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Darf’s ein bisschen näher sein?

In Kooperation mit Schiefer Rechtsanwälte.
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Aktualisiert
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8 min

Vorrang für Regionalität. Gut fürs Klima und für lokale Jobs: Experten fordern, dass lokale Beschaffung von Lebensmitteln bis zu Baumaterial stärker in den Fokus öffentlicher Auftrag­geber rückt.

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Produkte aus der Region zu kaufen, klingt nach Bauernromantik, ist aber viel mehr. Denn regionale Beschaffung kann ein wichtiges Instrument für den Klimaschutz sein. Vergaberechtsspezialist Martin Schiefer fordert deshalb mehr Fokus auf Regionalität bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Alle finden es gut, aber nur wenige tun es. Nicht erst die Pandemie und die damit verbundene Unterbrechung von Lieferketten hat die regionale Beschaffung von Lebensmitteln bis zu Baumaterialien in den Fokus gerückt. Auch die positiven Auswirkungen auf die Umwelt sind unbestritten: Regionale Beschaffung bedeutet kurze Transportwege, weniger Energieverbrauch und weniger Emissionen. Zudem wird die Wirtschaftskraft der Region gestärkt, werden Arbeitsplätze auch außerhalb der Ballungszentren ­gesichert.

Doch noch heißt es meist: Der Preis ist heiß! „Zwar sind öffentliche Auftraggeber und Unternehmen grundsätzlich zur umweltorientierten Beschaffung verpflichtet, aber in der Praxis ist der günstigste Preis das entscheidende Kriterium“, bestätigt Michael Klien, Experte für öffentliche Haushalte am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo und Mitautor einer aktuellen Studie über „Die Rolle des öffentlichen Vergabewesens für eine klimaneutrale Produktions- und Lebensweise“.

Abschied vom Billigstbieter.

Allerdings bahnt sich ein langsamer Bewusstseinswandel an. „Die ausschließ­liche Orientierung am Billigstbieterprinzip führt in eine Sackgasse“, kritisiert der Anwalt und Vergaberechtsspezialist Martin Schiefer. Seine Forderung: „Wenn wir die Klimaziele erreichen und CO2 reduzieren wollen, ist die regionale Auftragsvergabe ein wichtiger Hebel. Regionalität muss deshalb bei der Auftragsvergabe eine viel größere Rolle spielen.“ (Siehe auch Interview).

Tatsächlich geht es um relevante Größenordnungen: Das Wifo schätzt die mit dem Beschaffungswesen verbundenen CO2-Emissionen in Österreich auf 5,6 Millionen Tonnen, fast ein Zehntel der Gesamtemissionen. Rechnet man die weltweiten Lieferketten hinzu, summieren sich die CO2-Emissionen auf rund 19 Millionen Tonnen.

Mangel an Menge.

Doch in der Praxis gibt es für eine regionale Beschaffung einige Hürden. Manchmal sind die benötigten Mengen regional nur schwer zu bekommen, zudem wird der meist höhere Aufwand gescheut. Beispiel Küche Graz: Dort werden täglich 9.000 Essen für Schulen, Kindergärten und andere Einrichtungen zubereitet. Zu wie vielen Bauern sollen die Küchen-Einkäufer fahren, um das dafür notwendige Gemüse einzukaufen?

In Graz hat sich dafür eine Lösung gefunden: Vor zwei Jahren hat dort das Bäuerliche Versorgungsnetzwerk Steiermark seine Arbeit aufgenommen. Das Ziel: die Lücke zwischen großer Nachfrage und kleinteiligem Angebot zu schließen. In dieser Genossenschaft haben sich insgesamt 84 landwirtschaftliche Betriebe von Obst- und Gemüsebauern bis zu Geflügelzüchtern zusammengeschlossen, um ihre Produkte besser zu vermarkten und vor allem auch die für Großkunden notwendigen Mengen anbieten zu können. „Mittlerweile beliefern wir 24 Kunden“, sagt Obmann Markus Hillebrand, neben der Küche Graz auch das Landeskrankenhaus und Firmen wie Pankl Racing und Anton Paar. Nächster Schritt für das erfolgreiche Modell: der Aufbau einer eigenen Gemüseverarbeitung.

Doch es geht bei der regionalen Beschaffung keineswegs nur um Lebensmittel. Ein zentraler Bereich ist der Bau. Auf ihn entfallen rund 30 Prozent der jährlich über 60 Milliarden Euro, die Bund, Länder und Gemeinden für öffentliche Aufträge ausgeben. Und es geht auch nicht nur um die Umwelt. „Bei den ESG-Kriterien, von denen alle reden, geht es nicht nur um Environment, sondern auch um das S, also soziale Faktoren“, sagt Martin Schiefer, „und gerade diese können bei einer regionalen Auftragsvergabe gefördert werden, wenn ich entsprechende Kriterien in eine Ausschreibung aufnehme.“ Schiefer selbst hat das bei einer Ausschreibung für Pflegedienstleistungen schon umgesetzt, bei der es für die Freistellung von Mit­arbeitenden der Freiwilligen Feuerwehr Pluspunkte gab.

Es kommt nicht mehr nur auf den billigsten Preis an.

Wifo-Experte Michael Klien
Bild

Nicht nur billig. Die Kriterien für öffentliche Aufträge ändern sich.

© beigestellt

Nicht ohne Recycling.

„Bei öffentlichen Auftragsvergaben findet ein Wandel statt“, beobachtet auch Wifo-Ökonom Klien, „es dreht sich nicht mehr alles nur um den Preis.“ Grundsätzlich sei, so der Experte, der rechtliche Spielraum für öffentliche Auftraggeber bei der Berücksichtigung nachhaltiger Aspekte groß. „Allerdings mangelt es meistens an einer klaren strategischen Ausrichtung, also ob im Rahmen einer Ausschreibung ökologische, soziale oder regionalwirtschaftliche Entwicklungen gefördert werden sollen.“

Gelegentlich hapert es auch am notwendigen Fachwissen für komplexe ökologische und technologische Lösungen. Für das Wifo stellt daher eine enge Zusammenarbeit zwischen öffentlichem Auftraggeber und zum Beispiel einer auf Umweltaspekte spezialisierten Organisation einen „Schlüssel zum Erfolg“ dar. Den „Aktionsplan für nachhaltige öffentliche Beschaffung“ (naBe) sieht der Experte als wichtigen Schritt zu einer Konkretisierung. So wird unter anderem für öffentliche Bauvorhaben ein bestimmter Recyclinganteil vorgeschrieben. Klien: „Das mutet zwar sehr dirigistisch an, ist aber absolut sinnvoll.“

Eindeutig ist: Der Druck Richtung Nachhaltigkeit steigt. Und das nicht nur vom Gesetzgeber. Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien spielt auch bei der Finanzierung zunehmend eine zentrale Rolle. „Banken prüfen bei der Kreditvergabe schon jetzt, ob Unternehmen bestimmte ESG-Kriterien erfüllen“, sagt Julia Leeb, Partnerin und Expertin für Corporate Finance bei der Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft BDO, „das heißt, auch Themen zu sozialem Bewusstsein und Unternehmensführung strahlen neben den Umweltkriterien schon auf die aktuellen Bewertungen der Banken aus.“

Wer nachhaltig wirtschaftet, steigert seine Kredit­würdigkeit bei Banken.

BDO-Expertin Julia Leeb
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Finanzierung. Neben Bilanzziffern rücken ESG-Werte in den Fokus.

© Martina Draper

Druck durch Banken.

Die Banken haben dabei durchaus eigene Interessen. Denn die ESG-Bewertung von Schuldnern fließt auch in die Bewertung der Banken selbst ein – logisch, dass sie nachhaltig wirtschaftende Betriebe als Kunden präferieren. Es kommt also nicht mehr nur auf die Bilanzkennzahlen der Kreditnehmer an, sondern auch, wie diese erwirtschaftet werden. In der Praxis bedeutet das: Unternehmen, bei denen Nachhaltigkeit keine große Rolle spielt, werden es bei der Kreditvergabe schwerer haben. Und wenn sie einen Kredit bekommen, dann zu schlechteren Konditionen. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Nachhaltigkeit steigert die Kreditwürdigkeit.

Für den Vergaberechtsexperten Martin Schiefer ist das ein wichtiger und richtiger Ansatz. „Wir müssen Unternehmen, die ESG-Kriterien in ihrem Alltag ernsthaft berücksichtigen, viel stärker belohnen. Zum Beispiel, indem wir ihnen in Auftragsvergaben bessere Chancen einräumen. Damit würden wir für verantwortungsvolle Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil schaffen – und so auch andere ermutigen, in diese Richtung zu gehen. Und genau dort wollen wir hin!“

Schiefer Rechtsanwälte. Wir denken Vergaberecht neu. Für Ihren Erfolg.
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