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Die Unvereinigten Staaten von Amerika

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Der Wiener Wirtschaftsanwalt Robin Lumsden verhandelt in Kalifornien gerade einen großen Deal für ein österreichisches Unternehmen. Die Entwicklungen im Inneren der USA sind für ihn aber besorgniserregend. Die Gräben zwischen dem liberalen und dem konservativ-religiösen Amerika werden immer tiefer.

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Ein Sommer ohne Ruhe, nicht nur für die USA und die gesamte Welt, sondern auch für mich persönlich: Als Wirtschaftsanwalt verhandle ich für ein österreichisches Unternehmen einen großen Deal hier in Kalifornien und entkomme den aktuellen - teilweise besorgniserregenden - Entwicklungen nicht. Die USA sind in jeder Hinsicht extrem polarisiert, das beeinflusst auch das wirtschaftliche Klima, das zunehmend von ideologischem Misstrauen statt von tolerantem Vertrauen geprägt ist.

Als der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, Ende Juni das verfassungsmäßige landesweite Recht auf Abtreibung für Frauen aufhob, ging ein Raunen durch die liberalen Teile der USA, nicht nur durch sie: Die Empörung war auch international wahrnehmbar. Künftig werden alle Bundesstaaten jeweils für sich entscheiden: Man rechnet, dass etwa die Hälfte ein generelles Verbot beschließen und vor allem ärmere Frauen zu riskanteren und teureren Methoden des Abbruchs zwingen wird.

Auch kein Trost ist das vergangene Woche vom (noch) demokratisch dominierten Repräsentantenhaus vorgeschlagene Gesetz, um ein Recht auf Abtreibung auf indirektem Wege durchzusetzen - beispielsweise indem ein "Recht auf Reisen" zu Abtreibungskliniken explizit sichergestellt wird: Die Chancen, dass diese Gesetzgebung auch durch den Senat mit seiner republikanischen Mehrheit kommt, werden als äußerst gering eingestuft. Vielmehr handelt es sich auch dabei eher um Symbolpolitik: Die Demokraten wollen bis zu den im November anstehenden Midterm-Wahlen bewusst auf dieses Thema setzen, um vor allem bei republikanischen Frauen zu punkten. Am 8. November, genau in der Halbzeit der ersten Amtsperiode von Präsident Joe Biden, werden alle 435 Abgeordneten im Repräsentantenhaus gewählt, 35 der 100 Senatoren und die Gouverneure in 36 Staaten und drei Territorien. Das wird den tiefen Riss in der US-Gesellschaft noch vertiefen: Die Differenzen zwischen einem progressiv-liberalen und einem sich teilweise radikalisierenden konservativ-religiösen Amerika werden bei den kommenden Wahlen eine große Rolle spielen und einen tiefen Riss durch die " Vereinigten" Staaten von Amerika ziehen.

Den in fast schon jeder Hinsicht unvereinigten USA stehen richtungsweisende Zeiten bevor.

Robin LumsdenWirtschaftsanwalt

Der Supreme Court mit seiner unter Trump noch forcierten konservativen Mehrheit - die Mitglieder sind auf Lebenszeit bestimmt - hat bereits angekündigt, auch weitere gesellschaftspolitische Errungenschaften wie gleichgeschlechtliche Ehe oder das Recht auf Verhütung in der Ehe grundlegend in Frage zu stellen. Ebenfalls auf seiner Agenda: Änderungen im Wahlrecht bereits für die nächste Präsidentenwahl, etwa eine stärkere Autonomie der einzelnen Bundesstaaten bei Beschlüssen über die Gültigkeit eines Wahlganges - schon während und nach der Abwahl Trumps hatte es darüber immer wieder wütende Auseinandersetzungen gegeben. Den in fast schon jeder Hinsicht "unvereinigten" USA stehen jedenfalls richtungsweisende Zeiten bevor, die Sorge vor einer tiefgreifenden Veränderung des mehrheitlich von einer Suche nach Konsens geprägten "american way of life" ist stark spürbar. Mit selbstverständlichen Auswirkungen auf die Beziehungen zu Europa, auch zu Österreich.

Ich erkläre meinen Mandaten daher immer, dass die USA eben zwei Gesichter haben. Aber die Sorgen sind auch in anderer Hinsicht spürbar: Selbst hier in Stanford sorgt man sich um einen wichtigen Verbündeten - um Europa. Die Gaskrise und das Damoklesschwert eines möglichen Lieferstopps durch Russland belasten die halbe Welt. Auch der stark gefallene Euro nährt Zweifel an der Stabilität des größten wirtschaftlichen und militärisch Verbündeten der USA. Einer meiner Professoren, ein Ökonom, fasst zusammen: "Kommt es tatsächlich zu einem russischen Gasstopp in Europa, ist mit einem massiven Wirtschaftseinbruch und damit zusammenhängenden sozialen Unruhen zu rechnen."

Die USA haben in dieser Hinsicht den Vorteil, relativ energieautark zu sein, sie können trotz galoppierender Inflation aller Voraussicht nach sogar noch mit einem Wirtschaftswachstum rechnen. Man fürchtet in den USA, mit Europa einen der wichtigsten Absatzmärkte zu verlieren. Auch eine krisenbedingte Rückkehr zu einer stark russlandfreundlichen Politik Europas wird hier in Kalifornien nicht ausgeschlossen. Meine Mentorin in Stanford, Condoleezza Rice, die ehemalige US-Außenministerin, meint, die starke Abhängigkeit Europas von Russland räche sich nun:"Ein Dilemma: Man wird sich in Europa am Ende entscheiden müssen, ob man lieber Wohlstand oder Werte verlieren will. In jedem Fall eine schwierige Frage."

Der stark gefallene Euro nährt Zweifel an der Stabilität des größten wirtschaftlichen und militärisch Verbündeten der USA. Man fürchtet, mit Europa einen der wichtigsten Absatzmärkte zu verlieren.

Robin LumsdenWirtschaftsanwalt

Spannende Entwicklungen betreffen auch meinen Freund und Stanford-Studienkollegen Nand Mulchandani. Er wurde kürzlich zum Chief Technology Officer (CTO) des amerikanischen Geheimdienstes CIA ernannt.

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TECH-MILLIONÄR ALS STAATSDIENER. Nand Mulchandani (r.) - hier mit Robin Lumsden - verdiente mit seinen Investments im Silicon Valley gutes Geld und wurde jetzt Chief Technology Officer des US-Geheimdienstes CIA.

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Darauf ist man in Stanford stolz. Als Wirtschaftsanwalt durfte ich einst mit ihm kooperieren, schließlich hat er vor seinem Einstieg bei der US-Regierung als sehr erfolgreicher Investor und "Venture Capitalist" im Silicon Valley ein Millionenvermögen mit Softwareunternehmen aufgebaut. Nun soll er seine jahrzehntelange Tech-Industrie-Expertise einsetzen, um das Geheimdienstwesen in den USA zu modernisieren.

Er ist Anfang 50, hätte sich längst zur Ruhe setzen können, statt für ein überschaubares Staatsgehalt die mysteriöse CIA in Richtung Innovation zu treiben. Eine Absage kam für Nand aber nicht in Frage, schließlich sollen seine Kinder sehen, dass man sich ständig weiterentwickeln müsse. Typisch für die meisten Unternehmer im Silicon Valley: Man sucht ständig nach neuen Herausforderungen und beruflichen Möglichkeiten, auch wenn man längst "ausgesorgt" hätte. Nand ist übrigens ein extremer Österreich-Fan und zeigte mir regelmäßig die wenigen "österreichischen" Lokale in San Francisco. Nach seiner Bestellung meinte er nur: "Meine Reisepläne werden jetzt leider viel komplizierter und aus unseren Studentenchats werde ich mich wohl zurückziehen müssen."

Es gibt aber weiter aktuell viele österreichische und deutsche Unternehmer, die sich um US-Investoren bemühen - oder zumindest um Zweitwohnsitze in den USA.

Der Kommentar ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 29.7.202 entnommen.

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