KSV-Insolvenzexperte Götze: "Rechne noch nicht mit Insolvenzwelle"

Der Leiter des KSV-Insolvenzabteilung Karl-Heinz Götze sieht die befürchtete Insolvenzwelle in weiter Ferne, stemmt sich aber vehement gegen staatliche Unterstützung nach dem Gießkannenprinzip. Die erneute Fristverlängerung von Finanzamt und Sozialversicherung sieht er kritisch. Alleine auf Beendigung des Lockdowns zu warten, dann wieder aufzusperren, sei zu wenig.

KSV-Insolvenzexperte Götze: "Rechne noch nicht mit Insolvenzwelle"

Karl-Heinz Götze, Leiter des Bereichs Insolvenzen beim Kreditschutzverband von 1870: "Mehr Pleiten, aber keine Insolvenzwelle"

Bis zum 31. März 2021 wurden durch die Corona-Krise bedingt die Fristen für Stundungen bei Zahlungen an das Finanzamt und an die Sozialversicherung verlängert. Und eine weitere Verlängerung der Stundungsfristen bis zum 30. Juni 2021 wurde gerade beschlossen.

Doch das Problem, dass viele gefährdete Unternehmen in die Insolvenz schlittern, weil in bestimmten Branchen seit fast einem Jahr keine Erlöse mehr erzielt werden, scheint nur zeitlich verschoben zu sein. Banken gehen gegen Kreditschuldner noch nicht mit voller Härte vor. Der Einzelfall sei entscheidend.

Allerdings besteht die Gefahr, dass nun weitere "Zombie-Unternehmen" entstehen. Das sind Unternehmen, die finanziell schon vor der Corona-Krise angeschlagen waren. Und die nun andere, bisher gesunde Unternehmen in die Pleite mitreißen können und somit eine Kettenreaktion ausgelöst wird.

Im Jahr 2020 gab es 3017 Unternehmenspleiten, was gegenüber dem Jahr 2019 ein Rückgang von 40 Prozent bedeutet. Die Passive sind hingegen von 1,7 Milliarden Euro auf 2,97 Mrd. Euro im Jahr 2020 gestiegen. Im Jahr 2021 soll die Zahl der Unternehmensinsolvenzen wieder kräftig ansteigen, was aber letztendlich auch von den staatlichen Corona-Stützungszahlungen abhängt.

Der KSV-Insolvenz-Leiter Karl-Heinz Götze erklärt dem trend.at, was zu tun ist.

trend: In der Wirtschaft ist eine der große Fragen: Wie lange ist der Lockdown und dadurch induzierte Wirtschaftskrise noch auszuhalten und zu finanzieren. Und vor allem: Kommt nun die Insolvenzwelle, die im Herbst für Februar oder März prognostiziert wurde?
Karl-Heinz Götze: Wir befinden uns weiterhin in einer schwierigen Lage, weil wir ja nicht wissen, wann wir wieder zu einer Normalität zurückfinden können. Aber eine Insolvenzwelle wird es nicht geben. Ich sehe auch nicht, dass jetzt eine Insolvenzwelle in Bewegung kommt, auch wenn es heißt, abzuwarten und zu schauen, wie die Wirtschaft nun aus dem Winter kommt.

Mit wie vielen Unternehmenspleiten rechnen Sie 2021, wie viele im kommenden Jahr?
Wir rechnen 2021 mit einer stetigen Zunahme gegenüber dem Vorjahr, auch 2022 wird es zu einer Zunahme der Insolvenzen kommen. Eine seriöse Schätzung, viele Insolvenzen es dann sein werden, kann man derzeit aber nicht abgeben. Es gibt noch zu viele Unsicherheiten, etwa wird der Lockdown komplett aufgehoben, wann wird wieder und vor allem wie aufgesperrt, wann gibt es wieder halbwegs normale Verhältnisse und vor allem, wie wird das mit dem Impfen, auf das ja alle große Hoffnungen setzen.

Das die Insolvenzwelle nicht anrollt dürfte auch dem geschuldet sein, dass Finanzamt und Sozialversicherung auch künftig Unternehmen einen Zahlungsaufschub geben und eine Stundung der Zahlungen bis Ende März gewähren. Zudem wird die Kurzarbeitsregelung verlängert. Finden Sie diese politischen Entscheidungen richtig?
Es ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist es richtig, Unternehmen zu helfen. Mit Kurzarbeit kann man vorübergehend Unternehmen helfen, vor allem werden auch Arbeitsplätze zumindest vorläufig gesichert. Aber ein Dauermodell kann dies nicht sein, wie es auch der neue Arbeitsminister Kocher das stets betont. Aber Unternehmen der Gastronomie, Hotellerie oder im Reisesektor, die ja seit einem Jahr fast permanent geschlossen sind, die brauchen diese Unterstützung. Bis sie wieder aufsperren dürfen. Die können die bisher gestundeten Beträge aufgrund der Umsatzausfälle nicht zahlen. Andererseits laufen wir natürlich Gefahr, dass Unternehmen weiterhin geholfen wird, die eigentlich nicht existenzfähig sind - und dies nicht erst durch die Coronapandemie.

Das birgt aber auch die Gefahr, dass mit Staatshilfe "Zombie-Unternehmen" regelrecht züchtet werden, was ja für den Wettbewerb, für die Wirtschaft schlecht ist.
Götze: Es ist natürlich schon so, dass die Regierung aufgrund der Pandemiebedingten Maßnahmen wie Lockdown und andere Beschränkungen, sich nicht den Schwarzen Peter zuschieben lassen will. Nur müssen wir acht geben, dass Unternehmen in Schieflage nicht gesunde Unternehmen mitreißen. Das kann etwa durch Preisdumping geschehen, dass bisher recht gut durch die Pandemie gekommene Unternehmen ins Schleudern kommen. Da wäre niemandem geholfen.

Das heißt, man muss sich einzelne Unternehmen und ganze Branchen jetzt genauer anschauen?
Götze: Unbedingt. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass es auch Branchen gibt, die ja bald nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 mehr oder weniger in den Normalbetrieb gingen, gute Geschäfte machen. Etwa Unternehmen in der Baubranche, im Gewerbe oder Industrie. Wir sind deshalb auch gegen eine staatliche Förderungen nach dem Gießkannenprinzip. Da kann man jetzt schon sehr wohl unterscheiden, welche Unternehmen fit sind, welche nicht, welche Branche läuft gut, welche nicht. Andererseits bringt es ja Niemandem etwas, wenn Unternehmen die Zahlungsfristen verlängert werden, wenn sie Stundungen erhalten. Und wenn man jetzt schon abschätzen kann, dass die Unternehmen am Ende doch nicht die Beiträge nachzahlen können und trotzdem in die Insolvenz gehen müssen. Dann ist das Unternehmen schon jetzt am Ende, die Gläubiger werden dann auch nichts mehr bekommen, weil das Unternehmen in Konkurs geht, es wird aufgelöst und zudem werden dann noch unnötig Arbeitsplätze vernichtet.

Gibt es bestimmte Branchen, die im Fokus sind?
Götze: Es wäre sicher nicht richtig, irgendjemanden an den Pranger zu stellen. Die Corona-Krise zeigt aber schon auf, dass es sehr viel Nachholbedarf gibt, etwa bei der Digitalisierung. Das haben wir ja gesehen, dass der Handel dies komplett verschlafen hat - bis auf wenige Ausnahmen. Und die politische Inszenierung vom 'KaufhausÖsterreich.at' hat dies noch eindrucksvoll gezeigt, was da alles versäumt wurde und noch im argen liegt. Aber dafür braucht man auf allen Ebenen die richtigen Leute. Und ich denke, da ist der Arbeitsminister Martin Kocher durchaus der richtige Mann, um da die richtigen, neue Impulse für die Zukunft zu setzen.

Der KSV drängt stets darauf, dass Unternehmen sich bei finanziellen Schwierigkeiten zügig für Sanierungsschritte entscheiden sollen. Und nicht erst, wenn es fünf vor zwölf ist. In Corona-Zeiten ist das wohl besonders schwierig, weil Unternehmen ja immer noch hoffen, dass es doch bald wieder weiter geht. Und alles gut wird.
Götze: Das gilt immer, unabhängig von der Coronapandemie. Eine Sanierung ist per se nichts Schlimmes. Das hat genau den Grund, dass Unternehmen in Schieflage sich mit einem Schnitt neu orientieren können und sollen, um einen Neustart hinlegen können. Es ist doch viel gescheiter, sich mit Gläubigern eine Sanierungsquote zu vereinbaren, und das Unternehmen besteht weiter. Und bekommt eine zweite Chance, wo es sich neu aufstellt, um neu durchzustarten. Auch wenn der Gläubiger nur mit 20 Prozent Quote rechnen kann, ist das besser, als wenn der Schuldner später in Konkurs geht und der Gläubiger leer ausgeht. Und derzeit ist es so, dass im Zuge der Sanierung die Frist für Schuldenrückzahlung coronabedingt von bisher zwei auf drei Jahre erhöht wurde. Trotz allem dürfen die Geschäftsführer auch eines nicht vergessen: Auch in Corona-Zeiten und trotz Stundung der verschiedenen Zahlungen, sind Geschäftsführer per Gesetz verpflichtet, rechtzeitig die Zahlungsunfähigkeit beim Insolvenzgericht anzumelden. Machen sie das nicht, machen sie sich strafbar wegen Konkursverschleppung. Der rechtzeitige Kassasturz mit der Cash-flow-Planung ist also enorm wichtig.


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