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Michael Tojner zur Migrations-Diskussion: Mut zum Perspektivenwechsel!

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Michael Tojner
Michael Tojner©News/ Rudi Froese
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Ob in Österreich, in Frankreich, in Rumänien oder in Deutschland, ob in der Gastronomie, in Gesundheitsberufen oder im IT-Sektor – der Arbeitskräftemangel grassiert überall. Besonders auch bei den KMU. Aber anstatt ganzheitlich und offen über Herausforderungen und CHANCEN VON MIGRATION zu diskutieren, wird das Thema den politischen Lagern überlassen, die es für ihren eigenen Vorteil instrumentalisieren. Und das, obwohl die Geburtenrate in Westeuropa niedrig ist und die Babyboomer ins Rentenalter kommen. Wir steuern auf ein Standortproblem zu, setzen Wachstum und Wohlstand aufs Spiel.

Die Basis des folgenden Gastbeitrags ist das neu im Linde Verlag erschienene Buch von DDr. Michael Tojner: „Migration als Chance für Wachstum und Wohlstand“. Interessierte trend-Leser:innen können hier ein Gratis-Exemplar anfordern

Seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich mit Migration und ihren Aspekten. Ich verfolge mit Sorge den politischen "Diskurs" auf globaler, europäischer und österreichischer Ebene. Migration ist zu einem politischen Dauerthema geworden und prägt die mediale Berichterstattung, betrifft und polarisiert die Gesellschaft. Als Europäer, Unternehmer und Nachfahre böhmischer Einwanderer begleitet mich das Thema Zuwanderung auch auf ganz persönlicher Ebene: Meine Urgroßeltern sind um 1900 aus Böhmen in die niederösterreichische Kleinstadt Haag ausgewandert, um sich ein besseres Leben zu ermöglichen.

Mit harter Arbeit bauten sie eine Kupferschmiede auf, die heute noch als Familienbetrieb geführt wird und in den 1990er-Jahren für Flüchtlinge aus dem Jugoslawienkrieg zum Arbeitsplatz in der neuen Heimat Österreich wurde. Wie viele Gastarbeiter aus der Türkei, die in den 70er- und 80er-Jahren ganze Industriezweige mit aufgebaut haben, leben diese Familien heute gut integriert und haben wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung Österreichs beigetragen.

Es ist also nicht nur wissenschaftlich erwiesen, sondern auch historisch belegt, dass Migration einen wirtschaftlichen Nutzen hat. Migrant:innen stärken als Nettozahler das Sozialsystem und sorgen unter anderem auch durch Gründung meist kleiner oder mittelgroßer Unternehmen für eine hohe Wertschöpfung. In Zahlen ausgedrückt: Ein Anstieg der Zuwanderer im erwerbsfähigen Alter um ein Prozent führt zu einem durchschnittlichen Anstieg der Wertschöpfung um zwei Prozent.

Fakten gegen den politisch falschen Diskurs

Um zu einem faktenbasierten Diskurs über Migration zurückzukehren, habe ich zusammen mit Dr. Hofer von der B&C Stiftung und unserer gemeinsamen Initiative Explore! Studien an der WU in Auftrag gegeben, die sowohl Migrationsprognosen als auch volkswirtschaftliche Aspekte beleuchten sollen. Die Ergebnisse von Prof. Dr. Crespo und Prof. Dr. Franke wurden kürzlich zusammen mit meinen Forschungsergebnissen und Reformvorschlägen im Buch "Migration als Chance für Wachstum und Wohlstand" veröffentlicht.

Ich halte es für ausgesprochen wichtig, dass wir den politischen Populismus zurückdrängen und Verständnis in der Bevölkerung schaffen, damit wir uns ernsthaft mit einem der wichtigsten gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit auseinandersetzen können.

In öffentlichen Debatten werden nach wie vor durch verkürzte Darstellungen und Scheinargumente Ängste vor Wohlstandsverlusten geschürt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Aktuelle Forschungen zeigen, dass Migration langfristig die Lohn- und Beschäftigungsaussichten der einheimischen Bevölkerung positiv beeinflusst. In der Schweiz hatte die Arbeitsmarktöffnung Anfang der 2000er-Jahre einen positiven Effekt auf das Lohnniveau der Schweizer Arbeitnehmer:innen, unter anderem weil diese vermehrt in Führungspositionen aufsteigen konnten.

USA: vom Einwanderungsland zur größten Volkswirtschaft der Welt

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wagten mehr als fünf Millionen Europäer unter schwierigen Bedingungen die Reise in die "Neue Welt", um den amerikanischen Traum zu leben. Die transatlantische Migration führte zu einem rasanten Bevölkerungswachstum und in Verbindung mit der Industrialisierung zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung der USA. Und auch heute noch sind die unternehmerischen Aktivitäten von Migrant:innen in den USA beachtlich.

Neben unzähligen klein- und mittelständischen Unternehmen wurden knapp 45 Prozent der 500 umsatzstärksten Unternehmen der USA (Fortune 500) von Einwander:innen der ersten oder zweiten Generation gegründet. Dazu gehören zum Beispiel Tesla, Zoom oder Apple. Weltweit bringt die Zuwanderung in Ziel- und Herkunftsländern jährlich ein BIP-Plus von 2,2 Billionen Euro - das entspricht der Wirtschaftsleistung von ganz Europa. Migrant:innen in Nordamerika leisten ungefähr den gleichen Beitrag zum globalen BIP wie ganz Westeuropa.

Zuwanderung als notwendige Chance

Aber zurück nach Österreich: Migrant:innen trugen und tragen positiv zur österreichischen Wirtschaftsleistung bei, insbesondere Personen aus EU-Ländern, die überdurchschnittlich qualifiziert sind. Erfolgreiche Unternehmerkarrieren wie etwa die von Attila Dogudan, der mit seiner Do&Co-Gruppe knapp 8.500 Menschen beschäftigt, unterstreichen den positiven Effekt von Zuwanderung. Allein in Wien erwirtschaften die 34.000 von Migrant:innen gegründeten Einpersonenunternehmen einen Jahresumsatz von rund 6,4 Milliarden Euro.

Neben migrantischen Unternehmer:innen benötigt Österreich aber auch dringend Arbeitskräfte, denn die Pensionierung von 1,9 Millionen Babyboomern bis 2034 wird das Problem verschärfen. Aktuellen Berechnungen zufolge wäre eine jährliche Nettozuwanderung von rund 49.000 Personen notwendig, um die Zahl der Erwerbstätigen in Österreich bis 2050 konstant zu halten. Es wird daher in Zukunft essenziell sein, qualifizierte Fachkräfte aus Drittstaaten anzuwerben, da auch die Zuwanderung aus anderen EU Ländern aufgrund des demografischen Wandels langfristig stark abnehmen wird.

Potenzial ausschöpfen und klare Regeln setzen

Welche Schritte können gesetzt werden, um das Potenzial der Migration voll auszuschöpfen? Wichtig und zentral ist eine klare, offene Haltung sowie ein Bekenntnis Österreichs zur Zuwanderung und den damit verbundenen Vorteilen. Die Politik sollte einerseits Unternehmensgründungen von Migrant:innen durch Unterstützungsangebote und Visa für Gründer:innen fördern. Anderseits braucht es Reformen und gezielte Maßnahmen, etwa die Senkung von Hürden bei der Erlangung eines Aufenthaltstitels.

Eine Verbesserung der Rot-Weiß-Rot-Karte wäre ebenso notwendig wie eine raschere Anerkennung gleichwertiger ausländischer Bildungsabschlüsse. Österreich hat im internationalen Vergleich eine sehr bürokratische Herangehensweise bei der Vergabe von Arbeitsbewilligungen für Studienabsolvent:innen aus Drittstaaten. Dies führt dazu, dass Österreich im Wettbewerb um die besten Talente gegenüber anderen Ländern im Nachteil ist. Etwa ein Viertel der Universitätsabsolvent:innen in Österreich aus stammt aus dem Ausland, Tendenz steigend. Von den Studierenden aus Drittstaaten bleiben jedoch lediglich rund 14 Prozent nach dem Studienabschluss im Land.

Um diesem Trend entgegenzuwirken, müssen dringend Anreize für eine dauerhafte Niederlassung geschaffen werden. Eine bundesweite Anlaufstelle für Anerkennungsfragen könnte hier unterstützend wirken. Darüber hinaus sind zwischenstaatliche Anwerbeabkommen für Arbeitskräfte anzustreben, um die Einwanderung nach Österreich (Arbeitsmigration) attraktiver zu machen.

Gleichzeitig müssen aber irreguläre Migrationswege reduziert werden, da diese eine aktive migrationspolitische Steuerung verhindern und damit nicht vorrangig Personen ins Land kommen, deren Fähigkeiten und Fertigkeiten dringend benötigt werden. Weiters gilt es, einerseits Integration zu fördern, andererseits aber auch mangelnde Integrationsbereitschaft und mangelndes Engagement durch Ausweisung zu sanktionieren. Spracherwerb, Arbeitswille, echte Integration müssen Teil der politischen Gesellschaft sein - und daher offen kommuniziert und eingefordert werden.

Klarheit statt falscher Hoffnungen

Mit diesem Gastbeitrag möchte ich ein Plädoyer für eine offene und kluge Zuwanderungspolitik halten, die wir dringend brauchen, um unseren Wohlstand langfristig zu sichern. Statt weiter Symbolpolitik zu betreiben, müssen sich die Parteien - aber auch wir als Gesellschaft - aktiv um Migrant:innen bemühen, die motiviert sind, ein neues Leben zu beginnen. Wir müssen sie bei der Arbeitssuche, beim Einleben und auch bei der Unternehmensgründung unterstützen. Dazu bedarf es klarer Rahmenbedingungen, eines raschen Bürokratieabbaus und einer Vielzahl von Initiativen.

ZUR PERSON

MICHAEL TOJNER, 57, aufgewachsen in Haag, Niederösterreich, promovierte an der Wirtschaftsuniversität Wien in Betriebswirtschaftslehre sowie in Rechtswissenschaften an der Uni Wien. Er ist seit mehr als 20 Jahren Gastlektor an der WU und Autor zahlreicher wirtschaftswissenschaftlicher Publikationen. Als Mitbegründer von bwin und Global Equity Partners investierte Michael Tojner in mehr als 50 Unternehmen und Start-ups. 2006 gründete er die Industriegruppe Montana Tech Components AG mit den drei Divisionen VARTA AG, Aluflexpack AG und Montana Aerospace AG. Der Konzern beschäftigt aktuell rund 13.000 MitarbeiterInnen und hat 2022 einen Umsatz von rund 2,5 Mrd. Euro erwirtschaftet. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich zu stärken, hat Michael Tojner 2020 den "Verein zur Förderung von Innovation, Entrepreneurship und Internationalisierung" ins Leben gerufen und 2021 gemeinsam mit der B&C Privatstiftung eine mit elf Millionen Euro dotierte Forschungsförderung (www.explore.university) an die WU Wien vergeben.

Der Essay ist auch in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 26. Mai 2023 erschienen.

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