
Warum die Atemwegsinfektion für Babys so gefährlich ist und wie eine neue Schutzmaßnahme schwere Erkrankungen verhindert.
Leichter Husten, ein bisschen Fieber – das ist harmlos, denken viele. Doch hinter scheinbar gewöhnlichen Erkältungssymptomen kann sich ein Virus verbergen, das bei Säuglingen schnell lebensbedrohlich wird: das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RSV. Es zählt neben Influenza und Rhinoviren zu den häufigsten Erregern von Atemwegserkrankungen und sorgt jedes Jahr zwischen Herbst und Frühjahr für überfüllte Kinderabteilungen in ganz Österreich.
Fast alle Kinder infizieren sich in ihren ersten beiden Lebensjahren zumindest einmal mit RSV. Für die meisten verläuft die Erkrankung mild. Doch bei den Jüngsten, insbesondere in den ersten Lebensmonaten, kann das Virus dramatische Folgen haben. Weil ihre Atemwege noch extrem eng sind, kann eine Infektion rasch zu einer schweren Entzündung der Bronchien oder gar zu einer Lungenentzündung führen. Atemnot, Trinkschwäche und Krankenhausaufenthalt sind dann keine Seltenheit. „In Spitzenzeiten liegen Hunderte Kinder gleichzeitig mit RSV im Spital“, sagt Reinhold Kerbl, Primararzt der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am LKH Hochsteiermark in Leoben.
In der vergangenen Saison mussten laut Gesundheitsministerium mehr als 1.200 Kinder im Alter von null bis vier Jahren wegen RSV stationär behandelt werden, 42 davon auf der Intensivstation. Besonders alarmierend: Rund 80 Prozent dieser Kinder waren bis dahin völlig gesund und reif geboren. RSV betrifft also längst nicht nur Frühgeborene oder Risikokinder: Jedes Baby kann erkranken.
Mit Beginn der RSV-Saison 2024/25 wurde in Österreich erstmals eine für Eltern kostenfreie Schutzmaßnahme gegen schwere RSV-Verläufe eingeführt. Sie basiert auf einem monoklonalen Antikörper, der Neugeborenen direkt nach der Geburt oder zu Beginn der Wintersaison verabreicht wird. Anders als bei klassischen Impfungen müssen die Kinder keine eigenen Antikörper bilden, sie erhalten den Schutz bereits fix und fertig. Eine einzige Dosis reicht aus, um Babys für fünf bis sechs Monate, also über die gesamte RSV-Saison zu schützen.
Was nach einem kleinen Schritt klingt, ist in Wahrheit ein großer Durchbruch. In Ländern wie Frankreich, Spanien oder den USA, die den Schutz bereits flächendeckend eingeführt haben, sind die Spitalsaufenthalte wegen RSV deutlich zurückgegangen. Studien zeigen eine Wirksamkeit von rund 80 Prozent. Für Österreich bedeutet das: Bis zu 1.000 Krankenhauseinweisungen pro Jahr könnten künftig verhindert werden.
Neben der unmittelbaren Gesundheitsgefahr spielt auch die emotionale Dimension eine große Rolle. „Wenn ein Baby plötzlich nicht mehr richtig atmet und ins Krankenhaus muss, ist das für Eltern eine Extremsituation“, sagt die Hebamme Marianne Mayer. Hinzu kommt die Belastung für das Gesundheitssystem: Wenn RSV-, Grippe- und Corona-Fälle gleichzeitig auftreten, geraten Kinderabteilungen schnell an ihre Grenzen. Die Immunisierung entlastet daher nicht nur Familien, sondern auch das medizinische Personal.
Trotz der hohen Wirksamkeit hängt der Erfolg der Maßnahme entscheidend von der Akzeptanz ab. Hebammen und Kinderärzte übernehmen dabei eine Schlüsselrolle: Sie sind die ersten Ansprechpartner für Eltern und klären über Risiken und Möglichkeiten auf. Für viele Familien bedeutet der neue Schutz vor allem eines: mehr Sicherheit in einer besonders sensiblen Lebensphase.
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„Ein kleiner Stich mit großer Wirkung“
Hebamme Marianne Mayer über die Sorgen junger Eltern, den richtigen Umgang mit RSV und warum Vertrauen entscheidend ist.


Marianne Mayer ist seit 2004 als Hebamme tätig. Neben ihrer praktischen Arbeit absolvierte sie das Studium Medizinrecht an der Donau-Universität Krems und studiert derzeit Gesundheitsmanagement an der WU Wien. Seit 2015 ist sie Vorstandsmitglied des Österreichischen Hebammengremiums (ÖHG) und leitet die Landesgeschäftsstelle Wien.
© Sabine StarmayrTREND: Wie oft begegnet Ihnen das Thema RSV in Ihrer Arbeit mit jungen Eltern?
Marianne Mayer: Viele Eltern hören den Begriff RSV zum ersten Mal, wenn sie ein Baby bekommen. Sobald das Thema in den Medien oder im Umfeld auftaucht, wächst aber die Verunsicherung: Was, wenn mein Kind betroffen ist? Seit die neue Schutzmaßnahme eingeführt wurde, ist das Bewusstsein deutlich gestiegen. Eltern fragen häufiger nach, und wir können viel früher aufklären und beruhigen. Für sehr wichtig halte ich die Aufklärung bereits in der Schwangerschaft. Dafür ist die Hebammenberatung im Eltern-Kind-Pass optimal.
Stimmt es, dass nur Frühchen gefährdet sind?
Das höre ich sehr oft – und es stimmt so nicht. Auch völlig gesunde Babys können schwer erkranken, einfach weil ihre Atemwege noch so eng sind. Eine RSV-Infektion kann sehr schnell zu Atemnot führen, selbst wenn das Kind zuvor völlig unauffällig war. Der Schutz ist deshalb für alle Kinder wichtig, nicht nur für Risikogruppen.
Wie sprechen Sie mit Eltern über diese Risiken?
Ich versuche, ruhig zu bleiben und Sicherheit zu vermitteln. Panik hilft niemandem. Wichtig ist, dass Eltern wissen, worauf sie achten müssen und dass sie im Zweifel lieber einmal mehr als einmal zu wenig zum Arzt gehen. Wenn sich das Atemmuster verändert, das Baby pfeifend atmet oder bläulich um den Mund wird, ist das ein Warnsignal. Eltern kennen ihr Kind am besten und spüren instinktiv, wenn etwas nicht stimmt. Genau da beginnt Prävention.
Wie erleben Sie die Situation, wenn ein Kind tatsächlich schwer erkrankt?
Das ist immer eine Extremsituation. Wenn ein Baby plötzlich nicht mehr richtig atmet oder ins Krankenhaus muss, bricht für die Eltern eine Welt zusammen. Es geht um die ersten Wochen nach der Geburt – eine Zeit, in der ohnehin alles neu und emotional ist. Wenn dann noch eine Trennung dazukommt, weil das Kind stationär aufgenommen wird, ist das sehr belastend. In solchen Momenten hilft nur Vertrauen: in die Ärzte, in das System, aber auch in sich selbst.
Wie stark spüren Sie die Belastung im Gesundheitswesen während der RSV-Saison?
Hebammen bekommen das vor allem indirekt mit – durch Kolleginnen und Kinderärzte, mit denen sie zusammenarbeiten. In den Wintermonaten ist der Druck enorm: volle Ambulanzen, lange Wartezeiten, überlastete Stationen. Viele Kinderärzte erzählen, dass sie an ihre Grenzen kommen. Umso wichtiger ist es, dass wir Hebammen in dieser Zeit aufmerksam sind und früh erkennen, wenn ein Baby auffällig ist. Das entlastet auch das System.
Seit Kurzem gibt es die kostenlose Immunisierung für Säuglinge. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Ich finde das großartig. Für viele Familien ist es eine enorme Erleichterung, zu wissen, dass ihr Baby über den Winter geschützt ist. Zu sehen, wie viel Angst das nimmt, ist sehr schön. Natürlich wird es weiterhin Infekte geben, aber entscheidend ist: Kinder müssen nicht mehr so oft ins Krankenhaus. Und auch wir im Gesundheitswesen spüren, dass diese Maßnahme einen Unterschied macht.
Was wünschen Sie sich von Eltern, wenn Sie an die kommende Saison denken?
Ich wünsche mir vor allem einmal, dass sie viel Vertrauen haben – in die Medizin, aber auch in sich selbst. Eltern sind aufmerksamer, als sie glauben. Wenn sie rechtzeitig reagieren und sich beraten lassen, können sie viel verhindern. Und ich wünsche mir, dass sie offen bleiben für die Unterstützung, die ihnen angeboten wird. Wir alle – Ärztinnen, Hebammen, Pflegekräfte – wollen nur, dass Babys gut durch ihren ersten Winter kommen. Es ist ein kleiner Stich mit großer Wirkung.
„Wir können bis zu 1.000 Spitalsaufnahmen pro Jahr verhindern“
Reinhold Kerbl, Primararzt in der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am LKH Hochsteiermark, über RSV, die Belastung der Kinderstationen und die neue Schutzmaßnahme für alle Säuglinge.


Reinhold Kerbl ist Vorstand der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am LKH Hochsteiermark in Leoben. Er ist seit 2017 Generalsekretär der Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde. Für seine wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Verdienste wurde er mehrfach ausgezeichnet.
© C. CugowskiTREND: Die RSV-Saison steht wieder bevor. Warum betrifft das Virus alle Säuglinge und nicht nur Risikokinder?
Reinhold Kerbl: RSV ist ein Virus, das Atemwegsinfektionen verursacht. Ähnlich wie Influenza oder andere Erreger, die in der kalten Jahreszeit vermehrt auftreten. Es kann grundsätzlich jeden Säugling betreffen, weil es sehr ansteckend ist. Eine Ansteckung ist praktisch überall möglich – im Supermarkt, im Bus oder in Gemeinschaftseinrichtungen. Je jünger ein Kind ist, desto schwerer kann der Verlauf sein. Deshalb raten wir schon seit langem vom sogenannten „Säuglingstourismus“ in der Winterzeit ab, um die Gefahr einer Ansteckung zu verringern. Ganz vermeiden lässt sie sich aber natürlich nicht.
Welche Symptome treten bei einer RSV-Infektion auf, und wann sollten Eltern ärztliche Hilfe suchen?
Die Beschwerden sind je nach Alter unterschiedlich. Bei älteren Kindern oder Erwachsenen verläuft RSV meist harmlos, oft nur mit Husten oder Schnupfen. Neugeborene und Säuglinge können dagegen sehr schwer erkranken. Das Virus befällt die Atemwege: also Nase, Rachen, Luftröhre und schließlich die Lunge. Besonders betroffen sind die kleinsten Bronchien, die sogenannten Bronchiolen. Da diese keinen Knorpel haben, schwellen sie leicht zu, und die Kinder bekommen schlecht Luft. Das Ausatmen ist das größere Problem, sie können die Luft nicht mehr richtig herausbringen. Wir sprechen dann von einer obstruktiven Bronchitis oder Bronchiolitis. Eltern sollten aufmerksam werden, wenn sich das Atemmuster verändert oder das Kind schlecht trinkt. Wenn Brustkorb und Bauch sich beim Atmen stark bewegen oder Atempausen auftreten, ist das ein Alarmzeichen. Eine RSV-Infektion kann innerhalb weniger Stunden von einem leichten Infekt zu einer schweren Erkrankung werden.
Wie stark werden Kinderstationen in Österreich durch RSV belastet?
In den zwei Jahren nach Corona war die Belastung besonders groß. Zur Gipfelzeit waren österreichweit rund 650 Betten mit Atemwegsinfektionen belegt – das ist etwa ein Drittel aller pädiatrischen Betten. Rund die Hälfte davon entfiel auf RSV. Das bedeutet, dass in Spitzenzeiten mehr als 300 Kinder gleichzeitig wegen RSV im Spital lagen. Damals gab es noch keinen länger wirksamen Schutz. Wir wissen heute, dass sich durch die Immunisierung zwischen 600 und 1.000 Spitalsaufnahmen pro Jahr verhindern lassen.
Wie sieht die Behandlung aus, wenn Kinder ins Krankenhaus müssen?
Nicht alle müssen beatmet werden. Die Therapie hängt vom Schweregrad ab. Leichte Fälle werden symptomatisch behandelt – mit Flüssigkeit, Nasentropfen und Beobachtung. Bei schwereren Verläufen kommt eine Atemunterstützung zum Einsatz, etwa die sogenannte High-Flow-Therapie, bei der zusätzlicher Sauerstoff über die Nase mit leichtem Überdruck verabreicht wird. Nur wenige Kinder müssen tatsächlich intubiert und beatmet werden. Der Aufenthalt auf der Intensivstation dauert dann meist zwischen fünf und zehn Tagen.
Eltern können wirklich beruhigt sein. Es ist eine sichere Maßnahme, die viele schwere Verläufe verhindern kann.
Wie funktioniert die neue Schutzmaßnahme, die seit Kurzem verfügbar ist?
Es handelt sich nicht um eine klassische Impfung. Bei Impfungen bildet der Körper selbst Antikörper. Hier verabreicht man den Antikörper direkt, der Schutz ist also sofort vorhanden. Der Antikörper bindet an die Oberfläche des Virus und verhindert, dass RSV an die Zellen der Atemwege andocken kann. So kann keine Infektion entstehen. Der große Vorteil: Die Wirkung hält fünf bis sechs Monate an. Früher mussten Frühgeborene alle vier Wochen nachimmunisiert werden, jetzt reicht eine einmalige Gabe zu Beginn der Saison.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Verabreichung?
Sinnvoll ist sie zu Beginn der Saison, also im November. Wenn ich den Antikörper etwa im Mai gebe, macht das wenig Sinn, weil dann keine RSV-Zirkulation herrscht und der Schutz im Winter wieder abfällt. Für Babys, die während der Saison geboren werden, erfolgt die Immunisierung gleich nach der Geburt. So sind alle Kinder während ihrer ersten RSV-Saison geschützt.
Ist diese Maßnahme für alle Säuglinge vorgesehen oder nur für Risikokinder?
Sie ist für alle gedacht und das ist auch gut so. Frühgeborene sind besonders gefährdet, aber auch gesunde, reif geborene Kinder können schwer erkranken. Deshalb sollte jedes Baby in der ersten Wintersaison geschützt werden.
Wie wirksam ist der Antikörper laut Studien?
Es gibt inzwischen viele sehr gute Studien, auch Metaanalysen, die alle ein ähnliches Bild zeigen: Die Wirksamkeit liegt bei rund 80 Prozent. Das heißt, etwa 80 Prozent der Infektionen beziehungsweise Spitalsaufnahmen können verhindert werden. Das ist ein sehr hoher Wert, vergleichbar mit anderen etablierten Schutzmaßnahmen.
Wie wichtig ist Aufklärung, damit Eltern und Geburtskliniken den neuen Schutz auch nutzen?
Diese Aufklärungsarbeit läuft bereits. Ab Oktober soll der Schutz verabreicht werden – entweder direkt in den Geburtskliniken oder in den Kinderarztpraxen. Kinder, die nicht während der Saison geboren werden, erhalten die Immunisierung beim niedergelassenen Kinderarzt. Die Beteiligung war schon im ersten Jahr sehr hoch, in manchen Regionen über 80 Prozent. Wenn Eltern verstehen, welchen Unterschied das macht, wird das Angebot sehr gut angenommen.
Was würden Sie Eltern und der Politik mit auf den Weg geben?
Die Gesundheitspolitik hat im ersten Jahr etwas spät reagiert, dann aber rasch gehandelt, sodass ab Mitte Dezember geimpft werden konnte. Für die aktuelle Saison ist alles rechtzeitig bestellt, und es steht genügend Impfstoff zur Verfügung. Mein einziger zusätzlicher Wunsch betrifft die Dokumentation: Die Immunisierung sollte im elektronischen Impfpass erfasst werden, was derzeit noch schwierig ist, weil Neugeborene meist noch keine Sozialversicherungsnummer haben. Und an die Eltern gerichtet: Lassen Sie diesen Schutz geben. Wir wissen aus der letzten Saison, dass der Antikörper sehr gut verträglich ist und kaum Nebenwirkungen hat. Eltern können wirklich beruhigt sein: es ist eine sichere Maßnahme, die viele schwere Verläufe verhindern kann.