
Sonja Brandtmayer
©trend/Lukas IlgnerMit der Kampagne „Frau sorgt vor" will die Wiener Städtische Versicherung Frauen dazu motivieren, sich mehr um finanzielle Unabhängigkeit zu bemühen. Vorständin Sonja Brandtmayer erklärt, wieso das so wichtig ist.
trend: „Frau sorgt vor“ heißt die Kampagne, die die Wiener Städtische seit einigen Wochen fährt. Warum glauben Sie, ist eine Kampagne nötig, um Frauen auf das Thema Vorsorge aufmerksam zu machen?
Sonja Brandtmayer: Alleine die Zahl 1.594 Euro brutto sagt viel aus, das ist die Durchschnittspension einer Frau in Österreich. Wir müssen viel mehr Bewusstsein schaffen bei Frauen, dass sie sich mit der eigenen Vorsorge auseinandersetzen. Frauen leisten viel Carearbeit, Frauen verdienen weniger und leben länger – da bleibt die Vorsorge auf der Strecke. Deswegen plädiere ich dafür: Kenne deine Zahlen. Das beinhaltet den täglichen Blick auf das Konto, man muss wissen, welche Fixkosten man hat, und welche Ziele verfolge ich. Geld ist nicht alles, aber es ist ein Werkzeug zur finanziellen Unabhängigkeit.
Die Kampagne fällt in eine Zeit, in der die Arbeitslosigkeit steigt und die Inflation hoch ist. Haben Frauen da überhaupt noch Geld übrig für Vorsorge, auch wenn man bereits bei Investments von 50 Euro ansetzt?
Das stimmt, die sogenannten Brot-und Butter-Themen sind heute wichtiger denn je. Und all das erschwert eine private Vorsorge. Aber Pensionsvorsorge ist kein Luxusgut. Auch Eltern oder Großeltern können ja schon für die Kinder eine Pensionsvorsorge abschließen. Irgendwann muss man sich seiner Pensionslücke stellen, und viele wissen nicht einmal, wie hoch ihr Pensionskontostand ist. Die Pensionslücke ist jedenfalls kein Schicksal, sondern ist veränderbar.
Wissen Sie, wie Ihr Pensionskonto aussieht?
Ich weiß es.
Hat sich die Kampagne schon konkret im Abschluss von Verträgen niedergeschlagen?
Bis sich das in konkreten Zahlen niederschlägt, dauert das natürlich. Aber grundsätzlich sind 50 Prozent unserer Lebensversicherungskunden bereits Frauen, aber Frauen wählen meist die risikoärmere Variante und weniger fondsgebundene Produkte. Aber auch hier zeigt sich: Männer sparen mehr an als Frauen.
Sie bieten eine sogenannte kombinierte Lebensversicherung als Investment an – wie genau funktioniert die?
Man kann einer klassischen Lebensversicherung Fonds oder ETFs beimischen. Bei der Zusammensetzung kann ein Berater unterstützen.
Mit welchen Kosten muss die Anlegerin da rechnen?
Das hängt vom konkret gewählten Produkt ab. Gerade in der Lebensversicherung ist Kostentransparenz ein wesentlicher Faktor. Natürlich entstehen auch Verwaltungskosten.
Das heißt, die ersten paar Jahre des Ansparens werden einmal Kosten getilgt?
Die Lebensversicherung ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf. Natürlich braucht es eine gewisse Zeit, bis man die Kosten herinnen hat.
Jede fünfte Frau in Österreich ab 65 Jahren ist armutsgefährdet. Was sollte abgesehen von Ihrer Kampagne noch passieren, um das zu ändern?
Ein Problem dabei ist sicher die Teilzeitarbeit von Frauen, die auch durch zu wenig Kinderbetreuungseinrichtungen bedingt ist. Den Frauen muss ermöglicht werden, stärker in Vollzeit zu arbeiten.
Welche der drei Säulen des Pensionssystems ist am stärksten reformbedürftig?
Die erste Säule benötigt mit Sicherheit Reformen, jeder vierte Steuereuro fließt in die Pension. 2029 ist es schon fast jeder dritte Euro. Aber es ist natürlich auch wichtig, egal ob in der zweiten oder dritten Säule, den Kapitalmarkt stärker in das Pensionssystem miteinzubeziehen. Man führe sich nur das Beispiel des norwegischen Staatsfonds vor Augen, der der Bevölkerung mit seinen Erträgen massiv hilft, Krisen abzufedern.
Welche Reformen würden Sie bei der gesetzlichen Pension vornehmen?
Ich denke, für das Pensionsalter sollte es einen Unterschied machen, welchen Beruf ich ausübe und welchen Gesundheitszustand ich habe. Aber natürlich muss man sich dem Thema Erhöhung des gesetzlichen und faktischen Pensionsantrittsalters schon stellen. Das System jetzt ist generationenungerecht.
Gerade aus Ihrer Partei, der SPÖ, hört man dennoch immer wieder, die gesetzliche Pension sei sicher. Das sehen Sie differenzierter …
So ist es.
Sehen Sie die Chance, dass sich unter der aktuellen Regierung daran etwas ändert?
Der Druck nimmt zu, auch weil der budgetäre Druck immer größer wird.
An kleineren Reformen wie der Flat Tax für Pensionisten wird jedenfalls gearbeitet. Was halten Sie davon?
Ich halte es für wichtiger, den Kapitalmarkt miteinzubeziehen, dann brauche ich eine Flat Tax vielleicht gar nicht.
Auch der Kapitalmarkt wird von Ihrer Partei nicht gerade gefördert …
In jeder Partei gibt es ein Spektrum von Meinungen. Ich habe einen wirtschaftlichen Hintergrund und sehe Dinge deshalb vielleicht etwas anders. Als Sozialdemokratin sollte man auch wirtschaftlich denken dürfen.
Was erwarten Sie sich von der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Lohntransparenz?
Bei uns in der Wiener Städtischen ist ja der Vorstand zur Hälfte mit Frauen besetzt. In der darunter liegenden Führungsebene ist es ein Drittel und die Mehrzahl unserer Lehrlinge ist bereits weiblich. Im Innendienst haben wir einen Gender-Pay-Gap von vier Prozent. Insgesamt hat Transparenz noch niemandem geschadet.
Befürchten Sie keine Nivellierung der Gehälter nach unten?
Das denke ich nicht, der Arbeitsmarkt wird das schon regeln.
Wie veranlagen Sie Ihr Geld?
Ich bin sehr gut abgesichert, aber nicht erst seit ich bei der Versicherung arbeite. Meine Großmutter, die 1916 geboren wurde und meine Mutter alleine aufziehen musste, hat immer gesagt: „Sonja, du musst darauf achten, dass du immer finanziell unabhängig bist und deine eigenen Entscheidungen treffen kannst.“ Das war in unserer Familie ein Grundprinzip. Deshalb habe ich mein Geld auch breit gestreut: Ich habe eine Pensionsvorsorge, eine Gesundheitsvorsorge, Aktien und Anleihen. Ein Partner ist jedenfalls keine Pensionsvorsorge.
Was ist das größte finanzielle Risiko, das Sie je eingegangen sind?
Ich habe aus Neugier einmal Bitcoin gekauft, aber gemerkt, dass Krypoinvestments nichts für mich sind.
Warum gibt es im Finanzsektor in Österreich nach wie vor wenig Frauen?
Ich habe schon den Eindruck, dass wir auch im Finanzsektor immer mehr Frauen werden. In der Wiener Städtischen ist uns Gleichberechtigung in Fleisch und Blut übergegangen.
Sie haben sich ja, als Sie in der Politik waren, für die Millionärssteuer ausgesprochen. Als Vorständin der Wiener Städtischen sind Sie jetzt jedenfalls wohlhabend. Sind Sie noch für Vermögenssteuern?
Ich kann die Frage nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich der Meinung, dass der Staatshaushalt über mehrere Quellen saniert werden muss. Dazu gehört auch, dass man sich über die Ausgaben und die Einnahmen des Staates Gedanken macht. Man muss die Frage von Vermögenssteuern also im Gesamtkontext des Staatshaushalts sehen.
Zur Person
Sonja Brandtmayer (geb. Stessl), 44, ist seit 2019 im Vorstand der Wiener Städtischen Versicherung, wo sie u. a. für Vertrieb, Landesdirektionen und Marketing zuständig ist. Die Steirerin war von 2013 bis 2016 als Staatssekretärin im Finanzministerium bzw. im Bundeskanzleramt. Sie ist SPÖ-Mitglied und verheiratet.
Der Artikel ist im trend.PREMIUM vom 21. November 2025.
