„Vertrauen wurde dem Billigstbieterprinzip geopfert“

Martin Schiefer, angesehener Vergaberechtsexperte, fordert mehr Transparenz bei Beschaffungen, gerade nach den katastrophalen Corona-Vergaben, die den Steuerzahler viel Geld gekostet haben.

Thema: trend.law
„Vertrauen wurde dem Billigstbieterprinzip geopfert“

TREND: Wie hat sich die öffentliche Hand Ihrer Meinung nach bei den Vergaben in der Coronakrise geschlagen?
Martin Schiefer: Sie hat sich nicht ausgezeichnet. Corona hat gezeigt, dass wir als Österreicher im Improvisieren sehr gut sind, aber das Überführen in den Regelbetrieb gelingt meist nicht. ­Gerade im Beschaffungswesen haben sich massive Lücken gezeigt. Da reicht es nicht, nur das Vergaberecht zu kennen, entscheidend sind Lieferantenbeziehungen, die Kenntnis der Produktionsstätten und letztlich das Vertrauen in die Auftragnehmer. Ein Beispiel: Es macht keinen Sinn, Rahmenvereinbarungen mit 29 Lieferanten abzuschließen, von denen niemand weiß, ob er überhaupt etwas liefern soll. Das zeigt sich jetzt auch im PCR-Test-Chaos. Das ist ganz klar ein Versagen der Beschaffer.

Was hätte da Ihrer Meinung nach anders laufen sollen?
Zum Beschaffen muss man in der Verhandlungstechnik firm sein, muss das Preisgefüge kennen, muss ein gutes Netzwerk haben und dazu gehört Vertrauen. Und dieses Vertrauen haben viele Beschaffer dem Billigstbieterprinzip geopfert und deshalb keine Leistungen bekommen.

Hätte man von Anfang an alles der ­Bundesbeschaffung GmbH (BBG) übertragen sollen?
Die BBG ist für den Regelbedarf eingerichtet und nicht für einen Notfall der ganzen Republik. Es wäre gescheiter gewesen, das über das Gesundheitsministerium zu steuern und mehrere Beschaffungszentren zu belassen, die miteinander abgestimmt die Beschaffungen vornehmen.

Führen diese für Auftragnehmer unsicheren Rahmenbedingungen dazu, dass diese nicht mehr anbieten?
Ja, das ist der Schluss daraus. Viele Bieter denken sich: „Je unsicherer die Bestellqualität beim Auftraggeber ist, desto weniger gerne nehme ich an einer Ausschreibung teil.“ Das führt dazu, dass einige lieber im Privatbereich und nicht bei öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen. Das sehen wir sehr stark in der Bau- und IT-Branche.

Wurden bei der Beschaffung aus der Coronakrise irgendwelche Lehren gezogen?
Die Hauptlehre ist, dass man das Vertrauen in die Lieferanten stärken muss. Man muss in guten Zeiten seine Lieferantenbeziehungen pflegen, dass man in schlechten Zeiten nicht auf der Strecke bleibt.

Aus Gründen der Dringlichkeit haben ja in der Coronakrise auch einige Direktvergaben stattgefunden. War das alles gerechtfertigt?
Das Vergaberecht kennt zwar Notvergaben, aber viele Beschaffer haben es sich dann einfach gemacht und vieles als Notvergaben tituliert, obwohl es auch andere Instrumente gegeben hätte, wie ein „Open House“-Verfahren. Die Ideen für Alternativkonzepte haben oft gefehlt und nicht alle Direktvergaben haben auch wirklich nur einen Notbedarf abgedeckt.

Bei aller berechtigten Kritik an der österreichischen Beschaffung, die EU hat sich speziell beim Impfstoff aber auch nicht geschickter angestellt, oder?
Völlig richtig. Der Einkauf muss überall mehr Wertigkeit bekommen. Bei den professionellen Beschaffern bzw. den Ländern, die gut durch die Krise gekommen sind, sieht man, dass das Beschaffungswesen militärstrategisch angelegt war. Grundsätzlich macht es aber Sinn, europäische Beschaffungen europäisch zu regeln und Regionales regional zu belassen.

Als Außenstehender bekommt man den Eindruck, dass Ausschreibungsverfahren immer öfter beeinsprucht werden.
Immer dann, wenn es der Wirtschaft schlecht geht, nimmt die Zahl der Anfechtungen zu. Generell wird der Weg aber immer öfter nicht unbedingt über die Vergabekontrolle geführt, sondern es wird mit Anzeigen bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft operiert. Whistleblowing und Vernadern finden auch im Vergaberecht statt.

Wie sauber sind öffentliche Vergaben Ihrer Meinung nach wirklich?
Vergaben müssen selbstverständlich supersauber, transparent und nachvollziehbar sein. Das gilt generell, wenn Profis dabei sind. Das ist eine gute Garantie dafür, dass alles korrekt abläuft. Denn der Berater ist seinen Job los, wenn ein Verfahren angreifbar ist.

Aber gerade Bauvergaben haben immer noch den Geruch, ein bisschen schmutzig abzulaufen, siehe Baukartell …
Das hat sich in den letzten Jahren massiv geändert. Natürlich gibt es wie überall schwarze Schafe, aber Compliance-Systeme in Baufirmen sind mittlerweile Usus.

Sie haben sich ja für mehr Transparenz bei Vergaben ausgesprochen. Wo konkret soll mehr Transparenz sein?
Gerade Not- oder Direktvergaben sollten wenigstens danach transparent gemacht werden: An wen und zu welchem Preis wurde vergeben? Je transparenter ein Auftraggeber ist, umso besser geht es ihm letztlich damit. Schließlich geht es ja um Steuergeld.

Sehen Sie beim Vergabegesetz sonst irgendwo Reformbedarf?
Im Gesetz selbst orte ich keinen Reformbedarf. Auch das Thema Nachhaltigkeit muss nicht eigens im Gesetz verankert werden. Das Vergabegesetz ist ohnehin schon sehr komplex. Spezielle Bereiche sollten über Verordnungen gelöst werden oder einfach mit Hausverstand.

Wie könnte man Ihrer Meinung nach mehr Nachhaltigkeit bei den Beschaffungen erreichen?
Der Aktionsplan für nachhaltige Beschaffung (NaBe) zeigt sehr gut, dass, wenn sich Profis zusammensetzen und mit anderen Beschaffern ihr Wissen teilen, das Auftraggebern viel mehr nützt als der 36. Paragraf im ­Bundesvergabegesetz. Das Zumüllen mit weiteren Regeln ist kontraproduktiv.

Was wurde denn aus dem Vorhaben, das Vergabegesetz im Sinne der Nachhaltigkeit zu reformieren?
Das scheint im Corona-Chaos auf der Strecke geblieben zu sein. Aber vielleicht startet man ja nächstes Jahr noch einen neuen Anlauf. Ist aber – wie gesagt – nicht unbedingt erforderlich.

Aber wenn ich einem Beschaffer sage, er kann bei der Vergabe etwa soziale Kriterien berücksichtigen, passiert das dann auch?
Aus meiner Sicht sollte er das ­allein schon aus Eigeninteresse machen. Als Berater versuchen wir, unsere Kunden auch davon zu überzeugen, dass das für sie ein Mehrwert ist.

Zeigt dieser NaBe-Plan schon Auswirkungen?
Der muss jetzt mit Leben befüllt werden. Wir haben schon fünf Ausschreibungen draußen, wo wir uns damit beschäftigt haben. Da geht es etwa um Lebensmittelbeschaffungen, den Betrieb von Betriebsküchen oder Green Events. Das kann der Auftraggeber alles selbst steuern, mit Rückendeckung des Vergaberechts.

Wie beeinflusst das Ihre Kanzlei? Beschäftigen Sie dann zum Beispiel auch eigene Ernährungsexperten?
Ja, wir ­versuchen, in der Kanzlei Nachhaltigkeit selbst zu leben, indem wir etwa Büros vor Ort haben und zu 100 Prozent digitalisiert sind und das Know-how in der Kanzlei in Competence-Gruppen bündeln.

Von der Umweltministerin werden ja ­aktuell sämtliche Straßenbauprojekte evaluiert und zum Teil – wie der Lobautunnel – über den Haufen geworfen. Was macht das mit den Bietern?
Im Vorfeld hat es ja bereits viele Berateraufträge ­gegeben, es wurde viel Hirnschmalz in ein Projekt gesteckt, bevor die Bagger ­auffahren. Diese Berater sind natürlich ­massiv betroffen. Und die Planungssicherheit leidet entsprechend unter solchen Aktionen. Man braucht als Bieter schon eine Handschlagqualität des Auftraggebers. Irgendwann habe ich halt keine Unternehmen mehr, die mitbieten.


ZUR PERSON

Martin Schiefer, 50, ist einer der renommiertesten Vergaberechtsexperten des Landes, der auch alljährlich im trend-Anwaltsranking auf den vorderen Plätzen zu finden ist. Zuletzt war er an der Ausschreibung für das LASK-Stadion beteiligt und hat die Streitereien rund um das Krankenhaus Nord in Wien befriedet. Schiefer hat sich im Herbst 2018 mit einer eigenen Anwaltskanzlei selbstständig gemacht, nachdem er mehr als 15 Jahre in einer Kanzleigemeinschaft mit seinem Kollegen Stephan Heid gearbeitet hat. Mittlerweile ist die Schiefer Rechtsanwälte GmbH auf 38 Mitarbeiter an fünf Standorten angewachsen. Der Vater zweier Kinder hat Rechtswissenschaften an der Universität Graz studiert und war danach als Universitätsassistent tätig. Das Motto seiner Kanzlei lautet „Vergaberecht neu denken“.

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