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Scheitern, aber mit Erfolg

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Julia Gradwohl

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Eine junge Generation von Unternehmer:innen geht offensiv mit ihren Krisen und Rückschlägen um. Sie stellen ihr Scheitern öffentlich zur Schau und nutzen es als Marketing. Das könnte der Beginn einer neuen Unternehmenskultur sein.

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Julia Gradwohl laufen Tränen über das Gesicht. Sie blickt zu ihrem Bruder Oliver, der versucht, sie zu stärken. Sie atmet tief durch, ehe sie die schwierigsten Sätze ihres beruflichen Lebens ausspricht: „Bevor wir jetzt komplett das Unternehmen mit 17 Filialen an die Wand fahren, wollen wir noch die Kurve kriegen und auf vier reduzieren und alles dafür tun, dass das Ding weiterlauft.“ Die Jungunternehmerin pausiert und fügt hinzu: „Da stecken drei Generationen Herzblut drinnen.“

Dieses Herzblut wird beim Betrachten des auf Instagram geposteten Videos spürbar und löst mitunter Betroffenheit aus – Emotionen, die wohl auch bewirken, dass die Geschwister vom gleichnamigen burgenländischen Bäckereibetrieb in kurzer Zeit zu Internetbekanntheiten wurden. Über 20.000-mal wurde das Video angesehen – für Videos auf der Social-Media-Plattform ein respektabler Wert.

Die Gradwohls sind mit ihrem Mut, die Unternehmenskrise derart öffentlich zu besprechen, ein Beispiel für einen beginnenden Wandel im österreichischen Unternehmertum. Statt die Krise unter den Teppich zu kehren, stehen Unternehmer:innen immer öfter zu ihrem Scheitern. Und sie zeigen, wie man mit einer gelungenen Krisenkommunikation sogar Gewinne erzielen kann. Tausende Menschen hat das Video der Bäckerei zum Klicken, Kommentieren und schließlich zum Einkaufen bewegt.

Mut

In den vergangenen Jahren hatte der Familienbetrieb Gradwohl mit einem Umsatzeinbruch von rund 20 Prozent bei gleichzeitig stark steigenden Fixkosten zu kämpfen. Im Herbst stand fest, dass die finanzielle Situation nicht mehr tragbar war: „Es hat schon Naivität mitgespielt. Wir sind einfach davon ausgegangen, dass das Geschäft wieder stärker wird“, resümiert Gradwohl, die gemeinsam mit ihrem Bruder die Notbremse zieht. Die Geschwister, die vor zwei Jahren den Betrieb übernommen haben, arbeiten seit Anfang des Jahres am finanziellen Turnaround.

Dazu veröffentlichen sie seit einigen Wochen zahlreiche Videos und Beiträge auf ihren Social-Media-Kanälen. Die Gradwohls erklären darin die Unternehmenssanierung und teilen den Fortschritt. „Ich habe einen Shitstorm erwartet oder dass am nächsten Tag niemand mehr einkaufen kommt“, so Julia Gradwohl über ihre Ängste vor der ersten Veröffentlichung. Dennoch wollte sie die Krise publik ansprechen, denn „es gibt nichts zu verstecken. Scheitern passiert leider.“ Und das zunehmend öfter – laut den Berechnungen des KSV1870 melden aktuell 19 Unternehmen täglich Insolvenz an. Die Bäckerei aus dem Mittelburgenland versucht, das mit allen Mitteln abzuwenden.

Emotionen

Bis zum Sommer soll die Umstrukturierung abgeschlossen sein. Einige Filialen sind bereits geschlossen worden, für andere werden noch passende Nachfolgebetriebe gesucht, und aus der bisher 100 Mitarbeiter:innen zählenden Belegschaft wird ein 30-köpfiges Team. „Wenn ich sagen würde, mir geht es gut, wäre das übertrieben. Viele Mitarbeiter kennen uns seit der Kindheit. Ihnen so was mitteilen zu müssen, schießt einem die Tränen in die Augen“, sagt Gradwohl. Wie schwer es ihr fällt, langjährige Mitarbeiter:innen entlassen zu müssen, erzählt sie mit brüchiger Stimme – auch in einem der auf Social Media geposteten Videos.

Bei dieser Art der Krisenkommunikation geht es nicht „um die perfekte Kommunikationstechnik“, so Saskia Wallner, CEO der PR-Agentur Ketchum. Vielmehr geht es um Haltung. Emotionalität kann in einem gewissen Maß daher das richtige Kommunikationstool sein, „sofern es zur Gesamtfrequenz, auf der gesendet wird, passt“. Sprich, wenn es stimmig und kein „Seelenstriptease“ ist.

Im Fall der Geschwister Gradwohl scheint die Gratwanderung zu gelingen. Durch die emotionale, aber professionelle Krisenkommunikation kann der Betrieb in der jetzigen Größe zwar weder gerettet, noch die radikale Umstrukturierung gestoppt werden. Aber „es hat einen Nebeneffekt gegeben. Der Onlineshop funktioniert viel besser“, erzählt Julia Gradwohl in einem neuen Instagram-Video.

Authentizität

Ähnlich offensiv verhielt sich Stardesignerin Lena Hoschek, als sie im Herbst mit ihrer Insolvenzanmeldung in die Öffentlichkeit trat. Hoschek, die vor 20 Jahren ihr Label gegründet hat und mit ihren Kreationen nationale und internationale Kundinnen begeistert, mangelte es nie an Absatz. Veränderte Liefersituationen nach der Covid-Pandemie und seit dem Ukrainekrieg haben die Unternehmerin allerdings in Liquiditätsschwierigkeiten gebracht und sie schließlich in die Insolvenz schlittern lassen.

Statt sich hinter der Krise zu verstecken, gab die 44-Jährige zahlreiche Interviews und stand auf Podien. „Es lag mir so viel auf der Zunge. Es ist eine Persönlichkeitsfrage und typisch Frau, dass wir Probleme ansprechen“, erklärt die Grazerin ihre Entscheidung.

Hoschek, die für ihre direkte Art bekannt ist, kommuniziert so, wie es ihre Fans und Kundinnen schätzen: „Wenn man in der Öffentlichkeit steht und nur herumdruckst, kommt es doppelt zurück. Wer seinen Kopf in den Sand steckt, bringt sich in eine gefährliche Situation.“

Hoschek wird für diese Offenheit belohnt: Zwischen der Insolvenzanmeldung im Herbst und der Gläubigerversammlung im Jänner, bei der der Sanierungsplan mit 21-prozentiger Quote angenommen wurde, war der Umsatz „ein Wahnsinn“. Der Schritt in die Öffentlichkeit ist für sie zielführend: „Wir sind auf Plan und werden die Erwartungen erfüllen. Wir sind zuversichtlich.“ Hoschek konnte mit ihrer Transparenz schließlich sowohl neue Kund:innen erreichen als auch ihre Stammkundschaft zum Kaufen animieren: „Viele Kundinnen haben sich persönlich getroffen gefühlt. Der Zuspruch war überwältigend.“

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Lena Hoschek

 © Trend/Wolfgang Wolak

Zynismus

Doch bei aller Offenheit sollte die Krisenkommunikation durchdacht sein. Die aus dem US-amerikanischen Raum nach Europa geschwappte Idee des Scheiterns als Wurzel für Erfolg kann falsch verstanden werden: „Es ist fast schon zynisch, zu sagen, dass Scheitern okay ist. Scheitern hat schließlich einschneidende Konsequenzen für Stakeholder und Mitarbeiter:innen“, betont Ketchum-CEO Wallner.

Ihr Scheitern als Erfolgsquelle verkaufen wollte Hoschek nicht: „Ich bin zu einem Role Model geworden. Und dann fällt dieses Role Model so auf die Schnauze. Man muss damit umgehen können, dass man für viele eine Enttäuschung ist.“ Die Designerin macht keinen Hehl daraus, dass ihre Insolvenz nicht nur ein unternehmerischer, sondern auch ein persönlicher Tiefpunkt ist.

Ähnlich kommunizieren die Gradwohls. Sie führen nicht nur das veränderte Einkaufsverhalten als Gründe für die Schieflage an. „Man darf zugeben, dass man Fehler gemacht hat. Wir haben Verantwortung übernehmen dürfen, und jetzt müssen wir dafür geradestehen“, betont Julia Gradwohl. Die Geschwister wollen die Restrukturierung bis zum Abschluss mit Videos und Beiträgen begleiten. Und damit versuchen, das Beste aus ihrem Scheitern herauszuholen. Das scheint bereits geglückt: Wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, können doch sechs statt vier Filialen der Bäckerei erhalten bleiben.

Der Artikel ist in der trend.EDITION vom 25. April 2025 erschienen.

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