
Weil es in Österreich immer weniger verfügbare Arbeitskräfte gibt, müssen sie von anderswo her. Ohne Arbeitsmigration ist ein Erhalt des Wohlstands unmöglich, und ohne fundierte begleitende Rechtsexpertise ist die grenzüberschreitende Arbeitsmobilität undenkbar.
©iStock/Ton Photograph54 Prozent der österreichischen Unternehmen sind von Personalknappheit betroffen, zeigt eine neue Umfrage des KSV1870. In vielen Bereichen werden in den nächsten Jahren Arbeitskräfte noch knapper. Das Beratungsgeschäft zum Thema Arbeitsmigration floriert.
Nathália Antoniazzi kommt aus dem Süden Brasiliens und hat Geschmack an Österreich gefunden. Die Umweltingenieurin hat nach Abschluss ihres Masterstudiums für Verpackungstechnologie und Nachhaltigkeit an der FH Campus Wien bei der Beratungsfirma Circular Analytics TK angedockt und berät nun Firmen etwa dabei, mit welchen Milchverpackungen man Verlustraten minimiert. Über ihren Weg in den hiesigen Arbeitsmarkt sagt die 29-Jährige: „Das Wichtigste ist, die Unterstützung eines Unternehmens zu finden.“
Nicht nur im Hochqualifiziertenbereich wie bei Antoniazzi, sondern auch in vielen anderen Sektoren fehlen selbst nach mehr als zwei Jahren Rezession Arbeitskräfte. Die neueste Zahlen der Austrian-Business-Check-Umfrage des KSV1870 zeigen, dass jeder zweite heimische Betrieb über einen Arbeitskräftemangel klagt. 54 Prozent der österreichischen Unternehmen sind von Personalknappheit betroffen, 23 Prozent sogar sehr.
Es sind inzwischen weniger die Softwareentwickler:innen, an denen es Österreich – und weiten Teilen Europas – mangelt. Spezialisierte Agenturen fahnden inzwischen in Ländern wie Pakistan, Brasilien oder auf den Philippinen nach künftigen Lokführer:innen, Lkw-Fahrer:innen oder Pfleger:innen, bilden sie vor Ort aus und bereiten sie für einen allfälligen Arbeitseinsatz vor.
Rund 540.000 Menschen der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge werden laut einer Studie des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) bis 2027 in Pension gehen. Diese fehlenden Arbeitskräfte werden nicht vollständig durch jüngere Menschen ersetzt werden können, weil die nachfolgenden Jahrgänge deutlich geburtenschwächer sind. Ab 2030 wird es dann wirklich eng. „Der Arbeitsmarkt in Österreich und weiten Teilen Europas ist dünn, wir sind auf Migration angewiesen“, fasst Ewald Oberhammer die Lage knapp zusammen.
Er ist Gründer der gleichnamigen Rechtsanwaltskanzlei mit Sitzen in Wels, Wien, Ried im Innkreis und Vöcklabruck und ein Pionier bei der rechtlichen Begleitung des Themas. 6.000 Entsendungen hat er im letzten Jahr betreut, nur 150 bis 200 Fälle betrafen dabei Top-Executives. Der Großteil sind Blue Collar Worker, etwa Schweißer oder Monteure. 90 Prozent von Oberhammers Klientel sind internationale Konzerne, die nach Österreich entsenden wollen.
Das Feld wird immer breiter, weil das Arbeitskräfteangebot immer spärlicher wird: „Ging es anfangs oft um Anlagenbauer, so sind inzwischen auch Köche und Kellner – mehr als hundert in der letzten Wintersaison –, Erntehelfer usw. im Visier“, so der Experte. Fazit: „Es geht um Jobs, die bei uns einfach nicht mehr in der erforderlichen Anzahl rekrutierbar sind.“
Big Picture
Margit Kreuzhuber, Leiterin des Kompetenzzentrums Work in Austria der Austria Business Agency (ABA), hat das größere Bild. Erst 2020 gestartet, beschäftigt die Unit der Regierungsagentur inzwischen 17 Mitarbeitende und bietet umfassende Services „entlang der Zuwanderungskette“, wie Kreuzhuber formuliert, von Rechtsberatung bis zu Relocation-Services. Fast 16.000 Arbeitnehmer:innen wurden im letzten Jahr beraten, mehr als eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr. Vor allem rund um die Rot-Weiß-Rot-Karte für qualifizierte Drittstaatsangehörige gibt es viel zu erklären.
Egal ob Blue oder White Collar – die Vereinfachung der Verfahren ist das Um und Auf, um im weltweiten „Fishing for People“ mithalten zu können. „Der größte Hebel ist die Digitalisierung der Verfahren“, sagt Kreuzhuber.
Für Spezialfragen wird auf ein ganzes Netzwerk an kundigen Rechtsanwälten zurückgegriffen. Oberhammer ist nicht nur der unbestrittene Spezialist, wenn es um das Thema Arbeitsmigration geht, sondern hat auch mit seinen digitalen Tools Benchmarks gesetzt, so der Tenor der Branche. Dreh- und Angelpunkt ist die Legal-Tech-Plattform COMIC, kurz für Corporate Migration Center. „Wir haben frühzeitig in Digitalisierung investiert und reinvestieren nach wie vor alle unsere Erlöse aus den technischen Applikationen“, sagt er.
Das Prinzip der Plattform ist, alles aus einer Hand zu bieten: Meldesystem, Prüfsystem und Nachbetreuung in einem. Mindestlohnvorgaben und Dokumentenanforderungen können über automatisiert gesteuerte Reporting-Prozesse in ein Compliance-Bericht-System umgewandelt werden. Mit dem sogenannten „Tracker Checker“, ursprünglich „aus Jux und Tollerei“ entwickelt, so der Kanzleigründer, kann man überprüfen, ob sich jemand schon 60, 90 oder mehr Tage im Schengenraum aufhält – dieses Monitoring wird immer wichtiger.
Seinen Know-how-Vorsprung schätzt Oberhammer denn auch auf vier bis fünf Jahre. „Früher haben wir acht bis zehn Stunden Dokumente geschlichtet. Heute macht das alles die Software.“
Global Business
Er hat 2003 das seiner Einschätzung nach in Europa bis dahin „stiefmütterlich behandelte“ Thema Entsendungen begonnen rechtlich zu betreuen. „Damals waren wir allein, inzwischen ist das eine weltweite Industrie, und der Markt ist noch nicht gesättigt.“ Grund für die derzeitige Dynamik ist, dass es weniger Schikanen gibt: „Früher wurden Entsendungen häufig behördenseitig verhindert“, so Oberhammer, „es gab Strafandrohungen in Millionenhöhe ohne Substanz. Mit der Verschärfung des Fachkräftemangels hat sich die Situation verbessert.“
Um den größer gewordenen Kuchen rittern Spezialist:innen für Relocation oder sogenannte EOR(Employer-of-Record)-Services. „Corporate und Business-Migration ist inzwischen ein wesentlicher Industriezweig, der mehr und mehr an Bedeutung gewinnen wird, insbesondere aufgrund des gegebenen Arbeitskräftemangels“, ist Oberhammer überzeugt.
Derzeit sind im Corporate-und-Business-Migration-Center seiner Kanzlei sieben hoch qualifizierte Expert:innen mit Schwerpunkt Fremdenrecht, Migrationsrecht, Lohndumping und Sozialversicherungsrecht beschäftigt. Dazu kommen weitere acht Mitarbeiter:innen zur Abwicklung. In wirtschaftlich stagnativen oder sogar rezessiven Zeiten klingt Oberhammers Ansage deshalb geradezu wohltuend: „Wir haben vor, in den kommenden Monaten kräftig zu wachsen.“ Eine Idee ist etwa, die COMIC-Plattform im gesamten EU-Raum auszurollen: „Wir machen das derzeit schon mit 15 anderen EU-Ländern.“
Nathália Antoniazzi fühlt sich jedenfalls gut versorgt, wenn es um die formelle Betreuung – in ihrem Fall durch Work in Austria – geht. Am wichtigsten ist es, die Sprache zu lernen, meint sie über ihren bisherigen Aufenthalt. Wo sie am Ende landen wird, ist zwar noch nicht in Stein gemeißelt. Aber bisher macht es offenkundig Spaß. Die Brasilianerin hat am 7. Juli um die Verlängerung der Rot-Weiß-Rot-Karte angesucht.
Dieser Artikel ist im trend.PREMIUM vom 18. Juli 2025 erschienen.