welche Maßnahme man abdrehen kann, aber auch welche man notfalls wieder aufdrehen muss."
In China dauerte der weitaus rigorosere Ausnahmezustand mit totaler Ausgangssperre mehr als zwei Monate. Seit dieser Woche kehrt in der am schwersten betroffenen Provinz Hubei langsam wieder der Alltag ein. In der zweiten Aprilwoche soll der Ausnahmezustand auch in der Elf-Millionen-Stadt Wuhan aufgehoben werden, weil seit Tagen die chinesischen Behörden keinen einzigen inländischen Fall einer Neuinfektion mehr melden. Das gelang freilich in einem Land, dessen Bürger nicht nur mit eisernen Mitteln an widerspruchslosen Gehorsam gewöhnt wurden, sondern auch digital lückenlos überwacht werden.
Neue Zwangsmaßnahmen massentauglich begründen
Neue Zwangsmaßnahmen massentauglich begründen Hierzulande entscheidend wird sein, ob es dem türkis-grünen Krisenkabinett gelingt, seine Anti-Corona-Maßnahmen weiterhin massentauglich plausibel zu begründen. Das ist vor allem dem Krisen-Duo Sebastian Kurz und Rudolf Anschober in den ersten zwei Wochen des Shutdowns erfolgreich gelungen.
Die von Kommunikationsprofis empfohlene Strategie, auch die diversen Fachminister an die Erklärfront zu schicken, wurde da und dort freilich zum Bumerang. Denn eine Krise wie diese macht - wie im Fall Kurz-Anschober - nicht nur die Stärken, sondern auch latente Schwächen im Regierungspersonal über Nacht breit sichtbar.
Der Auftritt der Arbeitsministerin Christine Aschbacher, die für das Modell der Kurzarbeit und alle anderen Rettungsschirm-Angebote werben sollte, wurde zum Desaster. Auch die kommunikationsfreudige Verteidigungsministerin Klaudia Tanner schaffte es nicht, die Einberufung der Miliz plausibel zu begründen. "Dass 3.000 Milizsoldaten mit Mai für drei Monate einberufen werden sollen, macht auf den ersten Blick Angst, statt zu beruhigen", sagt Harald Schiffl, geschäftsführender Gesellschafter der Krisenkommunikations-Agentur Clavis.
Denn es erzeugt den Eindruck, dass ab Mai noch für Monate Schlimmes drohen könnte, wenn nun auch das Heer ausrücken muss. "In den ersten Corona-Wochen war Verkündungsbedarf", analysiert Schiffl, "Jetzt muss die Regierung beim Erklären nachlegen. Wenn ich weiß, warum, kann ich eine Maßnahme auch besser mittragen."
Freie Bahn für Corona-Immune, Dauerquarantäne für 65 plus?
Zum regierungsinternen Stresstest wird nun - auch in Sachen Krisenkommunikation - der eklatante Mangel an Corona-Tests. Gesundheitsminister Rudolf Anschober wurde bis zuletzt nicht müde, zu erklären, dass der breite Einsatz von Virustests keinen Sinn mache. Seine Erklärung war doppelbödig: Das würden zum einen seine Experten raten. Das gebieten zum anderen auch fehlende Ressourcen.
Sebastian Kurz witterte zunehmend Gefahr für die Krisenperformance und proklamiert jetzt einen radikalen Kurswechsel:"Testen, testen, testen" - vor allem mithilfe des Einsatzes von Schnelltests, die in der Fachwelt wegen Fehlerhaftigkeit aber umstritten sind. Den Mangel leugnet auch Kurz nicht. Mangels Alternativen, so der Kanzler, bleibe aber keine andere Wahl.
Testen, testen, testen" soll ein geordnetes Hochfahren des Wirtschafts- und Alltagslebens ermöglichen.
Die praktischeren Schnelltests sollen binnen Kurzem nicht Tausende, sondern Hunderttausende Corona-Befunde zeitigen. So soll es rascher und effizienter möglich werden, festzustellen, wie weit, wo und in welchen Bevölkerungsgruppen das Virus bereits verbreitet ist. Der Plan hinter dem Strategiewechsel: Das soll ein geordneteres Hochfahren des Wirtschafts- und Alltagslebens möglich machen, ohne einen neuen massiven Seuchenausbruch zu provozieren. Denn diese Massen-Schnelltests messen, wer bereits Antikörper gegen Corona gebildet hat, aber mangels Symptomen gar nicht bemerkt hat, dass er bereits Virus-Träger war.
Damit ließe sich die mutmaßlich größte Gefahr der Verbreitung des Virus neu bewerten. Die Debatte und Entscheidungen über weiter notwendige Kontaktverbote und Einschränkungen des Alltagslebens stünde so auf einer neuen und durch mehr Fakten abgesicherten Basis. Denn die Mehrzahl der Ansteckungen passierte bislang durch Menschen, die gar nicht wissen, dass sie Virusträger sind.
Je näher Ostern rückt, desto deutlicher wird die Regierung daher kommunizieren müssen: Es wird eine Wiederauferstehung des gewohnten Lebens auf langen Raten. "Wichtig ist, dass es in der Kommunikation weiter nur einen klaren Absender gibt, nämlich die Bundesregierung", sagt Verena Nowotny, die die Tücken der Krisenkommunikation sowohl als Ex-Mediensprecherin in der Politik als auch als Krisenexpertin in der PR-Agentur Gaisberg kennt: "Denn je länger die Krise dauert, desto mehr Unmut und negative Energie wird es geben. Da braucht es eine Stimme, die den Spirit 'Wir packen das' aufrechterhält."
Montag, der 13. April, wird so in jedem Fall zu einem neuen Schlüsseltag für die Krisenkommunikation, zuvorderst einmal mehr die des Kanzlers. "Noch ist das angesichts der vielen Toten in Italien tabuisiert. Aber irgendwann werden manche auch laut sagen, was sie bisher nur denken: War das alles wirklich notwendig?", resümiert PR-Profi Josef Kalina: "Die sachliche Verantwortung wird sein, dass es nach Ostern keinen Rückfall bei der Ausbreitung von Corona gibt. Die kommunikative Herausforderung wird sein, die Leute schon davor bei der Stange zu halten und ihnen die Aussicht auf einen Silberstreif am Horizont zu geben."
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend beleuchtet er wöchentlich Österreichs Politik.
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