KSV-Insolvenz-Experte Kantner: "Gastronomie keine Pleitebranche"
Das Gastronomie-Geschäft gilt nicht zuletzt wegen der Registrierkassenpflicht und der anhaltenden Nichtraucherdebatte als schwierig. Hans-Georg Kantner, Leiter der Insolvenzabteilung des Kreditschutzverband von 1870 (KSV1870), sieht die Lage jedoch positiv und wertet die vergleichsweise hohe Zahl der Insolvenzen in der Gastronomie als "Algebraproblem".
KSV-Insolvenz-Leiter Hans-Georg Kantner sieht viel Positives an der Gastronomie-Branche - vor allem auch für Gründer.
Die Gastronomiebranche stellt mit über 48.000 Betrieben und über 156.000 Beschäftigen rund zehn Prozent aller aktiven Unternehmen in Österreich und ist somit einer der Hauptsäulen der Wirtschaft in Österreich. Im Jahr 2017 wurden knapp über 1085 neue Unternehmen in der Gastronomie gegründet. 2016 waren es noch 1301.
Doch das Geschäft gilt auch als schwierig. Der Branche eilt der Ruf voraus, tendenziell über mangelnde Eigenkapitalbasis zu verfügen. Hinzu kommen - so die Einschätzung - Personalkräftemangel und Probleme als Folge der Verschärfung des Nichtraucherschutzes und der Registrierkassenpflicht. In Summe habe das zu einer überdurchschnittlich großen Zahl früher Schließungen bald nach Unternehmensgründung geführt.
Insolvenz-Experte Hans-Georg Kantner des Kreditschutzverband 1870 (KSV1870) beruhigt jedoch die Neo-Gastronomen und all diejenigen, die den Schritt in die Selbständigkeit wagen wollen: Die Branche sei widerstandsfähiger als viele glauben, erklärt er im trend-Interview. Selbst die Finanzkrise habe die Branche ohne große Blessuren überstanden.
"Kein Grund zur Besorgnis"
Insolvenz-Experte Hans-Georg Kantner räumt mit Vorurteilen gegenüber dem Gastronomie-Geschäft auf. Interessierte sollten sich durch weit verbreitete stereotypische Meinungen nicht vor dem Einstieg abschrecken lassen.
trend:
Der Gastronomie eilt der Ruf voraus, dass viele Unternehmen eröffnen, aber auch bald wieder schließen oder sogar pleite gehen. Das ist auch an der Insolvenzstatistik abzulesen, wo die Gastronomie stets in der Rangliste der Pleiteunternehmen unter den ersten drei rangiert.
Hans-Georg Kantner:
Die Gastronomiebranche, vom einfachen Kebab-Standl bis zum Hotelbetrieb, fällt dennoch nicht aus dem Rahmen, was die Insolvenzen anbetrifft. Sie rangiert zwar unter den ersten drei bei der Zahl der Insolvenzfälle, aber das ist ein Algebraproblem. Das heißt: Die Gastronomie ist eine große Branche, stets mit viel Neugründungen. Und daher ist auch die Zahl erklärbar, dass mehr Gastronomiebetriebe in der Pleitestatistik aufscheinen.
Und was die Insolvenzanfälligkeit anbetrifft?
Kantner:
Es gibt nicht mehr Insolvenzen als in anderen Branchen. Die Gastronomie gehört nicht zu den insolvenzgeneigten Branchen. Das kann man zurückverfolgen. Selbst im Jahr der Finanzkrise 2008 und kam es zu keinem Anstieg der Insolvenzen. Das Gegenteil ist der Fall, bis heute. Die Zahl der Insolvenzen in der Gastronomie ist sogar zurückgegangen. Das hängt auch damit zusammen, dass es viele Familienbetriebe gibt und auch an der Rechtsform, wenn Gastronomen als Einzelunternehmer persönlich haften.
Schlägt sich das dann auch im Rating nieder?
Kantner:
Das Rating der Branche liegt gegenwärtig etwas unter dem Durchschnitt aller Branchen, aber nicht gravierend. Mittelfristig ist das Rating besser geworden. Also kein Grund zur Besorgnis.
Wer in die Pleite geht, hat den Business-Plan nicht richtig erstellt oder sein Geschäft nicht verstanden.
Es wird immer vom kritischen 3. Jahr gesprochen, in dem die erste großen Nachzahlungen der Mehrwertsteuer und die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen die Neo-Gastronomen angeblich wie einen Blitz aus heiterem Himmel treffen. Und sie dann in die Insolvenz treiben oder gefährden?
Kantner:
Das ist nicht unbedingt ein Spezifikum der Gastronomie, betrifft aber nur einen kleineren Teil. Die hohen Belastungen müssen nicht gleich in die Insolvenz führen. Und die Daten des KSV bestätigen, dass die ersten großen Nachzahlungen selten, eigentlich kaum die Hauptursache für eine Insolvenz sind.
Sondern?
Kantner:
Die Zahl der neugegründeten Unternehmen, die tatsächlich schließen, ist schon ab dem ersten Jahr deutlich überdurchschnittlich und sinkt nach dem fünften Jahr unter den Durchschnitt. Wer aufgrund der Sozialversicherungsbeiträge oder Umsatzsteuernachzahlung im dritten Jahr Pleite geht, hat seinen Business-Plan nicht richtig erstellt oder gar sein Geschäft nicht verstanden. Und das gilt im Übrigen für alle Branchen.
Das heißt, Gründer in der Gastronomie gehen bewusster mit den Geschäftsrisiken um?
Kantner:
Seit Mitte der 1990er-Jahre gibt es hierzulande einen Boom an Neugründungen, quer durch alle Branchen. Im Vorjahr waren es noch doppelt so viele Neugründungen, im Vergleich zur Mitte der 90er-Jahre. Mit dem Einsetzen des Gründerbooms in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre wurden in Österreich auch die Hausaufgaben gemacht, was die Professionalisierung anbetrifft. Das wirkt seither nach und hält bis heute an. Das heißt: Die Gründer gehen heute viel bewusster in die Selbständigkeit als das noch vor über zwei Jahrzehnten der Fall war. Und das gilt vor allem auch für die Gastronomie.
Wer Kosten nicht an Kunden weitergibt, ist gleich selbst dran.
Sind somit die Gastro-Jungunternehmer gar nicht so sehr von Pleiten betroffen?
Kantner:
Es gibt freilich Unternehmen, die im Gründungsjahr pleite gehen oder aber auch rasch aufhören, weil das Geschäftsmodell sich nicht als tragfähig herausgestellt hat. Einen massiven Zuwachs an Pleiten im dritten Jahr stellen wie vom KSV nicht fest. Gründer haben eine hohe Resilienz. Was die Insolvenzen anbetrifft stellen wir fest, dass zehn Jahre nach der Gründung nur etwa 18 Prozent der Unternehmen in die Insolvenz geraten sind. Das ist aber ein sehr guter Wert und zeugt von der Stärke der neu gegründeten Unternehmen, die sich zu einer großen Mehrheit etabliert haben.
Rund um die Einführung der Registrierkassenpflicht und Nichtraucherschutz haben viele Gastronomen geklagt, dass dies existenzielle Auswirkungen haben, viele Betrieben sogar in die Insolvenz schicken wird. Ist das Schreckensszenario nun wirklich so eingetreten?
Kantner:
Jede Änderung der Gesetzeslage erzeugt Änderungen; diesfalls eine latente Erhöhung der Kosten, die natürlich an die Kunden weitergegeben werden müssen. Wer das nicht tut, ist gleich selbst dran. Aber auch wenn diese Kosten weitergereicht werden, beeinflusst das das Konsumverhalten der Kunden – jedenfalls für eine gewisse Zeit. Dann gewöhnt sich jeder dran, dass der Kaffee jetzt um 50 Cent teurer ist als zuvor oder das Bier und konsumiert wieder wie gehabt. Die Zeit dazwischen: die muss man überbrücken können, wenn vorübergehend die Nachfrage schwächelt. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Registrierkassen bei der Einführung etwas sperrig waren, so viel EDV in einem kleinen Gastro-Betrieb. Aber eine Pleitewelle hat sie nicht ausgelöst. Die Kassenpflicht kam in einer wirtschaftlich guten Zeit und die Wirte haben das gut gemeistert.
Gastronomie ist ein People-Business.
Was würden Sie einem Junggastronom empfehlen, der davor steht sich selbständig zu machen?
Kantner:
Klarerweise muss der Business-Plan stimmen. Und vor allem aber muss die Überzeugung stimmen, dass man das auch wirklich als Unternehmer machen will, sei es aus der Profession heraus oder, weil man einen Traum verwirklichen will. Und Eines ist auch klar: Gastronomie ist ein People-Business. Das muss den Leuten auch bewusst sein, mit allen Vor- und Nachteilen. Man hat ständig mit Menschen zu tun, das muss man mögen. Und manchmal auch lange Arbeitszeiten hindurch. Hat man die Idee vom eigenen Wirtshaus, Pub, oder Take-Away verinnerlicht - was das auch an Aufwand bedeutet - und alles in einem Business-Plan realistisch geplant, kann man auch mit wenig Cash ein eigenes Unternehmen gründen. Wichtig ist, dass eine realistische Planung zugrunde gelegt wird. Erfolgreiche Beispiele dafür gibt es genügend. Es ist außerdem verhältnismäßig leicht, an ein Unternehmen heranzukommen, das man pachten kann.
Was ist bei einer Übernahme zu beachten?
Kantner:
Je größer die Änderung am Ambiente und am Angebot, desto teurer die Investition und desto länger kann es dauern, bis die Kunden das aufgreifen. Denn die Stammkundschaft fühlt sich vielleicht im neuen Lokal nicht wohl und bleibt aus und der Markt braucht Zeit, um zu lernen, dass es dieses neue Angebot gibt. Das muss im Businessplan berücksichtigt werden. Neue Lokale sind nicht vom ersten Tag durchgehend ausgelastet. Das bedeutet, dass der Unternehmer entsprechend für die Fixkosten vorsorgen muss, die vom ersten Tag anfallen.
Das Gespräch mit Hans-Georg Kantner, Leiter der Insolvenzabteilung des Kreditschutzverband von 1870 (KSV1870) fand anlässlich des 5. Gastro-Gründertags der FHW Wien am 24. Jänner 2018 statt.