Neue Insolvenzregeln für Private "funktionieren ganz gut"
Hans-Georg Kantner, Insolvenzrechtsexperte des Kreditschutzverbands KSV1870, sieht die im Dezember 2017 eingeführte Regelung der Privatinsolvenzen nachträglich positiv. Für 2019 rechnet er mit rund 9.500 Pleiten Privater.
Hans-Georg Kantner, Leiter Insolvenzabteilung KSV1870
Die Gläubigerschützer des KSV1870 waren "keine großen Befürworter" der seit November 2017 geltenden Insolvenzrechtsnovelle, die Erleichterungen für Privatschuldner gebracht hat - offensichtlich funktioniere die Novelle aber nach anfänglichen "Verwerfungen" jetzt ganz gut, räumte KSV-Insolvenzrechtsexperte Hans-Georg Kantner am Mittwoch im Klub der Wirtschaftspublizisten ein.
Die neuen Regeln für die Privatinsolvenz haben eine Verkürzung der Abschöpfung von Einkommen über dem Existenzminimum auf fünf Jahre gebracht, die zehnprozentige Mindestquote für die Schuldentilgung wurde abgeschafft. Der gänzliche Wegfall der Mindestquote habe anscheinend dazu geführt, "dass Schuldner jetzt früher kommen und mit weniger Vorbehalt oder weniger zeitlicher Verzögerung in dieses Verfahren gehen", sagte Kantner. "Ich glaube, es ist gut, dass mehr Menschen, die einer Entschuldung bedürfen, sich diesem Entschuldungsverfahren stellen."
Die Gläubigerschützer hätten die Schuldenregulierung für private Schuldner früher sehr kritisch gesehen, aber "man hat als Gläubiger mittlerweile gelernt, dass das Insolvenzverfahren, das Schuldenregulierungsverfahren Vorteile bietet gegenüber dieser ewigen Exekution, die dann immer wieder ins Leere geht, Kosten produziert, die Gerichte beschäftigt und letzen Endes ein Wettbewerb ist, der nie alle befriedigen kann, aber nur zu Verwerfungen und Ungerechtigkeiten führen kann". Das Insolvenzverfahren sei hingegen sehr kostengünstig.
9.500 Privatinsolvenzen
In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurden laut Kantner 7.174 Privatinsolvenzfälle eröffnet, bei 68 Prozent davon seien Tilgungspläne vereinbart worden, in fast allen anderen Fällen gebe es fünfjährige Abschöpfungsverfahren ohne Mindesterfordernis für die Rückzahlungsquote. In diesen Zahlen seien die noch von früher laufenden Verfahren nach den alten Regeln nicht enthalten. "Wir hatten letztes Jahr knapp über 10.000 Verfahren und werden heuer auf 9.500 kommen und im nächsten Jahr schätze ich auch ungefähr auf diesem Niveau."
Auf den Warnlisten der Banken seien in Österreich zwischen 100.000 und 150.000 Leute registriert, die mehr als 10.000 Euro Verbindlichkeiten haben, ohne diese zu tilgen. Unter diesen Menschen seien viele, "bei denen nichts zu holen ist. Das wissen die Gläubiger, das wissen die Exekutoren, denen tut der Rechtsstaat auch nichts mehr."
Im Jahr 2014, also noch vor der Novelle, hätten 70 Prozent der Privatkonkurse mit einem Zahlungsplan geendet und bei 27 Prozent habe es ein Abschöpfungsverfahren gegeben. Der Anteil der Zahlungspläne sie im Jahr 2018 auf 66 Prozent gesunken und zeige heuer mit 68 Prozent wieder nach oben. Im Vergleich dazu gebe es in Deutschland nur in 2 Prozent der Fälle Zahlungspläne, "obwohl die ein praktisch identisches Insolvenzrecht haben, weil wir im Jahr 1993 praktisch abgeschrieben haben von einem Referentenentwurf aus Berlin".
Jeder Dritte Pleitier ein Ex-Unternehmer
Ein privater Schuldner habe im Durchschnitt Schulden in Höhe von 58.000 Euro, sagte Kantner. Etwa 30 Prozent der Schuldner seien aber ehemalige Unternehmer, der Medianschuldenstand der echten Privatschuldner liege bei 28.000 Euro. Die Hälfte der echten Privatschuldner könnte sich um 35 Euro im Monat entschulden, rechnete Kantner vor. In einem Abschöpfungsverfahren würden Schuldner auf das Existenzminimum von knapp unter 900 Euro gepfändet, wobei es Zuschläge für Unterhaltspflichten gebe. Wer mehr als dieses Minimum verdiene, dürfe ein Drittel dieses Mehrverdienstes behalten, "das soll dem Schuldner einen Anreiz lassen, dass er mehr verdient als das, was man ihm eh nicht wegnehmen kann".
Kantner warnte davor, der EU-Empfehlung für eine weitere Reduktion der Tilgungszeit für Privatschuldner auf drei Jahre zu folgen. Diese Forderung werde sicher auch in Österreich kommen, "die Schuldnerberatung, der Sozialminister, jedenfalls die Arbeiterkammer und die Gewerkschaft werden das fordern", ist sich der Insolvenzexperte sicher. Damit könne sich der KSV nicht anfreunden. Einerseits bestünden in den ersten zwei Jahren noch eventuelle Pfandrechte, erst dann würden alle anderen Gläubiger bedient. Außerdem seien Unternehmensschulden zu 80 Prozent kurzfristige Verbindlichkeiten - etwa Gehälter, Umsatzsteuer oder Lieferantenverbindlichkeiten -, da sei eine Tilgungszeit von drei Jahren angemessen. Anders sei es bei Privatkrediten, die meist über etliche Jahre laufen würden.