
Die hohen GERICHTSGEBÜHREN in Österreich sorgen für Kritik. Der Zugang zum Recht werde dadurch eingeschränkt, fürchten die Anwälte. Das Justizministerium sieht keinen Reformbedarf.
Für einen Grundbuchauszug 18 Euro, 44 Cent für eine Seite Aktenkopie, die man bei Gericht selbst erstellt, und 2.099 Euro Gerichtsgebühr bei einem Zivilverfahren, das durch drei Instanzen geht, mit einem Streitwert von bloß 3.500 Euro. Mit anderen Worten: Die Gerichtsgebühren machen bei diesem Verfahren mehr als die Hälfte des Streitwerts aus.
Im April sind die Gerichtsgebühren in Österreich um gleich 23 Prozent angehoben worden, was vor allem der Anwaltschaft sauer aufstößt. „Ich denke, dass der Zugang zum Recht durch diese unzumutbare Erhöhung massiv eingeschränkt wird“, glaubt Armenak Utudjian, der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (ÖRAK). Diese Erhöhung fiel heuer besonders hoch aus, weil der an den Verbraucherpreisindex gebundene Automatismus während Corona zweimal ausgesetzt worden war und die Vorgängerregierung es verabsäumt hat, diesen Riesenschritt etwas abzumildern. „Mir waren da die Hände gebunden und die Erhöhung stand auch nicht im Zusammenhang mit dem Budget“, rechtfertigt die neue Justizministerin Anna Sporrer im Gespräch mit dem trend. die Maßnahme. Die Befürchtung, dass damit der Zugang zum Recht nur mehr auf wohlhabendere Personen eingeschränkt werden könnte, hat Sporrer, anders als der ÖRAK-Präsident, jedenfalls nicht: „Für Personen, die die Gerichtsgebühren nicht bezahlen können, gibt es ja ohnehin Verfahrenshilfe.“ GROSSVERDIENER GERICHT. Schon vor dieser massiven Erhöhung galt Österreich als das einzige Land innerhalb Europas, das sein Justizsystem zur Gänze mit Gerichtsgebühren finanzieren konnte. Ja sogar mehr als das. Dem Rechtsstaatlichkeitsbericht des Europarats aus dem Jahr 2024, der Daten aus dem Jahr 2022 enthält, kann man jedenfalls entnehmen, dass der Deckungsgrad durch
Gerichtsgebühren gar bei 117 Prozent liegen soll. Damit ist Österreich in dem Bericht klarer Spitzenreiter vor dem Zweitplatzierten Deutschland mit 45 Prozent. Der Durchschnitt in Europa liegt bei gerade einmal 13 Prozent. Diese Zahl will die Justizministerin allerdings nicht unwidersprochen stehen lassen: „Der Europarat vergleicht hier nur sehr schematisch die reinen Rechtsprechungskosten.“ So würden bei der Rechnung im österreichischen Budget etwa die Kosten für Erwachsenenvertretung, die Familiengerichtshilfe oder die juristische und psychologische Begleitung von Gewaltopfern fehlen. Gemäß einer eigenen, aktuellen Rechnung des Justizressorts würde der Eigendeckungsgrad durch Einnahmen der Gerichtsgebühren lediglich 45 Prozent betragen. „Selbst wenn man alle Einnahmen der Justiz berücksichtigt, ergibt sich lediglich ein Eigendeckungsgrad von 55 Prozent“, heißt es aus dem Justizressort. Was immer noch der höchste Satz in ganz Europa wäre.
DECKEL ERWÜNSCHT
Auch Wirtschaftsanwältin Bettina Knötzl bereitet die Höhe der Gerichtsgebühren in Österreich Kopfzerbrechen. Allerdings sorgt sie sich weniger um teure Grundbuchauszüge oder Scheidungsverfahren, ihr geht es um größere Beträge. Bei Verfahren mit Streitwerten ab 350.000 Euro berechnen sich die Gerichtsgebühren nämlich jeweils nach einem Prozentsatz des Streitwerts – ohne Deckelung. In erster Instanz sind das rund 1,2 Prozent, in zweiter 1,8 und in dritter 2,4 Prozent. „Da kommt man auf absurd hohe Beträge, die durch nichts zu rechtfertigen sind“, beklagt die Anwältin. Besonders krass war das etwa im Fall der Stadt Linz gegen die Bawag, wo um einen dreistelligen Millionenbetrag verhandelt wurde. Die Gerichtsgebühren lagen damals bei mehr als 22 Millionen Euro. „Um das Geld arbeiten viele Richter mehrere Jahre. Das steht in keinem Verhältnis“, findet Knötzl und fordert den Einzug eines Deckels bei 20 Millionen Euro Streitwert. Der Fall Signa habe gezeigt, so die Wirtschaftsanwältin, dass Kläger immer öfter Wege suchen, aufgrund der hohen Kosten die Gerichte in Österreich zu meiden. „In vielen Ländern um Österreich herum sind die Gebühren deutlich niedriger. Letztlich wird das dem Wirtschaftsstandort Österreich schaden“, glaubt Knötzl, die auch Abwanderungstendenzen in die Schiedsgerichtsbarkeit beobachtet.

WIRTSCHAFTSANWÄLTIN BETTINA KNÖTZL fordert eine Deckelung der „absurd hohen“ Gebühren bei Streitwerten ab 350.000 Euro.

JUSTIZMINISTERIN ANNA SPORRER will das Gerichtsgebührensystem in Österreich trotz massiver Kritik weitgehend so belassen.
83 MILLIONEN EURO MEHR
Dennoch betrugen die Einnahmen aus Gerichtsgebühren in Österreich im Jahr 2024 laut Auskunft des BMJ etwas mehr als eine Milliarde Euro. Das Ministerium lässt die Darstellung des Europarats einer Überdeckung jedoch nicht stehen. Denn den Einnahmen würden in Wahrheit Ausgaben im Ausmaß von 2,321 Milliarden gegenüberstehen. Der größte Brocken davon sind mit mehr als 800 Millionen Euro der Strafvollzug und die Bewährungshilfe.
Aus den kürzlich erfolgten Beratungen im Budgetausschuss des Parlaments geht hervor, dass die Regierung durch die erhöhten Gebühren 2025 mit Einnahmen von 1,36 und 2026 mit Einnahmen von 1,45 Milliarden Euro rechnet. Das wäre allein heuer ein Plus von 83 Millionen Euro, nächstes Jahr würden die erhöhten Grundbuch- und Gerichtsgebühren Mehreinnahmen von 89 Millionen Euro ergeben. Diese Mehreinnahmen kommen aber nicht direkt der Justiz zugute, sondern fließen in das Budget. Etwas, was den Rechtsanwälten auch missfällt. „Wenn die Mehreinnahmen wenigstens dem Justizbetrieb zugutekämen“, beklagt Utudjian und weiter: „Ich verstehe nicht, warum man nicht mehr Geld für die Justiz bereitstellt, zumal deren Agenden ja auch mehr werden – Stichwort Handysicherstellung.“
War vor einigen Jahren noch davon die Rede, dass die Justiz „einen stillen Tod“ sterbe (Kurzzeitminister Clemens Jabloner), so ist davon heute aus dem Justizministerium kaum mehr etwas zu hören. Zwar wurden unter Ex-Justizministerin Alma Zadic´ 650 neue Planstellen geschaffen, im selben Ausmaß seien aber auch die Anfallszahlen – speziell bei den Insolvenzen – massiv angestiegen, beklagte der Präsident der Richtervereinigung Gernot Kanduth vor einigen Monaten im Gespräch mit dem „Kurier“. Zu Jahresbeginn hätten 168 richterliche Planstellen gefehlt, was eine massive Vergrößerung des Personallochs in den letzten fünf Jahren bedeutete, so Kanduth.
Seit Kurzem weiß man, dass diese Planstellen trotz erwarteter Mehreinnahmen durch erhöhte Gerichtsgebühren nicht so bald aufgefüllt werden, denn das Justizbudget bleibt mit 2,4 Milliarden Euro 2025 und 2026 weitgehend konstant. Was auch bedeutet: keine weiteren Planstellen bis Ende 2026. Die Justiz möchte dem mit verstärktem Einsatz von IT und KI sowie mit Umschichtungen beim Personal begegnen.


SPITZENREITER. Im Rechtsstaatlichkeitsbericht des Europarats ist Österreich das einzige Land, in dem die Gerichte kostendeckend arbeiten. Das Justizministerium hält die Zahlen für nicht vergleichbar.
Quelle: CEPEJ Evaluation Report 2024
SPARSTIFT TROTZ MEHREINNAHMEN.
Die Auslastung der Gerichte liegt aktuell bei 110 bis 115 Prozent, berichtete ein Experte des BMJ kürzlich im Budgetausschuss. Dennoch, so meinte er, käme man derzeit „gut über die Runden“. Dazu sollen auch so manche neue Einsparungen im Justizressort beitragen, wie etwa die geplante Verkürzung der Gerichtspraxis, die teilweise Auslagerung der Erwachsenenvertretung oder die Ausweitung der Fußfessel. Auch mit dieser Auswahl zeigt sich die Anwaltschaft nicht sehr glücklich. Denn bei der Auslagerung der Erwachsenenvertretung kommt sie selbst zum Handkuss und bei der Verkürzung der Gerichtspraxis von sieben auf fünf Monate „schneidet sich die Justiz ins eigene Fleisch“, wie Präsident Utudjian vermutet. Gehen doch auch in der Justiz in ein paar Jahren die Babyboomer in Pension, und dann wird wohl wieder mehr und vor allem gut ausgebildetes Personal benötigt werden.
Die Hoffnung, dass es in der Legislaturperiode doch noch zu einer Reform der Gerichtsgebühren kommt, ist gering. „Ich halte die Valorisierung für notwendig. Auch mein Haus evaluiert die Gebührenstruktur laufend, aber eine Deckelung ist aktuell nicht geplant“, so die Justizministerin. Bettina Knötzl will dennoch nicht aufgeben: „Natürlich werden wir einen neuen Anlauf bei der neuen Justizministerin unternehmen, doch noch Änderungen zu erreichen. Wir haben einen fertigen Entwurf in der Schublade.“


TEURE GERICHTE. Knapp 150 Euro je Einwohner gibt Österreich für seine Gerichte aus und liegt damit innerhalb der EU im oberen Drittel. Spitzenreiter ist Luxemburg mit knapp 300 Euro.


ÖRAK-PRÄSIDENT Armenak Utudjian hat wenig Freude mit den jüngsten Maßnahmen der Regierung.
© LUKAS ILGNER„Der Unmut, zu Gericht zu gehen, nimmt zu“
ARMENAK UTUDJIAN, Präsident des Rechtsanwaltskammertags, kritisiert die Erhöhung der Gerichtsgebühren.
Sie haben sich mehrfach kritisch über die Erhöhung der Gerichtsgebühren geäußert – wieso?
Ich war etwas konsterniert darüber, dass die Gerichtsgebühren im April gleich um 23 Prozent erhöht wurden. Bekanntlich war die Automatik, die sich an der Inflation orientiert, ja zwei Jahre ausgesetzt, und das wurde nun mit einem Mal aufgeholt. Das ist zwar gesetzlich gedeckt, aber das Ausmaß ist bedenklich. Offenkundig ist eine weitere gesetzliche Aussetzung als Folge des Regierungswechsels „untergegangen“.
Was sind Ihre Befürchtungen?
Ich denke, dass der Zugang zum Recht durch diese unzumutbare Erhöhung massiv eingeschränkt wird. Wenn die Mehreinnahmen wenigstens dem Justizbetrieb zugutekämen. Aus dem Budgetbegleitgesetz geht jedoch hervor, dass nicht einmal das der Fall ist. Dabei wissen wir ja, dass unsere Justiz bereits jetzt mehr als kostendeckende Gebühren einhebt. Die Gerichtsgebühren decken die Kosten des Justizbetriebs zu 117 Prozent ab. Und da ist die jüngste Erhöhung noch gar nicht dabei. Da verstehe ich nicht, warum man nicht mehr Geld für die Justiz bereitstellt, zumal deren Agenden ja auch mehr werden – Stichwort Handysicherstellung.
Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?
Ich halte die automatische Valorisierung für völlig unangebracht. Warum erhöht man die Gebühren nicht nur dann, wenn man die Mittel wirklich für den Justizbetrieb braucht?
Sehen Sie Möglichkeiten, das wieder rückgängig zu machen?
Mein Eindruck ist, dass die Gesprächsbereitschaft der Regierung aufgrund der Budgetsituation nicht allzu groß ist. Aktuell gibt es keine Gespräche mit der Justizministerin.
Wen treffen die Erhöhungen am härtesten?
Es wurden durchgehend alle fixen Beträge valorisiert.
Kennen Sie Fälle, in denen Menschen das Gericht wegen der Kosten meiden?
Persönlich sind mir keine bekannt, aber ich höre schon, dass hier und da der Unmut, zu Gericht zu gehen, zunimmt.
Ist das so schlimm, wenn weniger Fälle bei Gericht landen?
Rechtssicherheit bedeutet, dass jeder Bürger die Möglichkeit haben muss, sein Recht auch durchzusetzen. Das sollte nicht an der Höhe der Gerichtsgebühren scheitern.
Nun wird der Zugang zur Justiz aber nicht gerade dadurch erleichtert, dass etliche Anwälte ihre Honorare auch hinaufschnalzen …
Aber mit Anwälten kann man die Honorare zumeist vereinbaren, das kann ich mit der Justiz nicht.
Sie klingen desillusioniert, was macht Ihnen noch zu schaffen?
Die aktuelle Novelle der Erwachsenenvertretung führt vermutlich dazu, dass viele Fälle von Erwachsenenschutzvereinen an Anwälte und Notare ausgelagert werden. Das sind Fälle, in denen weder Vermögen noch Einkünfte vorhanden sind, sodass Anwälte oft nicht einmal ihre Barauslagen ersetzt bekommen. Und mit der Reduzierung der Gerichtspraxis von sieben auf fünf Monate schneidet sich die Justiz ins eigene Fleisch.