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Vienna Insurance Group: "Die Nummer-eins-Position ausbauen"

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Führungswechsel in der VIG: Elisabeth Stadler (li) hat mit 1. Juli 2023 den Vorstandsvorsitz der Vienna Insurance Group an Hartwig Löger (re) übergeben.

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HARTWIG LÖGER, der neue CEO der Vienna Insurance Group, und die frühere Vorstandsvorsitzende ELISABETH STADLER im trend. Doppelinterview: Wie der neue VIG-Boss die Versicherung zu mehr Effizienz und Wachstum bringen will. Und auf welchen Erfolgen der Langzeitchefin er aufbauen kann.

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Frau Stadler, die VIG hat im ersten Quartal 2023 ein besonders starkes Ergebnis geliefert, plus zwölf Prozent bei den Prämieneinnahmen, wie ist es dazu gekommen?

Elisabeth Stadler

Ein Teil davon stammt aus unserer Akquisition der Aegon-Gesellschaften in Ungarn und der Türkei. Und natürlich hat auch die Inflation einen Teil dazu beigetragen, da wir zum Beispiel in Österreich Indexanpassungen bei den Verträgen inkludiert haben. In vielen osteuropäischen Ländern haben wir Einjahresverträge, da können die stark gestiegenen Kosten für die Schadenerledigung bei den Prämien mitberücksichtigt werden. Aber auch ohne diese Effekte kommen wir auf ein organisches Wachstum durch das Neugeschäft von acht Prozent. Was uns sehr stolz macht.

Herr Löger, wie werden Sie diesen Erfolg Ihrer Vorgängerin heuer weiterführen?

Hartwig Löger

Es ist natürlich sehr schön, dass es diese positive Dynamik gibt, auf der wir jetzt nahtlos weiter aufbauen können. Wir haben ja schon gemeinsam die "VIG 25"-Strategie entwickelt, und so gesehen ist es wirklich ein nahtloser und fließender Übergang.

Aber werden Sie eine eigene Strategie als CEO der VIG verfolgen?

Hartwig Löger

Der besondere Wert der VIG ist, dass wir uns als Gruppe verstehen. Das heißt, wir bauen auf einem dezentralen Netz unserer eigenverantwortlichen Gesellschaften in schon 30 Ländern auf. Und aus diesem Grund wird die Aufgabe der Holding weiterhin eine sehr stark koordinierende und moderierende Rolle sein. Das ist das Fundament der Strategie. Wir haben aber gleichzeitig heuer auch schon eine Aktualisierung zu den Erwartungen der einzelnen Märkte gelegt. Das heißt, wir haben mit den Verantwortlichen in den einzelnen Ländern für die nächsten Jahre klare Zielsetzungen definiert. Und darüber hinaus haben wir gruppenweite Initiativen, die sehr stark nicht nur auf die Optimierung des operativen Geschäfts abzielen, sondern auch in weiteren Schritten in Themen für die Zukunft gehen – außerhalb der klassischen Versicherungswelt, beispielsweise in Richtung Ökosysteme.

Wir erwarten von der Regierung eindeutige Schritte zur Unterstützung im Bereich der Vorsorge.

Hartwig LögerCEO Vienna Insurance Group

Die VIG hat im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen an einer Mehrmarkenstrategie stets festgehalten. Wird das weiterhin so sein?

Hartwig Löger

Unsere Grundhaltung zur Markenvielfalt wird sich weiterentwickeln. Es wird darauf ankommen, dass Marken stark positioniert sind. Und bei Marken mit einer starken Wirkung werden wir die Markenvielfalt weiterführen können.

Schließt das Österreich auch mit ein?

Hartwig Löger

Wir sehen Österreich als wichtiges Element des Kernmarktes. Wir haben hier zwei Gesellschaften, die Wiener Städtische Versicherung, die ja die Wurzel unserer Gruppe bildet, und die Donau Versicherung, als starke Marken mit einer Eigenpositionierung. Wir sehen hier Chancen einer Kooperation in den Backoffice-Bereichen, aber am Markt sind beide Marken stark und daher eigenständig positioniert.

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VIG-CEO Hartwig Löger: "Es wird notwendig sein, die private Vorsorge zu stärken."

© trend / Lukas Ilgner

Der heimische Markt gilt ja als weitgehend gesättigt. Wo wollen Sie zusätzliches Geschäft erzielen?

Hartwig Löger

Wir sehen in Österreich auch weiterhin Potenzial, vor allem im Bereich der Vorsorge. Wir erwarten da aber auch von der Regierung, dass sie eindeutige Schritte zur Unterstützung setzt. Wir haben eine Versicherungssteuer, die uns im europäischen Vergleich klar benachteiligt. Und es gibt natürlich das Thema der Pflege. Auch hier wird es notwendig sein, die Vorsorge von der privaten Seite her zu stärken. Auch im Bereich der Ökosysteme, die über das Kernprodukt Versicherung hinausgehen, sehe ich noch Wachstumspotential.

Erhalten Sie durch das gestiegene Zinsniveau jetzt noch weiteren Rückenwind?

Hartwig Löger

Gott sei Dank hat die EZB spät, aber doch reagiert und die Zinsen in mehreren Schritten angehoben. Das tut der Lebensversicherung natürlich gut. Wir können mit unseren Neuveranlagungen wieder deutlich mehr erwirtschaften. Und das Produkt Lebensversicherung wird à la longue attraktiver. Auch jüngere Leute werden jetzt wieder vermehrt eine Lebensversicherung als Pensionsvorsorge abschließen.

Das Thema Nachhaltigkeit wird für Kunden wichtiger. Wir werden hier dementsprechend weitere Akzente setzen.

Hartwig LögerCEO Vienna Insurance Group

Für die Vorsorge wird aber auch der Kapitalmarkt immer wichtiger. Herr Löger, Sie haben ja vor Kurzem selbst ein Paket von VIG-Aktien gekauft. Welche Maßnahmen zur Aktionärspflege werden Sie setzen?

Hartwig Löger

Die VIG notiert schon sehr lange an der Wiener Börse (AT0000908504), und Elisabeth Stadler hat stets sichergestellt, dass es für Aktionäre eine kontinuierliche und sichere Dividende gab. Beim Kurs liegen wir heuer auch über dem Schnitt vergleichbarer Indizes. Es gibt also auch hier eine gute Grundlage. Und ich bin überzeugt, dass wir durch die Maßnahmen der internen Wertsteigerungen auch für den Kapitalmarkt eine gute Entwicklung der Aktie über die nächsten Jahre sicherstellen können.

Welche Rolle wird die fondsgebundene Lebensversicherung bei der VIG künftig einnehmen?

Hartwig Löger

Wir sehen, dass bei diesem Produkt immer stärker das Thema Nachhaltigkeit für Kunden wichtiger wird, und wir werden hier dementsprechend weitere Akzente setzen.

Elisabeth Stadler

Frau Stadler, mit welchen von Ihnen gesetzten Digitalisierungsmaßnahmen übergeben Sie die VIG Ihrem Nachfolger?

Elisabeth Stadler

Wir haben sehr früh mit der Digitalisierung begonnen. Wir haben zunächst die internen Verwaltungsprozesse digitalisiert. Wir haben aber auch für den Kunden durch die Digitalisierung vieles verbessert. Bei Versicherungsanträgen wurden beispielsweise die Durchlaufzeiten verkürzt. Die Schadenserledigung wurde deutlich erleichtert. Statt Skizzen macht man nun ein Foto und schickt es an die Versicherung. Es wurden also zum einen bei uns Kosten gesenkt und andererseits für den Kunden gleichzeitig ein Mehrwert geschaffen.

Man muss alles tun, um ein guter und beliebter Arbeitgeber zu sein, um Mitarbeiter zu gewinnen.

Elisabeth StadlerCEO Vienna Insurance Group 2016-2023

Herr Löger, nun ist künstliche Intelligenz das große Thema. Inwieweit hat KI bei der VIG schon Einzug gehalten?

Hartwig Löger

Schon länger. Bei der angesprochenen Schadensregulierung werden bereits KI-Modelle eingesetzt, die zu einer deutlichen Steigerung der Effizienz führen. Aber durch ChatGPT, das Large Language Model, das jetzt in aller Munde ist, wollen wir neue Kontaktlösungen zum Kunden hin entwickeln. Wir haben in der Gruppe sogar bereits ein Produkt, das auf Telematik und KI basiert, entwickelt.

Wie sieht das aus?

Hartwig Löger

In Tschechien hat unsere Gruppengesellschaft Kooperativa einen Telematik-Tarif in der Kfz-Haftpflichtversicherung auf den Markt gebracht. Der Kunde kann mittels einer App auf seinem Mobiltelefon Daten zu seinem Fahrverhalten abrufen. Dahinter läuft ein auf KI basiertes Modell, das dem Kunden die Möglichkeit gibt, seine Fahrweise zu optimieren. Im Sinne der Sicherheit, im Sinne der Ökologie, und der Kunde erhält durch verbessertes Fahrverhalten einen Teil seiner Prämie als "Cashback" gutgeschrieben.

Die VIG hat ihre Digitalisierungskompetenzzentren verstärkt in CEE-Ländern angesiedelt, weil dort die Mitarbeiter leichter zu akquirieren waren. Jetzt hat sich die Arbeitssituation dort aber auch bereits verändert.

Elisabeth Stadler

Das Thema Mitarbeiter beschäftigt uns mittlerweile in allen Ländern. Wir haben es in früheren Jahren geschafft, Mitarbeiter aus CEE nach Österreich zu holen, und sind damit gut gefahren. Jetzt ist es aber so, dass in allen unseren Ländern Mitarbeiter, die wir suchen, beispielsweise im Risikomanagement oder Aktuare, sehr gefragt sind. Man muss alles tun, um ein guter und beliebter Arbeitgeber zu sein, um die Mitarbeiter zu gewinnen.

Hartwig Löger

Es ist natürlich wichtig, nationale und internationale Auszeichnungen zu erhalten, die das Unternehmen als guten Arbeitgeber deklarieren. Es gibt aber auch neue Elemente, die wir in dem Bereich stärken wollen. Wir wollen bewusst dem Netzwerk der Gruppe mehr Bedeutung geben. Wenn beispielsweise unsere polnische Gesellschaft Compensa einen Aktuar sucht, dann wird in der Stellenausschreibung natürlich die Compensa als Arbeitgeber genannt, gleichzeitig wird aber auch die internationale Mitarbeit an Projekten mit allen unseren Gesellschaften angeboten. Das bringt eine enorme Aufwertung der Position.

Wir haben durch die Klimaveränderung mit erhöhtem Schadensaufkommen zu rechnen. Diese extremen Wetterkatastrophen haben auch uns erreicht.

Elisabeth StadlerCEO Vienna Insurance Group 2016-2023

Die Arbeitswelt befindet sich generell in einem starken Wandel. Junge Menschen streben keine Karriere, sondern Work- Life-Balance an. Sie wollen nicht in Büros, sondern remote vom Strand aus arbeiten. Wird für diese neue Generation das Geschäftsmodell einer Versicherung noch passend sein?

Hartwig Löger

Ich bin zweifacher Vater und erlebe es bei meinen eigenen Kindern, dass die Flexibilität sehr gestiegen ist – vor allem was einen remote oder Homeoffice-Arbeitsplatz betrifft. Es war die Pandemie, die uns auch die Chance gegeben hat, zu erkennen, dass mehr Flexibilität bei der Arbeit die Produktivität sogar positiv beeinflussen kann. Denn die jungen Menschen von heute leben und arbeiten zwar anders, haben aber ein großes Engagement, ihren Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.

Elisabeth Stadler

Wie wichtig Flexibilität ist, hat sich besonders bei unseren Gesellschaften in der Ukraine gezeigt. Wir haben dort 1.400 Mitarbeiter. Ein Teil davon ist nach Ausbruch des Krieges nach Österreich, Prag oder Polen geholt worden und sie haben von dort aus remote ihre Arbeit getan. Die meisten sind mittlerweile wieder zurück in die Ukraine. Ich habe große Hochachtung vor den Mitarbeitern in der Ukraine, die in dieser Situation weiterhin eine bestmögliche Kundenbetreuung bieten.

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Elisabeth Stadler: "Wir haben sehr früh mit der Digitalisierung begonnen. Es wurden zum einen bei uns Kosten gesenkt und andererseits für den Kunden ein Mehrwert geschaffen."

© trend / Lukas Ilgner

Ein weiterer großer Trend ist der Klimawandel. Wie wirken sich die immer größeren Schäden durch dramatischer werdende Naturereignisse auf Ihr Geschäft aus?

Elisabeth Stadler

Das hat sich in den vergangenen Jahren schon abgezeichnet. Wir haben durch die Klimaveränderung mit erhöhtem Schadensaufkommen zu rechnen. Wir hatten im Vorjahr einen Tornado in Tschechien. Heuer schon zwei kleinere in Österreich. Derartige Ereignisse kannte man bislang nur aus Amerika. Aber nun haben diese extremen Wetterkatastrophen auch uns erreicht.

Das führt zu Prämienerhöhungen.

Elisabeth Stadler

Wir arbeiten aber auch viel mit Präventionsmaßnahmen. Nur beim Staat ist die Versicherungswirtschaft mit dem Vorschlag einer Art Pflichtversicherung zur Deckung von Naturkatastrophen, die es in anderen Ländern seit Längerem gibt, noch nicht durchgedrungen.

Die Erfahrungen in der Politik waren intensiv genug, dass ich sie nicht noch einmal suchen werde.

Hartwig LögerCEO Vienna Insurance Group

Stichwort Osteuropa: Werden Sie, Herr Löger, in der Region, aus der die Hälfte Ihrer Prämieneinnahmen kommt, neue Akzente setzen?

Hartwig Löger

Wir haben unseren Heimmarkt CEE klar mit 20 Ländern festgelegt. Darüber hinaus haben wir zehn Länder als Spezialmärkte definiert. Der regionale Fokus ist damit eindeutig festgelegt. Wir haben derzeit keine strategischen Überlegungen für eine Erweiterung. Wir haben aber das klare Ziel, die Marktführerschaft mit derzeit 20 Prozent, die wir in der CEE-Region haben, nicht nur abzusichern, sondern weiter auszubauen. Wir wollen also in diesem Gebiet noch stärker wachsen, sowohl organisch oder, wenn es Sinn macht, auch durch Akquisitionen.

Wie sieht es nach dem Erwerb der Aegon-Versicherung mit Ihren weiteren Plänen im Bereich Pensionskassen aus?

Hartwig Löger

Wir haben ja schon im Strategieprogramm "VIG 25" festgehalten, dass Pensionskassen, neben unseren anderen Geschäftsfeldern, ein durchaus dynamisches Element sein sollen. Dabei sind aber in den einzelnen Ländern unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen zu berücksichtigen. Wir haben vor Kurzem eine Pensionskasse in der Slowakei erworben und wir haben Bulgarien als Kompetenzzentrum definiert, da wir dort seit vielen Jahren in diesem Bereich sehr erfolgreich tätig sind. Wir sehen bei Pensionskassen in CEE einiges an Potenzial in den kommenden Jahren.

Frau Stadler, Sie haben all diese Entwicklungen in der VIG seit 2016 mitgestaltet. Werden Sie weiter dem Unternehmen verbunden bleiben?

Elisabeth Stadler

Ich bleibe der VIG weiter verbunden, behalte einige Aufsichtsratsmandate innerhalb der Gruppe, habe auch einige externe Aufsichtsratsmandate, bin Vizepräsidentin des Roten Kreuzes – aber ich freue mich auch sehr aufs Reisen und die Zeit mit meiner Familie.

Herr Löger, Sie waren von Dezember 2017 bis Mai 2019 Finanzminister und danach sogar für einige Tage Bundeskanzler. Wie ist heute Ihr Verhältnis zur Politik?

Hartwig Löger

Ein so unaufgeregtes wie es davor war. Ich war nie Mitglied einer Partei und werde diese Neutralität auch weiterhin pflegen. Aber ich hatte die Chance, als unabhängiger Experte in die Politik zu blicken, und möchte die vielen Erfahrungen nicht missen. Diese Erfahrungen waren aber auch intensiv genug, dass ich sie nicht noch einmal suchen werde.

ZU DEN PERSONEN

  • Elisabeth Stadler, geb. 1961, war bis 2009 in verschiedenen leitenden Funktionen der Uniqa Gruppe tätig. Danach wurde sie Vorstandsvorsitzende der Ergo Versicherung. 2014 wechselte sie als Generaldirektorin zur Donau Versicherung, die zur VIG gehört. Im Jahr 2016 wurde Stadler CEO der VIG. Für ihre Verdienste in der Versicherungsbranche wurde ihr der Berufstitel Professorin verliehen. 2019 erhielt sie das große silberne Ehrenzeichen der Republik. Sie hat ihren Vorstandsvertrag Mitte 2022 aus eigenem Wunsch nicht verlängert. Der Vertrag ist mit 30. Juni 2023 ausgelaufen.

  • Hartwig Löger, geb. 1965, war von 2011 bis 2017 Vorstandsvorsitzender der Uniqa Österreich. Ab Dezember 2017 war er Bundesminister für Finanzen und amtierte ab 22. Mai 2019 für wenige Tage als Bundeskanzler. Danach wurde er Berater, sein erster Großkunde wurde die Vienna Insurance Group. Vom Aufsichtsrat unter Aufsichtsratschef Günter Geyer wurde er ab Jänner 2021 zum Mitglied des VIG-Vorstands bestellt. Im November 2022 wurde er vom Aufsichtsrat zum Nachfolger von Elisabeth Stadler als Vorstandsvorsitzender der VIG ab 1. Juli 2023 bestellt.

Interview aus trend. PREMIUM vom 7.7.2023

InterviewÖsterreichische Unternehmen

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