
Neues Logo, neue Strategie. Einfacher wird die Neuorientierung der OMV durch die Verlagerung des Kunststoffgeschäfts nicht.
©OMV AGDie OMV besorgt sich frisches Geld in dreistelliger Millionenhöhe und ist am Scheideweg: Der Milliardendeal ihres Chemiegeschäfts macht eine neue Vision für das Unternehmen nötig. Und das zu einer Zeit, in der das Management wieder einmal wechselt.
Mehr oder weniger fossile Energie, mehr oder weniger russisches Gas, mehr oder weniger Chemiegeschäft: In den letzten Jahren erlebte die OMV zahlreiche Strategie- und Managementwechsel. Und aktuell ist die Verunsicherung bei den rund 24.000 Mitarbeitern besonders groß. Denn OMV und Adnoc, der Miteigentümer aus Abu Dhabi, wollen ihre bislang einzelnen, doch komplex verbundenen Aktivitäten im Chemiegeschäft zum viertgrößten Kunststoffkonzern der Welt fusionieren. Die Österreicher bringen ihre Petrochemietochter Borealis ein, der Partner aus Abu Dhabi seinen Industriekonzern Borouge. Beide verzichten auf ihre Mehrheiten und werden je 46,9 Prozent an der neuen Borouge Group International (BGI) halten, der Rest notiert an der Börse. Freilich: Dass mit der Chemiesparte die Kontrolle just in einem Zukunftsbereich des postfossilen Zeitalters abgegeben wird, stößt nicht überall in der OMV auf Zustimmung.
Strategie-Los
Tatsächlich wurde in den letzten Jahren gerade rund um die Borealis die neue „Strategie 2030“ gezimmert, deren operatives Geschäft aber nun woanders stattfindet. Sukzessive sollten im Kunststoffbereich jene fossilen Märkte ersetzt werden, die mit einem zunehmend klimarelevanten Erdölbusiness ins Visier der Kritiker kommen.
„Was bleibt uns noch, wenn das Chemiegeschäft nur mehr eine Finanzbeteiligung ist?“, fragt ein verunsicherter OMV-Mitarbeiter. Ein ehemaliger OMV-Manager formuliert es hinter vorgehaltener Hand so: „Die OMV ist dann ein Energieunternehmen mit einer Weltklasse-Kunststofftochter, aber ohne Strategie.“ An der OMV mit einer Marktkapitalisierung von 15,6 Milliarden Euro hängt dann eine Beteiligung in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar (53 Milliarden Euro). Könnte das größte Unternehmen des Landes zu einer Art Restposten verkommen?
Die Unsicherheit für die verbleibenden Geschäftsfelder wird durch den Deal nicht geringer. Das klassische Erdölgeschäft ist derzeit der profitabelste Bereich der OMV und ein Ausstiegsszenario ohne direkten Zugriff auf den Rettungsanker Chemie wird schwer.
Kleinaktionärsvertreter Florian Beckermann: „Die OMV gibt etwa für Neptun Deep, eine Gasbohrung im Schwarzen Meer, rund zwei Milliarden Euro aus, für ein Geothermieprojekt in Wien erst einmal 28 Millionen Euro. Das ist eh süß. Aber da könnte man mehr machen.“ In ihrer „Strategie 2030“ hatte die OMV vor einem Jahr angekündigt, 40 bis 50 Prozent der Investitionen in Geothermie, Kreislaufwirtschaft, alternative Kraftstoffe und Recycling stecken zu wollen.
Erste-Bank-Analyst und OMV-Spezialist Tamas Pletser sieht dennoch viel Positives: „Die beiden verbliebenen Geschäftsbereiche der OMV werden als Geldmaschine für Dividenden und langfristige Investitionen erhalten bleiben“, ist er überzeugt. Dass dafür allerdings noch 24.000 Mitarbeiter nötig sind, glauben die wenigsten in der OMV: „Eine gewisse Bereinigung in manchen Bereichen wird es sicher geben“, vermutet ein Insider.
Österreich-Paket
Auch die Konstruktion des Deals sorgt bei Beobachtern für Skepsis. Etwa beim ausverhandelten Österreich-Paket, das die Unternehmenszentrale und eine spätere Börsennotiz der BGI in Wien vorsieht. „Dessen Haltbarkeit ist unklar“, moniert etwa Elisabeth Götze, Energiesprecherin der Grünen. Immerhin ist neben dem Headquarter in Wien auch noch vorsorglich eine regionale Zentrale in Abu Dhabi vorgesehen.
Auch Investmentmanager Wolfgang Matejka hat an der Durchschlagskraft des Österreich-Pakets seine Zweifel: „Langfristige Standortgarantien sind international unüblich.“ Die von den Dealmakern versprochenen höheren Steuereinnahmen sieht er vorwiegend als „Ausrufezeichen für den Finanzminister“, damit er Borouge nicht übermäßig zur Kasse bittet. Auch die neben der Börse in Abu Dhabi geplante Zweitnotiz in Wien sieht er skeptisch: „Ob das jetzt die große Änderung bringt, weiß ich nicht. Die Kapitalströme ziehen seit Jahren konstant an Wien vorbei.“
Überhaupt ist der Einfluss der Österreicher auf den neuen Konzern rechnerisch geringer als der ihrer Partner aus Abu Dhabi, obwohl beide zu Beginn jeweils 46,9 Prozent besitzen. Denn die Adnoc hält ja noch zusätzlich 24,9 Prozent an der OMV. Energieexperte Johannes Benigni sieht darin aber nicht das Problem: „Es droht die Gefahr, dass der Einfluss der OMV verwässert wird, wenn die Partner aus Abu Dhabi weitere Assets einbringen wollen und Österreich nicht mehr mithalten kann.“ Mit einem Wort: „Das ist ein Spiel der Abus, die sich das Feld mit hundert Milliarden an Spielkapital herrichten, wie sie es brauchen.“
Seeles Comeback
Überraschend auch, wer aufseiten der Abus am Spielfeld steht: ausgerechnet Rainer Seele, der frühere OMV-Chef, der nach Kritik an seinen Gaslieferverträgen mit Russland nicht ganz freiwillig ausgeschieden ist. Er ist mittlerweile bei der Adnoc für das Chemiegeschäft zuständig und steuert aus der Zwischengesellschaft XRG die neue BGI mit. Seele hat mit Österreich wohl noch eine Rechnung offen und könnte daher eher Gegenspieler denn Fürsprecher der OMV sein. Gut möglich, dass OMV-Chef Alfred Sterns vorzeitige und überraschende Ankündigung, seinen auslaufenden Vertrag 2026 nicht mehr verlängern zu wollen, auch damit zu tun hat.
Misstrauen an dem Deal schürt auch die unklare Bewertung für die fusionierten Unternehmen als Grundlage für das Kräfteverhältnis. Immerhin kommen vonseiten der Borealis 12.000 wertvolle Patente und die von ihr entwickelte „Borstar-Technologie“ für die Kunststoff bearbeitung in das neue Unternehmen. Benigni: „Die Abus sitzen jedenfalls auf dem längeren Ast. Und für die OMV beginnt die Aufgabe von vorne, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, also das Öl-und-Gas-Geschäft.“
Letztlich ist der von der OMV kolportierte Unternehmenswert von 60 Milliarden US-Dollar für Kritiker nicht nachvollziehbar. Denn aktuell liegt der Börsenwert von Borouge bei gerade einmal knapp 18 Milliarden Euro, jener der gesamten OMV bei 15,6 Milliarden Euro. Selbst wenn man weitere geplante Akquisitionen hinzurechnet, bleiben die 60 Milliarden in weiter Ferne. „Das kann sich nicht ausgehen“, kritisiert ein OMV-Manager, der nicht genannt werden will. Details dazu verrät die OMV auf Anfrage nicht, die Bewertungen wurden aber intern und extern evaluiert, heißt es.
Rot-weiß-roter Jubel
Aktuell jedenfalls dominiert Jubel in Politik und OMV-Management. „Wir bringen einen chemischen Weltkonzern nach Österreich, ein absoluter Lichtblick“, meinte OMV-Chef Stern bei der Verkündung des Deals. Der zuständige Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer sprach sogar von einem „rot-weiß-roten Sensationsdeal“.
In einer Stellungnahme an den trend führt die OMV noch einmal die Vorzüge des Deals ins Treffen: „Mit BGI gestalten wir die Neuausrichtung in der Chemieindustrie mit. Wir schaffen ein Unternehmen, das große Innovations- und Technologiestärken aufweist, 70 Prozent der Produktionsstandorte in Regionen mit niedrigen Rohstoff kosten hat und mit einer weltweiten Präsenz alle Wachstumsmärkte effizient bedienen kann. Das stärkt die Position unseres Chemiesegments enorm.“
Glücksfall
Tatsächlich sei Borealis zu klein für eine nachhaltige Entwicklung in einem zyklischen Kunststoff markt, sagt auch der sonst nicht unkritische Energieexperte Benigni: „Eigentlich ist das ein Glücksfall. Die Beziehung der OMV zur Petrochemie ist ja seit 30 Jahren von Hassliebe geprägt. Ich habe mich darum gesorgt, wie es mit der Borealis weitergehen soll.“
Der Ergebnisbeitrag aus der Borealis verhielt sich seit der nicht unumstrittenen Übernahme der Mehrheit durch die OMV auch sehr volatil. Rekorddividenden wechselten mit Minusbeiträgen ab. Und die schiere Größe des neuen Unternehmens hat regionale Synergieeffekte zu bieten. Borealis hat seinen Heimmarkt in Europa, Borouge im asiatisch-pazifischen Raum. Mit der später angestrebten Eingliederung des Mitbewerbers Nova Chemicals würde dann noch ein US-Spezialist dazukommen, womit die Weltgegenden perfekt abgedeckt wären.
Der größte Benefit: Borealis hätte durch die Fusion mit Borouge direkten Zugriff auf die günstigeren fossilen Rohstoffquellen aus dem Nahen Osten. Die Kollegen dort agieren vorwiegend mit billigem Ethan, während europäische Mitbewerber wie Borealis eher auf das teure Naphtha zurückgreifen müssen.
Die unternehmerischen Vorteile und dass man Direktzugriff auf ein viel größeres Unternehmen habe, rechtfertigten die Abgabe der bisherigen 75-Prozent-Mehrheit an Borealis, sagt Erste-Bank-Analyst Pletser: „Natürlich ist da immer ein Risiko. Aber die beiden Partner hatten eine stabile, langfristige und faire Partnerschaft seit Jahrzehnten. Das ist ein akribisch ausverhandelter Deal, bei dem beide Partner jedem einzelnen Detail zugestimmt haben.“ Was die OMV nicht anders formuliert: „Insgesamt sind langfristige Partnerschaften wichtige Faktoren. Wir sind stolz darauf, dass wir mit den Verhandlungen die Ziellinie überquert haben.“
Milliarden als Draufgabe
Was die OMV weniger gerne preisgibt: Für die Altaktionäre bedeutet die beabsichtigte Transaktion auch einen enormen Mittelzufluss, nicht nur in Form einer jährlichen Mindestdividende in Höhe von 2,2 Milliarden Euro, die zu gleichen Teilen an Adnoc und OMV gehen und den Entfall der bisherigen Konsolidierung in den Bilanzen weitgehend wettmachen soll. Darüber hinaus sorgt eine erst gegen Jahresende 2024 beschlossene Sonderdividende in der Höhe von 978 Millionen Euro aus der Borealis (zusätzlich zur regulären Dividende von 103 Millionen Euro) für einen warmen Geldregen. Er kommt hauptsächlich der OMV zugute.
Auch weitere Details der Transaktionen sind nicht unbedingt zum finanziellen Nachteil der Österreicher. Die BGI wird nämlich zu einer Art Schuldenvehikel ausgebaut, das Fremdmittel aufnehmen kann und dank der jeweiligen Minderheitseigentümerschaft weder da noch dort in der Bilanz konsolidiert werden muss.
Diese Fremdmittel werden dazu verwendet, um diverse Unternehmen aufzukaufen, etwa das bisher ausgegliederte größte Kunststoffwerk Borouge 4 in den Emiraten. An diesem ist die OMV zu 30 Prozent beteiligt, die Umschichtung an das neue Joint Venture um 7,5 Milliarden Euro sorgt also für einen Mittelzufluss von über zwei Milliarden Euro.
Noch besser als die OMV steigt freilich Partner Abu Dhabi aus. Denn die zweite fix geplante Erwerbung der neuen BGI betrifft Nova Chemicals. Der Mitbewerber aus Kanada steht im Eigentum von Mubadala, einer staatlichen Beteiligungsgesellschaft aus Abu Dhabi, die durch diese Transaktion gar über neun Milliarden Euro lukrieren wird.
Die Kehrseite der Medaille: Was gut für die Altaktionäre ist, könnte schlecht für beim Börsengang neu einsteigende Aktionäre sein. Bleiben ihnen doch die Schulden und das Risiko, wie sich etwa die erratische Zollpolitik in den USA letztlich auf das Exportunternehmen Nova Chemicals auswirkt. Aktionärsvertreter Beckermann sieht jedenfalls Handlungsbedarf: „Wir werden uns alle Details zu Borouge sehr genau ansehen, vor allem den Kauf von Nova Chemicals.“
Staffelübergabe
OMV-Boss Alfred Stern gibt sich über die anfänglichen Erfolgsmeldungen hinaus eher wortkarg, versichert dem trend aber, den Deal fertig verhandeln zu wollen: „Wir befinden uns in der größten Transformation in der Geschichte der OMV. Das ist aber nicht die Transformation des Alfred Stern, sondern die Transformation der OMV. Das Fundament für eine zukunftsgerichtete und innovativere Entwicklung von OMV ist gelegt. Darauf und auf einen geordneten Übergang an meinen Nachfolger oder Nachfolgerin konzentriere ich mich bis zum letzten Tag. Alles Weitere wird sich zeigen.“ Unternehmensintern gibt es Zweifel daran, hinter vorgehaltener Hand ist von „lame duck“ die Rede. Finanzchef Reinhard Florey wird als möglicher Übergangschef ins Spiel gebracht. Auch echte Nachfolger für den CEO-Posten werden bereits an der Gerüchtebörse gehandelt, etwa Thomas Gangl, Ex-Borealis-Chef. Er konnte stets gut mit Seele und soll zudem gute Kontakte zum ÖBAG-Präsidenten Günther Ofner pflegen, was sicher kein Nachteil ist.
Der alte Chef ist also noch gar nicht weg, da werden bereits Wünsche an seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin laut. „Es sollte ein guter Öl-Transitions-Manager sein“, findet Finanzmann Matejka. „Man braucht an der Spitze der OMV jetzt wieder einen Energiemann oder eine Energiefrau“, meint ein früherer Manager. Denn genau das sei der Kunststoffexperte Stern nicht gewesen.