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Türkiser Bruderkrieg [Politik Backstage]

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Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) anlässlich einer Pressekonferenz nach einer Arbeitssitzung mit dem Titel "Aktuelle Situation in Griechenland, der Türkei und Syrien" am Dienstag, 3. März 2020, in Wien.

DEN VORGÄNGER IM RÜCKEN. Karl Nehammer will den latenten Konflikt mit dem Kurz-Lager einhegen.

©APA/Roland Schlager
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Der ÖVP droht nicht nur Ungemach vom Wähler. Ehemalige Spitzen-Türkise formieren sich neu um Sebastian Kurz. Sie sorgen mit Kritik an den Nachfolgern in Partei und Regierung für interne Unruhe.

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Zwei Tage vor Weihnachten herrschte am Wiener Schubertring besonders dichtes türkises Verkehrsaufkommen. Ab dem späteren Nachmittag des 22. Dezember fanden sich in einem Gründerzeit-Prachtbau gut 150 Ex-Mitarbeiter, unerschütterliche Fans und langjährige Weggefährten von Sebastian Kurz ein. Der Ex-Kanzler hatte in die ehemalige ÖAMTC-Zentrale zu einer Weihnachtsfeier geladen.

Es war die erste in seinem neuen Hauptquartier als Berater und Unternehmer. Österreichs größter Pannendienst, der historisch der bürgerlichen Reichshälfte zugerechnet wird, unterhält im Erdgeschoß der ÖAMTC-Immobilie weiterhin einen großen City-Shop samt Rechtsberatung, Versicherungsservice, Reisebüro und dem „Café Chassis“.

Die „SK Management GmbH“ hat in einem der Stockwerke darüber auf knapp 200 Quadratmetern Quartier bezogen. Der gelernte Berufspolitiker Kurz, der im Dezember 2021 nach dem Kanzlersessel auch den des ÖVP-Chefs räumte, hat sich nach seinem Abgang aus der Politik hier eingemietet. Erst nur gemeinsam mit seinem Ex-Kabinettschef und Freund Bernhard Bonelli, seit Ende des Vorjahrs gehen in der türkisen Büro-Wohngemeinschaft allerdings weitere Kurz-Buddies ein und aus.

Kurz und Blümel wieder Tür an Tür

Für Besucher mutet die Aufteilung der Büros wie ein Gruß aus besseren türkisen Zeiten an. In den beiden größten Büros haben sich vis-à-vis hinter Glaswänden Sebastian Kurz und Gernot Blümel einquartiert. In den kleineren und weniger spektakulären Räumen sitzen die gemeinsame Büroleiterin Vera Regensburger, der als Finanzfondsgründer neu gestartete Bernhard Bonelli und der als Pressesprecher von Karl Nehammer zu Sebastian Kurz gewechselte türkise Newcomer Viktor Niedermayr.

Seit Kurzem taucht auch Stefan Steiner immer wieder in der ehemaligen Pannenhelfer-Zentrale auf. Das Mastermind der türkisen Truppe stand Kurz seit dessen Tagen als Obmann der Jungen ÖVP in unterschiedlichen Funktionen zur Seite. Schattenmann Steiner, der sich bis heute öffentlich rar macht, diente bis Anfang des Jahres noch seinen Konsulentenvertrag mit Kurz weitgehend unbeachtet in der ÖVP-Zentrale aus und ist nun dabei, sich beruflich neu zu orientieren.

Dass Kurz mit der Politik noch nicht abgeschlossen hat, illustrieren nicht nur die engen Bande, die Kurz über seine neue Bürogemeinschaft hinaus mit vielen Weggefährten nach wie vor unterhält. Im ÖVP-Sektor des Regierungsviertels macht dieser Tage die Runde, dass Kurz mehr als ein Jahr nach dem Abgang mit seinem Schicksal, aber auch mit der Performance seiner Nachfolger in Partei, Regierung und Parlamentsklub hadert.

Kopfwäsche für Wöginger und Nehammer

Seinen früheren Klubchef August Wöginger ließ Kurz beispielsweise jüngst wissen, wie enttäuscht er von diesem nicht nur politisch, sondern auch persönlich sei. Die Türkisen hätten zum einen massiv an Profil verloren und den Grünen zu sehr das Feld überlassen. Der Ex-Kanzler fühlt sich zum anderen gegen öffentliche Anschuldigungen zu wenig unterstützt.

Kurz zeigte sich in einem kürzlich beidseitig sehr emotionell geführten Gespräch mit Wöginger auch persönlich durch ein scheinbar harmloses Instagram-Video schwer gekränkt. Wöginger hatte dieses im Dezember aus Anlass des 20. Jahrestages seines Einzugs in den Nationalrat gepostet. Der Innviertler Mandatar würdigt in einer Rückschau auf seine zwei Abgeordneten-Jahrzehnte vor allem Ex-Parteichef Wolfgang Schüssel und Ex-Klubchef Andreas Khol als biografische Leitsterne. Sebastian Kurz, der „Gust“ 2017 zum Chef der ÖVP-Fraktion gemacht hatte, kommt aber mit keiner Silbe in Wögingers Instagram-Politbilanz vor, monierte der 36-jährige türkise Messias a. D.

Auch bei seinem amtierenden Nachfolger am Ballhausplatz deponierte Kurz kürzlich persönlichen Frust. Karl Nehammer habe nach seinem Abgang in Partei und Regierung nicht einmal ein offizielles Abschiedsessen für seinen Vorgänger ausgerichtet. Der jüngste Altkanzler gebe sich bisweilen wie ein 70-Jähriger, der nicht loslassen könne, räsonierte Nehammer dieser Tage mehrfach im kleinen Kreis. Und feixte zudem: Kurz wirke bald „wie ein alter weißer Mann“.

ÖVP-Insider, die mit Kurz laufend Kontakt haben, sagen: Dessen Stimmung gegenüber seinen Nachfolgern sei in der zweiten Hälfte des Vorjahres endgültig gekippt. Möglicher Auslöser: Ex-Intimus Thomas Schmid, der damals mit einer Art Geständnis bei der Justiz um den Kronzeugenstatus einkam und dabei vor allem sein früheres Idol Sebastian Kurz rund um das „Beinschab-Tool“ in Sachen Verdacht der Inseratenkorruption massiv belastete.

„Nach diesem, von ihm als Verrat empfundenen, Verhalten von Thomas Schmid nimmt Kurz alles, was er aus der Partei und Regierung hört, noch mehr als früher persönlich“, so ein ÖVP-Regierungsinsider.

Einer der wenigen Ex-Spitzentürkisen, die auch in kleinen schwarz-türkisen Runden mit sich im Reinen wirken, ist Ex-Finanzminister Gernot Blümel. Kurz hatte sich mit seinem Kronprinzen und langjährigen Best Buddy im letzten gemeinsamen Regierungsjahr etwas auseinandergelebt. Nach der spektakulären Hausdurchsuchung Anfang 2021 beim damaligen Finanzminister war Blümel fest entschlossen, der Politik den Rücken zu kehren. Kurz wollte das bis zuletzt nicht glauben und Blümel – nach seinem durch die Grünen und die ÖVP-Landeshauptleute erzwungenen Rückzug vom Kanzlersessel – mit Nachdruck, aber vergeblich als seinen Statthalter am Ballhausplatz installieren.

Die Risse sind inzwischen so weit gekittet, dass die beiden – sofern sie nicht gerade beruflich verreist sind – seit Kurzem am Wiener Schubertring gar wieder Glastür an Glastür sitzen.

„Ohne uns würdet ihr nicht dort sitzen“

Die Brüche mit seinen Nachfolgern und Erben gehen offenbar tiefer. „Ohne uns wäret ihr nicht dort, wo ihr jetzt weiterhin sitzt“, war in den vergangenen Wochen aus der gefallenen türkisen Truppe in Richtung der in Partei- und Regierungsämtern verbliebenen Weggefährten nicht nur einmal zu hören.

ÖVP-Insider sagen: Die Welle der ÖVP-internen Kritik über strategische Fehler der Nachfolger am Ballhausplatz und das Klagen über persönliche Kränkungen haben zugenommen, seit sich Kurz im Laufe des Vorjahrs mit engen Weggefährten zu einer Bürogemeinschaft gefunden hat und der „Schubertring“ so zu einer Anlaufadresse für ungebrochen gläubige Türkise wurde.

Fleischmann-Comeback als Friedenssignal

Noch müssen Karl Nehammer & Co nicht ernsthaft fürchten, dass sich just in der früheren Zentrale des größten Pannendienstes der Republik ein Gegen-Machtzentrum aufbaut, aus dem den pannenreichen Kurz-Nachfolgern neue und schwere Crashgefahr droht.

Karl Nehammer will offenbar auf Nummer sicher gehen und den neuen Unruheherd in der ÖVP vorsorglich einhegen. Ein parteiinternes Match „Schubertring versus Lichtenfelsgasse“ kann er angesichts ungebrochen starken Gegenwinds an der Justiz- und Wählerfront nicht gebrauchen.

Kürzlich lud der Kanzler so erstmals nach dem Wechsel an der Parteispitze Stefan Steiner, türkises „Brain“ und Nach-wie-vor-Kurz-Intimus, zu einem langen Gespräch auf den Ballhausplatz ein.

Nehammer hatte seit Amtsantritt als Regierungs- und Parteichef nie auf die Dienste des einstigen türkisen Topstrategen zurückgegriffen, obwohl dieser bis Ende Jänner 2023 noch auf der Payroll der ÖVP steht – und anfangs auch Signale gab, als Berater weitermachen zu wollen. Ob aus dieser Wiederannäherung mehr wird, ist offen.

Für immer mehr in der ÖVP erscheint so freilich die umstrittene Kür des langjährigen Mediendompteurs von Kurz, Gerald Fleischmann, zum Kommunikationschef der ÖVP in einem neuen Licht: Als Zugeständnis und Friedenssignal der ÖVP-Zentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse an die türkisen Quälgeister am Wiener Schubertring.

Diese Kolumne ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 27.Jänner 2023 entnommen.

Die weiteren Beiträge von Josef Votzi finden Sie im Thema "Politik Backstage von Josef Votzi"

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