
Als langjähriger Chefjurist von Bawag und Bank Austria hat Alexander Schall einige der spektakulärsten Bankprozesse des Landes ausgefochten. Nun startet er als Psychotherapeut neu durch.
So etwas nennt man wohl einen Gamechanger. Als Alexander Schall 40 Jahre alt war, ergab es sich, dass er mit der mittlerweile 98-jährigen bekannten Psychoanalytikerin Erika Freeman abendessen war. „Nach wenigen Minuten wusste sie nahezu alles über meine Eltern und meine Beziehung zu ihnen“, erzählt Schall. „Das hat mich so fasziniert, dass ich das auch lernen wollte.“
Gesagt, getan. Also begann der promovierte Jurist und Handelswissenschaftler, der damals als General Counsel bei der Bawag tätig war, ein weiteres Studium, jenes der Psychotherapie. 2017, immer noch als oberster Unternehmensjurist in der Bawag, schloss Schall Studium Nummer drei ab und schmiss seine mehr als 20 Jahre andauernde Bankkarriere hin. Der Zeitpunkt war für die Bawag damals nicht gerade optimal, schließlich stand sie kurz vor dem Börsengang und steckte darüber hinaus mitten in einer der größten Wirtschaftsstreitigkeiten, die Österreich je gesehen hatte: jener zwischen der Stadt Linz und der Bawag um mehr als 400 Millionen Euro, in der es um die Klärung der Frage ging, ob Swapgeschäfte zwischen den Streitparteien korrekt zustande gekommen waren.
Der Rückfall.
All das konnte Schall aber nicht von seinem Weg abbringen, es Freeman gleichtun zu wollen. Also absolvierte er ein Praktikum an der Psychiatrie in Eisenstadt. Doch es sollte alles anders kommen, denn der damalige Bank-Austria-Chef Robert Zadrazil bekniete Schall inständigst, seine Pläne doch noch einmal zu überdenken und als General Counsel in die Bank Austria zu wechseln. „Ich habe ein Angebot bekommen, das man schwer ablehnen konnte“, erinnert sich der Jurist. „Eigentlich wollte ich nur drei Jahre in der Bank bleiben, aber dann kam immer irgendetwas dazwischen, und so wurden aus drei Jahren schließlich acht.“ Ein Ereignis, das dazwischenkam, war der Rechtsstreit zwischen der zur italienischen UniCredit gehörenden Bank Austria und der 3-Banken-Gruppe. Auch dies war ähnlich wie der Prozess zwischen Linz und der Bawag ein über Jahre dauernder epochaler Streit, der viele Gerichte und mehrere Instanzen beschäftigte. Und wieder einmal mittendrin: Alexander Schall. „Heute glaube ich, die Verfahren uferten so aus, weil der Grundsatz „audiatur et altera pars“ (auch der andere muss gehört werden, Anm.) nicht genügend befolgt wurde“, meint der frühere Rechtsabteilungsleiter. „Jeder bezieht seine Position, und man kann den Gap dazwischen nicht mehr füllen“, analysiert der Psychotherapeut heute.
Wenn der Karren bereits verfahren ist, komme ich ins Spiel, um eine Lösung im Streit zu finden.
Während die Causa Stadt Linz gegen Bawag erst nach elf Jahren ohne Beisein von Schall mit einem für die Stadt sehr vorteilhaften Vergleich endete, kam es im Fall Bank Austria gegen die 3 Banken nach immerhin fünf Jahren und viel verbrannter Erde schließlich zu einem Waffenstillstand. Dazu äußern will sich Schall heute nicht. Beobachter der Verfahren halten den General Counsel aber jedenfalls für nicht ganz unschuldig daran, dass die Prozesse so lange dauerten und so gnadenlos geführt wurden. Vor allem in der 3-Banken-Causa soll sich Schall „verstiegen“ haben, weil er noch eine offene Rechnung mit Oberbank-Chef Franz Gasselsberger, seinem früheren Chef, hatte, wie rumort wird.
Das Ende, II.
Überhaupt habe Schall neben seiner sehr empathischen Seite auch eine „beinharte“, bescheinigen ihm Wegbegleiter. Generell sei er aber ein guter Manager und ein guter Rechtsabteilungsleiter gewesen. Doch diese Zeiten sind seit wenigen Wochen nun endgültig vorbei, denn nach acht Jahren in der Bank Austria ist Schall doch wieder zu seiner wahren Liebe, der Psychotherapie zurückgekehrt. „Ich habe schließlich den Entschluss gefasst, das zu machen, was mich wirklich erfüllt“, sagt er. Also waren die Jahre als Chefjurist in den Banken nicht erfüllend? „Doch!“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Ich habe sehr gerne mit Menschen und Organisationen zusammengearbeitet und war gerne Führungskraft. Ich habe außerdem verstanden, wie die Wirtschaft und die Banken funktionieren“, erläutert Schall. Das soll ihm in seinem neuen Tätigkeitsbereich nun auch zugutekommen. Denn neben der klassischen psychotherapeutischen Arbeit mit Patienten bietet der „Jungunternehmer“ seine Dienste auch anderen Unternehmern oder Gesellschaftern an.
Zweiter Neubeginn.
Mit besserstreiten.at will der 58-Jährige nun bei wirtschaftlichen Streitigkeiten unterstützen, etwa in Familienunternehmen oder zwischen Gesellschaftern. „Ich möchte dabei helfen, verborgene Aspekte eines Konflikts aufzudecken“, erläutert Schall, der vor Kurzem seine kleine Praxis im Hochhaus Herrengasse im ersten Wiener Gemeindebezirk bezogen hat. „Dabei möchte ich mich juristisch aber nicht einmischen, dennoch ist es hilfreich, dass ich den juristischen Teil verstehe.“ Das unterscheide ihn auch von „normalen“ Mediatoren, denen das juristische und wirtschaftliche Verständnis oft fehle, so Schall.
Seine Hauptansprechpartner sollen Wirtschaftsanwälte, aber auch Litigation-PR-Berater sein. „Der Bedarf dafür ist auf jeden Fall vorhanden, vor allem wenn ich an die Erbengeneration in Stiftungen denke“, ist Wirtschaftsanwalt Markus Fellner überzeugt, der in der Vergangenheit bereits häufig mit Schall Seite an Seite gekämpft hat. Sollte der Neubeginn glücken, will Schall seine Praxis noch breiter aufstellen: Gemeinsam mit einem Psychotherapeuten aus Berlin will er Unternehmen systemische Organisationsberatung anbieten, sprich, die Kultur von Unternehmen durchleuchten und gegebenenfalls verbessern.
Streiten ist aktuell sehr en vogue, wie der Neo-Firmengründer bestätigt, weshalb seine Praxis gerade zur rechten Zeit kommen könnte. „Ich weiß aber nicht, ob das an den wirtschaftlich schwierigen Zeiten liegt oder ob sich die Gesellschaft an sich verändert.“ Denn früher, so Schall, als er ins Berufsleben startete, hätte es in den großen Wirtschaftskanzleien anders als heute kaum Streitanwälte gegeben. „Früher wurde alles ausverhandelt. Jetzt ist der Druck auf viele so groß, dass jeder sagt: Im Zweifel möchte ich lieber ein Urteil haben.“ Vor allem der Druck auf die Manager nehme zu, das Damoklesschwert des Untreuevorwurfs und der Haftung hänge ständig über ihnen.
Zweifeln erlaubt.
Auch wenn das Betätigungsfeld für Schall tatsächlich ein breites sein dürfte, plagen ihn zu Beginn seiner neuen Tätigkeit dennoch manche Sorgen. „Ob es mir gelingt, meine Geschäftsidee umzusetzen, kann ich noch nicht sagen, denn Anwälte lassen sich in der Regel nicht gerne von Dritten beraten“, weiß er. Einer der größten Unterschiede zu früher sei, wie er gegenüber seinem Geldgeber auftritt. „Als Unternehmensjurist darfst du nicht zweifeln, es wird eine Entscheidung erwartet. Als Psychoanalytiker macht man etwas falsch, wenn man zu bestimmt ist.“ Auch finanziell bringt der neue Job Veränderungen mit sich. „Wenn sich mein bisheriger Lebensstil nicht ausgehen sollte, wäre das zwar schade, aber ich möchte das tun, was mir guttut“, sagt Schall bestimmt. Eine neuerliche Rückkehr in eine Bank schließt der Vater zweier Kinder jedenfalls aus. „Ich hatte ja bereits einen Rückfall. Damals habe ich zu abrupt gehandelt. Heute aber weiß ich, was auf mich in der Psychotherapie zukommt. Die Rückkehr in eine Bank ist keine Option mehr“, sagt Schall.


Der Liedermacher Schall tritt zuweilen mit seiner Musik in Clubs auf. „Auf der Bühne kann ich meine kreative Seite ausleben“, sagt er.
Der Bühnenstar.
Allerdings muss er sich in sein neues Arbeitsumfeld auf knapp 30 Quadratmetern mit großer Couch und kleiner Kochnische erst eingrooven, wie er freimütig zugibt. „Als Unternehmensjurist hatte ich eine Bühne, auch wenn ich nicht immer vor dem Vorhang war. Das ist wahrscheinlich der größte Unterschied zu jetzt, wo ich im stillen Kämmerlein vor mich hinarbeite.“
Doch auch dafür scheint Schall bereits eine Lösung gefunden zu haben, denn er ist nicht nur Handelswissenschaftler, Jurist, Psychotherapeut und Vater, sondern seit einigen Jahren auch Liedermacher. „Ich schreibe Songs und trete damit auch immer wieder auf“, erzählt der Tausendsassa mit leuchtenden Augen. Er singt dann mit der Gitarre in der Hand – oft düstere – Lieder in deutscher Sprache. Auch wenn er keine weitere Karriere als Musiker anstrebt, Spaß macht es ihm: „Ich lebe hier meine kreative Seite aus.“ Diese kann er darüber hinaus auch beim Schreiben – 2023 kam sein Buch „Das Unbewusste im Rechtsstreit“ heraus – und beim Unterrichten ausleben, denn er ist auch als Lektor an der Sigmund Freud Universität und an der Universität Wien tätig.
Würde Schall etwas in seinem Leben anders machen, wenn er noch einmal von vorne anfangen könnte, vielleicht früher in die Psychotherapie einsteigen? „Ich glaube, ich würde an meinem Leben nicht viel ändern“, sagt er und lächelt zufrieden.
ZUR PERSON.
ALEXANDER SCHALL, 58, war jeweils sieben Jahre in der Creditanstalt, der Oberbank, der Bawag und zuletzt acht Jahre als General Counsel in der Bank Austria tätig. Der Jurist und ausgebildete Psychoanalytiker hat sich kürzlich mit besserstreiten.at selbstständig gemacht, wo er Unternehmen bei der Konfliktlösung unterstützen will.