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Rotes Blackout um Wien Energie [Politik Backstage]

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Pressegespräch mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke und Wien Energie Aufsichtsratschef Peter Weinelt am Dienstag, 30. August 2022.
Pressegespräch mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke und Wien Energie Aufsichtsratschef Peter Weinelt am Dienstag, 30. August 2022.©APA/HANS KLAUS TECHT
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Wie ein Milliarden-Hilferuf zur Rettung der Wien Energie aus dem Wiener Rathaus zum Glaubenskrieg zwischen Rot und Türkis outrierte: Verrückte Märkte vs. Rote Zocker. Und: Warum Ex-Innenminister Wolfgang Peschorn nun zum Schiedsrichter zwischen Magnus Brunner und Michael Ludwig mutiert.

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In den Terminkalendern am letzten August-Wochenende vor Schulbeginn standen – im Regierungsviertel selten – einmal ausschließlich Privattermine. Klimaministerin Leonore Gewessler war wandern, Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke schipperte samt Familie und Freuden vor der kroatischen Adria-Küste. Einem entspanntem Wochenende oder ein paar Tagen Urlaub vor dem Start in die politische Herbstsaison schien nichts im Wege zu stehen.

Hätte da nicht Samstag früh eine Horror-Meldung in der Trading-Abteilung der Wien Energie aufgeschlagen, die von der Geschäftsführung über den Aufsichtsrat bis zum Wiener Finanzstadtrat erst die Handys und dann alle Alarmglocken klingeln ließ: Binnen 48 Stunden sind an der Leipziger Strombörse 1,75 Milliarden zur Absicherung von offenen Termingeschäften fällig. Andernfalls würden alle noch vorhandenen Handels-Positionen geschlossen, offene Beträge fällig gestellt, bestehende Kontrakte widrigenfalls versteigert. Die Wien Energie würde in jedem Fall für die Zukunft von der Stromhandels-Börse in Leipzig ausgeschlossen.

Zur Deckung von – im Energiebusiness üblichen – Versorgungslücken oder beim Verkauf von Überschüssen wäre das Unternehmen künftig ausschließlich auf – noch unberechenbarere – Direkt-Geschäfte oder die tagesaktuellen Angebote auf den teuren Spotmärkten angewiesen.

Rathaus-Horrorszenario: Wackelnde Versorgungssicherheit

Alles in allem ein Horror-Szenario: “Da in einem solchen Fall die Wien Energie GmbH ihren bestehenden Lieferverbindlichkeiten nicht mehr nachkommen könnte, wäre die Versorgungssicherheit der Kundinnen und Kunden der Wien Energie nicht mehr gewährleistet”. Das behaupten nicht missliebige Gegner der Wiener SPÖ. So dramatisch formuliert dieser Tage hochoffiziell das Wiener Rathaus.

Der Aufsichtsratschef der Wien Energie und Vizechef der Stadtwerke, Peter Weinelt, klemmte sich Samstag kurz nach 10 Uhr früh hinters Telefon und gab an die halbe Bundesregierung einen SOS-Ruf ab: Das zu 100 Prozent im Besitz der Stadt Wien stehende Unternehmen könne eine binnen 48 Stunden fällige Milliarden-Garantie nicht mehr aus eigener Kraft stemmen - und weder die Hausbanken noch der Eigentümer neuerlich als Nothelfer einspringen. Der Bund müsse mit einem Blitz-Kredit aushelfen.

Das Inkasso-Schreiben der Leipziger Börse und die einmalige Preis-Rallye am Strommarkt ließ die Wien-Energie-Manager im Laufe des Wochenendes bald noch Schlimmeres vermuten: Der von den entfesselten Strompreisen ausgelöste Finanzierungsbedarf des Unternehmens könnte bis in zweistellige Milliarden-Höhen explodieren. In hektischen Telefonaten mit Regierungsvertretern war mal von 10, mal von 6, mal von 4 Milliarden und schlussendlich fürs erste einmal “nur” von zwei Milliarden Euro als kurzfristige Finanzspritze die Rede.

Die Alarmmeldungen aus der, bislang als biederes Kommunal-Unternehmen geläufigen, Wien Energie löste Katastrophenstimmung aus. Angesichts des wirren Jonglierens mit Milliardenbeträgen lud die Regierung für Sonntagabend zu einem Gipfelgespräch ins Kanzleramt. Geladen waren die wichtigsten Branchen-Manager, allen voran Wien-Energie-Geschäftsführer Michael Strebl, Energie-Experten und die ressortzuständigen Polit-Spitzen. Von Regierungsseite saßen Kanzler Karl Nehammer, Finanzminister Magnus Brunner und Energieministerin Leonore Gewessler mit am Tisch.

Hankes Handy-Hilferufe an Nehammer & Brunner, Absage bei Wien-Krisengipfel

Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke hatte an diesem Wochenende nicht nur mehrmals mit Kanzler und Finanzminister in der wirtschaftlich und politisch hochsensiblen Causa telefoniert. Dass er als Vertreter der Stadt Wien selbstverständlich mit am Tisch sitzen würde, galt auch als ausgemacht. Hanke ließ im Laufe des Sonntag lediglich wissen, dass er nicht persönlich, sondern nur per Video an dem Energie-Meeting teilnehmen werde können. Der Wiener SPÖ-Finanzstadtrat blieb dem Treffen schlussendlich auch digital fern.

Sein Nicht-Erscheinen samt kurzfristiger Entschuldigung löste am Ballhausplatz nachhaltig Verstimmung aus. “Wir waren alle irritiert, dass niemand aus der Politik in Wien da ist”, so ein Gipfelteilnehmer.

“Dass diejenigen, deretwegen ein politisch besetzter Gipfel einberufen wird, einfach nicht kommen, hätten wir uns nicht gefallen lassen”, sagt er ein erfahrener SPÖ-Stratege im Rückblick auf Jahrzehnte roter Hausherren am Ballhausplatz.

Die Stadt Wien entsandte als obersten Repräsentanten allein den frischgebackenen Magistratsdirektor Dietmar Griebler. Der schlichte Grund für das Versteckspiel: Im Wiener Rathaus war am Sonntagnachmittag die Parole ausgegeben worden, Hanke muss dem von türkis-grün einberufenen Krisengipfel unbedingt fernbleiben. Denn, so ein Spitzen-Genosse, die türkis-grüne Regie werde die Gelegenheit schamlos nutzen, um den SPÖ-Spitzenmann als Sündenbock für das Milliardendesaster des Rathaus-Unternehmens medial an den Pranger zu stellen.

Motto: Wer den Ballhausplatz meidet, kann dort auch nicht vorgeführt werden.

Versteckspiel wird zum Bumerang

Der vermeintliche politische Rettungsanker wurde freilich zum medialen Bumerang.

Offiziell hatte das Kanzleramt zum sonntäglichen Krisengipfel eingeladen, um – angesichts dramatisch gestiegener Energiepreise – über die Energie-Versorgungssicherheit zu reden. Bei rund vierzig Teilnehmern sickerte der wahre Anlass rasch durch: Das Milliarden-Ultimatum der Börse-Banken an die Wien Energie

In der SPÖ vermutete man umgehend eine gefinkelte Regie wie in Tagen der Kurz-Message Control. Tatsächlich dämmerte den Schwarzen erst allmählich, was sich aus dem Desaster der Roten politisch machen ließe. Spin-Doktoren im Dunstkreis der ÖVP begannen ab Montag nachzuhelfen und mobilisierten Experten, die die Energie-Geschäfte eindeutig als Spekulation bewerteten.

Die Stadt Wien wollte die heikle Mission der Geldbeschaffung im Finanzministerium auch Montag noch ohne öffentlich sichtbare Teilnahme eines SPÖ-Politikers auf Beamten- und Managerebene abwickeln lassen.

So kam es zu skurrilen Szenen wie diesen: Peter Hanke hatte sich erst nach langem Hin und Her breitschlagen lassen, Montagabend Armin Wolf in der ZIB2 Rede und Antwort zu stehen. Er platzierte sich dafür vor dem Finanzministerium.

Den Gang ins Ministerbüro mied Peter Hanke auch davor und danach weiterhin. Erst am Dienstag kam es zum einem persönlichen Treffen mit den zuständigen Ressortchefs Magnus Brunner und Leonore Gewessler in der brandgefährlichen Milliarden-Causa.

Als Nehammer, Brunner, Gewessler & Peschorn Mittwochvormittag kurzfristig zu einer Pressekonferenz luden, um die Freigabe der Zwei-Milliarden-Geldspritze zu verkünden, war das Regierungsviertel-Quartett freilich nicht unglücklich unter sich zu bleiben, wenn es verkündet: Wir haben es geschafft, die bedrohte Versorgung von zwei Millionen Kunden der Wien Energie mit Strom und Gas zu sichern.

Brunners Retourkutsche für Hanke

Wohl mehr aus Gründen der politischen Courtoisie hatte man eine Stunde vor Pressekonferenz-Beginn auch Stadtrat Peter Hanke über den Event informiert und per SMS zur Teilnahme eingeladen. Der rote Rathausmann reagierte auf das etwas durchsichtige Last-Minute-Ticket nicht.

Was auch bei vielen Spitzen-Genossen unter vier Augen aber breites Unverständnis und heftige Kritik auslöst: Im Rathaus wusste die Führungsspitze vom Bürgermeister abwärts spätestens seit Mitte Juli um die prekäre Finanzlage der Wien Energie. “Die Freigabe eines 700-Millionen-Kredit-Rahmens durch den Bürgermeister per Notverordnung ist kein Alltagsgeschäft”, resümiert ein roter Ex-Gewaltiger, “Dieser Warnschuss hätte ausreichend Zeit gegeben, einen Krisenplan samt Krisenkommunikation vorzubereiten.”

Für Kopfschütteln im Regierungsviertel sorgt im Lichte dessen zusätzlich: Bei regelmäßigen informellen Nachfragen der Regierung in der Energiebranche wurde jeder Bedarf an Unterstützung und Vorsorge freundlich aber bestimmt verneint – bis zuletzt auch von der Wien Energie, der bereits seit Wochen das Wasser bis zum Hals stand.

Rathaus out of Message Control

Das Ergebnis der Kopf-in-den-Sand-Politik: Die Rathaus-Gewaltigen hatten nach dem samstäglichen Milliarden-Ultimatum an die Wien Energie so weder eine gemeinsame Message noch diese unter Kontrolle.

Das Management brauchte mehr als 48 Stunden, um sich zuallererst einmal rathausintern verständlich zu machen. Erst Montagnachmittag trudelte aus dem Unternehmen ein halbwegs brauchbares Wording für die Rathaus-Politiker ein, wie die Ursache und die weitere Perspektive des Milliarden-Absicherungsbedarfs halbwegs nachvollziehbar erklärt werden könnten.

Regierung vermutet Spekulations-Leichen im Keller

Im türkis-grünen Regierungswechsel wuchs derweil nicht nur der Verdacht, dass mit den zwei Milliarden nur die Spitze eines Eisbergs über Nacht sichtbar wurde. Ein Schnell-Check der Geschäftsberichte und zugänglichen Daten warf neue Fragen auf und ergab regierungsintern folgendes Lagebild: Die Darstellung, die 2 Milliarden würden zur Besicherung von branchenüblichen Kontrakten für das kommende Frühjahr benötigt, sei zwar plausibel.

Die Zahlen über den Geschäftsverlauf in den zwei Jahren davor befeuerten aber den Verdacht, die Wien Energie hätte sich mit Termingeschäften, die weit über den eigenen Bedarf hinausgingen, schon länger finanziell überhoben. Die bereits fällig gewordenen Verpflichtungen hätten den Spielraum bei Banken und Eigentümer derart erschöpft, dass das Unternehmen nun mit dem Rücken zur Wand stünde.

Strom-(Skandal)-Bremse für den SPÖ-Sieglauf

Für anhaltende Skepsis bei Nehammer, Brunner & Co sorgt zudem: In keinem Land in Europa gab es nach dem schwarzen Strom-Freitag Berichte, dass - abseits der Wien Energie - ein anderer Energieversorger gerettet werden musste. Auch in jener Handvoll europäischen Länder, in denen es bereits einen Schutzschirm gibt, wurde dieser nicht gebraucht.

Mit Befremden wurde im Regierungsviertel zudem registriert, dass der Geschäftsführer der Wien Energie, Michael Strebl, nach dem Krisengipfel für vier Tage untertauchte. Erst gegen Ende der Krisenwoche wagte sich der letztverantwortliche Spitzenmanager aus der Deckung, um zu versichern: “Wir haben nicht spekuliert. Es war ein Tsunami.”

Je mehr Tage seit der roten Schockstarre ins Land ziehen, desto öfter geht nun auch Bürgermeister Michael Ludwig vorsichtig aber doch auf Distanz zum Management des städtischen Energie-Riesen.

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Der finanzielle Mega-Gau der Wien Energie hat den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig schwer verstimmt.

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Denn der finanzielle Mega-Gau wirft einen schweren Schatten auf die SPÖ, die sich bereits siegesgewiss für den Wiedereinzug ins Regierungsviertel rüstete. “Dass sich die SPÖ derart lautstark als Opfer der Märkte und der bösen ÖVP inszeniert, zeigt nur wie nervös Ludwig & Co sind, dass sie von der Affäre Wien Energie nachhaltig Schaden nehmen könnten”, sagt ein schwarz-türkiser Spitzenmann.

“Tiefes Misstrauen zwischen Rot & Schwarz”

Ein teilnehmender Beobachter der letzten Tage, der nicht dem türkis-schwarzen Lager angehört, resümiert nachdenklich: “Zwischen SPÖ und ÖVP herrscht auf beiden Seiten tiefes Misstrauen. Hinter jedem Schritt, den einer der beiden setzt, wird etwas Bösartiges vermutet”. Zumindest die Stimmung am Verhandlungstisch am sonntäglichen Wien Energie-Krisengipfel, so sein Befund, rechtfertigte diesen Verdacht noch nicht: “Ich hatte nicht den Eindruck, dass seitens des Finanzministers oder der anderen ÖVP-Repräsentanten in der Runde eine besondere Schadenfreude aufkam, weil jetzt das rote Rathaus ein Riesenproblem am Hals hat.”

Dass ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner nun per E-Mail an die ÖVP-Mitglieder gegen die roten Spekulanten im Rathaus wettert, ist freilich Wasser auf die roten Mühlen: Die Nehammer-ÖVP suche sich nach der von der Opposition kräftig mitbefeuerten Skandal-Serie in den eigenen Reihe an den Roten zu rächen.

“Verrückte Märkte” vs. Rote "Spekulanten”

Das Match um die Schuldfrage am Milliarden-Desaster des Rathaus-Unternehmens ist freilich erst eröffnet: Waren es, so das lautstarke SPÖ-Mantra, die “verrückten Märkte”, deren Zähmung von der ÖVP in der EU bis vor kurzem noch blockiert wurde? Oder waren es “rote Spekulanten”, so das zunehmend offen propagierte ÖVP-Credo, die glaubten, auf den Märkten billigen Extra-Profit machen zu können?

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Peter Hanke beim Versuch, das Milliarden-Desaster der Wien Energie mit der Preisentwicklung an "verrückten Märkten" zu erklären.

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Fakt ist, dass die Wien Energie ab sofort laufend Besuch von Prüfern erhält. Sowohl der Stadtrechnungshof als der bundesweite Rechnungshof stehen bereits Gewehr bei Fuß. Ein entsprechender Bericht aus dem Hause von Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker ist aber erst im Frühjahr kommenden Jahres zu erwarten.

Schon in zwei Wochen soll das Ergebnis einer ersten Durchleuchtung der Stromgeschäfte der Wien Energie in den vergangenen drei Jahren durch den Kreditgeber Bund vorliegen. Das ist eine der Bedingungen des Kreditvertrages zwischen Bund und Land Wien.

Geleitet wird der Prüftrupp vom Chef der Finanzprokuratur Wolfgang Peschorn, der als “Anwalt der Republik” auch den 2-Milliarden-Kredit-Vertrag formuliert und maßgeblich mitverhandelt hat. Der Jurist Peschorn wird dabei Energiemarkt-Experten zu Rate zu ziehen haben. Wer gemeinsam mit Peschorn die Rolle des Schiedsrichters im Polit-Match "Rote Zocker vs. Verrückte Märkte" übernehmen wird, ist eine spannende offene Frage.

Eines steht zumindest für die Teilnehmer der sonntäglichen türkis-grünen Rettungsrunde bereits jetzt fest: “Kein Banken-Schutzschirm der Welt hätte 2 Milliarden Euro binnen 48 Stunden frei gegeben. Wir sind als Staat in ein überschaubares Risiko gegangen, weil unser Vertragspartner die Stadt Wien ist”, so ein hochrangiger Regierungs-Insider: “Als Eigentümer würde ich freilich das Risikomanagement der Wien Energie gründlich überdenken.”

Für mehr als überdenkenswert halten auch rote Wirtschaftsexperten die Zusammensetzung des Aufsichtsrates der Wien Energie, in den für die Laufzeit des Kreditvertrages (bis April 2023) befristet als Vertreter des Bundes erstmals auch ein externer Experte einzieht. Er oder sie wird dort auf eine verschworene Runde treffen, die vor allem eines verbindet: Sie sollen ein stadteigenes Unternehmen kontrollieren, arbeiten aber so gut wie alle entweder unmittelbar – als weisungsgebundene Beamte – für die Stadt Wien oder in deren wirtschaftlichen Einflussbereich.

Eines makabren Witzes haben sich bisher selbst die aus der Sicht der SPÖ bösartigsten Kritiker der Wien Energie enthalten: Neben dem inzwischen aus Funk und Fernsehen geläufigen Aufsichtsratschef Peter Weinelt fungiert als Vizepräsidentin des Kontrollgremiums die Chefin der Wiener Friedhöfe.

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