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Gio Hahn, der Unterschätzte: Der EU-Kommissar im Porträt

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Gio Hahn

©IMAGO / SKATA
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Als Politiker unterschätzt, als Minister ungeliebt, in Brüssel der neue Mann: Johannes Hahn im Porträt.

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Juli 2007. Ein Propellerflugzeug mit sechs Passagieren an Bord nähert sich von Pristina kommend über Ungarn der österreichischen Staatsgrenze. Es ist das Ende einer kurzen Dienstreise von Wissenschaftsminister Johannes Hahn nach Mazedonien und in den Kosovo. Zur gleichen Zeit gehen im Semmering-Gebiet schwere Unwetter nieder, am nächsten Tag berichten die Zeitungen von schweren Hagel- und Sturmschäden in der Steiermark und in ­Niederösterreich. 10.000 Meter über dem Boden gibt der Pilot eine Mitteilung durch: "Sehr geehrte Damen und Herren, vor uns liegt ein massives Unwetter, ich bitte Sie, sich anzuschnallen und in ­Ihren Sitzen zu bleiben."

Minuten später wackelt, taumelt und schaukelt die kleine Maschine durch das Unwetter. Blitzschläge sind links und rechts neben der Maschine zu sehen, und auf die Tragflächen trommeln die Hagelkörner ein. Die Stimmung an Bord ist zumindest gedämpft. Bis auf den Wissenschaftsminister. Der erzählt unbekümmert Geschichten über seinen Sohn, spricht über Erziehungsfragen und stellt interessiert Fragen zum Thema Kinder, Familie und Work-Life-Balance und erhält immer kürzere Antworten.

Gelassenheit in allen Lagen

Eine skurrile Situation auf dem Flug Pristina-Wien im Juli 2007, die dem Begriff "gelassen" eine neue Bedeutung verleiht. Denn der frisch gekürte österreichische EU-Kommissar Hahn gilt gemeinhin als ein "gelassener" Politiker. Diese Beschreibung dürfte auf jeden Fall angemessen sein und hat ihren tieferen Ursprung wohl in der 30-jährigen Erfahrung Hahns mit der Diagnose Krebs.

Im Alter von 22 Jahren war der heute 51-Jährige erstmals mit einer Krebs­erkrankung konfrontiert. Es folgten weitere Rückschläge in den Jahren 1986, 1991 und 1999. Bis heute geht Hahn alle drei Monate zur Kontrolluntersuchung und lebt mit nur einem Hoden und nur einer Niere. Diese Erfahrungen haben den Wiener ÖVP-Chef, der vorerst noch im Amt bleiben will, geprägt.

"Ich bin lange keine finanziellen Risiken durch Eigentumsbildung eingegangen aus Rücksicht auf meine Familie. Wir wohnen bis heute in einer Mietwohnung", sagt der künftige EU-Kommissar Österreichs. Und seine zurückhaltende Art habe ihn, erzählt Hahn, in früheren Jahren so manche Freundin gekostet, die sich mehr jugendliche Aufgeregtheit gewünscht hätte. "Heute wird mir das als Asset ausgelegt."

Johannes Hahn, der Karrieremensch

Am vergangenen Dienstag war es endlich fix: Der amtierende Wissenschaftsminister Johannes Hahn, seit Jänner 2007 in diesem Amt und seit 2004 Wiener ÖVP-Chef, hat das Rennen um den österreichischen EU-Kommissar für sich entschieden. Nach einem wochenlangen Eiertanz der Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP fiel die Wahl auf den unaufgeregten Philosophen, der Journalisten und Öffentlichkeit immer wieder mit unkonventionellen, aber trockenen Pointen unterhält.

Damit ist Hahn mit einem Schlag der wichtigste Europapolitiker Österreichs, selbst wenn zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht feststeht, ob er von Kommissionspräsident José Manuel Barroso das gewünschte Wissenschaftsressort erhalten wird. Neben dem großen Dossier Wissenschaft ist Hahn auch als Kommissar für Bildung im Gespräch, wo er das Problem mit den deutschen Medizinstudenten in Österreich lösen müsste.

Dabei hat der frischgebackene EU-Kommissar, wie er sagt, selbst nie eine Karriere als Minister oder EU-Politiker angestrebt. In einem Interview mit der "Presse" sagte Hahn vor wenigen Monaten: "Ich habe, wie man so sagt, Karriere gemacht, aber nie hundertprozentig etwas angestrebt. So war ich nie enttäuscht, wenn nichts daraus geworden ist."

Betrachtet man die Art und Weise, wie Hahn zu Brüsseler Ehren kam, ist man versucht, ihm zu glauben. Als lachender Dritter, der nun als Notnagel und Verlegenheitslösung bezeichnet wird, war Hahn tatsächlich der klassische Kompromisskandidat neben dem ÖVP-Favoriten Wilhelm Molterer und der roten Hoffnung Benita Ferrero-Waldner. Auch seine Ernennung zum Wissenschaftsminister 2007 kam ähnlich überraschend, als Favorit für das Amt waren damals andere Personen gehandelt worden.

Die Schwächen des Johannes Hahn

In seiner Rolle als Minister hat sich Hahn in den vergangenen zwei Jahren viele Freunde, aber auch erbitterte Gegner geschaffen. Für die Studenten, die am Mittwoch zu Tausenden protestierend über den Wiener Ring zogen, ist er das erbitterte Feindbild, das für die finanzielle Misere an den Universitäten, die Zugangsbeschränkungen und den "neoliberalen" Bologna-Prozess verantwortlich ist. Die Kritik nimmt Hahn wie meist gelassen: "Wäre es anders, müsste man meinen, ich hätte etwas falsch gemacht."

Direkte Verhandlungspartner wie der Vorsitzende der Rektorenkonferenz, Chris­toph Badelt, wiederum attestieren Hahn ein hohes Maß an Kritikfähigkeit, Rationalität und die Fähigkeit, sachliche Konzepte zu verfolgen und auszuarbeiten. ­Allerdings, und das halten Kenner Hahns, die anonym bleiben wollen, für einen wichtigen Punkt in der Kommissars-Entscheidung: Hahn scheut die Mühen der täglichen Innenpolitik. Anders als sein Parteichef Josef Pröll ist der promovierte Philosoph (Dissertationsthema: "Perspektiven der Philosophie heute - dargestellt am Phänomen Stadt") kein charismatischer Politiker, der leut­selig und hemdsärmelig bei jedem Anlass auf verschiedene Bevölkerungsgruppen zugeht.

Ein ehemaliger ÖVP-Mitarbeiter erinnert sich an Hahns Rolle beim Landtagswahlkampf 2005 in Wien: "Der Gio trat so ähnlich auf wie der Willi Molterer im Wahlkampf 2008. Nicht offen und fröhlich in alle Richtungen, sondern immer etwas verhalten und distanziert. Ein Analytiker eben."

Insofern ist Hahn, der sich als ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Glücksspielkonzerns Novomatic schon in viele Materien einarbeiten musste, in seiner neuen Rolle in Brüssel hinter Konzepten und Gesetzen brütend besser aufgehoben als am Minoritenplatz in Wien. Mit ein Grund übrigens, warum Hahn eine Woche zögerte, bis er die protestierenden Studenten zu einem Gespräch zu sich ins Büro lud, anstatt sich im Audimax den Besetzern zu stellen. Behaupten zumindest böse Zungen in der ÖVP.

Hahns Zukunft in Brüssel

In Brüssel wird Hahn in Zukunft vor gänzlich andere Aufgaben gestellt werden als bisher. EU-Kommis­sionspräsident Barroso will mit der nun zu kürenden Kommission den 27 Nationalstaaten mehr Widerstand entgegenbringen als in der Vergangenheit. Schon vor Antritt der neuen Kommission hat Barroso angekündigt, einen eigenen Menschenrechts-Kommissar, ein großes Klimaschutz-Dossier und ein eigenes Migrations-Ressort schaffen zu wollen. Selbst ein eigener Finanzmarkt-Kommissar, der sich um mehr Regulierung auf den abgehobenen Finanzmärkten kümmern soll, ist im Gespräch.

Damit nimmt Barroso endlich die wesentlichen Zukunftsfragen Europas ernst und deutet an, dass er die europäische Dimension der Kommission stärker hervorheben will. Hahn fühlt sich dieser Rolle gewachsen. Er verweist auf seine ersten politischen Gehversuche Anfang der 80er-Jahre als Wiener Landesobmann der Jungen Volkspartei: "Ich war einer der Ersten in Österreich, die sich für den EG-Beitritt ausgesprochen haben." Die damaligen Weggefährten Hahns hießen übrigens Christoph Leitl und Othmar Karas. Vor allem Letzteren wird Hahn in Zukunft in Brüssel wieder häufiger im Café treffen können, um über den Mehrwert, den die EU für die Menschen in Europa haben sollte, zu philosophieren.

Wie stark Hahn allerdings im Konflikt zwischen Kommission und Nationalstaaten proeuropäisch auftreten wird, bleibt abzuwarten. Seine bisherige politische Vita - Hausbesetzer in den 80ern, unaufgeregter Parteisoldat in den 90ern, solider Wiener ÖVP-Parteichef und Mi­nister ohne Starallüren - lässt hier alle Spekulationen offen.

Der Privatmensch Gio Hahn

Spekulationen über den Privatmenschen Hahn gibt es indes kaum. Bekannt ist lediglich, dass er mit seiner Frau Marina Hahn-Bleibtreu, die im Sozialministerium im Fachbereich Gen­der-Mainstreaming arbeitet, einen 21-jährigen Sohn, Simon, hat. Der ist erfolgreicher Handballspieler bei den AON Fivers, ehemals als WAT 5 ein lupenrein sozialdemokratisch geführter Klub.

Heute, so erzählt der ehemalige SPÖ-Außenminister Erwin Lanc als Vereinspräsident, zählt der Vater bei fast jedem Heimspiel zu den Fans. Hahn ist zudem als passionierter Hobbysegler bekannt. Den Segelschein erwarb er auf der Alten Donau während des Baus der UNO-City 1973, heute segelt er mit seinem Trimaran auf dem Neusiedler See und in der Adria.

Dieses Hobby und seine Erfahrungen mit dem Krebs haben aus Hahn aber ­jedenfalls einen Menschen mit guten Nerven und Familiensinn gemacht. Nach der Landung der Propellermaschine in Wiener Neustadt griff er nicht zitternd zur Valium-Packung, sondern setzte sich spätabends ins Dienstauto und fuhr los. Zur privaten Feier einer Parteikollegin.

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