trend-Autor Josef Votzi: "Ich hatte Corona"

Wie ist das, wenn in der eigenen Familie Corona ausbricht und man auch selbst als Covid-Kranker in Quarantäne muss? Anti-Corona-Politik im Praxis-Test: prompter 1450-Test, 60 Stunden warten auf Ergebnisse, hilflose Hotlines für Kranke, Contact-Tracing bleibt Fremdwort.

Thema: Politik Backstage von Josef Votzi
trend-Autor Josef Votzi: "Ich hatte Corona"

Der Bescheid umfasst vier Seiten und den Verweis auf Dutzende Paragrafen. Die Botschaft aber ist simpel: "Es wurde die Erkrankung an SARS-CoV-2/COVID-19 festgestellt." Es "ergeht sohin folgende Anordnung: Herr Josef Votzi ist abgesondert" und "hat den von der Behörde festgelegten Aufenthaltsort nicht zu verlassen und Kontakte zu Personen zu meiden". Das amtliche Schreiben des Wiener Magistrats wird zur Kontaktvermeidung mit einem Corona-Infizierten per RSb-Brief am Postamt hinterlegt.



Eine späte Fleißaufgabe: Ich bin bereits wieder in der Lage, den eingeschriebenen Brief persönlich abzuholen. Das Ende der Quarantäne liegt bereits fünf Tage zurück. Der positive Test mehr als zwei Wochen.

Der journalistische Reflex sagt: Wenn es die bezirksweise organisierten Gesundheitsbehörden bei (damals) nicht einmal hundert neuen Corona-Fällen pro Tag in ganz Wien nicht schaffen, einen Schimmelbrief, in dem nur Name und Adresse variieren, zeitgerecht zu versenden, ist das nicht eine Story? Wie soll bei diesem Tempo eine breit ernst genommene Quarantäne funktionieren, wenn sich die Fallzahlen wie jetzt vervielfachen?

Noch fehlt mir die Energie, die bleierne Müdigkeit obsiegt. Während der Quarantäne war ich nicht einmal in der Lage, enge Freunde ins Vertrauen zu ziehen. Warum soll ich jetzt ein privates Gesundheitsproblem kräfteraubend breit öffentlich machen?

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Ein Virus macht Politik


Freunde haben mich animiert, den Paravent des Privaten zu hinterfragen. Inzwischen bin ich überzeugt: Es gibt derzeit wohl keine Krankheit, die politisch relevanter ist als Covid.

Sie beherrscht seit einem halben Jahr unseren Alltag. Dank eines strikten Shutdowns haben sie hierzulande bislang nur relativ wenige gehabt. Es ist dringend zu wünschen, dass es dabei auch bleibt. Covid ist weder für junge noch für ältere Menschen bloß eine Grippe - weder physisch noch psychisch.

Der "Einfall" des Virus in die eigene Familie liegt mehr als ein Monat zurück. Woher, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Sicher ist: Dass er auf zwei von fünf Familienmitgliedern beschränkt bleibt, ist einem Zufall zu verdanken. Es ist Freitagabend, als bei einem Familienmitglied starkes Kopfweh und rasch steigendes Fieber alarmieren. Ein kurzer Aufenthalt am Wolfgangsee liegt zwar fast zwei Wochen zurück. Doch dieser Hinweis und der starke Fieberschub reichen, dass bereits Samstag, sieben Uhr früh ein Testteam des Roten Kreuzes vor der Tür steht. Die Corona-Hotline 1450 hat empfohlen, den Rachen-Nasen-Abstrich bei allen fünf Familienmitgliedern zu nehmen, auch wenn nicht alle unter einem Dach wohnen.

Die akute Sorge vor Corona hat sich noch am Vorabend gelegt. Das Fieber dürfte einen anderen Grund haben, sagt der Notarzt, der aufgrund massiver körperlicher Beschwerden noch spätabends prompt kommt. Er diagnostiziert eine schwere Infektion nach einem Insektenstich und verordnet Antibiotika. Den Test sollten wir dennoch nicht abblasen, er bleibe sicherheitshalber sinnvoll. Erleichterung auch ob des Gefühls: Das von Politikern gern strapazierte Lob für das österreichische Gesundheitssystem in Corona-Tagen wie diesen hat in der Tat sehr viel für sich.


Der Keulenschlag: "Sie sind positiv getestet"


Das war's dann aber fürs Erste mit den Good News von der Behördenfront. Nun beginnt das Warten. Mit dem Testergebnis ist nicht vor Montag zu rechnen, sagt das Rot-Kreuz-Team. Es werden dann mehr als 48 Stunden, bis Montagmittag der erste Anruf kommt.

Ein Keulenschlag: Eine Tochter ist positiv und sie kann sich nicht erklären, warum. Der Wolfgangsee scheidet aus. Sie war nicht mit im beschaulichen Salzkammergut, das sich kurzfristig als Corona- Hotspot entpuppte. Erste Quarantänepläne werden geschmiedet. Freilich nur bedingt. Denn der große Rest der Ergebnisse steht noch aus. Weil auch Stunden nach dem ersten Positiv-Test kein Anruf kommt, fragen wir selber bei 1450 nach.

Die Mitarbeiter können/dürfen nichts sagen und verbinden erst auf Nachdruck zur Wiener Gesundheitsbehörde weiter. Eine Prozedur, der wir uns viermal unterziehen müssen. Sammelauskünfte sind auch für Familien verboten. Am späteren Montagnachmittag, bald 60 Stunden nach dem prompten Test, steht fest: Der Rest der Familie ist negativ. Der Isolationsplan wird finalisiert. Er fällt nach kurzer Debatte sehr strikt aus. Ein Test allein kann trügerisch sein, zumal wir in den letzten Tagen - zwar mit Abstand und outdoor - alle miteinander Kontakt hatten.

Um ganz auf Nummer sicher zu gehen und sobald als möglich das herausfordernde Quarantäne-Regime einschränken zu können, lassen wir uns fünf Tage danach noch einmal testen. Privat und in einem Container-Labor, das die Tests im Freien macht und damit für alle einen "safe space" garantiert.


Tonband: "Rufen Sie Montag wieder an"


Drei der vier wissen noch am selben Tag: weiter negativ. Nur mein Test lässt fast 48 Stunden auf sich warten. Der Körper hat schon Stunden nach dem Test Anzeichen signalisiert, die auch der Ungeduld geschuldet sein könnten: Unruhe, Kopfweh, Hitzegefühl. Am Tag danach gegen 19 Uhr das Befund-Mail: positiv. Freitagabend, alle Ordinationen auf Anrufberater heruntergefahren.

Fieber steigt, Kopfweh pocht, Glieder schmerzen. Und viele neue offene Fragen: Fiebersenkende Medikamente oder Virus mit der Körperhitze aushungern? Dürfen meine Tochter und ich zusammen in Quarantäne oder bleiben wir besser getrennt? Auf dem Befund steht eine Zahl (Ct-Wert), die nicht weiter kommentiert wird?

Anruf beim Labor: Tonband, "rufen Sie Montag wieder an". Anruf bei 1450: "Sorry, wir organisieren nur Tests." Anruf bei der Ages-Hotline: "Gute Fragen, aber ich kann sie leider nicht beantworten." Anruf beim Ärztenotdienst: "Ein Corona-Ct-Wert ist mir neu. Ob sich möglicherweise unterschiedlich stark Infizierte gegenseitig hochschaukeln können - unwahrscheinlich, aber sicher bin ich nicht. Aber nehmen Sie in jedem Fall Fiebersenker. Und wenn Sie Atemprobleme bekommen oder sich schlecht fühlen, sofort die Rettung rufen."


Sauerstoff unter Grenzwert, Angstbilder im Kopf


Mich retten zwei befreundete Ärzte übers erste bange Wochenende. Sie empfehlen sicherheitshalber strikte Isolation beider Familien-Infektionsfälle und organisieren einen Pulsoxymeter - ein Gerät, das am Mittelfinger den Sauerstoffgehalt im Blut misst. Es sind keine Bilderbuchwerte, aber nur einmal sackt eine Messung unter den Grenzwert ab. Im Wiederholungsfall wäre sofort die Rettung zu rufen.

Auch wenn die Kettenraucher-Ära schon zwei Jahrzehnte zurückliegt, rein altersmäßig bin ich Angehöriger der Risikogruppe.


Dazu kommt die Angst, was der unbekannte Feind im Körper noch alles anrichten könnte.

Die Medikamente halten ein massives Steigen des Fiebers in Schach. Das Gefühl, der ganze Körper kämpfe glühend gegen die Infektion an, der stechende Kopfschmerz, ein Druckgefühl auf der Brust und gelegentlich trockener Husten bleiben für gut eine Woche.

Die letzte Grippe liegt, wohl dank jährlicher Impfung, viele Jahre zurück. So wie Covid hat sich diese nie angefühlt: einer Krankheit derart hilflos ausgeliefert zu sein. Dazu kommt die Angst, was der unbekannte Feind im Körper noch alles anrichten könnte. Und die Bilder im Kopf: beatmete, intubierte Patienten, Schwestern und Ärzte in Schutzanzügen.

Meine Tochter klagt vor allem über Kopfweh, das Fieber hat sie bald mit Medikamenten im Griff. Nach vier Tagen ist das Ärgste vorbei, sagt sie. Eine bisher nie gekannte Müdigkeit geht aber erst nach einer Woche langsam weg. Sie ist mit bald Ende 20 in einer Altersgruppe, wo Infektionen auch symptomlos verlaufen und daher nicht wenige das Virus auf die leichte Schulter nehmen.

Auch sie erhält ihren Quarantänebescheid erst Tage nach Ende des Isolationsgebots, davor nicht einmal einen Anruf. Sie wurde so auch nie befragt, mit wem sie Kontakt hatte und wer jetzt vorzuwarnen wäre. Sie hat jene drei Freunde, die sie zuletzt vorsorglich im Freien getroffen hatte, selber kontaktiert. Deren Tests blieben alle negativ. Fünf Tage vor dem Positiv-Test wurde ein Treffen in einem Lokal wetterbedingt nach innen verlegt. Ob dort der unbekannte Spreader war? Die Gesundheitsbehörde wollte auch dies nicht wissen.

In meinem Fall gab es einen kurzen Anruf drei Tage nach dem Positiv-Test. Die einzige Frage, ob ich in den vergangenen Tagen an meinem Arbeitsplatz gewesen sei, war mit "Homeoffice" binnen Sekunden erledigt. Das Contact-Tracing hatte auch ich so privat zu erledigen. Alle negativ.


Noch mehr Respekt vor dem Virus


Es vergehen drei Wochen nach "Ausbruch" des Coronavirus in den eigenen vier Wänden, bis ich mich erstmals in der Lage fühle, außerhalb meiner Familie und abseits meiner beiden Arzt-Freunde über die zurückliegende Zeit zu reden.

Auch, um meine Erfahrungen an die Politik als Hinweis für Verbesserungsbedarf weiterzugeben. "Wir wissen, dass in Wien das Contact-Tracing nur bei Groß-Clustern sehr gut funktioniert", so der Tenor. Angesichts dessen, dass sich das Virus am häufigsten im Familienverband vermehrt, ist das keine beruhigende Auskunft.

Denn mein Respekt vor dem Virus hat noch zugenommen. Mit freundlich aufmunternden Worten, "jetzt bist du wenigstens immun", kann ich mich noch nicht wirklich anfreunden.

Ein erster Lungen-Check gab zwar Entwarnung, ein weiterer Kontrollcheck und ein Belastungs-EKG sind noch ausständig. Ein Text, der früher spielend binnen eines halben Tages "fit to print" war, braucht nun gut einen Tag. Ein längerer Gesprächstermin erzwingt spätestens am nächsten Tag eine doppelt so lange Pause.

Vergangenen Freitag löse ich eine schon vor Wochen gegebene Zusage für eine Journalisten-Diskussionsrunde mit Talkmaster Meinrad Knapp auf ATV/Puls 24 ein. Thema Nummer eins: Corona - zuvorderst der missglückte Start der Ampel.

Mein Anlauf, die Debatte auf die meiner Meinung nach noch drängenderen Defizite in der Anti-Corona-Praxis zu lenken, wird freundlich zur Kenntnis genommen - bevor sich die Runde weiter an der Corona-Ampel abarbeitet.

Die persönliche Gekränktheit von Lokalpolitikern ob gelber oder bald oranger Ampeln erscheint mir zunehmend lächerlich. Die wahre Herausforderung für den Herbst und Winter bleibt: Bis zum Test und zum Testergebnis sind es nach wie vor mehr als je 24 Stunden; Contact-Tracing bleibt noch zu oft ein Fremdwort; die Quarantänemaßnahmen sind ein verschlafener Papiertiger.

Bei der Fernsehdiskussion war ich noch nicht so weit, zu sagen: "Ich weiß, wovon ich rede, ich hatte Corona."


Der Autor

Josef Votzi

Josef Votzi

Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".

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