
Porträt einer unbequemen Handelskette: Um im harten Preiswettkampf aufzufallen, fährt der deutsche Diskonter Lidl einen harten Kurs in Österreich – auch gegen die eigene Branche.
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Es spießt sich schon bei der Marktstatistik. Während Spar, Billa & Co ihre nackten Daten aus den Scannerkassen zugänglich machen, um ein aussagekräftiges Bild der heimischen Handelslandschaft zu bekommen, verweist Lidl bislang nur auf Kundenbefragungen von Marktforscher GfK. Das hat nicht nur damit zu tun, dass dabei für Lidl erfreuliche 5,9 Prozent Marktanteil herauskommen statt der drei bis 3,5 Prozent beim sonst üblichen Berechnungssystem.
Es ist symptomatisch für den kleinsten heimischen Diskonter, der alles anders macht, die Rabatte größer, die Botschaft lauter, die Farben knalliger. Das Kontra zur Branche verschafft mehr Aufmerksamkeit, als zusteht, und hilft, die Marktposition zumindest abzusichern. Handelsexperte Christoph Teller, Institutsvorstand an der Linzer Kepler-Universität: „Wer nicht über große Fläche punkten kann, muss Wahrnehmung erzeugen. Das ist eine Überlebensregel, adressiert neue Zielgruppen, unterstreicht Fortschrittlichkeit und erzeugt Gesprächsstoff. Dass das auch einmal aneckt, ist kalkuliert – Enfant terrible ist hier keine Rebellion, sondern Rolle.“
Marktanteile Lebensmittelhandel, 2024


Bad Boy
Tatsächlich ist die Tochter des deutschen Schwarz-Konzerns, Europas größter Handelsgruppe mit 14.200 Filialen, 595.000 Mitarbeitern und 175,4 Milliarden Euro Umsatz, ein kleines Mysterium. Finanziell offenbar abgesichert strengt man sich seit 1998 in Österreich ordentlich an, um der Bad-Boy-Rolle gerecht zu werde – und hat mit rund 250 Filialen (nach Penny mit rund 300 und Hofer mit 540) den dritten Platz unter den Diskontern doch fix gepachtet.
Es war just Lidl, der als Erster das bis dahin vom Handel strikt abgelehnte Plastikflaschenpfand begrüßte und damit den Widerstand gegen den Plan der damaligen Klimaministerin Leonore Gewessler brach. Oder Tierwohl: Während alle anderen Händler auf die langen österreichischen Übergangsregeln zum Vollspaltenboden setzen, übernahm Lidl Österreich die großzügigere Flächenreglung für Schweine vom deutschen Mutterkonzern.
In der Verteillogistik setzt man gleich auf Elektroautos, während Spar & Co. erst einmal weiter mit Verbrenner-Lkw und Biofuels fahren. Und wenn Filialkunden ihre Elektroautos laden, lässt Lidl sie zu absoluten Billigpreisen ran (laut E-Control), während auf den Parkplätzen der Mitbewerber eher die angeheuerten Ladenetzbetreiber profitieren.
Die Strategie sieht europaweit ähnlich aus: In Deutschland etwa provoziert Lidl aktuell mit der Umtextung der deutschen Nationalhymne zum Loblied des Superdiskonts, in Frankreich legt man sich eben live auf Social Media mit dem Marktführer Leclerc rund um unlautere Werbemethoden für Schokoflakes an.
Der jüngste Querschuss in Österreich ist der Nachlass der Mehrwertsteuer auf Fleisch: Während alle anderen Kollegen den Konflikt mit der Landwirtschaft mehr scheuen als Einkaufswagerl den Rollsplit, spekulierte Lidl darauf, durch Bauernproteste erneut in die Medien zu kommen. Und die nächste Provokation ist schon geplant: Lidl prescht mit der Ankündigung vor, so schnell wie möglich die umstrittene Gesundheitsampel „Nutri-Score“ auf seinen Eigenmarken auszuweisen. Alle anderen zögern ob schwammiger gesetzlicher Kennzeichnungsregeln.
Lohnt es sich für Lidl?
Man schafft immerhin, die schwierige Position im Ranking stabil zu halten. Andere Supermärkte dieser Größenordnung gerieten schon in Schwierigkeiten, von MPreis bis Unimarkt. Plus 3,9 Prozent Umsatz 2024/25 auf 1,87 Milliarden Euro wertet man als Erfolg, auch wenn der Markt insgesamt um über vier Prozent zulegte und Konkurrent Hofer ein Plus von über sechs Prozent auswies. Dank einer strategischen Sortimentsänderung hat Hofer jüngst gezielt sein Non-Food-Angebot zugunsten des Frischesortiments reduziert. „Der heimische Markt ist besonders und schon immer hart umkämpft“, lässt Michael Kunz, der seit knapp einem Jahr tätige Manager für Österreich, in einer Stellungnahme ausrichten. „Aber wir haben es in den vergangenen Jahren geschafft, unser Diskontformat noch besser auf Österreich anzupassen und uns in vielen Bereichen zukunftsfit zu machen.“ Sein Eigenbild ist prägnant, aber doch weicher gezeichnet.
Natürlich steckt Kunz in einem Dilemma: Wie Hofer, der namentlich besser abgegrenzt ähnlich knapp am deutschen Mutterkonzern Aldi Süd hängt, pendelt Lidl zwischen dem Image eines deutschen Sparefrohs und der Gefahr, dass Österreicher nur ungern zu deutscher Ware greifen. Für Handelsexperten Teller überwiegen die Vorteile: „Als Diskonter deutsch zu sein, ist wie bei Waschmaschinen kein Lifestyle-Versprechen, aber ein Qualitätsargument, das niemand in Frage stellt, 800 Quadratmeter Effizienz, regalscharf durchinszeniert. Dabei darf man aber nicht übersehen: Lidl in Österreich ist heute deutlich österreichischer, als man auf den ersten Blick glaubt.“


Michael Kunz, Lidl Österreich
© LIDL ÖSTERREICHDie Ö-Tangente
Tatsächlich stieg der Anteil österreichischer Produkte bei Lidl sukzessive auf über 50 Prozent (55 Prozent etwa bei Penny), mehr als 1.700 Landwirte scheinen als Lieferanten auf. Allein im vergangenen Geschäftsjahr haben Partner aus Österreich eine Rekordwertschöpfung von über 1,2 Milliarden Euro mit Lidl erwirtschaftet – plus neun Prozent. Dazu kommen noch 550 Millionen, weil Lidl österreichische Produkte ins Ausland exportieren kann.
Aus der Landwirtschaft, die sonst an Kritik am Lebensmittelhandel nicht wirklich spart, kommen auch versöhnliche Töne: „Immerhin pickt Lidl das AMA-Gütesiegel noch vorne drauf, nicht hinten, wie es andere machen. Oder gar nicht“, attestiert ein hoher Agrarfunktionär dem deutschen Diskonter Handschlagqualität.
Die Jugend wiederum honoriert das frechere Auftreten und das Quäntchen mehr Aktivismus bei Themen wie Klimaschutz bis Tierwohl, zumal auch wichtige Touchpoints wie Smartphone oder Einkaufsapp aktiv betreut werden.
Und so ist es natürlich kein Zufall, dass ausgerechnet Jugendidol Christina Stürmer als Testimonial geholt wurde. Der Popstar ist zeitlos authentisch österreichisch, schnörkellos und trotz Altersunterschied glaubhafte Vertreterin der Zielgruppe. Vor allem aber fühlt man sich ihr wohl verbunden, weil auch sie ihre Erfolge nicht von der Poleposition aus erreichte, sondern als geschlagene Teilnehmerin in der Endrunde des ORF-Talentewettbewerbs „Starmania 2002“.
Der Artikel ist aus der trend.EDITION vom 27. Juni 2025 entnommen.