
Wenige Medikamente haben in den letzten Jahren so eingeschlagen wie Abnehmspritzen. Das österreichische Medtech-Start-up 9amHealth stellte damit sein Geschäftsmodell erfolgreich um.
Das Start-up 9amHealth wurde 2020 von Frank Westermann und Anton Kittelberger – sie haben 2017 in Österreich die mySugr-Diabetes-App erfolgreich zum Exit geführt – gegründet, um telemedizinische Angebote für den US-Markt zu entwickeln. „Wir sind mit einem Rundumservice für Menschen mit Diabetes und Begleiterkrankungen gestartet“, erklärt Kittelberger: „Um 50 Dollar pro Monat bekam man Zugang zu einem Team von Ärzten, Diätologen und Apothekern. Medikamente und Labortests wurden nach Hause geliefert, dazu die Daten online.“ Nach einem vielversprechenden Start erwies sich dieser Marktzugang aber als zu wenig wachstumsstark. „Die Expansion hin zu B2B war schon geplant, durch die enorme Popularität der Abnehmspritzen haben wir den Wechsel früher vollzogen.“
9amHealth stellte das Geschäftsmodell auf B2B um und ist mittlerweile exklusiver Verschreiber dieser Medikamente bei Unternehmen, die mit 9amHealth einen Vertrag haben. In den USA werden die Gesundheitskosten nämlich vom Arbeitgeber getragen, und die haben eine immense Nachfrage nach den Spritzen in ihren Belegschaften. Ob die Spritze gezahlt wird, ist vielfach sogar ein Arbeitgeberkriterium.
9amHealth kauft selbst keine Medikamente ein, betreut aber im Auftrag von Unternehmen deren Mitarbeitende medizinisch: „20 große Unternehmen, darunter zwei der Top-Ten-Fortune-Unternehmen, sind bereits unsere Kunden“, sagt Kittelberger und erklärt das Geschäftsmodell: „Jeder Arzt kann diese Medikamente verschreiben. Aber für diese Unternehmen werden sie nur dann von der Versicherung erstattet, wenn unsere Ärzte sie verschreiben“, so Kittelberger. „Wenn ein anderer Verschreiber sie verschreibt und der Patient zur Apotheke geht, um sie abzuholen, würde es von der Versicherung abgelehnt werden und müsste in Cash bezahlt werden.“
Kittelberger erklärt die Motive der Unternehmen: „Die Arbeitgeber machen das, weil die Ärzte kein Interesse daran haben, mit Patienten zu diskutieren, ob das Medikament wirklich geeignet ist oder ob man nicht zuerst doch seinen Lebensstil ändern oder ein generisches Medikament probieren sollte. Wir folgen bestimmten klinischen Kriterien, die wir mit den Arbeitgebern gemeinsam definieren, um im Rahmen eines Medikamentenbudgets zu bleiben.“ Wer die Medikamente vom Arbeitgeber erstattet bekommen will, muss mit den 9am-Health-Ärzten und Team arbeiten.
Die Expansion hin zu B2B war schon geplant, durch die enorme Popularität der Abnehmspritzen haben wir den Wechsel früher vollzogen.
Spritzen bringen Versicherungsmodell an die Grenze
Das Potenzial ist enorm. „Ein einzelner Arbeitgeber hat eine Million Mitarbeitende, 40 Prozent davon sind Kandidaten für das Medikament“, sagt Kittelberger. „Wir beobachten, dass diese Medikamente das Versicherungsmodell über den Arbeitgeber an seine Grenzen führen. Mittlerweile werden Kosten für die Abnehmmedikamente sogar in Quartalsberichten der Arbeitgeber erwähnt, weil sie so aus dem Ruder laufen.“
In den USA kostet eine Monatsversorgung Wegovy (vier Pens à 2,4 mg) 1.349,02 Dollar, in Österreich 301,91 Euro – das sind rund 4,5-mal so viel oder 1.020 Dollar mehr pro Monat. Die Gründe liegen in der unterschiedlichen Preisregulierung, erzählt Kittelberger: „Österreichs Krankenkassen verhandeln feste Obergrenzen, in den Vereinigten Staaten legen Pharmafirmen freie Listenpreise fest. Zwischenhändler, sogenannte Pharmacy Rebate Manager, verhandeln Rabatte auf diese Listenpreise und behalten einen Teil als Gewinn. Dieser Anreiz treibt die Listenpreise hoch und bleibt für die Patientinnen und Patienten intransparent.“
Mittlerweile werden Kosten für die Abnehmmedikamente sogar in Quartalsberichten der Arbeitgeber erwähnt, weil sie so aus dem Ruder laufen.
Amis nehmen ab mit Apps aus Austria
Die Umstellung des Geschäftsmodell zeigt Früchte: Der B2B-Umsatzanteil von 9amHealth beträgt mittlerweile 80 Prozent. Das Unternehmen ist voll auf den US-Markt konzentriert, hat aber noch immer einen starken Österreich-Bezug: Die Apps hinter der telemedizinischen Betreuung mit Ärzten, Diätologen und Pharmazeuten werden nach wie vor hauptsächlich am Wiener Standort entwickelt und erweitert, u.a. um Services wie Speisepläne und Lebensmittelzustellung. Kittelberger: „Wir haben von Oktober bis Jänner unser Team auf 100 Personen vervierfacht und die Anzahl der betreuten Patienten verfünffacht.“
Wie in allen Branchen sorgt die Trump-Regierung auch im Gesundheitsbereich für gespannte Erwartung, man wartet auf die Pläne des umstrittenen Gesundheitsministers Robert Kennedy jr.. „Noch haben wir wenig gesehen. Derzeit geht man davon aus, dass er sich forciert um Änderungen im Lebensmittelsektor bemüht,“ erzählt Kittelberger. Sehr konkrete Auswirkungen hat allerdings der Zollkrieg. „Im operativen Betrieb spüren wir das aktuelle Chaos nicht, aber unsere neuen Connected Devices werden in China produziert und durch die Zölle teurer als geplant.“
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Das 9amHealth-Team: (v.l.) Mitgründer und Co-CEO Frank Westermann; Mitgründer und CTO Bernhard Schandl; Paul Geevarghese, Mitgründer und COO; Anton Kittelberger, Mitgründer und Co-CEO, (nicht im Bild: Michael Hofner, CFO).
Für die Series-A-Runde 2023 gab es 2024 noch einen Nachschlag von 9,5 Millionen Dollar unter der Führung von Cigna Group Ventures, einer US-Versicherung im Gesundheitsbereich.
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9amHealth betreut in USA Menschen mit Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht telemedizinisch über Apps am Smartphone.
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