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Gastkommentar: Wer führt, wenn Maschinen entscheiden?

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Peter Sverak.

©Ernst Kainersdorfer
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Warum erklärbare KI zur neuen CEO-Aufgabe wird.

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Ich habe politische Wahlkämpfe geführt, Kommunikationsabteilungen geleitet und Organisationen in Veränderungssituationen gesteuert. Wer in solchen Kontexten Verantwortung trägt, weiß: Geschwindigkeit ist nicht gleich Strategie. Entscheidungskraft ist mehr als bloß Tempo.

Gerade in Zeiten rapider Transformation braucht es Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen – bevor Systeme es für sie tun. Deshalb beschäftigt mich derzeit eine Frage besonders: Wer führt eigentlich, wenn KI entscheidet?

Künstliche Intelligenz ist nicht bloß ein weiterer Schritt der digitalen Evolution. Sie ist kein Tool unter vielen, sondern ein Systemwechsel. Eine neue Denkweise. Und ein massiver Machtfaktor. Denn KI verändert nicht nur, wie wir arbeiten – sie verändert, wer Entscheidungen trifft. Oder besser gesagt: wer glaubt, sie delegieren zu können.

Viele Führungskräfte verwechseln KI mit Automatisierung. Doch während Automatisierung bestehende Prozesse effizienter macht, stellt KI die Grundlagen dieser Prozesse infrage. Sie erkennt Muster, priorisiert, empfiehlt – und in vielen Bereichen längst: entscheidet. Aber auf welcher Basis eigentlich?

Algorithmen lernen aus Daten. Und Daten sind selten neutral. Sie spiegeln Ungleichgewichte, Vorannahmen und historische Verzerrungen wider. Wer glaubt, Maschinen würden gerechter oder objektiver entscheiden als Menschen, unterschätzt die impliziten Logiken, mit denen sie gefüttert wurden. KI agiert nicht wertfrei – sie agiert wertblind.

Deshalb muss Führung neu gedacht werden. In vielen Unternehmen liegt die Verantwortung für KI bei der IT, in der Produktentwicklung oder in isolierten Innovationsabteilungen. Doch das ist ein strategischer Fehler. Denn KI ist kein technisches Nebenprojekt. Sie ist ein zentrales Führungsthema. Und wer Strategie auslagert, verliert sie. Die Antwort darauf ist nicht Kontrolle durch Mikromanagement – sondern Leadership durch Verstehen und Erklären.

Explainable AI, also erklärbare künstliche Intelligenz, ist kein akademischer Begriff, sondern ein organisatorisches Überlebenskriterium. Nur wer erklären kann, wie Entscheidungen zustande kommen, kann Verantwortung dafür übernehmen. Alles andere ist Führungssimulation.

Und es geht nicht nur um Ethik. Es geht um Vertrauen. Die EU-KI-Verordnung verlangt von Unternehmen, dass sie nachvollziehbar machen können, wie und warum ihre KI-Systeme zu bestimmten Ergebnissen kommen. Wer das nicht kann, riskiert Strafen – und noch mehr: den Verlust von Kundenbindung, Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Organisation.

Denn KI ist längst ein Vertrauenssystem. Und Vertrauen entsteht nicht durch Output allein, sondern durch Transparenz und Nachvollziehbarkeit.

In einer Zeit, in der Deepfakes politische Debatten manipulieren, in der täuschend echte Stimmen und Gesichter plötzlich für falsche Botschaften stehen, wird Glaubwürdigkeit zur Überlebensfrage – nicht nur für Politiker, sondern auch für Unternehmen, Marken und ihre Führungskräfte. Wer heute Verantwortung trägt, muss nicht nur erklären können, wie Entscheidungen getroffen werden, sondern auch glaubhaft darlegen, dass sie tatsächlich aus dem Inneren der Organisation stammen. Echtheit wird zur Führungsressource.

Diese Dynamik ist nicht neu. Technologiegeschichte ist die Geschichte übersehener Wendepunkte. Ein Beispiel, das ebenso schlicht wie eindrucksvoll ist: Vor dem Kühlschrank gab es eine ganze Industrie rund um den Eisblockhandel. Natureis wurde aus Seen geschnitten, in Kellern gelagert und mühsam mit Fuhrwerken in Städte transportiert – ein funktionierendes System, tausendfach erprobt. Doch dann kam der elektrische Kühlschrank. Zunächst belächelt, dann unterschätzt – und binnen weniger Jahre: eine existenzielle Bedrohung. Nicht, weil das Alte schlecht war. Sondern weil das Neue überlegener war.

KI ist der Kühlschrank unserer Zeit. Und viele Unternehmen agieren noch, als müssten sie bloß effizientere Eisblöcke liefern. Doch heute geht es nicht nur um Marktanteile. Es geht um Vertrauen, Legitimation – und um Verantwortung.

Die zentrale Frage ist nicht: Wie setzen wir KI ein? Sondern: Wer steht dafür ein, wenn sie falsch entscheidet? Und auch: Wer trägt die Verantwortung, wenn sie richtig entscheidet – aber niemand mehr weiß, warum?

Diese Verantwortung liegt an der Spitze. CEOs sind heute nicht mehr bloß operative Steuermänner. Sie sind architektonische Navigatoren. Sie müssen Systeme nicht nur einführen – sondern verstehen, vertreten und erklären. Wer sich hinter Technik oder Fachabteilungen versteckt, verliert nicht nur Einfluss – sondern auch den Anspruch auf Führung.

Ich habe in der Politik gelernt: Wer nicht selbst erklärt, was er tut, wird von anderen erklärt. Und meist nicht zu seinem Vorteil. In der Wirtschaft ist es genauso. Wer führt, muss erklären können – gerade, wenn Maschinen mitentscheiden. Leadership heute heißt nicht, die perfekte Antwort zu geben. Sondern die Verantwortung zu tragen, wenn es keine einfache Antwort mehr gibt.

Über den Autor

Peter Sverak war bis Mai 2025 Landesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter der Wiener Volkspartei. Zuvor gründete und leitete er eine Kommunikationsagentur und war als politischer Stratege und Organisationsentwickler tätig. Derzeit befindet er sich im beruflichen Wandel – mit Fokus auf Leadership, Strategie und digitale Transformation in Zeiten disruptiver Umbrüche.

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