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Die Quantentechnologie steht vor dem Durchbruch

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Quantencomputing

©istock/Just_Super
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Während derzeit alle Augen auf Künstliche Intelligenz gerichtet sind, bereitet sich mit Quantencomputing schon die nächste Technologierevolution vor. Ein Gastkommentar.

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Die Quantentechnologie kommt zügig aus den Forschungs- und Entwicklungslabors heraus und dringt in die Wirtschaft ein. Davon werden, ähnlich wie bei KI, über kurz oder lang alle Branchen betroffen sein. In der Kombination aus KI und Quantencomputing ergeben sich heute noch schwer vorstellbare Leistungsschübe, deren Auswirkungen sich teilweise nur erahnen lassen.

Die Quantentechnologie arbeitet mit Ladungsmustern von Ionen oder Photonen, die simultan Zustandsänderungen „abarbeiten“ können im Sinne einer Programmierung. Mikrowellen oder Laser werden verwendet, um damit sogenannte „Qubits“ als kleinste Informationseinheiten zu kodieren. Dieses Funktionsprinzip ermöglicht es Quantencomputern, sehr viele Berechnungen gleichzeitig durchzuführen, was zu einer exponentiellen Beschleunigung der Rechenleistung weit jenseits des Leistungsniveaus herkömmlicher Computer führt.

Schon im Jahr 2019 kam ein Forschungsbericht von Google durch ein Versehen ans Licht, der klarmachte, was das Unternehmen meinte, als es über Jahre hinweg versprach, man werde demnächst „Quantum Supremacy“, wörtlich übersetzt „Quantenüberlegenheit“, erreichen. Der Google-Report gilt seitdem als der erste experimentelle Beleg dafür, dass Quantencomputer selbst heutige Supercomputer herkömmlicher Bauart wie längst ausgestorbene Dinosaurier aussehen lassen. Laut Bericht hat ein von Google konstruierter Quantencomputer mit 53 Qubits ­– das 54. war offenbar kaputtgegangen – eine sehr schwierige und speziell für dieses Experiment entworfene Aufgabe binnen drei Minuten und zwanzig Sekunden gelöst. Der schnellste „klassische“ Supercomputer hätte für die gleiche Berechnung rund 10.000 Jahre benötigt. 

Doppelt exponentielles Wachstum

Der Kopf des Google Quantum Artificial Intelligence Lab, Hartmut Neven, postuliert ein doppelt exponentielles Wachstum bei der Entwicklung von Quanten­computern. In Anlehnung an das Moore‘sche Gesetz ist daher schon von „Neven‘s Law“ die Rede. Der frühere Chef des Chipkonzerns Intel, Gordon Moore, hatte vor Jahrzehnten festgestellt, dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise etwa alle vierundzwanzig Monate verdoppelt. Das klingt viel, ist jedoch nichts im Vergleich zu doppelt exponentiell, wenn der Exponent des exponentiellen Wachstums nochmals einen Expo­nenten hat, also beispielweise zehn hoch zwei hoch zwei. Ein derartig explosives Wachstum ist selbst in der vom Menschen erforschten Natur äußerst selten, in der Computertechnik war es zuvor unbekannt, man kann auch sagen undenkbar.

Quantum Leap im Beraterkreis der UNO

Vor diesem Hintergrund hat die Denkfabrik Diplomatic Council (DC), die zum engsten Beraterkreis der Vereinten Nationen gehört, die Initiative DC Quantum Leap ins Leben gerufen. Ziel ist es, über die derzeitige technisch-wissenschaftliche Forschung und Entwicklung hinaus einem breiten Spektrum kommerzieller Akteure die Mitwirkung an diesem künftigen Milliardenmarkt zu ermöglichen. Die Denkfabrik wird hierzu ihre Global Reach über die Vereinten Nationen nutzen, um maßgeblich am Aufbau eines Ökosystems für Quantentechnologie mitzuwirken.

Quantum as a Service

Rechenzentren werden zunächst die Heimat des Quantencomputing sein. Denn im ersten Schritt werden nicht überall Quantencomputer installiert werden, sondern das Gros der Quantenleistung wird aus der Cloud, also Data Centern, bezogen werden. Es geht darum, Hochleistungs­rechenzentren mit Quantencomputermodulen aufzurüsten. Die Quantencomputer werden dabei quasi als Turbolader für bestehende hochleistungsfähige Computer spezifische Anwendungen skalieren und insbesondere in der generativen KI weitere Innovationskräfte entfalten. Als Quantum as a Service werden sie in der Cloud einem breiten Anwenderspektrum zur Verfügung stehen.

Die Initiative Quantum Leap im Diplomatic Council bietet daher den Betreibern von Data Center die Möglichkeit, sich in einem vorwettbewerblichen Kreis darüber auszutauschen, welche Schritte sinnvoll sind, um sich auf Quantentechnologie vorzubereiten.

Quantenresistente Datenverschlüsselung dringend notwendig

Kurzfristig am stärksten betroffen von der Quantentechnologie ist die Datenverschlüsselung quer durch alle Branchen. Quantencomputer sind nämlich in der Lage, herkömmliche Verschlüsselungen binnen kürzester Zeit zu knacken. Damit lägen die Datenbestände von Unternehmen und staatlichen Organisationen auf einen Schlag offen für Cyberkriminelle und Geheimdienste. Schon heute erbeuten Cyberbanden im Netz riesige verschlüsselte Daten­bestände in der Erwartung, diese in wenigen Jahren oder gar Monaten entschlüsseln zu können.

Jedes Data Center ist also gut beraten, seinen Kunden so rasch wie möglich eine quantenresistente Verschlüsselung anzubieten. Davon betroffen ist auch die Datenübertragung etwa bei Messagingdiensten. So hat Apple beispielsweise bereits eine sogenannte Post-Quantum-Verschlüsselung für seinen iMessage-Service hervorgebracht. Künftig könnte sich die photonenbasierten Schlüsseldistribution über Satellit durchsetzen. Dann würden über Satelliten Milliarden von Schlüsseln verteilt werden, um die Sicherheit der Quantenwelt zu gewährleisten. In den nächsten Jahren werden Hunderte von Satelliten ihren Orbit erreichen, die bereits mit Modulen zur Photonen­übertragung ausgestattet seien.

In einem Jahr 1.000 Qubits, in zehn Jahren 100.000 Qubits

Wie rasch dieser Innovationszyklus an Relevanz gewinnen wird, ist derzeit selbst für Experten schwer abschätzbar. Bekanntlich hat sich auch die KI-Entwicklung lange hingezogen, bevor es Ende 2022 zum Durchbruch in der Breite kam – und heute ist Künstliche Intelligenz kaum noch wegzudenken. Vieles deutet darauf hin, dass auch der Quantendurchbruch nicht mehr lange auf sich warten lässt. Schon heute bieten europäische Hersteller wie IQM, AQT und eleqtron leistungsstabile Quantencomputer zu erschwinglichen Preisen an. Auch in den USA, China und Kanada sind derzeit technologische Durchbrüche zu verzeichnen.

Ziel ist dabei zunächst, die Marke von 1.000 funktionsfähigen, das heißt logischen und steuerbaren Qubits, zu überschreiten, ab der Quantencomputer ihr entscheidendes Leistungsstärkenniveau erreichen. Die ersten derartigen Geräte sind bereits in diesem oder im nächsten Jahr zu erwarten. 2023 gab IBM sogar das Ziel aus, binnen zehn Jahren einen Quantencomputer mit 100.000 Qubits zu bauen. Hierzu ist ein Forschungs- und Entwicklungs­volumen von 100 Millionen Dollar vorgesehen.

Dem Vorurteil, Quantencomputer benötigten für den Betrieb grundsätzlich Umgebungen mit extremer Kälte, ist übrigens zu widersprechen. Es gibt bereits Quantencomputer zu kaufen, die bei Raumtemperatur arbeiten. Man kann sie in gewöhnlichen Rechenzentren im dort üblichen 19-Zoll-Format in Betrieb nehmen. Beispielhaft sind die Firmen Alpine Quantum Technologies (AQT) aus Innsbruck und das deutsch-österreichische Startup Quantum Brillance zu nennen, die beide den Ansatz verfolgen, integrations-unkomplizierte Implementierungen zu ermöglichen. Zudem sind diesbezügliche Standardisierungsbestrebungen weltweit im Gange

Quantensensorik in der Medizin

Darüber hinaus ist zu betonen, dass Quantentechnologie viel mehr bedeutet als „nur“ mit Quantencomputern umzugehen. Beispielsweise ermöglicht diese Technologie auch in der Sensorik einen Quantensprung im wahrsten Sinne des Wortes. So können die heute üblichen Verfahren der Computertomographie (CT) und der Magnetresonanztomographie (MRT), um in den menschlichen Körper hineinzusehen, künftig durch quantensensorische Verfahren abgelöst werden, die eine um ein Vielfaches bessere und damit aussagekräftigere Darstellung ermöglichten.

Unternehmen aus vielen Bereichen können sich beteiligen

Ebenso wie das Internet keine Branche unberührt gelassen hat, werden auch die Auswirkungen des Quanten­computing überall in der Wirtschaft zu spüren sein. An der Initiative Quantum Leap können sich daher nicht nur Unternehmen beteiligen, die unmittelbar an Quanten­computern arbeiten, sondern auch Firmen aus Anwendungsgebieten, die von der nächsten Computer­generation profitieren werden. Beispiele sind Künstliche Intelligenz, Visualisierung, Augmented und Virtual Reality, Sprach- und Textdialog­systeme, Cybersecurity, Medizintechnik und die Betreiber von Datenzentren. Anbieter aus allen Gebieten, auf denen die enorme Leistungs­fähigkeit der Quantentechnologie künftig eine maßgebliche Rolle spielen werden, können mitmachen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. trend.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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