Unternehmenspleiten wegen Coronahilfen um 40 Prozent gesunken
Das Corona-Jahr 2020 brachte einen kräftigen Rückgang bei den Insolvenzen im Vergleich zum Jahr 2019. Das Bild trügt aufgrund staatlicher Förderungen und Aussetzungen von Teilen des Insolvenzrechts. Im 2. Quartal 2021 droht eine Insolvenzwelle. Auch die OeNB sieht einen Rückstau bei den Insolvenzen.
Das Corona-Jahr 2020 hat die heimische Wirtschaft in die größte Wirtschaftskrise nach dem zweiten Weltkrieg gestürzt. Und dennoch ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nach Angaben des Gläubigerschutzverband KSV1870 mit rund 3000 Pleiteunternehmen paradoxerweise so tief wie seit 30 Jahren nicht mehr. Allerdings nur Dank der Coronahilfen. Für das Jahr 2021 rechnet der KSV wieder mit einem kräftigen Anstieg. Zur Jahresmitte könnte demnach geradezu eine Insolvenzwelle anrollen. "Die aktuellen Insolvenzzahlen spiegeln nicht die wirtschaftliche Realität wider", sagt KSV-Chef Ricardo-Jose Vybiral. Denn die sehe nicht so erfreulich aus.
Die Zahl der Unternehmenspleiten ist um rund 40 Prozent auf 3017 zahlungsunfähige Unternehmen zurückgegangen. Die daraus resultierenden Schulden sind mit insgesamt 2,974 Milliarden Euro um 75,3 Prozent angestiegen. Auch die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer mit 16.300 ist um 5,2 Prozent niedriger als im Vorjahr.
Die Pleite der burgenländischen Commerzialbank (Cb), die drittgrößte Pleite der zweiten Republik, trägt dazu mit rund 800 Millionen Euro einen größeren Anteil bei. Zieht man die Cb-Insolvenz ab, bleibt unterm Strich aber immer noch ein Anstieg der Schulden um 25 Prozent auf 2,2 Milliarden Euro - trotz massivem Rückgang der Zahl der Insolvenzen.
Von Entwarnung bei den Insolvenzen kann laut KSV1870 daher nicht die Rede sein. Die Corona-Hilfen haben Unternehmen, die in Schieflage gekommen sind, zwar geholfen. Aber auch Unternehmen, die nicht erst infolge der Corona-Pandemie gefährdet waren, hätten von den staatlichen Beihilfen gerade noch eine Pleite vermeiden können. Die KSV-Gläubigerschützer rechnen damit, dass im zweiten Quartal 2021 eine Insolvenzwelle losgetreten wird.

Auch bei den Privatinsolvenzen kommt es zu einem Rückgang: Im Jahr 2020 mussten 7144 Menschen Privatkonkurs anmelden, das sind um 23 Prozent weniger als im Jahr 2019. Die Schuldner hatten mit 1,138 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr um 18,7 Prozent weniger Schulden angeschrieben als die Privatschuldner des Vorjahres.
Das Paradoxon
Trotz massiver Umsatzausfällen in vielen Branchen, etwa im Tourismus, der Hotellerie und Gastronomie oder im Eventbereich, sind zwar weniger Unternehmen als in normalen Jahren in Schieflage geraten, sagt Karl-Heinz Götze, Insolvenzexperte vom KSV. Dies sei aber vor allem auf die staatlichen Coronahilfen zurückzuführen. Götze betont, dass die Coronahilfen "richtig und notwendig" waren.
KSV-Insolvenzexperte Götze fordert, dass Hilfen nach dem "Gießkannenprinzip" im kommenden Jahr zurückgefahren oder gar eingestellt werden. "Wir haben gesehen, dass Unternehmen vor der Corona-Krise schon in Schieflage waren, die eigentlich nicht mehr lebensfähig waren", so Götze. Das Finanzamt und die Gesundheitskassa wurden im Verlauf des Jahres aufgrund der Corona-Pandemie angehalten, keine Insolvenzanmeldungen zu veranlassen. Diese machen sonst rund 50 Prozent aller Unternehmensinsolvenzen aus. Und dadurch haben sich auch die Insolvenzen verschleppt. Dies ist für den Wettbewerb aber umso gefährlicher, weil künstlich am Leben gehaltene Unternehmen nun mit Dumpingpreisen versuchen zu reüssieren.
"Für die Volkswirtschaft sind die Förderungen nach dem Gießkannenprinzip auf Dauer gefährlich, weil gesunde Unternehmen so in einen Abwärtsstrudel reingezogen werden", sagt KSV-Insolvenzexperte Götze. Somit würden auch gesunde Unternehmen in den Dumpingwettbewerb hineingezogen und mit in den Abgrund gerissen.
Die große Insolvenzwelle
Der KSV1870 rechnet ab dem 2. Quartal 2021 mit einem kräftigen Anstieg der Insolvenzen um rund 20 bis 25 Prozent verglichen zu 2019. Der Annahme liegt aber zugrunde, dass die Bundesregierung keine weiteren Hilfsmaßnahmen mehr vergibt.
Der KSV1870 wird daher nicht müde Unternehmen in finanzieller Schieflage zu empfehlen, rechtzeitig, noch bevor der Gang zum Insolvenzrichter per Gesetz notwendig wird, die Sanierung selbst in die Weg zu leiten und gegebenenfalls in die Insolvenz zu gehen. "Das Insolvenzrecht ermöglicht eine Sanierung, die auch einen Neustart zur Folge hat", so Götze. Rund 30 Prozent der Unternehmen, die Insolvenz angemeldet haben, können wieder neu durchstarten.In Deutschland seien dies nur acht Prozent der Pleiteunternehmen, die nach einer geordneten Entschuldung wieder einen Neustart hinlegen.
OeNB-Vizegouverneur Haber rechnet mit Rückstau bei Insolvenzen
Auch OeNB Vizegouverneur Gottfried Haber rechnet mit einem Rückstau bei den Insolvenzen. Diese haben seit Beginn der COVID-19-Pandemie um 34 Prozent abgenommen. Als Gründe dafür sieht Haber ebenfalls vorhandene Zwischenfinanzierungen, Steuerstundungen und die fehlende Insolvenzantragspflicht.
In Anbetracht künftiger Kreditrisiken und gestiegener Unsicherheit habe die OeNB in ihrem Financial Stability Report vom November 2020 eine Reihe von Empfehlungen ausgearbeitet. Auch wenn genügend Resilienz da sei, müsse man aufpassen, dass der Sektor nicht überfordert werde und Teil der Lösung sein könne, argumentierte Haber. Augenmerk müsse daher weiterhin auf eine solide Kapitalbasis gelegt werden, was unter anderem die Abstandnahme von Aktienrückkäufen und eine sorgfältige Abwägung von Gewinnausschüttungen in Übereinstimmung mit europäischen Empfehlungen umfasse.
Bezüglich der aktuellen Entwicklungen auf EU-Ebene wies Haber unter anderem auf die Verlängerung der Leitlinien zu Moratorien bis 31. März 2021 durch die European Banking Authority (EBA) hin, die auch auf alle Stundungen für VerbraucherInnen und Kleinstunternehmen in Österreich anwendbar sind. Notifiziert wurde auch das privatrechtliche Moratorium der heimischen Kreditwirtschaft, was die Kreditvergabe erleichtern wird. Einigkeit bestehe auf europäischer Ebene auch darin, den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu reformieren.
Die gestiegene Kreditnachfrage seitens der Unternehmen und vor allem der privaten Haushalte, etwa zur Finanzierung von Wohnimmobilien im ersten Halbjahr 2020 belege, dass die Banken auch in der Krise ihrer wichtigen Intermediationsfunktion uneingeschränkt nachkommen konnten. Angesichts der ab dem nächsten Jahr zu erwartenden Verschlechterung der Kreditqualität hätten die Kreditinstitute dem OeNB-Gouverneur zufolge bereits begonnen, ihre Risikovorsogen zu erhöhen.
Gute Stimmung
Das Stimmungsbild der heimischen Wirtschaft hat sich trotz Corona-Pandemie aufgehellt. Laut KSV haben sich die Unternehmen mit der schwierigen Situation arrangiert. Die Unsicherheiten der Corona-Pandemie - "Wann die Krise endet" - sind für rund 52 Prozent der Unternehmen der größte Grund zur Sorge. Die Gefahr, dass Mitarbeiter sich infizieren, sind für 40 Prozent die Hauptsorge. Mehr als die Hälfte der mit dem KSV befragten Unternehmen rechnet damit, dass im kommenden Jahr eine wirtschaftliche Erholung eintritt, 27 Prozent der Befragten rechnen mit der Erholung aber erst ab dem 3. Quartal 2021. Weitere 27 Prozent glauben an eine Entspannung erst ab dem Jahr 2022. Das größte Gift für die Wirtschaftsentwicklung sei die anhaltende Unsicherheit, weil dadurch die Investitionen gebremst würden.
Fortschritte machen die Unternehmen beim Thema Digitalisierung. "Die Unternehmen haben gelernt mit dem Lockdown umzugehen", sagt KSV-Chef José-Ricardo Vybiral. "Wir wissen, dass 70 Prozent der Unternehmen vor der Corona-Pandemie keine Digitalagenda hatten, dann sich rasch auf die neue Situation einstellten und nun auch auf Digitalisierung setzen."