Homeoffice - The New Normal?
Die Corona-Krise macht aus einem seit Jahren bestehenden Trend ein flächendeckendes Phänomen. Homeoffice als Krisenmaßnahme könnte ganz neue Maßstäbe setzen und auch danach zum Standard werden, erläutert Rechtsanwältin Katharina Körber-Risak.
Katharina Körber-Risak, Rechtsanwältin in Wien und Spezialistin für Arbeitsrecht.
Ich bin dann mal im Homeoffice" war bis vor Kurzem noch ein Satz, der synonym mit "Freitag Frühschluss" oder anderen Arten der Arbeitszeitverkürzung verwendet wurde.
Mobiles Arbeiten wurde in der Informationsgesellschaft zwar in den letzten Jahren schon attraktiver. Da in Österreich aber nicht derselbe Spirit herrscht wie im Silicon Valley, waren viele Unternehmen hierzulande aber trotz bestehender technischer Möglichkeiten keine Fans von flächendeckendem Homeoffice. Fairerweise muss man sagen, dass viele Jobs nach wie vor physische Präsenz erfordern, insbesondere im Arbeiterbereich. Automatisierung und Digitalisierung nehmen aber stark zu, und groß gedacht ist es technologisch wohl möglich, Präsenzarbeit mittelfristig auf wenige Branchen zu reduzieren.
Die Vorbehalte in den Unternehmensleitungen lagen wohl auch oftmals nicht in realistischen operativen Befürchtungen, sondern vor allem in alten Denkstrukturen begründet. Nicht nur einmal habe ich von Klienten den Satz gehört: "Wenn wir uns das anfangen, dann wollen es bald alle haben." Was daran eigentlich so schlimm wäre, muss man aber schon hinterfragen: Denn operativ macht es in Wahrheit keinen Unterschied, ob die Chefin über den Gang brüllt oder eine Message im Gruppenchat aussendet. Zweiteres ist jedenfalls meist höflicher formuliert.
Vorbehalte werden obsolet
Die Coronakrise macht die Vorbehalte der Arbeitgeber aber ohnehin auf einen Schlag obsolet. Sie sind gezwungen, die technischen Möglichkeiten neu zu bewerten und dankbar zu sein, was alles möglich ist. Man stelle sich dieselbe Situation im Jahr 1975 vor. Jetzt gerade, in den ersten Tagen der kollektiven Quarantäne-Erfahrung, stellt sich heraus, dass Videokonferenzen, Chatprogramme und Remotewartung durch die IT besser funktionieren als erwartet, die Internetleitungen und Mobilfunknetze standhalten und mitnichten alles zusammenbricht.
Die Gewöhnung an Videokonferenzen und kontaktloses Arbeiten geht überraschend schnell und hat außerdem lustige Nebeneffekte: Die Kleidung wird legerer, seriös muss - wenn überhaupt - nur noch der Oberkörper gekleidet werden.
Ich will die aktuelle Situation nicht schönreden: auf den Homeoffice-Arbeitnehmerinnen und -Arbeitnehmern haften derzeit enorme Belastungen. Durch flächendeckende Kindergarten-und Schulschließungen sowie die weitgehenden Ausgangssperren müssen sehr viele jetzt Kinderbetreuung, Homeschooling und weitere Belastungen der Krise von zu Hause aus bewältigen. Denkt man sich aber die Sondersituation durch die Krise weg - insbesondere die Kinder zurück in die Betreuungseinrichtungen und Schulen - und macht das "Homeoffice" zum "Anywhere-Office", ist der Fall gleich ganz anders gelagert.
Die große Freiheit
Anywhere-Office bietet bislang ungeahnte Freiheiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie können ihre Arbeitsleistungen unter Einhaltung bestimmter technischer und datenschutzrechtlicher Standards quasi von überall erbringen. Wegzeiten und Verkehr reduzieren sich drastisch, Unternehmen brauchen weniger Büroflächen und können ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich effizienter einsetzen.
Damit gerade Letzteres für beide Seiten akzeptabel ist, müssten auch Vergütungsmodelle sowie gesetzliche und kollektivvertragliche Arbeitszeitmodelle den Schritt ins 21. Jahrhundert machen. Weg vom "Präsenzlohn", weg vom mühsamen Minutenzählen samt schwer durchschaubarer Zuschlagsberechnung.
Die österreichische Definition von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht auch im Jahr 2020 noch von "örtlicher und zeitlicher Abhängigkeit" vom Arbeitgeber aus. Nur dann greifen auch die arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen -so eben gerade nicht bei "freien Dienstnehmern", die örtlich und zeitlich freier sind. Das ist nicht mehr zeitgemäß.
Gefragt ist neues Denken beim EU- und auch nationalen Gesetzgeber, in den Unternehmen und beim Einzelnen. Was wir brauchen - und das zeigt die Krise nicht nur im Arbeitsrecht -, ist eine massive Modernisierungs- und Technologieoffensive. Eine Mischung aus Silicon Valley, Südkorea und österreichischer Sozialpartnerschaft wäre eine schöne Zukunftsvision.
Der Artikel ist der trend-Ausgabe 12/2020 vom 20. März 2020 entnommen.
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