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„Politik Backstage“: Zweikampf auf der türkisen Titanic

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Bettina Emmerling (Neos), Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ).

©APA/ Helmut Fohringer
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Warum der SPÖ-Wien-Chef vergangenen Sonntag Tränen in den Augen hatte. Wie sich die ÖVP Wien nach dem Wahldesaster weiter zerfleischt. Welche fragwürdige Schlüsselrolle dabei der neue ÖVP-Generalsekretär spielte.

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Michael Ludwig war die Anspannung vor der Präsentation der ersten Hochrechnung diesen Sonntag kurz vor halb sieben Uhr Abend anzusehen. Gut eine Stunde zuvor hatte eine – von mehreren TV-Sendern und der APA finanzierte – Trend-Prognose den Rathaus-Roten mit 37 Prozent noch ein Minus von rund fünf Prozentpunkten prophezeit. Die FPÖ hätte sich demnach nicht nur mehr als verdreifacht, sondern mit 23,5 Prozent auch gegenüber dem jüngsten Nationalratswahl-Ergebnis in Wien klar zugelegt. Damit schien auch Ludwigs Wunschkoalition mit den Pinken mangels Mandatsmehrheit geplatzt.

Die Trend-Prognose, die sich auf einen Mix mehrerer Umfragen bis zum Vorabend der Wahl stützte, traf mehrfach daneben.

Michael Ludwigs feuchte Augen

Die erste ORF-Hochrechnung taxierte die SPÖ mit knapp unter 40 Prozent, die FPÖ mit knapp über 20 Prozent. Die Roten hatten es also noch einmal geschafft, den größten politischen Rivalen bei rund der Hälfte der eigenen Stimmen mehr als auf Respektabstand zu halten. Michael Ludwig, der öffentlich so gut wie nie persönliche Emotionen zeigt, hatte feuchte Augen, als die erste aktuelle Trend-Prognose live zur Makulatur erklärt wurde.

Grund zu feiern hatte nicht nur die Nummer eins, sondern auch die bisherige Nummer fünf im Wiener Rathaus. Die Neos verwiesen den bislang bürgerlichen großen Bruder ÖVP in Wien auf den letzten Platz. Die Pinken haben es mit zehn Prozent der Stimmen zudem geschafft, aus der undankbaren Position des Juniorpartners in einer Koalition 2,5 Prozentpunkte zuzulegen. Sie sehen sich so auch in einer noch besseren Ausgangsposition, fünf weitere rot-pinke Jahre anzuhängen. 

„Ein Desaster für die ÖVP war nicht nur das Wahlergebnis“, resümiert ein ÖVP-Insider mit ausgiebiger Regierungserfahrung. Dass die ÖVP-Wien nach der „Verengung auf einen reinen FPÖ-Light-Wahlkampf nicht reüssieren wird, war eigentlich für niemanden eine wirkliche Überraschung“, so ein erfahrener Wahlstratege im Regierungsviertel.

„Erste Bewährungsprobe für Stockers Leadership“

Ernüchterung und Kopfschütteln löste auch der Umgang der ÖVP damit um. „Diese absehbare Niederlage war die erste Bewährungsprobe für Christian Stocker als ÖVP-Chef. Er hat alles andere als Leadership gezeigt“, resümiert der ÖVP-Insider: „In so einer Situation ruft der Parteiobmann spätestens nach der ersten Hochrechnung Karl Mahrer an und legt ihm dringend nahe, zurückzutreten und nimmt es als Bundesparteichef selber in die Hand, für eine rasche und geordnete Nachfolge zu sorgen.“ Christian Stocker tauchte an diesem Abend, aber auch in den Tagen danach unter und überließ die zerstrittene Wiener ÖVP weitgehend ihrem Schicksal. 

Nach Darstellung von mehreren teilnehmenden schwarz-türkisen Akteuren ging das jüngste Kapitel im ÖVP-Wien-Drama so über die Bühne: Der Wirtschaftsbund-Flügel der Wiener Schwarzen hatte schon nach Anklageerhebung gegen ÖVP-Wien-Chef Karl Mahrer in der zweiten Februar-Hälfte massiv darauf gedrängt, ihn als Spitzenkandidaten für die Wien-Wahl auszutauschen. Die Begründung: Gerichtsanhängige Korruptionsvorwürfe seien nicht nur ein Handicap im bevorstehenden Wahlkampf. Die ÖVP zerschlage mit einem Vizebürgermeister-Kandidaten, der demnächst wegen Untreue verurteilt werden könnte, auch ihre Chance als Koalitionspartner nach der Wahl.

Ruck wollte Mahrer-Rückzug schon vor Wochen

In Wiener ÖVP-Kreisen war es ein offenes Geheimnis, dass Wirtschaftsbund- und Kammerchef Walter Ruck als Mahrer-Ersatz den Döblinger Bezirksvorsteher Daniel Resch ins Spiel brachte. „Damals wären noch fast zehn Wochen Zeit gewesen, Mahrer durch einen unbelasteten Spitzenkandidaten zu ersetzen und neu durchzustarten“, sagt ein ÖVP-Insider.

Ein Wechsel an der Spitze war aber parteiintern nicht durchzusetzen. Die ÖAAB-Truppe um Karl Mahrer setzte alle Hebel in Bewegung, um dies zu verhindern. Der ehemalige Wiener Polizei-Vizechef glaubte bis zuletzt daran, seine Karriere mit dem Einzug als Vizebürgermeister und Sicherheitsstadtrat ins Wiener Rathaus krönen zu können. Umfragen signalisierten allerdings schon Wochen vor der Wahl, dass die ÖVP halbiert zu werden droht und bestenfalls bei knapp über zehn Prozent der Stimmen landen wird.

Wirtschaftsbund stellt Weichen für Regierungscomeback

Wiens Wirtschaftsbund- und Kammerchef Ruck suchte daher schon im Vorfeld des Wahlabends, zur Wahrung der Chance auf eine rot-schwarze Rathaus-Regierung eine geordnete Übergabe vorzubereiten. Auch für ÖVP-Parteichef Stocker war es daher schon Wochen davor kein Geheimnis, dass Daniel Resch – ehemaliger Mitarbeiter und leutseliger Nachfolger des legendären Döblinger Bezirksvorstehers Adi Teller – Favorit für die Mahrer-Nachfolge ist. Ruck ließ parteiintern wissen, dass damit nach zweieinhalb Jahrzehnten im Oppositions-Abseits auch die Chancen auf eine Rückkehr in Wiener Regierungsämter mehr als aussichtsreich seien.

Am Sonntag nach Ostern wurde für die Wiener ÖVP Wien dann der Worst Case Wirklichkeit. Die Partei wurde um mehr als die Hälfte der Stimmen dezimiert und stürzte mit unter zehn Prozent auf den letzten Platz in der Parteihierarchie in Wien ab.

Seltsames Schauspiel statt geordneter Übergabe

Statt einer geordneten Übergabe bot die ÖVP Wien ein seltsames Schauspiel. „Die Truppe, die das desaströse Ergebnis zu verantworten hat, wollte nun auch bei der Mahrer-Nachfolge durch Taktieren und Tricksen Fakten schaffen“, so ein wirtschaftsnaher ÖVP-Insider. Noch am Wahlabend streuten ÖAAB-Freunde im Dunstkreis von Mahrer, der Bezirksvorsteher der Wiener Innenstadt, Markus Figl, sei als Nachfolger Mahrers gesetzt.

Eine Schlüsselrolle wird dabei dem Ex-Obmann der Wiener Jungen ÖVP und frischgebackenen ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti zugeschrieben. In Medienkontakten soll er alles daran gesetzt haben, noch vor Beginn der Sitzungen der ÖVP-Gremien Fakten zu schaffen. Figl wurde in der Tat schon wenige Stunden nach dem Wahlsonntag auf vielen Medienportalen als Mahrer-Nachfolger fix vermeldet. Damit sollte dem Wunschkandidaten des Wirtschaftsflügels, Daniel Resch, endgültig der Weg abgeschnitten werden.

High-Noon am Toten-Schiff

Ein Polit-Trick, der selbst Mahrer-Unterstützerin und Seniorenbund-Chefin Ingrid Korosec derart irritierte, dass es nach Beginn der tatsächlichen Entscheidungsfindung der ÖVP-Wien-Gremien dann Spitz auf Knopf stand: mit zwölf Stimmen für Figl und zwölf Stimmen für Resch als Mahrer-Nachfolger.

Für ÖVP-Wien-Insider eine mittlere Sensation, da der Wirtschaftsbund in den ÖVP-Wien-Gremien von einer strukturellen Mehrheit weit entfernt ist. In wechselnden kleinen Runden und zahlreichen Telefonaten wurde dann nach sechs Stunden ein Ergebnis präsentiert, das beiden widerstreitenden Gruppen gerecht werden sollte: Markus Figl soll die Partei, Daniel Resch allfällige Regierungsverhandlungen führen. Und – für den eher unwahrscheinlichen Fall einer rot-schwarzen Koalition – als Vizebürgermeister und Stadtrat vom Büro des Döblinger Bezirksvorstehers ins Rathaus übersiedeln.

„Die ÖVP-Wien ist nach diesem Wahlergebnis nur 4,6 Prozent von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt. Ein Apparatschik wie Markus Figl als Parteichef und nächster Spitzenkandidat ist doch keine Ansage für eine Stadtpartei in einer Existenzkrise“, sagt ein in der ÖVP bestens vernetzter Insider: „Christian Stocker hätte in diesem Drama mit Anlauf Leadership zeigen müssen und eines unserer jungen urbantauglichen Talente wie Alexander Pröll oder Nico Marchetti als neuen ÖVP-Wien-Chef in Stellung bringen müssen.“ 

Nico Marchetti suchte freilich hinter den Kulissen die Weichen für Markus Figl als Mahrer-Nachfolger zu stellen. Über sein Motiv wird intern so spekuliert: Die Aussicht auf fünf Jahre Führer der kleinsten Oppositionspartei in Wien erschien Marchetti alles andere als verlockend. Mit Figl übernimmt jemand die Wiener ÖVP, der dort wohl nicht ewig sitzen wird. In ein paar Jahren könnte sich daher die Wiener Parteichef-Frage neu stellen. Denn für Marchetti kam die Chance, die Wiener ÖVP zu übernehmen, zur Unzeit. Er wurde eben erst von Parteichef Stocker als ÖVP-Generalsekretär installiert.

ÖVP-Granden feiern zeitgleich Sebastian Kurz

Auch sein Vorgänger in diesem Job hat es sich inzwischen maßgeblich verbessert. Alexander Pröll stieß just am Abend des Hauen und Stechens in der ÖVP-Zentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse nach internen Verhandlungen rund um das erste Budget von Schwarz-Rot-Pink zu einer weitaus entspannteren und ausgelasseneren Runde. Neo-Unternehmer und Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz hatte anlässlich der Eröffnung des Wiener Büros seines mit israelischen Partnern gestarteten Cybersecurity-Unternehmens Dream zu einer Party in die fashionable Innenstadt-Bar Hannelore in der Dorotheergasse geladen. Dort hatte sich im Laufe des Abends Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Medien und Society eingefunden: von aktiven Spitzenpolitikern wie Harald Mahrer, August Wöginger, Johanna Mikl-Leitner,  Claudia Plakolm, Alexander Pröll bis zu ehemaligen ÖVP-Spitzenleuten wie Wolfgang Sobotka, Othmar Karas, Alexander Schallenberg, Christopher Drexler und Martin Engelberg. Von Unternehmern wie Klaus Ortner (Porr) und Viktor Wagner (Reiwag) bis zu Managern wie Susanne Riess-Hahn (Wüstenrot) und Josef Pröll (Raiffeisen).

Resümee eines teilnehmenden Beobachters: „Das Firmen-Fest geriet einmal mehr zu einem Event, das demonstrieren sollte, dass die ÖVP mit Sebastian Kurz schon weitaus bessere Zeiten hatte und wiederum haben könnte.“

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