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Politik-Gegenentwurf: Ein Treffen mit Jacinda Ardern

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Jacinda Ardern

©Bryan Woolston / REUTERS / picturedesk.com
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Die Gründerin von Love Politics, Sonja Jöchtl, schreibt über ihre Begegnung mit der neuseeländischen Ex-Premierministerin Jacinda Ardern in Berlin. Und warum wir die Weltbühne nicht Trump & Co. überlassen dürfen.

Keine Spur von der Zerbrechlichkeit, wie sie ihr immer wieder nachgesagt wird. Wenn Jacinda Ardern auftritt, wie an diesem Montagmittag Ende Juni in Berlin, ist sie klar, zugänglich und interessiert an ihrem jeweiligen Gegenüber. Nein, sie wird nicht zurück in die Politik gehen, sagt die ehemalige Regierungschefin von Neuseeland, nur um im nächsten Augenblick darzulegen, dass ihr empathischer Stil, Politik zu machen, gefragter denn je zu vor ist. 35 überwiegend weibliche Opinion Leaders hängen an ihren Lippen, am Ende wird Ardern, 44, ein Buch für die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr signieren, die mit dem Amoklauf in ihrer Stadt vielleicht Ähnliches durchmachte wie Ardern einst beim monströsen Christchurch-Attentat 2019, der 51 Menschen das Leben kostete.

Sie promotet derzeit ihr Buch „A Different Kind of Power“ und war in diesem Monat schon in New York, London und anderswo. Sogar einen Film über sie gibt es neuerdings. Simpler Titel: „Prime Minister“.

Beim Amtsantritt 2017 jüngste Regierungschefin der Welt, galt sie vielen bald als Hoffnungsfigur der westlichen Politikwelt. Sie fand nach Christchurch die richtigen Worte für ihr Land und für die Welt und änderte binnen zehn Tagen das neuseeländische Waffengesetz. In ihrer Coronapolitik war sie stets menschenzentriert. Selbst die Begründung für ihren plötzlichen Rücktritt Anfang 2023 – sie habe nicht mehr genügend Kraft für das Amt – klang ehrlich und authentisch.

Es war im Juli 2018, als ich auf Ardern aufmerksam wurde. Eine 37-jährige Premierministerin trägt ihr frisch geborenes Baby aus der Klinik. Kein Kostümchen, kein staatstragendes Lächeln, sondern ein Strahlen, wie es Jungeltern halt so draufhaben. Da, wo die Windeln noch nach warmen Semmeln riechen und die Wolken rosa sind.

Der Tag, an dem ich diese Nachricht mit flapsigem „Whoohoo“ repostete, wurde für mich der Tag, an dem Politik etwas mit mir zu tun hatte. Die Neuseeländerin erweckte den Eindruck, Politiker:innen seien normale Menschen, echte Wesen. Ardern würde sagen, sie können alles sein, Umarmer oder Kriegerinnen. Ein normales Wesen ist sie selbst nie gewesen, aber sie hat diese Rolle perfekt gespielt. Ich war im Juli 2018 selbst schwanger. Mich hatte sie in der Sekunde.

Viele hochgejubelte Regierungschefs sind in den letzten Jahren ebenso schnell wieder abgetreten wie sie aufgetreten sind: die Finnin Sanna Marin ebenso wie Sebastian Kurz in Österreich. Selbst Barack Obamas Image hat im Rückblick erhebliche Kratzer bekommen.

Zwar hält die in rechtskonservativen Kreisen gestreute Behauptung, Ardern sei zuletzt extrem unbeliebt gewesen und habe „das Land ruiniert“, keiner kritischen Überprüfung stand. Doch was nützt eine Politik, die einige Jahre inspiriert, um dann abrupt zu enden?

Politiker:in zu sein, ist ein richtig undankbarer Job geworden. Die Sache mit dem Image ist zum Davonrennen und die Jobperspektive danach auch – also tun es die meisten auch.

Übrig bleiben die Trumps, die Netanjahus, die Putins. Männer, die über Jahrzehnte picken bleiben und klassische Machtpolitik betreiben, zuletzt auch wieder mit den Mitteln des Krieges. Zumindest können sie uns nicht mehr enttäuschen.

Das ist unser Momentum für Veränderung in der Politik. Nicht nur soziodemografisch diverser sollte sie sein – also zum Beispiel mehr Frauen. Aber auch mehr Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen sollten Kompass sein, mit Expertise etwa im Finanzbereich oder in der Informationstechnologie oder beim Alleinerziehen.

Wir brauchen keine Superstars wie Ardern, aber sehr wohl inspirierende Role Models, die wieder Lust machen auf Politik. Wer einen guten Magen und eine fundierte Expertise hat, kompromissbereit ist, zuhören kann und die Menschen mag, für den oder die stehen die Chancen gut.

Deshalb ist es so wichtig, dass Ardern jetzt wieder die Bühne betritt. Sie ist der personifizierte Gegenentwurf zu Trump. In „A Different Kind of Power“ präsentiert sie sich unverbrüchlich leidenschaftlich, überzeugt und mutig. In Berlin sagt sie immer wieder, ganz offenkundig, ohne schauspielern zu müssen: „Und wie geht es den Menschen?“

Der Gastkommentar ist in der trend.EDITION vom 27. Juni 2025 erschienen.

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