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Javier Milei: Kettensäge made in Austria

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 © picturedesk.com/AP/Jose Luis Magana

Javier Milei regiert in Argentinien seit Ende 2023 mit seinen libertären Ideen. In Elon Musk hat er einen Vertrauten gefunden. Ihr Credo: Der Staat ist der Feind – und Steuern sind Raub.

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Der umstrittene argentinische Präsident Javier Milei baut die Wirtschaft seines Landes um – mit ersten Erfolgen. Libertäre verehren ihn dafür, Keynesianer verachten ihn. Auch in Österreich gibt es immer mehr Stimmen, die sich Mileis Radikalkur wünschen.

Sechs Regulierungen streicht das neue Ministerium für Deregulierung von Präsident Javier Milei laut Eigenangaben pro Tag. Die Staatsausgaben wurden massiv gekürzt, Zehntausende Staatsbedienstete entlassen und die Hälfte der Ministerien aufgelöst. Und dennoch bricht der argentinische Staat nicht zusammen, Mileis Schocktherapie zeigt erste Erfolge.

Die Inflationsrate Argentiniens fiel von über 211 Prozent bei seinem Amtsantritt auf knappe 40 Prozent im vergangenen Juni, die Staatsverschuldung ist gemessen am BIP von 156 auf 83 Prozent gesunken, die Armutsrate stabilisierte sich bei 36 Prozent und der argentinische Staat erwirtschaftete zum ersten Mal seit 14 Jahren einen Budgetüberschuss. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird Argentiniens Wirtschaft 2025 um 5,2 Prozent wachsen – ein Wirtschaftswachstum, von dem man in Österreich nur träumen kann.

Kein Wunder, dass Mileis Kettensäge, die der ehemalige Wirtschaftsprofessor allzu gerne in die Kamera schwenkt, auch hierzulande Liberale schwärmen lässt. Die Industriellenvereinigung Oberösterreich verschenkte beim letztjährigen Adventempfang das hagiografische Buch „Die Ära Milei“. Auch die FPÖ-Politikerin und Präsidentin des Hayek-Instituts Barbara Kolm schwärmt von diesem Werk und bewundert Mileis Politikansätze. Das ist nicht verwunderlich. Milei bezieht sich auf die Ideen der Österreichischen Schule nach Friedrich von Hayek und Ludwig Mises. Die Kettensäge stammt aus heimischen Gefilden.

Reformvorbild

Milei, der den Staat als Krebsgeschwür sieht und als „Pädophilen im Kindergarten“ beschreibt, ist als libertär einzustufen. Libertäre sind radikale Liberale, die den Staat stark beschränken wollen. Als Anarchokapitalist will Milei am liebsten ganz auf den Staat verzichten und alles dem Markt über­lassen. Diese Ideologie teilt er mit dem Tech-Milliardär und seinem Vertrauten Elon Musk. Keynesianische Starökonomen wie Paul Krugman oder Joseph ­Stiglitz, von Milei persönlich angefeindet, sehen hingegen schon die nächste Krise des südamerikanischen Landes heranziehen.

Angesichts der Budgetkrise würde Mileis Kurs auch Österreich guttun, so seine Anhängerschaft. „Wenn etwas funktioniert, sollte man sich nicht dagegen wehren, davon zu lernen“, meint Martin Gundinger vom Wiener Hayek-Institut. Auf Österreich umgelegt würde das bedeuten, dass zahlreiche Ministerien und Behörden geschlossen, Subventionen abgeschafft, der Arbeitsmarkt dereguliert und Steuern massiv gesenkt werden, so der Ökonom. Laut Franz Schellhorn, dem Chef des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria, ist besonders die Abschaffung der „Lohnführerschaft der Staatsbediensteten und Pensionisten“ ein Vorbild für Österreich. Alle Milei’schen Reformen – vom Stellenabbau in der Verwaltung bis zur radikalen Kürzung von Geldflüssen zwischen Bund und Ländern – wären in Österreich sinnvoll, ist Schellhorn überzeugt. Dass Milei bisher per Dekret regiert hat, also ohne Zustimmung des Parlaments, scheint bei liberalen Lobgesängen nebensächlich. Wirtschaftliches und Politisches müsse man trennen, so liberale Bewunder:innen.

Freund und Feind

Mileis Bürokratieabbau wird von österreichischen Unternehmen, die in Argentinien aktiv sind, zwiespältig beurteilt. So auch von Michael Junghans, CEO der Klagenfurter Wietersdorfer-Gruppe, die mit ihrem Werk in Córdoba zu den größten Rohrproduzenten das Landes zählt: „Unsere Ansprechpartner kommen abhanden“, so Junghans. „Wie viel an Know-how im öffentlichen Sektor verloren gegangen ist, wird sich zeigen.“

Neben der Verwaltung speckt Milei auch den Sozialstaat ab, das geht nicht ohne negative Folgen: „Es gibt bestimmte Gruppen, die darunter besonders leiden. Dazu gehören Pensionisten, Studenten und Menschen mit Behinderung“, berichtet die WKÖ-Wirtschaftsdelegierte in Buenos Aires, Isabel Schmiedbauer.

Paradoxerweise führt die Infl ationsbekämpfung dazu, dass selbst die Mittelschicht kaum den alltäglichen Einkauf bezahlen, sich aber Fernreisen leisten kann. Denn der günstige Dollarkurs macht Importe billiger, belastet aber die inländische Produktion. Die Stimmung im Land ist deshalb gespalten, so Schmiedbauer. Es kommt regelmäßig zu Demonstrationen gegen Mileis Wirtschaftskurs, aber auch gegen seine frauenfeindliche und homophobe Politik und Rhetorik. Die Proteste werden laut Menschenrechtsorganisationen zunehmend unterbunden. Aktuell blickt das Land auf die Zwischenwahlen im Oktober.

Abwarten

Argentinien erlebt seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein stetiges Auf und Ab. Die Bevölkerung ist daher reserviert: „Viele Argentinier weisen darauf hin, dass sie ähnliche positive Entwicklungen bereits mit anderen Präsidenten erlebt haben und sich dann das Blatt wendete“, so Schmiedbauer. Zuletzt stieg die Arbeitslosenrate auf fast acht Prozent. „Für einen radikalen Kurswechsel ist das durchaus akzeptabel. In Europa läge Milei damit im guten Mittelfeld“, meint Schellhorn.

In Abwarteposition sehen sich österreichische Unternehmen. Das Land sei vor Milei volatil gewesen und ist es noch heute. „Das erste Halbjahr war schwierig, aber wir sind zuversichtlich, dass es nun besser wird“, so Junghans. Die wegen des Sparkurses kriselnde Bau- und Immobilienwirtschaft belastet die Wirtschaft.

Geht es nach Mileis Fans, sollte Österreich nicht lange abwarten. „Ein entschlossenes Reformpaket heute würde uns die schmerzhafte Notoperation ersparen, vor der Argentinien stand“, sagt Gundinger vom HayekInstitut. Dafür fehle jedoch der „politische Wille und Mut“, resümiert Schellhorn. Jetzt wäre laut den Milei-Fans der richtige Zeitpunkt für die libertären Reformen in Österreich. Das Mantra Mileis gelte schließlich hierzulande mehr als je zuvor: „No hay plata“ – es gibt kein Geld.

Der Artikel ist in der trend.EDITION vom 8. August 2025 erschienen.

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