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Protein in aller Munde

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GESUNDE ERNÄHRUNG wird heute gerne mit hohem Eiweißkonsum verbunden, Proteinshakes versprechen mehr Muskeln und Kraft. Doch die wenigsten müssen sich um ihren Proteinkonsum Sorgen machen.

Versorgte sich die Bodybuilderszene früher in spezialisierten Fitnessnahrungsgeschäften und später online in Sportnahrungsshops mit Kraftstoff für die Muskeln, gibt es Proteinshakes und Eiweißriegel heute in jedem Drogerie- und Supermarkt. Mehr noch: Quer durch die Nahrungsmittelpalette wird mit besonders hohem Proteingehalt geworben. Eiweißreiche Nahrungsmittel sind zum allgemeinen Lifestyleprodukt geworden. Ihr Aufstieg ging mit einem Rückgang der beliebten Light-Produkte einher.

Protein ist aber nicht nur Baustoff für Zellen und Gewebe, Enzyme und Hormone im Körper, es hilft auch, das Sättigungsgefühl länger aufrecht zu erhalten. Daher sind Eiweißprodukte heute auch bei Abnehmwilligen sehr beliebt. Besonders augenfällig wird das, wenn man vor den Kühlregalen mit Milchprodukten steht. Der Molkereiprodukterzeuger NÖM bietet hier zum Beispiel seine Produktpalette NÖM PRO feil. Sie umfasst Milchdrinks und Topfencremen, Cottage Cheese und Naturjoghurt, Proteinshots und besonders eiweißreiche Milch. Die Produkte werden dazu mit modernster Technologie mit Milchprotein angereichert, erklärt Veronika Koch, Marketingleiterin der NÖM AG: „Den hohen Proteingehalt erreichen wir, indem neben Magermilch auch Magermilchkonzentrat eingesetzt wird.“

Dieses Protein-Segment sei schon länger keine Nische mehr, betont Koch. „Von 2023 auf 2024 konnten wir mit NÖM PRO um 20,1 Prozent wachsen.“ Heute beträgt der Anteil der Eiweiß-Produkte an allen veredelten Milcherzeugnissen von NÖM bereits acht Prozent. Die Linie NÖM PRO ist daher der stärkste Wachstumstreiber des Unternehmens am Markt. Die NÖM-Gruppe erwirtschaftete 2023 weltweit einen Umsatz von 645 Millionen Euro – welchen Anteil hier die Proteinprodukte haben, konnte das Unternehmen allerdings nicht angeben. Man habe sich aber sowohl in Österreich als auch bei großen Händlern in Europa „als Nummer-eins-Produzent für funktionale Milchdrinks etabliert“.

MILLIARDENGESCHÄFT.

Der europäische Proteinmarkt wird für das Jahr 2025 auf 6,37 Milliarden US-Dollar (5,8 Milliarden Euro) geschätzt. Bis 2030 soll er nach Berechnungen des Marktforschungsunternehmens Mordor Intelligence auf 8,13 Milliarden Dollar anwachsen. Das würde einem jährlichen Wachstum von fünf Prozent entsprechen. Als Hauptgrund dafür gibt das Institut veränderte Ernährungsgewohnheiten und Lebensstile der Konsumenten an.

Die Branchenlandschaft wird in Europa wiederum durch eine Verlagerung hin zu pflanzenbasierter und flexitarischer Ernährung verändert. Das lässt sich auch an entsprechenden Investitionen ablesen. So setzte einer der großen Player in dieser Branche, das französische Unternehmen Roquette Frères, zuletzt massiv auf die Produktion von Erbsenprotein und errichtete dazu zwei Werke in Frankreich und in Kanada. In diesen werden inzwischen insgesamt 250.000 Tonnen Erbsen pro Jahr verarbeitet. Erbsenprotein ist heute oft Hauptzutat veganer Proteinprodukte vom pfl anzlichen Eiweißshakepulver bis zum Fleischersatz.

Aber braucht es solche Spezialprodukte überhaupt, um den täglichen Eiweißbedarf zu decken? Laut Daten der UNO lag die tägliche Menge an konsumiertem Protein pro Kopf Anfang der 1960er-Jahre in Österreich noch bei 88,9 Gramm. 2022 konsumierte jeder Mensch im Schnitt bereits 110,3 Gramm Eiweiß am Tag. Wie viel Eiweiß täglich gegessen werden sollte, dazu gehen die Expertenmeinungen zwar etwas auseinander. Aber eines vorweg: 110 Gramm sind für das Gros der Menschen mehr als genug.

ES HÄNGT VOM ALTER AB.

Johannes Pleiner-Duxneuner ist Ernährungsmediziner und Geschäftsführer der AGES, der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Er sagt: Der aktuelle Referenzwert für die Proteinzufuhr beträgt 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag für Frauen und Männer ab 19 Jahren. Ab dem Alter von 65 Jahren erhöht sich dieser Wert auf ein Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Wer übergewichtig ist, soll sich allerdings nicht am tatsächlichen, sondern am Idealgewicht orientieren. Wer also 70 Kilo wiegt, bräuchte 56 Gramm Eiweiß, führt der AGES-Chef aus: „Über den Tag könnte das so aussehen: zum Frühstück ein Haferflockenmüsli mit Milch, zu Mittag Pasta mit Linsenbolognese, am Nachmittag ein paar Nüsse und abends Vollkornbrot mit Topfenaufstrich.“ Mit einer ausgewogenen Ernährung sei der Eiweißbedarf daher einfach abzudecken. Unverarbeitete Lebensmittel sind dabei stark verarbeiteten vorzuziehen. Aber gerade viele High-Protein-Produkte sind hochverarbeitete Lebensmittel.

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JOHANNES PLEINER-DUXNEUNER. Der Chef der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, kurz AGES, plädiert für eine ausgewogene Ernährung zur Deckung des Eiweißbedarfs.

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Bernhard Franzke setzt den idealen Eiweißkonsum etwas höher an. Der Ernährungswissenschaftler ist Teil des Teams am Forschungszentrum Gesundheitswissenschaften der Fachhochschule Campus Wien. Aktuelle Studien legen ihm zufolge nahe, im Erwachsenenalter zumindest ein Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht zu konsumieren. Auch er betont: als Richtschnur gilt hier immer das Ideal- und nicht das tatsächliche Gewicht. Ab dem Alter von etwa 60 Jahren empfiehlt er allerdings einen Eiweißkonsum von 1,2 bis 1,5 Gramm pro Kilo Körpergewicht. Das nämlich trage in Kombination mit Krafttraining zu einem gesünderen Altern bei. Denn einerseits nimmt die Fähigkeit der Zellen, sich zu erneuern, mit zunehmenden Alter ab. Gleichzeitig kann der Körper aber auch weniger Protein aus der Nahrung aufnehmen. So wird die Muskulatur immer schwächer. Wer hier durch höheren Eiweißkonsum entgegenwirkt, kann sich seine Fitness länger erhalten. Die Proteinzufuhr muss dafür allerdings eben auch mit Krafttraining kombiniert werden. Der Gang ins Fitnessstudio sei dafür nicht unbedingt nötig, so Franzke: „Gymnastikübungen mit einem Theraband reichen auch aus. Wichtig ist aber, die Muskeln mit diesem Training zumindest in die Nähe der Erschöpfungsgrenze zu bringen.“

Und gerade bei älteren Menschen, die sich vielleicht mit dem Kauen schon schwertun, sieht Franzke den Einsatz beispielsweise von Eiweißshakes oder Eiweißpuddings als durchaus sinnvoll. Aber auch Sportler könnten mit einem Proteindrink nach dem Sport etwas Gutes für die Regeneration der Muskeln tun. Auch er plädiert dafür, generell unverarbeiteten Lebensmitteln den Vorzug zu geben. Doch wenn es manchen leichter fällt, mit den proteinangereicherten Produkten ihren Eiweißbedarf zu decken, sei dagegen nichts einzuwenden.

Wenn es leichter fällt, mit proteinangereicherten Lebensmitteln den Eiweißbedarf zu decken, ist dagegen nichts einzuwenden.

BERNHARD FRANZKEFH CAMPUS WIEN

SONDERFALL VEGANER.

Eine Gruppe, die mit herkömmlichen Lebensmitteln rasch an die Grenzen des Machbaren stößt, sind Menschen, die sich vegan ernähren. Wer sich das Protein nur aus Linsen, Bohnen, Tofu holen möchte, müsste zu große Mengen dieser Lebensmittel zu sich nehmen. Hier helfen Proteinpulver aus Erbsen, Reis oder Soja. „Da würde ich dann raten, durchaus auch dazu zu greifen“, betont Franzke. Aber auch für Menschen, die ihr Gewicht reduzieren möchten, sei zum Beispiel der Eiweißriegel die bessere Wahl, als Schokolade zu konsumieren.

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PROTEINSHAKES. Wer sich gesund ernährt, benötigt sie in der Regel nicht, für Veganer und Menschen ab 60 können sie aber durchaus sinnvoll sein.

SONDERFALL KINDER.

Besonders wichtig ist der Konsum von Eiweiß aber nicht nur im Alter, sondern auch am Beginn des Lebens. „Protein ist für das Wachstum zuständig – sowohl das Längenwachstum als auch das Gehirnwachstum“, betont Nadja Haiden: „Proteine sind essenzielle Bausteine für jedes Organ im Körper.“ Die Neonatologin ist Vorsitzende der Ernährungskommission der Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde und auch Vorsitzende der europäischen Ernährungskommission für Kinder. In Nichtindustrieländern gebe es hier immer noch einen Proteinmangel, der dann dazu führe, dass Kinder zu klein sind und ihre Knochendichte schlecht ist.

Hierzulande sei eher das Gegenteil ein Problem: „Wenn im Säuglings- und Kleinkindalter eine zu hohe Zufuhr von Protein erfolgt, haben die Kinder später ein wesentlich höheres Risiko, übergewichtig zu werden beziehungsweise auch Diabetes Typ 2 zu entwickeln.“ Die frühe Kindheit gilt daher als kritisches Zeitfenster. „In den ersten 1.000 Tagen findet die metabolische Programmierung statt, und da ist es ganz essenziell, genau die richtige Menge Protein zuzuführen.“

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NADJA HAIDEN. Die Neonatologin und Vorsitzende der europäischen Ernährungskommission für Kinder betont die Bedeutung von Protein für das gesunde Wachstum von Neugeborenen. Im Kleinkindalter sei aber bereits Vorsicht geboten.

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Was aber ist zu viel und was zu wenig? Neugeborene benötigen zwei Gramm Protein pro Körpergewicht am Tag. Dieser Wert sinkt dann langsam ab und beträgt ab dem Alter von vier Jahren nur mehr 0,9 Gramm Eiweiß pro Kilo. Mütter, die stillen, brauchen sich hier zunächst keine Gedanken zu machen, denn, so Haiden, der Proteingehalt der Muttermilch nehme von Monat zu Monat des Stillens ab und sorge für genau die richtige Dosierung. „Die Muttermilch ist also der Goldstandard.“ Muttermilch- Ersatzprodukte enthielten dagegen oft zu viel Eiweiß. „Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Kinder, die gestillt werden, später ein geringeres Risiko haben, adipös zu werden.“

Doch auch im Kleinkindalter gilt es noch aufzupassen. Vorsicht ist vor allem beim Konsum von Kuhmilch geboten. „Kuhmilch ist kein Getränk, sondern eine Mahlzeit“, gibt Haiden zu bedenken. Das tägliche Glas Milch führe dazu, dass kleine Kinder um etwa ein Drittel mehr Protein zu sich nehmen, als für sie gut ist. Aber auch bei anderen proteinhältigen Lebensmitteln müssen Eltern auf die Portionsgrößen achten. Richtgröße sei hier immer die Kinderfaust oder die Kinderhand: „Ein Stück Fleisch sollte so groß sein wie der Kinderhandteller.“

In Kindergärten werde heute bereits mehrheitlich auf die richtige Zusammensetzung der Menüs für die Kleinsten geachtet, sagt Haiden, auch wenn die diesbezüglichen Empfehlungen der AGES leider nicht bindend seien. In den Familien gelte es aber durchaus, diesbezüglich noch Bewusstseinsarbeit zu leisten. Vor allem in ländlichen Gegenden ist zum Beispiel der Frühstückskakao immer noch gang und gäbe. Werden dann noch Cereals mit Milch dazu gereicht, wird das rasch zu viel. Aber auch Erwachsene sollten darauf achten, dass sie zwar genügend, aber nicht zu viel Protein zu sich nehmen, gibt AGES-Chef Pleiner-Duxneuner zu bedenken. „Zu viel Eiweiß kann auch gesundheitsschädlich sein.“ Das gelte vor allem für Menschen, die bereits an Nieren- und Leberschäden leiden.

Für gesunde Personen ist es also unbedenklich in Summe bis zu zwei Gramm Eiweiß pro Kilo Idealgewicht pro Tag zu konsumieren, sagt Franzke. Wer aber bereits mit Nieren- oder Leberproblemen kämpft, sollte den Konsum von Proteinangereicherten Produkten mit Arzt oder Ärztin abklären.

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