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In der kritischen Zone

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Agatha Kalandra ist Vorstandsmitglied, Partnerin und Leiterin des Management-Consulting-Teams von PwC Österreich. Sie verfügt über einen MBA in Controlling und Finance und mehr als 25 Jahre Berufserfahrung. Ihr Fokus liegt auf Finance-Transformation, HR-Transformation und Sustainability.
Agatha Kalandra ist Vorstandsmitglied, Partnerin und Leiterin des Management-Consulting-Teams von PwC Österreich. Sie verfügt über einen MBA in Controlling und Finance und mehr als 25 Jahre Berufserfahrung. Ihr Fokus liegt auf Finance-Transformation, HR-Transformation und Sustainability.©PWC
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Der rasante Verlust von Biodiversität stellt neben dem Klimawandel die größte Herausforderung der Menschheit dar. Höchste Zeit, auch den Schutz der Artenvielfalt auf der CEO-Agenda zu verankern. Wir müssen die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung rasch von der Zerstörung der Natur entkoppeln.

Im Kampf gegen die Klimakrise braucht es ein Umdenken in den Köpfen der Menschen. Der Philosoph Bruno Latour schafft dazu treffende Bilder: Sehen wir uns als rationale Wesen, die als universelle Herrscher auf der Erde leben? Oder sehen wir uns als Wesen, die in der „kritischen Zone“ leben? In der dünnen, gasförmigen Schicht, in der das Leben auf der Erde überhaupt möglich ist. Nur wenige Kilometer dick, ist ihr Gleichgewicht bestimmt durch Milliarden von Spezies und Akteuren, die im konstanten Zusammenspiel miteinander arbeiten.

Um diese „kritische Zone“ aufrechtzuerhalten, ist der Schutz der Biodiversität ausschlaggebend. Der Begriff Biodiversität umfasst die Bandbreite an Ökosystemen, die Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen sowie die genetische Vielfalt innerhalb der unterschiedlichen Arten. Biodiversität stützt das sensible Gleichgewicht der Natur und leistet dabei Beachtliches: Die Vielfalt der Arten sichert gesunde Wälder, die Kohlenstoff speichern und unser Klima stabil halten. Sie sorgt für Millionen von Bestäubern, Bodenorganismen und Plankton, die unsere Nahrungsmittelversorgung sicherstellen. Sie bringt exotische Pflanzen hervor, die wir für die Herstellung unserer Medikamente benötigen – und sie bietet der Wissenschaft Lösungen für Herausforderungen, die wir noch gar nicht kennen.

Der Faktor Mensch. 

Der Mensch hat in den vergangenen Jahrzehnten einen nie da gewesenen Abwärtstrend der Biodiversität bewirkt. Dem „WWF Living Planet Report“ zufolge haben wir seit dem Jahr 1970 bereits 69 Prozent der globalen Biodiversität verloren. Nichts deutet derzeit darauf hin, dass sich diese Entwicklung umkehrt oder auch nur verlangsamt. Das sensible Gleichgewicht ist daher außer Balance. Der rapide Verlust macht natürliche Ökosysteme instabil oder führt sie zum Teil bereits zum Kollaps, wie man anhand des Korallensterbens beobachten kann. Auch die anthropogenen Folgen werden leider immer greifbarer.

Die Gründe für den Schwund an Biodiversität sind vielfältig. Die größten Treiber sind der Verlust und die ­Verschmutzung von Lebensräumen, die Veränderungen in der Flächennutzung (z. B. intensive Landwirtschaft), Urbanisierung und Flächenversiegelung, der Klimawandel sowie die Einführung von invasiven, gebietsfremden Arten.

Wandel der Wirtschaft. 

Um den Verlust der Biodiversität und das Artensterben zu stoppen, braucht es tiefgreifende Maßnahmen auf mehreren Ebenen. Unternehmen müssen Teil der Lösung werden. Vielen sind jedoch die Tragweite des Verlusts der Biodiversität sowie der Wert des Naturkapitals – zum Beispiel intakte, fruchtbare Böden – noch nicht bewusst. Ein wichtiger Hebel sind bei diesem Thema auch Banken, die als Geldgeber für weitere Vorhaben agieren. Eine kürzlich veröffentlichte Studie von WWF (World Wildlife Fund) und PwC Österreich verdeutlicht den Aufholbedarf heimischer Finanzinstitute: Keine einzige der 14 untersuchten Banken hat eine Biodiversitätsstrategie für ihr Kerngeschäft. Der WWF fordert daher, dass Klima- und Umweltschutzkriterien systematisch ins Kerngeschäft der Banken integriert werden – also bei allen relevanten ­Entscheidungen, Finanzierungen und Produkten eine wichtige Rolle spielen.

Stand der Regulatorik. 

Es gibt viel zu tun. So gut wie keines der sogenannten auf einer UN-Konferenz 2010 formulierten Aichi-Ziele für Biodiversität – darunter die Bekämpfung der Ursachen für das Artensterben – wurde bis zum vereinbarten Zeitpunkt 2020 erreicht. Doch nun verstärkt die Europäische Kommission den Druck mittels Regulatorik. Vor allem beziehen sich Vorgaben und Gesetze auf berichtspflichtige Großunternehmen. Biodiversität spielt eine wichtige Rolle in der EU-Taxonomie, der Taskforce für naturbezogene Finanzinformationen (TNFD), der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), dem damit verbunden ESRS-„Biodiversitätsstandard“, der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDD) oder auch der EU-Verordnung für nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten (SFDR). Letztere legt beispielsweise Unternehmen darauf fest, über Aktivitäten zu berichten, die negative Auswirkungen auf Gebiete mit gefährdeter Biodiversität haben.

Artenschutz und die Stabilisierung der Ökosysteme nehmen einen immer wichtigeren Stellenwert auf der internationalen Agenda ein. Die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 formuliert das Ziel, drei Milliarden Bäume zu pflanzen und den Einsatz von Pestiziden um 50 Prozent zu reduzieren. Darüber hinaus ist die Erwartungshaltung für die UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal im Dezember 2022 hoch: Die Tagung soll in ihrer Bedeutung mit der UN-Klimakonferenz in Paris im Jahr 2015 vergleichbar sein. Dabei sollen Biodiversitätsziele für das laufende Jahrzehnt festgelegt und in konkrete Leitlinien übersetzt werden.

Was tun? 

Unternehmen haben keine andere Wahl, als den Schutz der Biodiversität voranzutreiben, wenn sie langfristig in einem sicheren und stabilen Umfeld agieren wollen. Das Thema ist groß und komplex – andererseits gibt es Unmengen von Daten, Initiativen oder Lösungsansätzen, die nun in die Tat umgesetzt ­werden müssen. Wo sollen Unternehmen beginnen? Die Antwort hängt ganz davon ab, wo ein Unternehmen tätig ist und welche Aktivitäten es dort ausübt. Unterschiedliche Aktivitäten erzeugen unterschiedliche Arten von Druck auf die biologische Vielfalt. Die Flächennutzung ist einer der zentralen Hebel, den es zu berücksichtigen gilt. Wie viel Land wird genutzt? Wie wird es genutzt? Und wo genau liegt es? Weitere wichtige Faktoren, die sich negativ auf die Biodiversität auswirken, sind der Wasserverbrauch, die Umweltverschmutzung oder die Entnahme natürlicher Ressourcen.

Klar ist auch, dass es für die Lösung der komplexen Fragestellungen innerhalb eines Unternehmens multidisziplinäre Ansätze benötigt – von Naturwissenschaftler:innen und Techniker:innen bis zu den Strategieexpert:innen. Unterstützen muss dabei auch der clevere Einsatz von Daten und Technologie. PwC hat beispielsweise ein Biodiversity-Impact-Screening-Tool entwickelt, das den Wechsel vom Planen ins Tun vereinfachen soll und bei der Zielsetzung hilft. Basierend auf Finanzzahlen eines Unternehmens misst das Tool die Auswirkungen des Betriebs auf die Biodiversität. Das Tool gibt Aufschluss über die Top-drei-Umweltbelastungen, aber auch über die Abhängigkeiten von natürlichen Ressourcen sowie über die Aktivitäten in geschützten Gebieten.

Ökosysteme stabilisieren. 

Wir leben nicht nur in einer kritischen Zone, sondern auch in einer kritischen Zeit: Nach Angaben der UN sind weltweit eine weitere Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Der Verlust bringt das Gleichgewicht noch mehr ins Schwanken. Die derzeitigen Bemühungen reichen nicht aus, um die beispiellose Zerstörung der Natur aufzuhalten, die immer mehr die Grundlagen unserer Wirtschaft, Ernährungssicherheit, Gesundheit und Lebensqualität untergräbt. Es muss uns rasch gelingen, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung von der Zerstörung der Natur zu entkoppeln.

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