
In „Machtgebiete" berichten 50 Topmanagerinnen schonungslos über ihre Erfahrungen mit Machtkämpfen, Sexismus und toxischem Verhalten. Die Co-Autorin Bettina Weiguny über den heiklen Balanceakt für Frauen mit öffentlicher Sichtbarkeit.
Frauen sprechen über diese Erfahrungen mit Vertrauten: Wie haben Sie sie dazu gebracht, das öffentlich zu tun?
Entscheidend mitgeholfen hat der Umstand, dass 50 andere Frauen es auch tun. Diese schiere Zahl hat der einzelnen Managerin die Angst genommen. Sie alle sind Teil einer Bewegung, die etwas bewirken möchte.
Gemeinsam eine Front zu bilden, macht mutiger.
Genau. Mit jeder Frau, die wir gewinnen konnten, wurde es einfacher. Als sich herumsprach, dass einige DAX-Vorständinnen dabei sind, haben uns andere Frauen von selbst angesprochen, ob sie mitmachen können. Wir hätten auch locker die 100 geknackt.
Wie sind die Gespräche atmosphärisch gelaufen? Was man der besten Freundin erzählt, auf Band zu sprechen, war vermutlich nicht einfach.
Wir hatten nicht das Freundinnen-Setting, wo die Erfahrungen spontan aus den Frauen heraussprudeln. Trotzdem waren es sehr offene und vertrauensvolle Gespräche, selbst mit Frauen, die wir vorher nicht persönlich kannten. Das hat sogar via Zoom funktioniert. Ein Gespräch ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es fing schwierig an, ich hatte das Gefühl, die Vorständin will das Gespräch abbrechen, dann aber hat sie sich geöffnet und von sexuellen Übergriffen berichtet. Zum ersten Mal überhaupt. Ihre Familie weiß bis heute nichts davon, weil sie sich geschämt für das, was ihr widerfahren ist. Im Buch beschreibt sie ihre Erfahrungen, um jüngeren Managerinnen Mut zu machen: Meldet die Fälle! Ihr seid nicht die einzigen, denen das passiert! Und vor allem: Ihr seid nicht schuld!
Sie haben den Spagat zwischen authentischen Erzählungen und Privatsphäre gut hinbekommen, ohne einen Voyeurismus zu bedienen.
Tatsächlich waren die Freigaben ein sehr wichtiger Prozess. Manche Dinge haben wir aus nachvollziehbaren Gründen anonymisiert oder rausgenommen. Wichtiger als die drastischen Übergriffigkeiten und MeToo-Erlebnisse ist uns und den interviewten Frauen diese tägliche Konfrontation mit gezielten Spitzen, mit unbewussten Vorurteilen und Stereotypen, die in kleinen zermürbenden Dosen daherkommt. Konzernspitzen sind männlich geprägte, männlich dominierte Machtgebiete, Männer kommunizieren und agieren anders. Für Managerinnen, die da als erste Frau reinkommen, ist das nicht ihr natürlicher Umgang. Sie sind die Außenseiterin, die stets etwas aneckt – „the odd one out“. Dabei sollten männliche und weibliche Kulturen sich in den Führungsetagen ergänzen – schon aus rein wirtschaftlichen Gründen.
Dass der Geschlechtermix Unternehmen erfolgreicher macht, ist hinlänglich belegt: War der aus den USA kommende Diversity-Backlash bereits Thema bei den Gesprächen?
Absolut. Was die Trump-Administration seit Amtsantritt liefert, ist für alle schockierend. Die Furcht, dass eine Rolle rückwärts bei der Gleichstellung einsetzt, ist berechtigt. Gerade waren wir auf einem guten Weg – immerhin hat jeder Dax-Konzern zumindest eine Frau im Vorstand, schon setzt eine Gegenbewegung ein nach dem Motto: Warum sollen wir unbedingt eine Frau nehmen? Was stört uns ein Bild mit zehn männlichen Entscheidern, wenn es halt die besten sind? Wenn Unternehmen wie etwa SAP Diversity-Ziele einkassiert, um ihr US-Geschäft zu sichern, kann sich das schnell auch hier in Europa auswirken.
Wie nehmen die Managerinnen diese Veränderung wahr?
Bei Männern zwischen 40 und 55 kommt oft Widerstand bei Quoten- oder Diversity-Diskussionen auf, Trump liefert ihnen dazu die passende Vorlage. Da heißt es schnell: Bei uns werden nur noch Frauen befördert. Obwohl die Zahlen das überhaupt nicht hergeben. Karrieremachen ist noch immer ein Privileg – der Männer. Frauen sind besser ausgebildet, und trotzdem nicht entsprechend abgebildet oben. Da sind wir noch gar nicht beim Thema Kind. Ein Kind ist der Gamechanger für Frauen. Spannend war, dass die Managerinnen darüber eigentlich gar nicht reden wollten. „Weil wir immer über Kinder reden müssen“. Und dann war es doch oft das große Thema. Sigrid Nikutta zum Beispiel hat fünf Kinder. Erst beim fünften Kind hörten die Fragen auf, wie sie das hinkriegen würde. Dafür wurde dann diskutiert, ob eine Frau in ihrem Alter – mit 47 - noch Kinder kriegen könne oder solle.
Familiengründung bremst Frauenkarrieren aus, und auf Social Media feiern Momfluencer und Tradwives den Rückzug ins Private. Wie sehen die Managerinnen diese Entwicklungen?
Viele der Gesprächspartnerinnen kommen aus dem HR-Bereich. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass viele junge ehrgeizige Frauen sofort zurückstecken, wenn ein Kind kommt. Auch wenn sie von den HR-Managerinnen dezidiert ermutigt werden: „Wir kriegen das hin. Versuch es doch erstmal mit Vollzeit.“ Durch Karenz, entgangene Beförderungsrunden und Teilzeitarbeit kommen die Frauen nie wieder auf ihr altes Gehaltsniveau zurück. „Child penalty“ nennen Ökonomen diese Lohneinbußen. Wie Paare das regeln, ist eine private Angelegenheit, aber trotzdem stört viele der Managerinnen dieser Automatismus: Kind kommt – Mann macht Karriere, Frau geht auf Teilzeit. Da fehlen die Role Models.
Frauen werden stärker über ihr Äußeres bewertet als Männer. Wie empfinden die Frauen den „Präsentationsdruck“, der sich durch Social Media immens aufgebaut hat?
Es ist belastend für Managerinnen. Frauen in Führungspositionen werden generell genauer beobachtet und stärker bewertet als Männer. Auf Social Media geht es dann meist um ihr Aussehen und Auftreten: Hat sie Ringe unter den Augen? Kann die nicht mal lächeln, muss die so verbissen gucken? Einige der Frauenhaben sehr große Reichweiten, das ist eine Chance für sie. Zugleich ist Sichtbarkeit für Frauen ein schmaler Grat: Je erfolgreicher und mächtiger sie werden, desto schneller kann das Ganze kippen. Sigrid Nikutta liest dann Posts wie, „die arbeitet ja gar nicht, die macht nur noch Selbstvermarktung, die tingelt nur noch im roten Abendkleid von Gala zu Gala." Das kennen Männer so nicht. Die werden für einzelne Posts angegangen, aber nicht generell für ihre Persönlichkeit kritisiert.
Sind Sie in der Recherche auf Branchen getroffen, die freier von „Machtgebieten“ sind?
Generell nein, wie auch? Das ist ja alles gesellschaftlich tief verankert. In der – sehr femininen – Beauty-Branche fangen überwiegend Frauen an, die haben erstmal keine Berührung mit maskulinen Strukturen. Aber wenn man guckt, wer oben ankommt, dann ist das nicht viel anders als in der Baubranche. Da sitzt Thomas neben Thomas und Torsten. Und wenn die einzige Frau dazwischen irgendwann sagt, das tue ich mir nicht mehr an, wundern sich alle und es heißt: Die Frau ist gescheitert!
Wie unterscheiden sich die Erfahrungen jüngerer und älterer Managerinnen?
Jüngere haben es schon besser, in den letzten 20 Jahren wurden viele Klischees und Rollenbilder aufgebrochen. So gibt es heute junge Väter, die in Teilzeit gehen, was früher undenkbar war. Altherrenwitze und MeToo-Erfahrungen nehmen auch eher ab. Die #metoo-Debatte hat extrem viel angestoßen. Jeder Manager hat das im Kopf, weiß, dass ihm eine Übergriffigkeit heute den Job kosten kann. Allerdings gilt das weniger für Männer auf den unteren Karrierestufen. Managerinnen berichten von ihren jungen Mentees, dass Männer sich ihnen gegenüber viel zu viel rausnehmen. Die sind sehr ehrgeizig, zugleich aber auch noch unsicher, wo sie Grenzen setzen. Dieses Rüstzeug entwickeln sie erst mit der Zeit.
Sie wollen mit dem Buch nicht anklagen, sondern verändern und ermutigen, schreiben Sie. Was ist das Ziel dieser 50 Frauen?
Unsere Vision ist, dass weitere Frauen ihre Erfahrungen teilen, dass Gleichstellung breit und offen debattiert wird. Das Buch soll Frauen ermutigen, nicht nur in kleinen Frauenrunden, sondern auch in gemischten Runden darüber zu sprechen, wie es sich anfühlt, die Ausnahme zu sein. Und es soll Männer sensibilisieren für das Thema. Vielen Männern ist einfach nicht bewusst, dass eine Frau stets aus ihrer Komfortzone rausgeht, wenn sie allein unter Männern ist.
Das Buch wird einen Nerv treffen.
Das wäre schön. Tätsächlich waren schon vor Erscheinen sehr viele Lesungen und Events gebucht. Die Nachfrage ist groß, das merken wir.
Haben Sie eigentlich auch mit Männern gesprochen?
Ja, es war uns wichtig, auch die Männerperspektive einzufangen. Der Chef der Mercedes Benz Bank ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Die Führungsetage dort ist heute total divers, sagt er. Und er sei sehr froh darüber, er wisse gar nicht mehr, wie er das ausgehalten habe in den reinen Männerrunden früher. Das zeigt: Auch Männer profitieren von gemischten Teams, von geteilter Führung. Unser Buch ist nicht gegen Männer, sondern für Frauen und für ein Miteinander.
Neues Buch über Frauen an der Macht
50 Topmanagerinnen berichten im neuen Buch schonungslos über ihre Erfahrungen mit Machtkämpfen, Sexismus und toxischem Verhalten in einer Geschäftswelt, in der die Luft für Frauen oben noch immer dünner ist. Seit 19. September im Handel, Campus-Verlag, 248 Seiten, 23,50 Euro.