Analyse: Gilt das Vergaberecht für Sportverbände?
Müssen ÖFB, ÖSV & Co. bald das Vergaberecht einhalten? Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof könnte das zur Konsequenz haben. Manfred Essletzbichler und Wolfgang Lauchner von den Wolf Theiss Rechtsanwälten analysieren die Rechtslage.
Der Gerichtshof der Europäischen Union („EuGH“) hat sich in einer rezenten Entscheidung (EuGH 3.2.2021, C-155/19 und C-156/19, Rs FIGC und Consorzio Ge.Se.Av) mit der Frage auseinandergesetzt, ob unter bestimmten Umständen auch Sportverbände öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts sein können. Dies könnte zur Konsequenz haben, dass Verbände wie etwa der Österreichische Fußballbund (ÖFB) oder der Österreichische Skiverband (ÖSV) nach Bundesvergabegesetz ausschreiben müssen.
Wer ist "Auftraggeber"?
Öffentliche Auftraggeber im Sinne der Vergabe-Richtlinie sind vereinfacht gesagt staatliche oder staatsnahe Unternehmen bzw Einrichtungen wie etwa Ministerien, der Bund, die Länder, die ASFINAG oder auch die ÖBB. Derartige Auftraggeber müssen ihre Beschaffungen nach den strengen Regelungen des Bundesvergabegesetz durchführen und können diese daher nicht formfrei durchführen bzw beauftragen. Warum aber sollte ein Sportverband ein solcher Auftraggeber im Sinne des Vergabegesetzes sein?
Das hängt mit dem relativ weiten und funktional zu betrachtenden Auftraggeberbegriff der EU-Richtlinien zusammen. Neben "Körperschaften" wie Bund, Ländern, Gemeinden etc können diesem Begriff folgend auch alle sonstigen (zumindest teilrechtsfähigen) Einrichtungen Auftraggeber im Sinne der Vergaberechts sein, die – soweit hier relevant –
- (a) zum besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen und
- (b) überwiegend von öffentlichen Auftraggebern finanziert werden oder hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch diese unterliegen.
Eine Aufgabe im Allgemeininteresse liegt vor, wenn die Einrichtung Gemeinwohl- bzw Daseinsfürsorgeleistungen erbringt. Dies ist bei Verbänden zur Förderung des Sports durchaus anzunehmen (vgl etwa § 1 Abs 2 Bundes-Sportförderungsgesetz 2017 – BSFG). Eine Erfüllung von "Aufgaben nicht gewerblicher Art" liegt vereinfacht gesagt vor, wenn die Einrichtung keinem (vollen) Marktrisiko ausgesetzt ist (sie zB kein wirtschaftliches Risiko trägt, weil sie im Insolvenzfall ohnehin "vom Staat" aufgefangen würde).
Auch dies scheint erfüllt, weil durchaus anzunehmen ist, dass der Staat einspringen würde, bevor ein nationaler Sportverband "pleitegeht". Der bloße Umstand, dass die meisten Sportverbände in Form eines privatrechtlichen Vereins und nicht auf Basis eines hoheitlichen Aktes gegründet sind, ist nach Ansicht des EuGH übrigens nicht relevant, sofern diese Vereine tatsächlich Aufgaben im Allgemeininteresse erfüllen.
Frage der Finanzierung
Stellt sich also noch die Frage, ob eine überwiegende Finanzierung oder sonst eine "staatliche Aufsicht" in Hinblick auf den konkreten Verband vorliegt.
Sofern die konkrete Finanzierung des einzelnen Verbandes – insbesondere über Sportförderungen – überwiegend (also über 50 %) durch staatliche Mittel erfolgt, ist der Fall relativ klar: der Verband ist vergaberechtlicher Auftraggeber. Dabei ist übrigens irrelevant, ob es sich um Eigen- oder Fremdkapital handelt, weil jede Form der unmittelbaren oder mittelbaren Finanzierung (zB ein Darlehen, eine Bürgschaft usw) eingerechnet wird. Angesichts der Förderungen bzw Finanzierungsstruktur wird dies in Österreich aber nicht allzu häufig der Fall sein.
Mit der zweiten Möglichkeit, dem Vorliegen einer "staatlichen Aufsicht", hat sich der EuGH in der genannten Entscheidung zu italienischen Fußballverbänden genauer auseinandergesetzt. Voraussetzung einer solchen Aufsicht ist dem EuGH zufolge, dass "der Staat" – bei einer Gesamtbetrachtung – durch aktive Aufsicht über die Leitung des Verbandes faktisch Einfluss auf jede (Vergabe-)Entscheidung des Verbandes ausüben kann.
Entwarnung für Verbände
Im italienischen Ausgangsfall hatte der Staat bzw eine staatliche Einrichtung unter anderem Satzungen von Vereinen zu prüfen, den Verteilungsschlüssel für Förderungen festzulegen, konnte bei Verstößen eine kommissarische Leitung einsetzen usw. Wenngleich der EuGH die finale Beurteilung dem nationalen (italienischen) Gericht überlassen hat, so ergibt sich aus der Entscheidung doch sehr klar, dass solche "Aufsichtsrechte" allein nicht stark genug sind, um einen faktischen Einfluss auf die Leitung des konkreten Vereines zu begründen.
Soweit die Entscheidung des EuGH Rückschlüsse ermöglicht bzw soweit sie Vergleiche mit den italienischen Verbänden erlaubt, sind die österreichischen Sportregelungen und -organisationen vergleichsweise (noch) stärker vom Autonomieprinzip (der einzelnen Verbände, Vereine usw) geprägt. Insbesondere haben die einzelnen öffentlichen (gesetzlich eingerichteten) Landessportorganisationen in Österreich wohl keine weitergehenden Kontroll- oder Aufsichtsrechte über die Sportvereine und Sportverbände als die italienischen des Ausgangsfalles.
Die Gefahr für österreichische Sportverbände aufgrund einer staatlichen "Aufsicht" oder "Leitung" Auftraggeber nach Bundesvergabegesetz zu sein, erscheint daher durchaus überschaubar. Die Entscheidung des EuGH lässt aber erahnen, dass das letzte Wort in dieser Diskussion womöglich noch nicht gesprochen ist.

Manfred Essletzbichler ist Partner bei Wolf Theiss und leitet die unternehmensweite Beschaffungspraxis. Er berät regelmäßig Behörden und Bieter in allen Fragen des Vergaberechts, insbesondere bei der Teilnahme an, Planung, Strukturierung und Durchführung von Ausschreibungen für Bau-, Dienstleistungs- und komplexe Lieferverträge in den Bereichen Infrastruktur, Verkehr und Energie , Gesundheits- (Gesundheitswesen / Biowissenschaften) und IP / IT-Sektoren.

Wolfgang Lauchner ist ist Mitglied des Public Procurement-Teams von Wolf Theiss. Als Teil des Teams hat er an komplexen öffentlichen Beschaffungsfragen und Ausschreibungsverfahren in verschiedenen Bereichen gearbeitet, von IT und Medizintechnik bis hin zu Arbeitsverträgen und intellektuellen Dienstleistungen. Darüber hinaus berät er Kunden zu Überprüfungsverfahren vor nationalen Überprüfungsbehörden.