
Podiumsdiskussionen, Vorträge und Workshops: Zwei Tage lang beschäftigten sich rund 200 Teilnehmer:innen beim Austria Health Forum in Gastein mit Lösungen für das österreichische Gesundheitssystem.
©Ben KaulfusVon der Vitamintablette bis zur neuen Hüfte: Die Gesundheitsausgaben in Österreich sind vergangenes Jahr auf 57 Milliarden Euro gestiegen. Und angesichts einer alternden Gesellschaft wird es in Zukunft kaum billiger. Das Gegenrezept heißt Patientensteuerung. Die Hotline 1450 soll dabei eine zentrale Rolle spielen.
Die Zukunft des Gesundheitssystems beruht auf vier Ziffern: 1450 – die während der Corona-Pandemie bekannt gewordene Gesundheits-Hotline soll deutlich ausgebaut werden und zukünftig die Patient:innen besser durch das System leiten. Das war ein klarer Konsens beim „Austrian Health Forum“, einem der wichtigsten Treffen der Gesundheitsbranche. „Ja, 1450 wird in Zukunft eine größere Rolle spielen“, bestätigte das auch Gesundheitsstaatsekretärin Ulrike Königsberger-Ludwig.
Doch wie und in welcher Form – darüber gehen die Meinungen auseinander. Eindeutig ist nur die Ausgangssituation: „Das jetzige System führt die Patienten in den teuersten Bereich des Systems, die Spitäler“, so SVS-Generaldirektor Alexander Biach beim Gasteiner Forum. Das trägt wesentlich zu den rund 57 Milliarden Euro bei, die vergangenes Jahr für Gesundheitsleistungen in Österreich aufgewendet wurden, von der Aspirin-Tablette bis zur Herz-OP.
Biachs Gegenentwurf: Wer sich den Fuß verstaucht, ruft bei 1450 an, legitimiert sich über den Chip in der e-Karte und sein Smartphone und bekommt den schnellstmöglichen Orthopäden-Termin zugewiesen. Wer trotzdem überzeugt ist, in die Notfall-Ambulanz des nächsten Spitals gehen zu müssen, wird beim Herzeigen der e-Card vom Portier freundlich darauf hingewiesen, dass er ja schon einen Arzttermin habe und es sich kaum um einen Notfall handle. Wer trotzdem auf den Ambulanzbesuch besteht, kann gegen eine Ambulanzgebühr von 120 Euro im Wartezimmer platznehmen, meist für die nächsten fünf bis sechs Stunden.
Vieles ist möglich
Technisch wäre der Ausbau von 1450 keine Hexerei. „Ausstellen von e-Rezepten und Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen, all das wäre über erweiterte Funktionen von 1450 möglich“, bestätigt Christian Fohringer, Geschäftsführer der Notruf NÖ GmbH. Und genau das sei notwendig, um die Hotline von einem Beratungs- zu einem Versorgungstool zu machen. Fohringer: „Die Anrufer erwarten eine solche Begleitung durch das System.“
Auch die durch eine längere Ausbildung aufgewerteten Pflegeberufe schaffen neue Möglichkeiten, Aufgaben kostengünstiger und effizienter zu gestalten. So kann etwa die Community Nurse gewisse Aufgaben von Hausärzt:innen übernehmen. Doch dafür bedarf es einer Neureglung von Kompetenzen, was regelmäßig von Standesvertretern blockiert wird, denen etwas „weggenommen“ wird.
All-in statt Opt-out
Hinzu kommt das Dauerthema Datenschutz, aus Sicht der Gesundheits-Community generell überzogen. „Wir waren bei Themen wie der e-Card und dem elektronischen Impfpass Vorreiter, doch diesen Vorsprung verspielen wir, weil wir ewig über Möglichkeiten reden, wie man aus dem System raus-optieren kann“, kritisiert auch SVS-Obmann Peter Lehner, „dabei gehört die digitale Transformation zu den entscheidenden Entwicklungen für die Zukunft unseres Gesundheitssystems. Deshalb muss die Devise „All-in“ und nicht „Opt-Out“ heißen.“
Ein Beispiel illustriert das Dilemma: Obwohl es nur ein bundesweites Datenschutz-Gesetz gibt, haben die Bundesländer eigene Datenschutz-Beauftrage. Die Konsequenz: Obwohl eine Gesundheits-App in Oberösterreich zugelassen ist, wird sie in einem anderen Bundesland erneut geprüft – auf Basis der komplett identen Datenschutz-Richtlinien. So lässt sich Fortschritt auch blockieren.
Das Umfeld für innovative Lösungen ist jedenfalls gegeben. „Österreich hat gerade im Bereich Healthcare unglaublich innovative Unternehmen und auch das Datenschutz-Thema lässt sich durch freiwillige ‚Datenspenden‘ der Patienten lösen“, ist Vergaberechts-Spezialist Martin Schiefer überzeugt, „wir haben also alle Tools zur Verfügung. Wir müssen sie nur nutzen.“
Doch unbestritten steigt der Druck auf das System. „Ein steigender Versorgungsbedarf in einer alternden Bevölkerung, gepaart mit einem Mangel an medizinischen Fachkräften und einer niedrigen Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung sind große Herausforderungen, vor denen das österreichische Gesundheitssystem steht“, analysiert Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien (IHS).
Was möglich ist, zeigt die Vinzenz Gruppe, die Spitäler und Pflegeeinrichtungen in Wien und Oberösterreich betreibt. Mit „Hallo Gesundheit“ wurde eine Online-Plattform eingerichtet, über die Patient:innen Informationen abrufen und auch Termine vereinbaren können. Noch weitergehend ist die Verwendung von Telemedizin im Bereich der Schlafmedizin. Wer an Schlaf-Apnoe leidet, also nächtlichen Atem-Aussetzern, wird eine Nacht lang im Schlaflabor des Spitals überwacht. Danach bekommt er eine Schlafmaske mit nach Hause, die mittels Sensoren vom Spital aus überwacht werden kann. Tauchen Schwierigkeiten auf, werden die per Video-Sprechstunde besprochen, die Patient:innen müssen nur in Ausnahmesituationen noch einmal über Nacht ins Schlaflabor kommen. „Dadurch konnten wir die Wartezeit für das Schlaflabor von 7,5 Monaten auf zwei Monate reduzieren“, nennt Vinzenz-CEO Michael Heinisch den konkreten Erfolg.
„Es gibt im Gesundheitsbereich viele interessante Lösungsansätze, der Wille zur Innovation scheint ungebremst“ so das Fazit von Forums-Gründer Christoph Hörhan, „aber es verstreicht wertvolle Zeit, weil von den wichtigen Innovationen in der Praxis noch wenig angekommen ist.“
