
Hartwig Löger, CEO Vienna Insurance Group
©VIG/Marlene Fröhlich luxundlumen.comHartwig Löger, CEO der Vienna Insurance Group, über das starke Jahr 2025, die Wachstumsstrategie in Deutschland sowie in Zentral- und Osteuropa und die Ziele bis 2028.
TREND: Die Vienna Insurance Group (VIG) hat ein starkes Jahr. Der Ausblick für das Konzernergebnis 2025 vor Steuern wurde auf 1,10 bis 1,15 Milliarden Euro angehoben. Wie gelingt das in einem derart schwierigen wirtschaftlichen Umfeld?
Hartwig Löger: Die Anhebung des Ausblicks ist Folge unseres hervorragenden Ergebnisses für die ersten drei Quartale 2025. Wir konnten die Prämien und Erträge über alle Sparten und Segmente steigern, unsere Combined Ratio deutlich verbessern und damit ein Ergebnisplus von über 30 Prozent erzielen. Gelungen ist das über einen Mix an Faktoren: die Kundenzentrierung in Kombination mit der Vertriebsstärke unserer lokalen Gesellschaften, das Wachstum der CEE-Region, das das Doppelte der Euro-Zone beträgt, das weitgehende Ausbleiben von wetterbedingten Schäden und natürlich auch unsere Diversifikation über Märkte und Sparten.
In welchen Regionen und in welchen Sparten gab es die größten Zuwächse für die VIG?
Die höchsten Prämiensteigerungen mit jeweils rund zwölf Prozent wurden in den Sparten Kranken-, Kfz-Haftpflicht und Lebensversicherung erzielt. Was die Märkte betrifft, weist Polen als wesentlicher Kernmarkt ein besonders dynamisches Wachstum auf, in den Spezialmärkten ist es insbesondere die Türkei, und auch die Ukraine hat sich äußerst positiv entwickelt.
Der Erwerb der Nürnberger Versicherung um 1,4 Milliarden Euro ist die größte Transaktion in der Geschichte der VIG. Was ist die Strategie dahinter?
Die Diversifikation über den Spezialmarkt Deutschland soll die langfristige profitable Wachstumsstrategie der VIG in CEE unterstützen und die Nürnberger auch innerhalb der VIG-Gruppe als richtungsgebenden Anbieter von Biometrieprodukten ausrichten. Mit ihrer starken und gut etablierten Marke und ihrer unternehmerisch geprägten Kultur bildet die Nürnberger auch die Werte und die strategischen Ambitionen der VIG sehr gut ab.
Das Deutschland-Geschäft wird nun in etwa gleich stark wie der österreichische Markt sein. Welche Ziele haben Sie für den deutschen Versicherungsraum?
Deutschland bietet aufgrund seiner hohen Affinität zu Versicherungsprodukten und der Größe des Markts ein attraktives Umfeld. Die VIG ist seit 1990 mit der InterRisk Leben und Nicht-Leben-Gesellschaft, die im Segment Privatkunden Lebens-, Unfall-, Sach- und Haftpflichtversicherungen vertreibt, in Deutschland vertreten. Das Produktportfolio der Nürnberger wird über ihre flächendeckende Vertriebsorganisation landesweit vertrieben und bietet uns damit Potenzial zur Skalierung. Dennoch streben wir am deutschen Markt keine Topplatzierung an, wie wir es in unseren Kernmärkten tun. Deutschland ist und bleibt ein wichtiger Spezialmarkt für uns.
Die Nürnberger Versicherung verfügt über eine hohe Biometrie-Expertise. Wird es hier Synergien zwischen der Nürnberger Versicherung und ihren Gruppen-Gesellschaften in CEE geben?
Geplant ist, dass die Nürnberger als führender deutscher Anbieter für biometrische Produkte, insbesondere der Berufsunfähigkeitsabsicherung, mit ihrem komplementären Lebensversicherungsportfolio zur weiteren Diversifikation unserer Gruppe beiträgt. Ihre Expertise wird für viele unserer Länder von Relevanz sein, gerade in jenen Märkten in CEE, in denen das Sozialversicherungssystem nicht so ausgeprägt ist wie in Österreich.
Die Erste Group hat mit dem Kauf der polnischen Bank Santander einen großen Schritt in das wachstumsstärkste CEE-Land gesetzt. Profitiert die VIG dadurch auch mit ihrer strategischen Vertriebspartnerschaft?
Polen ist für die VIG wichtiger Kernmarkt, den wir dynamisch mitgestalten. So haben wir beispielsweise mit der Fusion unserer drei Lebensversicherungsgesellschaften unsere Kräfte gebündelt und agieren aktuell als viertgrößter Lebensversicherer am polnischen Markt. Dabei bauen wir auch unsere Vertriebsstärke konsequent aus – erst heuer haben wir über unsere Beteiligung an „Phinance“, einem der größten Finanzmakler Polens, Zugang zu dessen umfangreichem Kunden- und Beraternetzwerk erlangt. Wenn sich die Dynamik in Polen durch den Eintritt der Erste Group noch weiter verstärkt, sehen wir das als zusätzliche Chance.
Bleibt die CEE-Region Kernmarkt der VIG?
Jedenfalls. Die Einteilung unseres Länderportfolios bleibt unverändert. Mit 170 Millionen Menschen ist CEE ein Markt mit enormem Potenzial. Die VIG ist seit 2008 durchgehend klarer Marktführer in Zentral- und Osteuropa. Eine Positionierung, die wir auch über die nächsten Jahre konsequent stärken werden. Während wir in den Kernmarktländern eine Platzierung unter den top drei am jeweiligen Markt anstreben, erweitern unsere Spezialmärkte das CEE-Geschäft um profitable Geschäftsfelder.
Wie wird sich das Verhältnis der Prämieneinnahmen aus Ost- und aus Westeuropa in den nächsten Jahren verändern?
Wir teilen unsere Märkte nicht in West- und Osteuropa, sondern unterscheiden zwischen unseren 20 Kernländern und unseren zehn Spezialmärkten, zu denen auch Deutschland zählt. Nach der geplanten Integration der Nürnberger würden auf den deutschen Markt rund 20 Prozent unseres Prämienvolumens entfallen. Unsere CEE-Märkte erbringen mehr als die Hälfte unseres Prämienvolumens. Die Pensionen werden kommenden Jahres unter der Inflationsrate angepasst. Zugleich gibt es aber keinen Anreiz, verstärkt privat vorzusorgen.
Wie verzweifelt sind Sie in Ihrem Kampf für die Stärkung der privaten Zukunftsvorsorge?
Grundsätzlich ist zu betonen, dass Österreich ein gutes und im Vergleich zu anderen Ländern großzügiges Pensionssystem aufweist, zu dessen Stärken sein Umverteilungseffekt zählt. Wir wissen aber auch, dass es in Zukunft erheblich schwieriger und teurer wird, dieses System zu erhalten. Während Österreichs Ausgaben für Pensionen deutlich über dem EU-Schnitt liegen und weiter ansteigen, sinken die Leistungen in Zukunft. Es gibt Länder, die das weit effizienter lösen. Die Versicherungswirtschaft leistet seit Jahren Überzeugungsarbeit gegenüber Regierungen und Institutionen zur Reformnotwendigkeit des staatlichen Pensionssystems und der Sinnhaftigkeit von Anreizen zur Stärkung der privaten Vorsorge. Wir können aber Anreize nicht erzwingen, und mehr als positive Bekundungen in diversen Regierungspapieren, sich dem Thema zu widmen, gab es leider aus budgetären Gründen nicht. Dabei würde eine stärkere private Säule das ohnehin angespannte staatliche System entlasten.
Die VIG nimmt mittlerweile einen gewichtigen Platz unter den größten europäischen Versicherungen ein. Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der EU-Kommission in Brüssel für Ihre Branche?
Auf höherer, politischer Ebene vernehmen wir die Absicht, die derzeitige überbordende Regulierung zu reduzieren. Ein genauerer Blick auf die tatsächlichen Aktivitäten der Kommissionsbeamten zeigt jedoch ein anderes, sogar gegenteiliges Bild.
Trotz widriger Umstände hat die VIG-Aktie mit 60 Prozent seit Jahresbeginn sehr stark performt. Wird die neue Strategie auch 2026 die Anerkennung vom Kapitalmarkt finden?
Wir haben uns mit „evolve28“ ambitionierte Ziele gesetzt, die auch vom Kapitalmarkt positiv aufgenommen werden. Mit dem Geschäftsjahr 2028 wollen wir ein Prämienvolumen von mindestens 20 Milliarden Euro sowie ein Ergebnis vor Steuern von mindestens 1,5 Milliarden Euro erzielen und damit unser Ergebnis um rund 30 Prozent steigern. Bei der Combined Ratio netto, also der Schaden-Kosten-Quote, haben wir eine Obergrenze von 91 Prozent festgelegt. Der operative Return on Equity soll 2028 mindestens 17 Prozent betragen und der Zielkorridor für die Solvenzquote der Gruppe zwischen 150 und 200 Prozent liegen. Damit zeichnen wir ein sehr klares Bild des Wachstumskurses, den wir über die nächsten drei Jahre forcieren. Nach der geplanten Übernahme der Nürnberger werden wir diese Ziele nochmals entsprechend erhöhen.
Wie wird sich die Dividende entwickeln?
Unsere Dividendenpolitik bleibt unverändert. Ziel ist, die Dividende je Aktie abhängig von der operativen Ergebnissteigerung kontinuierlich zu erhöhen. In jedem Fall bleibt sie zumindest auf Vorjahresniveau.
Zur Person.
HARTWIG LÖGER ist seit Juil 2023 Vorstandsvorsitzender der Vienna Insurance Group. Anfang 2021 wurde er Mitglied im Vorstand der VIG. Von 2017 bis 2019 war Löger Finanzminister der Republik Österreich, davor zuletzt Vorstandsvorsitzender der Uniqa Österreich AG.