
Kommentar. Katharina Körber-Risak ortet einen Systembruch: Arbeitnehmerähnliche freie Dienstnehmer, wie sie etwa bei Essenszustellern verbreitet sind, sollen künftig in den Anwendungsbereich von Kollektivverträgen aufgenommen werden.
Das Arbeitsverfassungsgesetz gilt als Filetstück im Arbeitsrecht. Fein tariert es die überbetrieblichen und betrieblichen Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus und wird, obwohl in die Jahre gekommen, ganz selten novelliert. Umso bemerkenswerter ist, dass die neue Regierung genau das jetzt plant.
Bis dato gibt es eine eherne Trennung zwischen echten Arbeitsverträgen und anderen Vertragsverhältnissen. Freie Dienstnehmer, auch wenn sie „arbeitnehmerähnlich", d. h. wirtschaftlich ähnlich abhängig von ihrem Auftraggeber sind wie ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber, sind gerade nicht von Kollektivverträgen umfasst.
Solche Vertragsverhältnisse haben in den letzten Jahrzehnten zugenommen, nicht zuletzt durch die sogenannte „Plattformarbeit". Ohne große Voraussetzungen kann man bei einer Plattform wie Uber anheuern und bekommt über diese Aufträge. Dabei sind verschiedene Vertragsgestaltungen möglich. Der Essenszusteller Lieferando hatte bis vor Kurzem seine „Rider" als echte Arbeitnehmer beschäftigt. Sie kamen in den Genuss eines Mindestlohns samt Sonderzahlungen, bezahltem Urlaub, Krankenstand etc. Konkurrentin Foodora hingegen bietet ausschließlich freie Dienstverträge ohne diese Benefits. Man mag das als ungerecht empfinden - aber es ist zulässig. Einen „Zwang" zum echten Dienstverhältnis kennt unser Gesetz nicht. Freilich werden über die Frage, ob wirklich freie Dienstverträge vorliegen oder in Wahrheit doch ein echter Arbeitsvertrag besteht, zahlreiche Gerichtsverfahren geführt, zumal das Gesetz bislang vage bleibt.
Nunmehr hat Lieferando alle seine „Rider" gekündigt und bietet -über eine neu gegründete Gesellschaft - nur noch freie Dienstverträge an. Auf die Lohnkosten könnte sich das mittelfristig günstig auswirken.
Und nun kommt's: Bis vor Kurzem hätte die Gewerkschaft - ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechend -gemeinsam mit der Arbeiterkammer alle juristischen Register gegen die Vorgehensweise von Lieferando gezogen. Nun gibt es für die Gewerkschaft aber einen „Shortcut" - der Kampf gegen Lieferando wird auf die politische Ebene getragen. Es trifft sich gut, dass sich im Regierungsübereinkommen unter der Überschrift „Rechtssicherheit" die kryptische Formulierung „Möglichkeit der Anwendung von Kollektivverträgen auch für arbeitnehmerähnliche Personen" findet.
Nach einem noch internen Gesetzesentwurf soll das altehrwürdige Arbeitsverfassungsgesetz nunmehr wirklich strukturell ausgeweitet werden. Kollektivverträge sollen in Zukunft Mindestarbeitsbedingungen auch für selbstständige freie Dienstnehmer, die wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit arbeitnehmerähnlich sind, regeln können. Damit werden nicht automatisch alle bestehenden Kollektivverträge plötzlich auf sie anwendbar. Erst mal müssen sich die KV-Parteien auf neue Regelungen einigen. Wenn dieser Damm dann aber gebrochen ist, wird es wohl gerade für die Plattformwirtschaft, aber zum Beispiel auch für Medien und andere Branchen, in denen solche Arbeitsverhältnisse eine große Rolle spielen, wirtschaftlich spannend.
Die Lex Lieferando ist eher ein interessenpolitisch motivierter Schnellschuss. Juristisch stellt sich die Frage, wer überhaupt auf Arbeitnehmerseite für diese Personengruppe Kollektivverträge verhandeln kann und ob es noch sehr viel Sinn macht, wenn Personen einerseits steuerrechtlich selbstständig, andererseits aber nach ASVG sozialversichert sind und dann noch Kollektivverträgen unterliegen, die Mindestarbeitsbedingungen normieren. Wenn es dem Gesetzgeber wirklich um „Rechtssicherheit" gehen würde, wäre es an der Zeit, den Arbeitsvertragsbegriff endlich so zu kodifizieren, dass er im Arbeitsvertragsrecht, Steuer-und Sozialversicherungsrecht einheitlich verwendet wird. Eine Chance dafür böte die Umsetzung der Plattformarbeitsrichtlinie, die den Gesetzgeber bis Dezember 2026 verpflichtet, klare Kriterien für die Arbeitnehmervermutung zu regeln. Das wäre ein schönes Projekt auch außerhalb der Plattformwirtschaft und eine echte Reform - und kein Schnellschuss.
Katharina Körber-Risak ist Rechtsanwältin in Wien, Spezialistin für Arbeitsrecht und Co-Host des Podcasts „Legal Leading", in dem sie aktuelle arbeitsrechtliche Themen für Unternehmen verständlich aufbereitet.
Der Kommentar erschien in der trend.EDITION 2 vom 25. April 2025.