
Der Bewerbungsprozess markiert den ersten Kontakt zwischen Arbeitgeber und potenziellem Arbeitnehmer – und ist rechtlich gesehen ein sensibler Bereich. Zahlreiche arbeits-, datenschutz- und gleichbehandlungsrechtliche Bestimmungen sind zu beachten, um Diskriminierung, Verletzungen der Persönlichkeitsrechte sowie arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Der folgende Beitrag gibt einen systematischen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen von der Stellenausschreibung bis zum Schnuppertag, einschließlich zulässiger Fragestellungen, Diskriminierungsverboten, Arbeitszeitregelungen und Entgeltfragen.
1. Stellenausschreibung – rechtliche Anforderungen
Die Ausschreibung eines Arbeitsplatzes ist gemäß § 9 GlBG diskriminierungsfrei und geschlechtsneutral zu gestalten. Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn ein bestimmtes Geschlecht aufgrund der Tätigkeit eine „unverzichtbare Voraussetzung“ darstellt (§ 9 Abs 1 GlBG). Die Nennung geschlechtstypischer Eigenschaften oder stereotypisierender Bildmaterialien ist ebenso unzulässig.
Gemäß § 23 Abs 2 GlBG muss das kollektivvertraglich oder gesetzlich vorgesehene Mindestentgelt samt Zeitbezug (zB pro Monat) im Inserat angeführt werden, ebenso ein Hinweis auf eine allfällige Überzahlung. Bei Verstößen drohen Verwaltungsstrafen bis € 360 (§§ 10, 24 GlBG), wobei beim ersten Verstoß eine Ermahnung genügt.
2. Diskriminierung im Bewerbungsprozess
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den gesamten Bewerbungsprozess diskriminierungsfrei zu gestalten (§§ 3 Z 1, 17 Abs 1 Z 1 GlBG). Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion/Weltanschauung, Alter oder sexueller Orientierung sind unzulässig (OGH 8ObA11/09i). Auch Belästigungen – insbesondere sexueller Natur – sind gemäß §§ 6, 7, 21 GlBG untersagt.
Kommt es aufgrund einer Diskriminierung nicht zur Anstellung, hat der Stellenbewerber Anspruch auf Schadenersatz von zumindest zwei Monatsentgelten (§§ 12 Abs 1 Z 1, 26 Abs 1 Z 1 GlBG), sofern er bei diskriminierungsfreier Auswahl die Stelle erhalten hätte. Ist nur die Ablehnung zu beanstanden, besteht ein Ersatzanspruch bis € 500. Die Klagefrist beträgt sechs Monate ab Ablehnung (§ 15 Abs 1 GlBG).
3. Besonderer Schutz behinderter Bewerber
Auch das Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) untersagt Diskriminierungen bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses (§ 7b Abs 1 Z 1 BEinstG). Der Schutz gilt unabhängig vom Grad der Behinderung. Die Schadenersatzregelung entspricht jener des GlBG (§ 7e Abs 1 BEinstG), ebenso die Klagefrist (§ 7k Abs 2 Z 1 BEinstG).
4. Zulässige und unzulässige Fragen im Bewerbungsgespräch
Zulässig sind Fragen, die einen sachlichen Bezug zur ausgeschriebenen Tätigkeit aufweisen – etwa zu Ausbildung, Berufserfahrung, Führerschein oder Präsenzdienst. Fragen zum
Privatleben, wie etwa zur Familienplanung, Religionszugehörigkeit oder sexuellen Orientierung, sind hingegen unzulässig und müssen nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden. Dies gilt auch für Fragen zum Impfstatus in Zusammenhang mit COVID-19, da derzeit keine rechtlichen Zugangsbeschränkungen am Arbeitsplatz bestehen.
Bei unzulässigen Fragen besteht ein Recht zur Lüge. Selbst bewusst unwahre Angaben zu Schwangerschaften rechtfertigen keine Entlassung (OGH 4 Ob 57/68). Anders verhält es sich, wenn eine gesetzliche Voraussetzung für die Tätigkeit (zB Gesundheitszustand) vorliegt – hier muss die Frage korrekt beantwortet werden.
5. Rechtsfolgen unzulässiger Fragestellungen
Unzulässige Fragen können eine Diskriminierung im Sinne des GlBG begründen, mit entsprechenden Schadenersatzfolgen. Zudem besteht ein Schutz vor Belästigung, auch bei nichtkörperlichen, aber verletzenden verbalen Äußerungen. Auch eine Kündigung kann bei Diskriminierung angefochten werden, wobei dem Arbeitnehmer Schadenersatz und Entschädigung zustehen kann (§§ 12 Abs 11, 26 Abs 11 GlBG).
6. Einsatz von Künstlicher Intelligenz
Verwendet der Arbeitgeber KI-Systeme im Auswahlverfahren, sind Art. 13 DSGVO (Recht auf Information) und Transparenzpflichten einzuhalten. Entscheidungen dürfen nicht ausschließlich automatisiert erfolgen – ein menschliches Kontrollorgan muss final entscheiden.
7. Der Schnuppertag – rechtlicher Graubereich
Ein sogenannter „Schnuppertag“ ist rechtlich nur dann zulässig, wenn der Bewerber freiwillig und unentgeltlich einzelne Tätigkeiten verrichtet, ohne Eingliederung in den Betrieb. Es darf sich nicht um ein Arbeitsverhältnis handeln. Eine Sozialversicherungspflicht entsteht nicht. Forderungen nach einer derartigen Mitarbeit ohne Entgelt oder Anmeldung sind heikel und rechtlich problematisch, insbesondere bei Zuweisungen durch das AMS.
8. Arbeitszeitrechtliche Rahmenbedingungen im Bewerbungsprozess
Die tägliche Arbeitszeit darf 12 Stunden, die wöchentliche 60 Stunden nicht überschreiten (§ 9 AZG). Bei Jugendlichen gelten strengere Regeln (§ 11 KJBG). Im Dienstvertrag ist jedenfalls die Normalarbeitszeit zu vereinbaren, üblicherweise 40 Stunden pro Woche (§ 3 AZG). Zahlreiche kollektivvertragliche Abweichungen (zB 38,5 Std) sind zu beachten.
Die Vereinbarung von Gleitzeit, Schichtarbeit oder Durchrechnungszeiträumen bedarf entweder einer Betriebsvereinbarung oder einer detaillierten Regelung im Dienstvertrag (§ 4b AZG, § 2 Abs 2 AVRAG). Änderungen der Arbeitszeitlage bedürfen objektiver Gründe und müssen spätestens zwei Wochen im Voraus bekannt gegeben werden (§ 19c AZG).
9. Mehrarbeit, Überstunden und All-In-Vereinbarungen
Mehr- und Überstunden müssen im Dienstvertrag geregelt und vergütet werden (§ 2 Abs 2 Z 9 AVRAG). Eine pauschale Abgeltung ist zulässig, bedarf jedoch einer jährlichen Deckungsprüfung. Eine All-In-Vereinbarung darf nicht zu einer Schlechterstellung des
Arbeitnehmers führen – das Grundgehalt ist gesondert auszuweisen (§ 2g AVRAG). Während Elternteilzeit ruht der über das Grundgehalt hinausgehende Teil.
10. Vorstellungskosten
Grundsätzlich trägt jede Partei die eigenen Vorstellungskosten. Eine Ersatzpflicht kann sich nur aus ausdrücklicher oder konkludenter Vereinbarung ergeben. Arbeitgeber sollten daher im Vorhinein klarstellen, ob ein Kostenersatz vorgesehen ist.
Fazit
Der Bewerbungsprozess ist nicht nur ein wichtiges Instrument zur Personalauswahl, sondern auch ein juristisch hoch regulierter Bereich. Arbeitgeber sind gut beraten, Inserate und Bewerbungsgespräche sorgfältig zu gestalten, zulässige Fragen strikt von unzulässigen abzugrenzen und Diskriminierungsrisiken zu vermeiden. Gerade im Lichte der aktuellen Entwicklungen – insbesondere im Bereich der KI-basierten Auswahlprozesse – gewinnen Transparenz, Dokumentation und datenschutzkonforme Prozesse zunehmend an Bedeutung.
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