
Mit der Anwaltskonzipientin Lilly-Marie Kunz holt die Erste Bank überraschend eine erst 32-Jährige in den Aufsichtsrat. Sie bringt einen frischen Blickwinkel und gute Kontakte in die Politik mit.
Als 32-Jährige erlebt man derartige Ereignisse selten bis gar nicht. Am 22. Mai dieses Jahres wurde Lilly-Marie Kunz in den Aufsichtsrat der größten heimischen Bank, der Erste Bank, gewählt. Die Juristin soll also gemeinsam mit alteingesessenen Experten wie der Wirtschaftsprüferin Christine Catasta, dem Urgestein Friedrich Rödler, dem Finanzprofessor Gottfried Haber und dem Boss der gesamten Erste Group, Peter Bosek, dafür sorgen, dass in der Bank alles mit rechten Dingen zugeht. Und der Chefin der Erste Bank, Gerda Holzinger-Burgstaller, immerhin 14 Jahre älter als sie, genau auf die Finger schauen.
„Es war wahrscheinlich eine Mischung aus meinen Leistungen der Vorjahre und Glück. Ich war sicherlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt Kunz über ihre Bestellung. Die Leistungen der Vorjahre können sich wahrlich sehen lassen: Mehr als sechs Jahre lang war die WU-Absolventin für die Bundesregierung tätig, zunächst im Bundeskanzleramt, später mehr als vier Jahre im Kabinett des Finanzministeriums. Dort war sie unter den Ministern Gernot Blümel und Magnus Brunner für finanz- und steuerpolitische Themen verantwortlich. Auch als Staatskommissärin bei der Bonus Vorsorgekasse und der Raiffeisen Tirol war die damals erst 30-Jährige im Einsatz.
All das, so Kunz, sei vermutlich auch der Grund gewesen, weshalb mehrere Vertreter der Erste Bank – Strippenzieher war angeblich Ex-Erste-Manager Stefan Wallner – sie nach ihrem Ausscheiden aus der Politik darauf angesprochen hätten, ob sie ihre Expertise künftig nicht in den Aufsichtsrat einbringen wolle. Um sie in das Gremium zu holen, wurde der Aufsichtsrat sogar von sechs auf sieben Personen aufgestockt. Beim Eigentümer Erste Group begründet man das so: „Lilly-Marie Kunz vereint juristische Kompetenz mit praktischer Erfahrung in der Finanzaufsicht. Ihre Tätigkeiten als Staatskommissärin und ihre Rolle im Bundesministerium für Finanzen zeigen ihre tiefe Kenntnis regulatorischer und steuerpolitischer Themen – essenziell für die strategische Kontrolle eines Finanzinstituts wie der Erste Bank.“ Ehemalige Kollegen bescheinigen dem Shootingstar tatsächlich extrem gute Kontakte in das Finanzministerium, eine rasche Auffassungsgabe und eine sehr gewinnende Art.
Auch wenn die Juristin also etliche Vorkenntnisse in ihr neues Amt mitbringt, eine g’mahte Wies’n ist es nicht: „Für die erste Sitzung habe ich mich sicher ein ganzes Wochenende vorbereitet. Die Unterlagen waren mehrere Hundert Seiten stark.“ Vor allem der bankspezifische Jargon und manche Kennzahlen waren für die 32-Jährige noch gewöhnungsbedürftig. Kunz: „Als Juristin bin ich entsprechend gründlich und schaue im Zweifel auch dreimal nach, um etwas genau zu verstehen.“ Ansonsten verlief ihre erste Aufsichtsratssitzung aber so, wie sie sich das immer vorgestellt hatte. Und weil sie gemeinsam mit ihrem Vater, dem bekannten Anwalt Peter Kunz, ein Weiterbildungsprogramm „Aufsichtsrat – Next Generation“ leitet, waren ihre Vorstellungen bereits sehr genau.
Für ihre neue Funktion hat Kunz sogar die Bank gewechselt, denn: „Wenn wir im Aufsichtsrat über ,George‘ sprechen, finde ich es wichtig, die App ausprobiert zu haben und das Kundenerlebnis und die Kundenperspektive zu kennen.“
Kunz bringt junge Perspektive ein
Überhaupt will die Neo-Kontrollorin eine jüngere Sichtweise in das Gremium einbringen. „Die Erste Bank soll es jedenfalls noch weitere 200 Jahre geben, und dafür ist es notwendig, sich auch mit der Perspektive der jüngeren Generation auseinanderzusetzen“, findet Kunz.
Das passiert in Österreichs Aufsichtsräten ohnehin viel zu selten, wie ein Blick in den „Corporate Governance Monitor“ zeigt. Lediglich drei Prozent der heimischen Aufsichtsräte sind unter 40 Jahre alt, 32 Prozent hingegen sind älter als 60 Jahre. Auch die Erste Group weiß das zu schätzen: „Frau Kunz bringt durch ihr junges Alter eine wertvolle Perspektive in den Aufsichtsrat ein und fördert aktiv die Diversität – sowohl altersbezogen als auch in Bezug auf Denkweise und Innovationskraft“, heißt es in einem Statement. In Sachen Frauenquote hingegen war die Erste Bank auch vor dem Einzug von Kunz bereits gut aufgestellt. Mit Holzinger-Burgstaller und Ilinka Kajgana sind zwei der vier Vorstände weiblich, und mit Kunz ist der Aufsichtsrat nun sogar mehrheitlich weiblich besetzt. Dass die Gleichstellung aber in Österreich nach wie vor zu wenig ausgeprägt ist, stört die neue Aufsichtsrätin: „Die Quote ist in manchen Bereichen in Österreich wirklich unterirdisch. Ich finde das sehr schade, weil da viel Potenzial brach liegt.“
Nach der Politik folgte die Anwaltei
Mangel an Frauen herrscht auch bei Anwältinnen, wie die nunmehrige Konzipientin der Kanzlei Kunz Wallentin bestätigt. Der Kanzlei tut frischer Wind jedenfalls gut, haben sich doch in den letzten Jahren einige namhafte Partner verabschiedet. Mit dem Kapitel Politik hat die Juristin, die bald ihre Anwaltsprüfung absolvieren will, vorerst abgeschlossen: „Ich war mehr als sechs Jahre in der Politik, und es war eine spannende und intensive Zeit, momentan kann ich mir eine Rückkehr jedoch nicht mehr vorstellen.“
Der ÖVP aber hält sie als Sympathisantin nach wie vor die Treue, auch wenn sie sich lieber als „bürgerlichen, wirtschaftsliberalen Menschen“ bezeichnet. Obwohl sie im türkisen Umfeld Karriere gemacht hat, will sie sich nicht auf „schwarz“ oder „türkis“ festlegen lassen. Für ihren früheren Chef Brunner, der nach seinem Abgang wegen seiner Budgetpolitik gescholten wurde, findet die Hobby-Rennradfahrerin ausschließlich nette Worte: „Dass manche das im Nachhinein jetzt nur auf die Person Magnus Brunner zuspitzen, empfinde ich als nicht in Ordnung.“ Sowohl Brunner als auch Blümel seien „großartige“ Chefs gewesen, die ihre Leute sehr eigenständig arbeiten ließen, erinnert sich Kunz.
Besonders stolz ist sie dabei auf die Abschaffung der kalten Progression, die während ihrer Zeit im Kabinett vonstatten ging. „Es wurden wirklich sinnvolle Reformen verhandelt und umgesetzt, zu denen ich heute noch stehe.“ Auch wenn sie die Arbeit des neuen Finanzministers Markus Marterbauer nicht kommentieren will, wird zwischen den Zeilen klar, dass die Ex-Politikerin damit ideologisch Probleme hat, etwa mit der Bankenabgabe. Das sieht man bekanntlich auch in der Erste Bank ähnlich.
Zur Person
Lilly-Marie Kunz, 32, sitzt seit Mai im Aufsichtsrat der Erste Bank. Die Juristin ist Konzipientin in der Kanzlei Kunz Wallentin, deren Mitgründer ihr Vater Peter Kunz ist. Davor war die ÖVP-Anhängerin fast sieben Jahre für die Bundesregierung tätig, davon mehr als vier Jahre im Kabinett des Finanzministeriums. Gemeinsam mit ihrem Vater hat die Jungjuristin das Ausbildungsprogramm „Aufsichtsrat - Next Generation" gegründet. Kunz ist unverheiratet und hat keine Kinder.
Der Text ist im trend.PREMIUM vom 29. September 2025 erschienen.