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Politik Backstage: Bablers rote Zauberlehrlinge

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SPÖ-Chef Andreas Babler

©APA/ERWIN SCHERIAU
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In der Gewerkschaft und der Wiener SPÖ geht ein Gespenst um: Nur um Doskozil zu verhindern, machten diese Andreas Babler zum Parteichef. Jetzt fürchten sie dem Alt-Juso nicht mehr Herr zu werden.

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In der Schüttaustraße in Wien-Donaustadt ist kurz nach Einbruch der Dunkelheit schon von weitem ein alte Schlagermelodie zu vernehmen: “Gut, Euch wieder zu sehen. Gut, wieder hier zu sein.”

Auf einer eigens errichteten Bühne im Goethehof hat die “Gruppe Morgenrot” Aufstellung genommen. Die zwei Band-Mitglieder suchen mit einen Mix aus Schlagern und Arbeiterliedern das Wir-Gefühl zu reanimieren.

Es ist Montag, der 12. Februar 2024. Dieser Tag ist für geschichtsbewusste österreichische Sozialdemokraten kein Tag wie jeder andere. Der 12. Februar 1934 markiert nicht nur für Sozialdemokraten den endgültigen Kipppunkt Österreichs in den Faschismus.

Am Beginn des 12. Februar 1934 steht eine Waffensuchaktion der Polizei im Linzer Parteiheim. In Wien werden der Landtag und Gemeinderat aufgelöst, der Bürgermeister und die Mitglieder des Stadtsenats ihrer Ämter enthoben. Bürgermeister Karl Seitz, der sich weigert, der Gewalt zu weichen, wird aus dem Rathaus getragen und inhaftiert.

Die großen Wiener Gemeindebauten, wie der Goethehof, die in den 1920er als imposantes Lebenszeichen des "Roten Wien" errichtet worden waren, werden zu den letzten Trutzburgen des sozialdemokratischen Widerstands.

Der Republikanische Schutzbund hatte im Goethehof, sagen die Parteihistoriker, rund 200 Mitglieder. Am 12. Februar kommt es zu heftigen Kämpfen zwischen den Mitgliedern des Schutzbundes und der Exekutive. Am Mexikoplatz werden am gegenüberliegenden Ufer der Donaustadt Haubitzen in Stellung gebracht, die auf den Goethehof feuern. Sogar ein Heeresflugzeug wird gegen das rote Widerstandsnest eingesetzt.

Rotes Fanal Februar-Kämpfe

Teile des Goethehofs werden im Zuge der Kampfhandlungen zu Schutt und Asche zerschossen. Die Schutzbündler haben keine andere Wahl als die Waffen zu strecken. Vielen gelingt die Flucht nicht mehr. Das Standgericht des Ständestaates verhängt Todesstrafen gegen neun Schutzbundkämpfer. 1.200 werden inhaftiert und im Anhaltelager Wöllersdorf interniert. Partei, Gewerkschaften und sämtliche sozialdemokratische Organisationen werden verboten.

Der 12. Februar wird so nicht nur zum Anfang vom Ende der 1. Republik und der noch jungen österreichischen Demokratie, sondern auch zum Symbol für die dunkelsten Stunden in der Geschichte der Sozialdemokratie.

Genau 90 Jahre danach finden sich nach und nach nicht nur betagte Genossen, sondern quer durch die Altersschichten mehrere Hundertschaften von SPÖ-Anhängern im Goethehof ein. Der Gedenk-Abend steht unter dem Motto: “Niemals vergessen, Demokratie schützen!”

Die Namen der sozialdemokratischen Opfer der Februarkämpfe werden in Riesenlettern abwechselnd auf die trutzburgartige Außenfassade des Goethehof projiziert.

Rote Familienfeier aus traurigem Anlass

Als Redner sind vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig abwärts Spitzenfunktionäre wie der Chef der Wiener SPÖ-Bildungsorganisation Ernst Woller, der SPÖ-Klubchef und schwergewichtige Donaustädter Bezirksparteichef Josef Taucher sowie – dem anlaufenden Arbeiterkammer-Wahlkampf geschuldet – AK-Chefin Renate Anderl angesagt.

Als Alt-Bundespräsident Heinz Fischer kurz vor Beginn der Gedenkfeier in Begleitung seiner Frau Margit eintrifft, brandet spontan Applaus aus dem Publikum auf. Unter den Ehrengästen finden sich auch Wiens Altbürgermeister Michael Häupl, Nationalratspräsidentin Doris Bures und die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Evelyn Regner.

Der amtierende Parteichef Andreas Babler ist nach einer Februar-Gedenkfeier im oberösterreichischen Steyr noch am Weg in die Donaustadt, “wird aber rechtzeitig zu seiner Rede bei uns sein”, so die Moderatorin des Abends.

Wäre da nicht der bedrückende Anlass und die diesem Anlass entsprechenden Reden, hätte der Abend alle Ingredienzien für eine rote Familienfeier.

Bella Ciao in der roten Trutzburg

Die “Gruppe Morgenrot” hat inzwischen die Partisanen-Hymne “Bella ciao” und Gassenhauer aus dem Arbeiterlieder-Buch der 1. Republik intoniert: “Wir sind das Bauvolk der kommenden Zeit”.

Die ersten Redner des Abends rufen die dramatischen Tage und Stunden in Erinnerung, immer verbunden mit einem kämpferischen “Nie wieder”. In den einen und anderen Beitrag vom Rednerpult werden auch aktuelle Botschaften eingeflochten. Ohne seinen Namen in den Mund zu nehmen, heißt es unter donnerndem Applaus in Richtung des burgenländischen Parteigenossen und Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil:

  • “Nein zu einer Asyl-Obergrenze” (wie jüngst von “Dosko” gefordert) und

  • “Eine Koalition mit der FPÖ ist indiskutabel” (wie jüngst von “Dosko” abseits von Kickl offen gelassen).

Andreas Babler, der sich auch bald ein Jahr nach seiner Parteichef-Kür im Hindernislauf nach wie vor mit heftigen Querschlägern aus den eigenen Reihen, herumschlagen muss, ist hier unwidersprochen willkommen. Er redet sich an diesem Wintertag mit hohen einstelligen Plus-Graden rasch warm. “Wir müssen auch heute alles tun, um dem Faschismus die Stirn zu bieten”, poltert Babler vom Rednerpult: “Nur mit vereinten Kräften können wir die sozialdemokratische Geschichte weiterschreiben.”

Bablers trotzige Botschaft an rote ÖVP-Koalitions-Fans

Babler bringt an dieser Stelle, auch Kickls jüngsten Sager von bereits erstellten “Fahndungslisten” in Politik und Medien ins Spiel. Er platziert in seiner Gedenkrede auch eine Botschaft an die eigenen prominenten roten Kritiker-Reihen. Diese nahmen Bablers jüngste Insulte gegen die Kanzlerpartei (“Verarschung”) und seine strikten roten Linien (“32 Stunden-Woche”, “Millionärssteuern”) als gefährliche Hürden für eine Wiederannäherung zwischen Rot und Schwarz zur Verhinderung eines Kanzler Kickl zuletzt ziemlich unverhohlen ins Visier. “Ich werde mich nicht abhalten lassen, auch in Richtung ÖVP kritische Anmerkungen zu machen”, proklamiert Andreas Babler trotzig aber für seine Verhältnisse etwas kleinlaut.

Ludwig: Schwarzer "Hochverrat"

Das letzte Wort hat auf Wiener SPÖ-Boden auch an diesem Abend Parteichef und Bürgermeister Michael Ludwig. Der in den vergangenen Wochen besonders auf Ausgleich und Abrüstung der Worte gegenüber dem einstigen Achsenpartner in der Großen Koalition bedachte SPÖ-Spitzenmann, greift im historischem Rückblick zu für ihn ungewöhnlich scharfen Vokabeln über einen schwarzen Spitzenmann, dessen Bild jahrzehntelang im ÖVP-Parlamentsklub prominent von der Wand prangte:

“Wir waren auf der richtigen Seite der Geschichte. Engelbert Dollfuss war aber als Kanzler der demokratischen Republik Österreich angelobt. Als er das Parlament auflöste, hat er damit Hochverrat begangen.”

Seltenes rotes Wir-Gefühl

Es hätte wohl nicht der Arbeiterlieder und Wohlfühl-Schlager der “Gruppe Morgenrot” gebraucht, um an diesem Abend ein zuletzt sehr selten gewordenes Wir-Gefühl zwischen der anwesenden SPÖ-Basis und ihren Spitzenfunktionären aufkommen zu lassen.

Im Rückblick auf die dramatischen Vorkriegsjahre und beim gemeinsamen Gedenken rücken Rote aller Lager ohne Wenn und Aber zusammen. 

Michael Ludwig nutzt diese Stimmung, um am Ende seiner Rede auch noch einen Satz anzubringen, der die versammelten Genossen wieder jäh in die Widrigkeiten der Gegenwart katapultiert: “Lieber Andi, Du kannst Dir der Loyalität und der Solidarität der Wiener SPÖ sicher sein.”

Lachender Dritter im Parteichef-Duell zwischen allen Stühlen

Babler wirkt trotz des sicheren Terrains und des verbindenden historischen Anlasses etwas fahrig und weniger mit sich im Reinen als in den Wochen und Monaten des innerparteilichen Wahlkampfs vom scheinbar chancenlosen Außenseiter zum lachenden Dritten in roten Parteichef-Duell. 

Tags darauf wird auch für die breite Öffentlichkeit besonders drastisch sichtbar, warum der Traiskirchner Bürgermeister in seiner neuen Rolle als roter Parteichef noch lange nicht Tritt gefasst hat.

SPÖ-Spitzenleute aus beiden Sekundanten-Lagern sind sich in einem Punkt vollkommen einig: Babler ist mithilfe von Teilen der Wiener SPÖ und einem Gros der Gewerkschafts-Funktionäre auf den Sessel der glücklosen Pamela Rendi-Wagner gehievt worden. Nicht weil alle von der bisherigen politischen Performance der 50jährigen Ex-Juso-Chefs grenzenlos überzeugt gewesen wären, sondern “um Doskozil zu verhindern”.

Vom Hintergrund-Murren zur offenen Schelte

Nun zeigen SPÖ-Granden ihrem Instrument zur Dosko-Verhinderung, dass sie auch weiterhin die Partitur für die Grundmelodie in der SPÖ vorgeben wollen. Nachdem Hinweise und Signale hinter den Kulissen offenbar nicht ausreichend gefruchtet haben, ging mit Josef “Beppo” Muchitsch erstmals auch ein roter Spitzengewerkschafter öffentlich in die Offensive. Als Chef der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) zählt Muchitsch mit ÖGB-Chef Wolfgang Katzian auch in der SPÖ zu den mächtigsten Fädenziehern im Hintergrund. 

Der Steirer Muchitsch gab gegenüber dem Chefredakteur der steirischen “Kleinen Zeitung”, Hubert Patterer, zu Protokoll, was nicht nur Spitzengewerkschafter in der SPÖ an am neuen Parteikurs hinter den Kulissen immer offener bemängeln: Babler sei es zwar “gelungen, die linke Hälfte zu binden", so Muchitsch: "Aber mit ihr ist das große Ziel nicht zu schaffen”.

Mit dem großen Ziel ist gemeint: Mehrheitsfähig für eine Koalition mit der ÖVP (notfalls auch mit den Grünen oder den Neos als Dritten im Bunde) zu werden. 

Muchitsch-Message an Babler: Misch Dich nicht mit 32-Stunden-Woche & Co bei uns ein

Muchitsch sieht als Mahner im Namen vieler Roter: „Der Andi darf nicht als Schreckgespenst der Wirtschaft dastehen“.

Mit dem Wunsch nach einem wirtschaftsfreundlicheren Kurs zielt er auf Bablers Klassenkampfrhetorik, aber auch auf seine roten Linien (“Koalitionsbedingungen”) etwa bei Millionärsteuern. Dem Gewerkschafter besonders ein Dorn im Auge ist zudem Bablers Lieblingssteckenpferd, die 32-Stunden-Woche.

“Neue Parteivorsitzende glauben, sie müssen zu allem und jedem etwas sagen”, sagt ein langjähriger roter Spitzengewerkschafter: “Der Beppo Muchitsch hat dem Andi Babler nun laut und deutlich gesagt: Arbeitszeiten und Lohnverhandlungen sind unsere Sache. Wir haben es als Gewerkschafter in der Sozialpartnerschaft damit oft ohnehin schwer genug. Wir brauchen nicht auch noch jemanden, der uns da von außen dreinredet."

Knappes aber deftiges Resümee: "Das war ein Abstecken der Reviere, mit dem zarten Hinweis: Halt die Pappen”, formuliert der Muchitsch-Kollege deftig.

Wer wird roter Sozialminister: GPA-Teiber oder FSG-Muchitsch?

Dazu kommt, sagt ein roter Parteiinsider: “Muchitsch hat innerhalb der Gewerkschaft mächtig Druck bekommen hat, weil es auch in seinem Milieu der Bau-Holzarbeitergewerkschafter eine große Unzufriedenheit mit dem linken Kurs Bablers gibt”.

Und last but not least, sucht sich der 56jährige FSG-Chef bereits für eine allfällige rote Ministerliste zu positionieren. “Der Beppo sieht sich schon als nächster Sozialminister”, so ein Partei-Insider.

In der SPÖ und der Gewerkschaft pfeifen allerdings längst die Spatzen von den Dächern: Michael Ludwig und Wolfgang Katzian hätten sich bereits auf die 46jährige GPA-Chefin Barbara Teiber für diesen roten Erbposten der Gewerkschaft verständigt. Das wolle und werde Muchitsch aber nicht kampflos hinnehmen.  

Eine Partei, drei widerstreitende Flügel

Just zu den heurigen Gedenktagen an die Februar-Kämpfe 1924 bietet die SPÖ das Bild, sich am Start in ein Super-Wahljahr (EU, Nationalrat, Steiermark) mehr denn je selbst im Weg zu stehen.

Eine Partei, aber drei widerstreitende Flügel, analysiert ein roter Spitzenfunktionär: “Der urbane und eher liberale Flügel rund um die Wiener SPÖ hat Babler zwar unterstützt, kann jetzt aber wenig mit ihm anfangen. Die eher erdigeren roten Länderparteien haben Babler nie unterstützt, sind aber nach dem Rückzug Doskozils zentrumslos. Die Linken, die jetzt mit Babler an der Macht sind, schotten sich in der Parteizentrale total ab.”

Neun Monate nach dem Sprung Bablers an die Parteispitze beschreibt ein roter Parteikenner dessen Lage in der SPÖ nüchtern so: “Der Andi hatte nie und hat auch jetzt keine Hausmacht in der SPÖ. Nicht einmal die Niederösterreicher, wo er seit Jahrzehnten politisch zu Hause war, standen und stehen hinter ihm. Wenn es Babler nicht gelingt, einen Brückenschlag zu Wien, den Gewerkschaften und den Ländern zu finden, dann schaut es für ihn, aber auch für die SPÖ weiterhin düster aus.”

Wahltermin September 2024: Roter Fluch oder Segen

Dass sich nun als Termin für Nationalratswahl endgültig der September 2024 abzeichnet und Babler & Co noch ein halbes Jahr Zeit haben, um sich dafür zu rüsten, sehen nur besondere Optimisten in der SPÖ rundum positiv. “Je mehr Zeit der Andi Babler hat, um unter die Leute zu kommen, desto besser für ihn und die Partei”, sagt ein SPÖ-Präsidiumsmitglied: "Und je näher es zum Wahltermin kommt, desto mehr greift auch wieder die Parteidisziplin.”

Eine Hoffnung, auf die einst auch das in der Wiener SPÖ und Teilen der Gewerkschaft starke Unterstützer-Lager von Pamela Rendi-Wagner setzte – bis zuletzt freilich vergeblich.

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