
Wie IT-Dienste und KI-Apps den Klinikalltag verändern – ein Blick hinter die Kulissen der Krankenhaus-Digitalisierung mit Dedalus Healthcare.
Die Empörung zur auslaufenden Fax-Befundung entlockt Stefan Skrobanek ein mildes Lächeln. „Dieses Thema war in seiner Dimension medial überrepräsentiert. Da könnte ich Ihnen von ganz anderen Beispielen berichten“, sagt der Geschäftsführer von Dedalus Healthcare. Mehr als zwanzig Jahre im österreichischen Gesundheitssystem haben ihn gelehrt, dass hier in Jahrzehnten, nicht in Jahren gedacht wird. Politisch, betriebswirtschaftlich und technologisch alles höchst komplex. Skrobanek ist dennoch optimistisch: „Die IT im Gesundheitswesen hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, auch wenn einige Innovationen erst in Zukunft voll zu Geltung kommen werden.“
Sein Unternehmen sorgt dafür, dass die digitale Transformation in Krankenhäusern, Labors und Praxen gelingt. Dedalus ist Spezialist für Krankenhausinformationssysteme, kurz KIS, die „ERP-Systeme“ im Gesundheitsbereich. Mit 950 ausgestatteten Kliniken ist Dedalus Marktführer im deutschsprachigen Raum. Dedalus Healthcare ist Teil der gleichnamigen Gruppe, und in Wien befindet sich der wichtigste Entwicklungsstandort in Europa. „Von 330 Mitarbeitenden am Wiener Standort sind allein 270 in der Softwareentwicklung tätig“, sagt Skrobanek, „in Graz sind es weitere 100 Personen, die sich stark mit der Programmierung und Integration von KI-Lösungen beschäftigen.“
Jedes KIS wird maßgeschneidert
Gearbeitet wird bei einem KIS aber nie mit der Werkseinstellung. Jedes Haus hat seine eigenen Prozesse. „Ein orthopädisches Spital hat andere Anforderungen als eine Herzambulanz“, sagt Skrobanek. „Mit integrierten Werkzeugen wie dem Software Development Kit können unsere Kunden sich selbstständig Oberflächen und Abläufe programmieren.“ Er bringt ein Beispiel: „OP- und KIS-System laufen parallel, sind in der Regel aber nicht tief ineinander integriert. Mit unserem System können sie Informationen aus dem KIS, wie Vordiagnosen, Vorerkrankungen, Allergien etc., direkt übermitteln und den OP-Befund inklusive der verabreichten Medikamente wieder direkt zurück ins KIS schicken.“
In der Innsbrucker Privatklinik Kettenbrücke sind solche Moves selbstverständlich. Dort hat man das neue KIS mutig am Stück – und nicht schrittweise – eingeführt, wie der Ärztliche Direktor Michael Gabl erzählt: „Seit August 2023 haben wir ein voll digitalisiertes Spital. De facto haben wir alles, was mit Papier zu tun hatte, abgeschafft.“
Seit August 2023 haben wir ein voll digitalisiertes Spital. De facto haben wir alles, was mit Papier zu tun hatte, abgeschafft
Schnelle Akzeptanz bei den Pflegekräften
Entscheidend für den Erfolg sei die Zustimmung der Mitarbeitenden, bilanziert Gabl eineinhalb Jahre nach der Einführung: „Die eigentliche Arbeit beginnt ja erst dann, wenn das System läuft. Die Vorteile der digitalisierten Arbeitsweise kristallisieren sich mit der Zeit heraus. Die IT unterstützt uns technisch, die eigentliche Lösung muss aber von den Mitarbeitenden kommen. Wir sind jetzt in der Phase, wo wir schrittweise an weiteren Optimierungen arbeiten.“
Eine Gruppe freute sich aber schnell über die Vorzüge des neuen KIS: „Die Pflege arbeitet sehr standardisiert und hat viele Debatten geführt über schwer leserliche Handschriften und Fieberkurvenführungen. Nach der Umstellung haben die Pflegekräfte am schnellsten gejubelt“, sagt Gabl. Ein Aspekt habe der raschen Akzeptanz wohl auch nicht geschadet: „In der Pflege sind viele junge Mitarbeitende. Die gehen selbstverständlicher an diese Werkzeuge heran.“
In der Kettenbrücke ist auch eine App im Einsatz, die Dedalus für das mobile Arbeiten gebaut hat: Mit „Info4U“ kann etwa über den sicheren Messenger (läuft über KIS-Server) patientenbezogen für Zweitmeinungen gechattet werden.
Kettenbrücke-Direktor Gabl beschreibt das neue Arbeiten: „Wir können unseren Belegärzten mobile Lösungen zur Verfügung stellen. Das ist großartig.“ Ärztinnen und Ärzte haben über das KIS einen mobilen und sicheren Zugang, können sich auf ihre Einsätze remote vorbereiten, und haben vollen Zugriff auf Bilder und Befunde. „Der Großteil der Ärztinnen und Ärzte sind sehr zufrieden und sie nehmen das ‚andere‘ Arbeiten gut an“, sagt Gabl. „Digital zu arbeiten, heißt auch, einfach neu zu denken. Einfach nur die analogen Prozesse abzubilden, greift zu kurz.“


Übersichtlicher Blick auf die Pflege: Je standardisierter die Prozesse im Klinikalltag, umso leichter lassen sie sich erfassen.
© BeigestelltIdeen aus der Ärzteschaft
Impulse für Innovationen kommen vielfach aus der Branche selbst. Dem italienischen Gründer der Dedalus-Gruppe kam die Idee zur Gründung beim Medizinstudium. Auch Skrobanek bekommt viel wertvollen Input von außen: „Viele Ärzte programmieren auch selbst und bringen Ideen ein, die wir sehr gerne mit umsetzen“, erzählt er. Wie überall ist Innovation heute oft mit KI verbunden. Dedalus sondiert den Markt für KI-Anwendungen laufend. Skrobanek: „KI-Apps, die eine sinnvolle Ergänzung bieten, werden von uns geprüft, mit einem Zertifikat ausgestattet und integriert.“
Die Geschäfte bei Dedalus laufen prächtig, der Erneuerungsbedarf im Gesundheitssystem ist hoch. „Ein IT-System im Krankenhaus hat eine Einsatzzeit von rund 20 Jahren“, sagt Skrobanek, „man merkt, dass einiges in Bewegung kommt, sich Entscheidungen beschleunigen.“ Anlass für Erneuerungen sind auch Systeme, deren Wartung mittelfristig ausläuft.
Durchgerechnet werden in vielen Häusern aber auch Betriebskosten. Immer weniger Spitäler können oder wollen sich hauseigene IT-Abteilungen leisten. „Die Anforderungen an diese Abteilungen sind heute sehr hoch, vor allem die Sicherheitsaspekte bringen viele an ihre Grenzen“, erzählt Skrobanek. Der ausgelagerte Betrieb kommt unter Umständen günstiger. Aus diesem steigenden Bedarf ist ein neues Geschäftsfeld entstanden: die AMS (Advanced Managed Services).
Dabei betreibt Dedalus das System, überwacht die Verfügbarkeit und spielt Security-Updates ein. „Mittlerweile beschäftigen wir im D-A-CH-Raum mehr als 100 Mitarbeitende, die ihre Expertise direkt im Krankenhaus einbringen.“
Solche Überlegungen stellen Kliniken nun öfter an. Als ein Primar sich unlängst ansehen wollte, wo bei externer Betreuung das Herz „seiner“ IT denn eigentlich schlage, lud Skrobanek ihn ein, mit ihm in ein von Dedalus betreutes Krankenhaus zu fahren und sich mit einem Primar auszutauschen. Also fragte der eine Primar den anderen, wie zufrieden er mit dem Service sei. Nach langer Nachdenkpause antwortete der Befragte: „Ich kann es dir nicht sagen. Ich bekomme nichts davon mit. Die IT-Systeme sind immer verfügbar.“ Solche Befunde bekommt Stefan Skrobanek natürlich gern.
Der Artikel ist in der jüngsten Ausgabe des trend MED erschienen.
Die Anforderungen an diese Abteilungen sind heute sehr hoch, vor allem die Sicherheitsaspekte bringen viele an ihre Grenzen.
Zum Unternehmen Dedalus Healthcare
Gegründet wurde Dedalus 1982 von Giorgio Moretti in Florenz, der das Unternehmen während seines Medizinstudiums aufbaute. Moretti hält noch sechs Prozent. Die Dedalus Healthcare Group gehört der französischen Private-Equity-Gesellschaft Ardian, die dem Vernehmen nach einen Verkauf verhandelt. Die Bewertung liegt bei 3,5 Milliarden Euro.
In 40 Ländern werden 6.300 Kliniken und 5.700 Labore serviciert. Die Österreich-Tochter ist seit der Übernahme der Agfa HealthCare (2020) größter Anbieter für Medizinsoftware und hat 430 Mitarbeitende. 2023 wurden 42 Millionen Euro umgesetzt, Tendenz stark steigend.