In undiplomatischer Mission [Politik Backstage von Josef Votzi]
Außenminister Alexander Schallenberg macht mit einer Reise- und Eventoffensive für mehr Exporte und Investitionen mobil. Dass er sich neuerdings auch als innenpolitischer ÖVP-Lautsprecher verdingt, stößt nicht überall auf Applaus.
IN DEN AMTSRÄUMEN. Der kunstsinnige Diplomat soll jetzt die Christlich-Sozialen in der ÖVP besänftigten.
Die Generalprobe wurde, wie es sich gehört, selbst für türkise Verhältnisse überraschend still absolviert. Es gebot schließlich die pure Höflichkeit, einen zeitgleichen Termin nicht zu überstrahlen: das als "Abschiedsbesuch" ausgeschilderte Treffen von Sebastian Kurz mit Angela Merkel.
Der österreichische Kanzler hatte bei seiner zweitägigen Berlin-Visite Ende August freilich keinen Regierungskollegen, sondern Wirtschaftskammerchef Harald Mahrer im Schlepptau. Die beiden eröffneten in Berlin, ohne noch groß darüber zu reden, abseits der Merkel-Visite eine lange geplante Reiseoffensive.
Spitzenpolitiker sind als Türöffner für österreichische Unternehmer nach wie vor gefragt. Kurz hatte schon als Außenminister oft und gern den Door Opener für Firmen in aller Welt gegeben. Coronabedingt fielen in den zurückliegenden eineinhalb Jahren Trips wie dieser aus.
Nach Berlin reisten Kurz und Mahrer ohne großes Gefolge, trafen aber rund um eine Preisverleihung des einflussreichen CDU-Wirtschaftrats an Kurz deutsche Spitzenmanager von Lufthansa-CEO Carsten Spohr abwärts.
"We are back in Business"
Wenige Tage danach gaben Kanzler Sebastian Kurz, Außenminister Alexander Schallenberg und die stellvertretende Wirtschaftskammerpräsidentin Martha Schultz den offiziellen Startschuss für die gemeinsame Export-und Investitionsförderungsoffensive von Außenamt und WKO. Motto: "ReFocus Austria".
Im Erste-Campus unweit des Wiener Hauptbahnhof wurden schon am Tag vor dem medialen "Launch" Spitzendiplomaten auf das Projekt eingeschworen. Österreichs Botschafter in aller Welt hatten sich erstmals wieder persönlich zur jährlichen Konferenz in Wien eingefunden.
Harald Mahrer gab Kammer-intern schon Anfang des Jahres die Devise aus, die großen Exportmärkte der Welt bald wieder ins Visier zu nehmen. In Unternehmerkreisen hielt sich nach einem Jahr Corona-Hü-Hott-Politik das Verständnis für die Pandemiemaßnahmen der Regierung zunehmend in Grenzen. Mahrer gab diesen Druck immer drängender an die Regierung weiter.
Als sich das türkis-grüne Kabinett im April erstmals wieder zu einer Klausur traf, dominierte die Vorgabe, endlich wieder Vorhaben abseits von Corona zu schmieden. Jeder Minister hatte entsprechende Pläne bis ins Jahr 2022 vorzulegen.
Ganz oben auf der Agenda steht seit damals das Vorhaben des Außenministeriums einer Export- und Investitionsoffensive. "We are back in Business", gab der Ressortchef bei der Regierungsklausur als Devise aus. Bei der Vorbereitung setzen Schallenberg und Mahrer auf die bewährte Kooperation zwischen österreichischen Vertretungsbehörden und Wirtschaftsdelegationen vor Ort.
Wenn alles nach Plan läuft, soll "ReFocus Austria" nun bis Juni 2022 mit "Veranstaltungen weltweit" durchgetaktet werden. "Wir im Außenministerium können nicht nur Politik, wir können nicht nur Konsularisches - wir können auch Wirtschaft", proklamierte Schallenberg beim internen Botschafter-Meeting.
Alles in allem passt die geplante Reise-und Eventoffensive auch perfekt zur Strategie des Regierungschefs: Der türkise Kanzler will sich in den Köpfen der Österreicher nachhaltig als "Mister Corona-Öffnung" verankern.
Starttour Riad-Abu DhabiMuskat
Das unberechenbare Virus macht Kurz & Co in einigen Weltgegenden vorläufig noch einen Strich durch die Rechnung. Vornehmlich in den großen Hoffnungsmärkten Asiens beschert die dort besonders heftig grassierende Delta-Variante neue Reisebeschränkungen statt offene Türen für Wirtschafts-Missionen. Auf der Liste der nächsten Reiseziele der Exportturbo-Tour finden sich daher zuvorderst europäische Länder wie Italien, Frankreich, Tschechien und Kroatien. Übersee-Trips in die USA und selbst nach Peking stehen dennoch weiterhin auf dem Reisekalender.
Vor allem im Fall von China muss man allerdings bis zuletzt damit rechnen, dass selbst bei kleinen neuen Corona-Ausbrüchen nach Einreise wochenlange Quarantäne drohen und damit alle Pläne kurzfristig über den Haufen geworfen werden können.
Beim Start zur ersten "ReFocus Austria"-Mission ging Alexander Schallenberg daher auf Nummer sicher. Am Freitag, dem 10. September, machte sich der Außenminister gemeinsam mit einer kleinen Wirtschaftsdelegation (OMV, Vamed, Voest, Rosenbauer) in den arabischen Raum auf. In einer viertägigen Blitzvisite macht die "We are back in Business"-Truppe in drei Destinationen für je knapp einen Tag Station: Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Oman.
Besonderer Stolz des Außenamts: Während international die Diplomatie unter Spardruck steht, eröffnet Österreich dieser Tage eine Botschaft im Oman. "Im Vorjahr war es unser Job, die gestrandeten Österreicher aus aller Welt nach Haus zu bringen", gab der Außenminister intern als Devise aus, "jetzt ist unsere Hauptaufgabe, Jobs zu retten."
Schallenberg genießt bislang als einer der wenigen Vollprofis im türkisen Team weit über die ÖVP hinaus in vielen politischen Lagern Respekt.
In den vergangenen Wochen lösten Auftritte in Sachen Flüchtlinge freilich wachsendes Befremden aus. Als NGOs nach der Brandkatastrophe in Moria die Aufnahme von Flüchtlingen und eine Verteilung in ganz Europa forderten, replizierte der gelernte Diplomat unerwartet schroff: "Dieses Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein." Kurz danach leistete der Minister für seine Wortwahl öffentlich Abbitte: "Wenn ich damit jemandem zu nahe getreten bin oder ihn gar verletzt habe, stehe ich nicht an, mich dafür zu entschuldigen." In der Sache selbst blieb Schallenberg aber unerbittlich.
Es ist wohl kein Zufall, dass er seine Entschuldigung in der "Kleinen Zeitung" platzierte. Die derzeit beste und weitreichenstärkste Qualitätstageszeitung des Landes steht im Eigentum des katholischen Styria-Verlages und verweigert sich in humanitären Fragen dem boulevardgetriebenen Hardliner-Mainstream.
Schallenberg wird nach dieser "Feuertaufe" von den Message-Controllern im Kanzleramt nun vermehrt in Marsch gesetzt, um die Kritik an Österreichs hartem Asylkurs einzufangen.
Das Kalkül der Kurz-Truppe: Wer, wenn nicht der Diplomat adeliger Herkunft und geschliffener Manieren, könne besser in der Lage sein, die aufkeimende Unruhe in jenem Teil des bürgerlichen Lagers, das seine christliche Wurzeln besonders ernst nimmt, zu besänftigen?
Das Kalkül der Gegenoffensive
Nach dem Comeback der Taliban rückt Schallenberg so gut wie täglich aus, um die Forderung nach Aufnahme von Afghanistan-Flüchtlingen gebetsmühlenartig so zu kalmieren: Österreich beherberge bereits jetzt eine der größten Afghanen-Communitys der Welt und habe zudem die Hilfe vor Ort massiv erhöht. Erst wenn alle Kritiker Österreich das nachgemacht haben, könne man gerne über weitergehende Maßnahmen reden. Schallenberg ungewohnt undiplomatisch: "Allein Großbritannien, Frankreich und Italien müssten je 300.000 Afghanen aufnehmen, um mit Österreich gleichzuziehen."
So laut im Rechtspopulisten-Chor hat der polyglotte Außenminister, der in Neu Delhi, Madrid und Paris aufgewachsen ist, noch nie mitgesungen. So plump hat Schallenberg in heiklen außenpolitischen Fragen noch nie Innenpolitik gemacht wie wenige Wochen vor der Oberösterreich-Wahl.
Schallenberg-Kenner wundern sich, dass er sich ohne jedes Wenn und Aber ab sofort an vorderster Front der türkisen Wagenburg einreiht: "Er galt bis jetzt als einer der wenigen halbwegs eigenständigen Personen im Kabinett." Und: "Als Außenminister spricht er ja nicht zur österreichischen Bevölkerung, sondern ist Österreichs Stimme in die Welt. Dort schüttelt man bei allem Verständnis für innenpolitisches Kalkül nur noch den Kopf über Österreich", resümiert ein vielgereister Außenpolitik-Profi: "Es ist erschütternd, dass sich Schallenberg gnadenlos und ohne Rücksicht auf den Schaden für Österreichs Ansehen zum Vollzugsinstrument seines Herrn und Meisters macht." Zuletzt ließ der weltgewandte Diplomat auch beim ÖVP-Parteitag Ende August einschlägig aufhorchen.
"Dieser Parteitag ist wie ein Rockkonzert der Rolling Stones, nur mit Satisfaction", posaunte der Außenminister hemmungslos begeistert in die Livekameras. Und: "Sebastian Kurz ist wahrscheinlich der beste Bundeskanzler, den Österreich je hatte."
Der Autor
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
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