
Mehl in der Luft, ein kurzer Espresso, dann geht die Tür auf. In der Leopoldstadt bauen zwei Quereinsteiger an einer Bäckerei, die anders tickt als der Rest. Was dahintersteckt und wie daraus ein funktionierendes Modell wird.
Wenn in Wien von „New Work“ gesprochen wird, denken die wenigsten an Mehlstaub und Natursauerteig. Marie Weindlmayr und Paul Thomann tun genau das und machen daraus ein Geschäftsmodell. In der THO Bäckerei in der Wiener Leopoldstadt zeigen die beiden Quereinsteiger, wie sich klassisches Handwerk, moderne Arbeitswelten und ein lebendiges Grätzl klug verbinden lassen. Eine Bäckerei, die Handwerk nicht romantisiert, sondern neu organisiert, ohne den Kern zu verlieren: Qualität, Konsequenz und Nähe zu den Menschen, die jeden Tag vorbeikommen.
Eine Bäckerei, die tagsüber arbeitet
THO setzt bewusst nicht auf Nachtarbeit und einen Schichtbeginn, der das Leben rundherum auffrisst. Vormittags wird in der offenen Backstube produziert, ab 12 Uhr wird aufgesperrt. Mittwoch bis Freitag gibt es bis 18:30 Uhr ofenfrisches Brot, am Samstag ist am Vormittag geöffnet. Das wirkt auf den ersten Blick „nur“ wie ein anderer Zeitplan. In Wahrheit ist es ein anderes Verständnis vom Beruf: Handwerk soll nicht nur gut, sondern auch lebbar sein. Und es passt zur Zielgruppe im Grätzl, die nach dem Büro oder am Weg nach Hause noch schnell Brot, Käse, Wein und regionale Produkte mitnimmt.
Quereinsteiger, aber mit klarer Entscheidung
THO ist kein Zufallsprojekt, sondern das Ergebnis eines langen Wegs. Es begann alles mit dem ersten eigenen Natursauerteig. Die Idee einer eigenen Bäckerei kam nicht als Blitz, sondern als langsames „Das lässt mich nicht mehr los“. Und dann gibt es diesen einen Moment, in dem aus Gedanke Realität wird: „Ganz klar war es in dem Moment, als ich mich für einen Termin für die Meisterprüfung angemeldet habe“, sagt Paul Thomann. Er bringt Stationen aus dem Lebensmittelbereich mit, Weindlmayr kam aus dem Marketing. Nach den ersten Monaten im Betrieb war klar: Das wird nicht nebenbei gemacht. Beide stiegen voll ein, und genau dieses Commitment spürt man bei THO an jeder Ecke, weil hier nichts „halb“ wirkt.
Es gibt keinen Tag, an dem wir nicht irgendeinen Produkttest in den Ofen schieben.
Natursauerteig als Haltung
Im Mittelpunkt steht Natursauerteig, aber nicht als Lifestyle-Label, sondern als klare Haltung: wenige, sauber geführte Produkte wie Weizen-, Dinkel- und Roggenbrote, dazu Gebäck und Süßes, immer wieder ergänzt um Specials wie Brioche oder Kipferl. Gebacken wird ausschließlich mit Bio-Mehlen aus der Region, die Teige werden langsam, oft über Nacht, geführt und auf Stein gebacken, eher Slow Food als industrielle Routine.
Der THO-Zugang zur Teigführung passt in einen Satz, den in Wien jede:r versteht: „Nur net hudeln.“ Und diese Zeit ist nicht nur Romantik, sie hat Wirkung. Bei längerer Fermentation verändert sich die Teigstruktur, Aromen werden komplexer und viele empfinden klassisches Sauerteigbrot als bekömmlicher. Genau darum geht es bei THO nicht um „mehr“, sondern um „besser“: um Geschmack, Frische und die Konsequenz, die das braucht. Weil Handwerk hier nicht „Tradition zum Anschauen“, sondern ein laufender Prozess ist, wird ständig weitergedacht. „Es gibt keinen Tag, an dem wir nicht irgendeinen Produkttest in den Ofen schieben“, sagt Paul Thomann.
Signature und Sortiment: lieber klar als laut
Eine kleine Karte bedeutet nicht weniger Anspruch. Im Gegenteil: Weniger Produkte heisst, dass jedes einzelne sitzen muss. Als Aushängeschild gilt ein Brot, das nicht nur optisch, sondern auch in der Logik des Hauses die Hauptrolle spielt: „Unser Weizenbrot, ein 1,5 kg Natursauerteigbrot, ist vermutlich unser Aushängeschild.“ Das passt zur THO-Philosophie: keine Show, keine Überinszenierung, sondern Brot, das man wieder kaufen will, weil es schmeckt und sich im Alltag bewährt.
Wenn jemand hereinkommt und von unserem Brot schwärmt, ist das unbezahlbar.
Das Grätzl ist nicht Kulisse, es ist Teil des Konzepts
THO ist mehr als eine Bäckerei. Der Laden in der Ferdinandstraße funktioniert als kleiner Grätzl-Treffpunkt: Man sieht dem Bäcker bei der Arbeit zu, trinkt Espresso oder ein Achterl Naturwein, kommt mit Nachbar:innen ins Gespräch. Das klingt gemütlich, ist aber auch ein ganz konkreter Mehrwert: Die Distanz zwischen Produzent und Kundschaft wird kleiner. Feedback kommt direkt, Vertrauen entsteht nicht über Werbung, sondern über Wiederkommen. Nicht der Hype zählt, sondern Stammkundschaft. Zweites Mal, drittes Mal, viertes Mal. Das ist im Grätzl die härteste Währung.
Das THO in 30 Sekunden
Konzept: Handwerk ohne Nachtarbeit, dafür mit Planbarkeit
Produkt: Natursauerteig, Bio-Mehl aus der Region, Zeit als Zutat
Sortiment: Wenige Produkte, sauber geführt, plus laufende Tests
Grätzl: Treffpunkt und Nahversorgung als echtes Miteinander
Haltung: Handwerk, ungeschönt, Nahversorger
Das Interview
Wie ist die Idee zu THO entstanden – gab es einen konkreten Moment, an dem klar war: Wir machen eine Bäckerei auf?
Die Leidenschaft fürs Backen ist vor ungefähr zehn Jahren entstanden, nämlich mit dem Ansetzen des ersten eigenen Natursauerteigs. Die Idee einer eigenen Bäckerei hat sich langsam angeschlichen. Ganz klar war es in dem Moment, als ich mich für einen Termin für die Meisterprüfung angemeldet habe.
Ihr seid beide Quereinsteiger. Was habt ihr vorher gemacht und warum gerade Brot als nächstes Kapitel?
Paul hat vorher bereits einige Stationen im Lebensmittelbereich gemacht, bevor er zur Meisterprüfung angetreten ist und die Planung für die Bäckerei begonnen hat. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch in meinem Vollzeit Marketing Job aber schon damals eine wichtige Unterstützung, Nach den ersten drei Monaten haben wir dann die Entscheidung getroffen, dass auch ich voll in den Betrieb einsteige.
Viele gründen ein Start-up in Tech oder Beratung. Warum habt ihr euch ausgerechnet für ein Handwerk mit Mehl, Wasser und Zeit entschieden?
Backen ist ein unglaublich erfüllendes Handwerk. Jeder, die/der schon mal selbst ein Brot mit Sauerteig gebacken hat, weiß, wie faszinierend der Prozess und wie schön das Ergebnis sein kann. In unserer eigenen Bäckerei dürfen wir das nicht nur jeden Tag erleben, sondern auch mit anderen teilen. Das macht für uns nicht nur Sinn, sondern auch richtig viel Spaß.
Was unterscheidet ein THO Brot ganz konkret von einem „normalen“ Bäckerbrot aus der Stadt?
Wir sind überzeugt, dass jeder Bäcker seinen Broten auf eine gewisse Art und Weise Persönlichkeit mitgibt. Bei uns heißt das, dass wir ausschließlich mit Bio Mehl von der Müllerin unseres Vertrauens arbeiten, auf Natursauerteig setzen und unserem Teig viel Zeit zum Reifen geben. Und dazwischen gibt es unzählige kleine Stellschrauben, die wir drehen, um das THO Brot zu unserem Brot zu machen. Wichtig ist: es muss gut schmecken und lange frisch bleiben.
Welche Rolle spielt Zeit in eurer Produktion – und wo merkt man das dann beim Geschmack?
Zeit ist einer der wichtigsten Faktoren. Wir arbeiten bewusst mit ihr, sie aber auch mit uns. Manchmal muss es sehr schnell gehen, dann aber wieder möglichst langsam. Gerade bei den Teigen ist letzteres von Vorteil, da sich nur so komplexe Aromen bilden können, die mit einem schnell produzierten Brot nicht vergleichbar sind.
Klassische Bäckerei bedeutet oft Nachtarbeit. Ihr habt euch bewusst dagegen entschieden. Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei euch aus?
Paul startet spätestens um 7 Uhr in der Backstube. Dann werden die ersten Brote gebacken und Teige für die kommenden Tage vorbereitet. Die Arbeit in der Backstube zieht sich den ganzen Tag. Um 12 Uhr sperren wir auf und bieten bis 18:30 ofenfrisches Brot an.
Welche Reaktionen habt ihr von gelernten Bäcker:innen bekommen, als ihr erzählt habt, dass ihr ohne Nachtarbeit auskommen wollt?
Sehr schöne! Tatsächlich besuchen uns oft ehemalige Bäcker:innen, die die Begeisterung für das Handwerk nie losgelassen hat und gerne so gearbeitet hätten wie wir es heute tun. Aber auch bei großen Betrieben findet aktuell ein Umdenken statt, was den Beruf definitiv wieder attraktiver macht.
Was heißt gute Arbeit für euch – im Sinne von Arbeitszeiten, Teamkultur und Belastung?
Arbeit sollte - zumindest meistens - Spaß machen. Und das tut sie nur, wenn diese drei Punkte in Balance sind. Wir arbeiten sehr viel und hart, was mit einem guten Team aber wesentlich leichter fällt. Abseits davon versuchen wir, Auszeiten bewusst zu genießen.
Würdet ihr sagen, dass euer Modell ein Blueprint für eine modernere Bäckerei-Branche sein kann?
Ja und nein. Was die Individualität angeht, die zunehmend verloren geht, definitiv. Was den Versorgungsgrad angeht, wird es immer auch größere Betriebe brauchen. Im Idealfall existieren beide Ansätze kollegial nebeneinander.
Wie habt ihr euer Geschäftsmodell aufgesetzt – zuerst Handwerk, dann Zahlen oder umgekehrt?
Zuerst kam das Handwerk. Das Thema Natursauerteig und die Werte, nach denen wir arbeiten, standen immer im Mittelpunkt. Rundherum haben wir dann unseren Businessplan mit Kennzahlen und Strukturen aufgebaut.
Welche Kennzahlen schaut ihr euch im Alltag tatsächlich an, um zu sehen: „Das funktioniert so“?
Wir schauen uns z.B. Verkaufszahlen, Retourquoten, Preisstruktur und Wareneinsatz sehr genau an. Da gibt es bereits einiges zu analysieren.
Was hat euch als Quereinsteiger im Unternehmertum am meisten überrascht – positiv oder negativ?
Wie bereichernd die direkte Arbeit mit Kund:innen ist. Das unmittelbare Feedback, wenn jemand hereinkommt und von unserem Brot schwärmt, ist einfach unbezahlbar.
Wie geht ihr mit dem Spannungsfeld um: Bio, Qualität, faire Löhne und gleichzeitig leistbare Preise für Kund:innen?
Wir wollen die bestmögliche Qualität liefern und dafür braucht es aus unserer Sicht Bio Rohstoffe. Aber natürlich auch geschulte Hände. Beides bekommt man nur, wenn man einen gewissen Preis in Kauf nimmt. Dieser spiegelt sich natürlich bis zu einem gewissen Grad auch in unseren Produkten wider. Wichtig hierbei ist, dass das Verhältnis zwischen dem, was ich bekomme und was ich dafür bezahle stimmt.
Welche Rolle spielt das Grätzl rund um die Ferdinandstraße für euch – war der Standort eine Herzensentscheidung oder eine strategische?
Eine enorm wichtige Rolle. Die Idee, ein Grätzlbäcker zu sein und für die Menschen in der Umgebung als Nahversorger zu fungieren, war von Anfang an da. Da wir selbst in der Gegend wohnen, konnten wir die Bedürfnisse gut einschätzen und haben bewusst hier nach einem Standort gesucht.
Wie gut kennt ihr eure Stammkund:innen – und was erfährt man als Bäckerei über ein Viertel, was andere nie mitbekommen?
Man erfährt sehr viel. Es sind die täglichen, kurzen Gespräche. Man wird ein Stück weit Teil des Alltags der Menschen. Man bekommt mit, wenn jemand Geburtstag hat, heiratet oder wenn Kinder groß werden und plötzlich selbst in die Bäckerei spaziert kommen. Das ist schon sehr schön.
Habt ihr das Gefühl, dass die Leute wegen des Brots kommen oder wegen der Atmosphäre und der Begegnung im Laden?
Wahrscheinlich ist es ein Mix aus beidem. Ohne gute Produkte geht es nicht. Aber das Persönliche – dass wir selbst im Laden stehen – wird uns sehr oft als etwas Besonderes rückgemeldet.
Ihr bietet nicht nur Brot, sondern auch Wein und Kaffee an. Was ist die Idee dahinter, die Bäckerei mehr wie einen Treffpunkt zu denken?
Es passt einfach gut zusammen. Brot und Wein gehen Hand in Hand, vor allem mit unseren Öffnungszeiten. Und Kaffee zu Süßem sowieso.
Was war bisher der schönste Moment mit Kund:innen, der euch gezeigt hat: „Ja, genau dafür machen wir das“?
Es ist weniger der eine Moment, sondern viel mehr, wenn jemand zum zweiten, zum dritten, zum vierten Mal zu uns kommt. Das zeigt uns, dass wir etwas richtig machen und unsere Kundschaft uns vertraut.
Worauf achtet ihr bei Zutaten, Lieferanten und Logistik besonders, wenn es um Nachhaltigkeit geht?
Obwohl wir (noch) nicht zertifiziert sind, ist Bio bei unseren Rohstoffen ein Muss. Darüber hinaus haben wir uns selbst auferlegt, dass wir ausschließlich mit heimischen Produkten arbeiten und sie bewusst in Szene setzen wollen. Deshalb setzen wir zum Beispiel auf Anis statt Zimt, auf Walnüsse statt Mandeln oder verzichten auf Kakao und Schokolade. Außerdem ist uns die Beziehung zu den Lieferant:innen sehr wichtig. Wir freuen uns jedes Mal, wenn unsere Müllerin zu Besuch kommt oder Winzer:innen ihren Wein persönlich vorbeibringen.
Welche Kompromisse müsst ihr wirtschaftlich eingehen – und wo ist für euch eine klare rote Linie, die ihr nicht überschreitet?
Natürlich gibt es Rohstoffe, die viel günstiger am Markt verfügbar wären. Aber das ist für uns kein Kompromiss. Wir entscheiden uns bewusst für Qualität und stellen das auch nicht in Frage.
Wie wichtig ist euch Regionalität im Vergleich zu anderen Nachhaltigkeitsfaktoren wie Bio, kurze Transportwege oder Verpackung?
Oft stellt sich ja schon die Frage, was Regionalität überhaupt bedeutet. Und das ist gut so! für uns bedeutet es, dass wir bewusst mit Rohstoffen aus Österreich arbeiten wollen, um den Produkten einen gewissen Charakter zu verleihen, der typisch für unsere Herkunft ist. Die Entscheidung für Bio-Qualität ist aber mindestens genauso wichtig, da wir nur so eine nachhaltige Landschaft fördern können.
Wo seht ihr THO in fünf Jahren – eher eine größere Produktion oder lieber ein paar wenige, starke Standorte?
Unsere Bäckerei in der Ferdinandstraße hat noch sehr viel Potenzial. Sie weiter auszubauen und die Produktion zu stärken, fühlt sich für uns nach dem richtigen Weg an. Viele Standorte sehen wir eher nicht – da würde viel von der Persönlichkeit verloren gehen.
Gibt es etwas, das ihr euch von Politik oder Stadtplanung für kleine, handwerkliche Betriebe wie euren wünschen würdet?
Weniger Bürokratie. Obwohl wir ein Mini-Betrieb sind, ist der bürokratische Aufwand enorm hoch. Das frisst sehr viel Zeit und Ressourcen, die bei uns extrem begrenzt sind.
Was würdet ihr jungen Leuten sagen, die mit dem Gedanken spielen, ein Handwerk zu lernen oder eine kleine Manufaktur zu gründen?
Machen! Aber ohne Romantik. Der Weg hin zur eigenen Manufaktur sollte auf jeden Fall gut überlegt sein und ist mit viel Arbeit verbunden. Die Belohnung kann aber dafür umso größer sein.
Kurz gefragt
Brot, das euch persönlich geprägt hat:
Ein Baguette am Place du Jeu de Balle in Brüssel.
Euer Lieblingsmoment am Tag in der Backstube:
Der gemeinsame Steh-Espresso kurz vor dem Aufsperren.
Drei Wörter, die THO für euch beschreiben:
Handwerk, ungeschönt, Nahversorger
Welche Frage stellen Kund:innen am häufigsten?
Warum wir THO heißen.
Was war die verrückteste Idee, die ihr bisher verworfen habt?
Ein Only Fans Account.