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Interview mit trend-Gründer Oscar Bronner zum Nachlesen

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 © APA/Robert Jaeger

Oscar Bronner hat die Magazine trend und profil sowie die Tageszeitung Der Standard gegründet.

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Zum Auftakt der 55-Jahre-trend-Feierlichkeiten: Ein Interview mit trend-Gründer Oscar Bronner aus dem Jahr 2020 beleuchtet die weiterhin aktuellen Herausforderungen für Qualitätsmedien und die Wirtschaft als Männerwelt.

trend: In Ihrem ersten Herausgeberbrief (trend 1/1970) heißt es: „Wir wollen uns den hier nicht bekannten Luxus leisten, eine kritisierenswerte Firma auch dann zu kritisieren, wenn sie zu den Inserenten gehört." Wie schlimm war die Situation damals?

Oscar Bronner: Sie war schlimm. Aber bitte tun Sie nicht so, als wäre das heute kein Thema. Es gibt sehr erfolgreiche Medien, wo selbstverständlich klargestellt wird, dass Großinserenten nicht negativ vorkommen dürfen. Und wie ich höre, soll es einen sehr großen Magazinverlag geben, wo gerade eine Ausgabe einer Zeitschrift eingestampft worden ist, weil ein Großinserent negativ vorgekommen ist.

trend: Das ist auch uns zu Ohren gekommen, auch wenn es nicht den trend betrifft. Es gab bereits in der dritten trend-Ausgabe den Fall eines Inseratenstornos der Creditanstalt. Der damalige CA-Generaldirektor, 69, wollte nicht sein Alter geschrieben sehen. Können Sie sich an ähnliche Dinge erinnern?

Konkret nicht. Man kann jetzt darüber streiten, ob das Alter eines Generaldirektors wichtig ist, aber damals erschien es uns so. Wir haben es dann geschrieben, und damit war es klar. Man muss sich dazu die kleine Korruption dieser Zeit vorstellen. Es war selbstverständlich, dass Journalisten bei Pressegesprächen kleine oder größere Goodies bekamen. Wir haben unseren Mitarbeitern empfohlen, dass wir, wenn diese Dinge verteilt wurden, sagen: „Nein danke, weil ich bin vom trend". Das hat uns natürlich auch bei der Kollegenschaft nicht sehr beliebt gemacht.

trend: Auf 2020 umgelegt würde das heißen, ein Journalist, der vom Bundeskanzleramt zu einer Reise eingeladen wird, lehnt dankend ab?

Die Einladung zu so einer Journalistenreise ist normalerweise kein Goodie, sondern die Möglichkeit, an Informationen heranzukommen, wobei es auch da einen Graubereich geben kann. Aber wenn eine Uhrenfirma ihre Uhren vorstellt und einem Journalisten eine schenken möchte, geht das nicht.

trend: Ist die Unabhängigkeit heute wieder stärker in Gefahr? Sowohl durch die Macht der Inserenten aus der Wirtschaft als auch aus der Politik?

Im Moment haben Medien eine wirtschaftlich sehr schwere Zeit. Je mehr Medien um ihre Existenz kämpfen müssen, desto verwundbarer sind sie. Manche werden in dieser Situation eher kompromissbereit. Und das ist natürlich angenehm für die Versucher. Bei Boulevardmedien ist Unabhängigkeit keine Voraussetzung, deren Leser bemerken die Korruption nicht unbedingt. Es gehört nicht zu ihrer DNA, nicht korrupt zu sein, und wahrscheinlich geht es manchen auch besser, weil sie mit hochgezogenem Rock durch die Gegend rennen. Aber für Qualitätsmedien ist es derzeit sehr schwierig, denn speziell bei ihnen sind Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit ein wichtiges Gut. Ich mache mir große Sorgen um die Existenz von Qualitätsmedien.

trend: Können privatwirtschaftliche Medien in einem kleinen Markt wie Österreich noch die finanziellen Rahmenbedingungen herstellen, um Unabhängigkeit zu gewährleisten? Oder braucht es dazu in Zukunft Mäzenatentum, Stiftungen oder auch den Staat?

Als ich den trend gründete, wurde mir genau das von den Profis erklärt: „In einem kleinen Land wie Österreich ist das, was du dir vorstellst, und so, wie du es dir vorstellst, nicht möglich“ Es war aber jetzt fünf Jahrzehnte lang möglich. Es wird derzeit immer schwieriger, daher muss man mehr Fantasie aufbringen, um es zu schaffen. Ich würde als Blattmacher nicht von Mäzenen abhängig sein wollen. Die ändern ihre Meinung schnell, und dann ist das Medium weg, wie wir es gerade in Österreich erlebt haben.

trend: Stiftungen, die sich über die Person erheben und eine überdauernde Funktion hätten, wären da eine Alternative?

Ich habe keine Antwort darauf. Wir im „Standard“ bemühen uns derzeit mit viel Fantasie, im digitalen Bereich die Einnahmen zu steigern, das macht mein Sohn sehr gut. Außerdem laden wir die Leser ein, zu spenden, und das ist auch erfolgreich. Wir haben viele Leser, denen es ein Anliegen ist, dass es den "Standard" weiterhin gibt und dass er unabhängig bleibt. Wir haben diese Spendenaufrufe nicht erfunden, das war meines Wissens nach der „Guardian“. Es ist mir lieber, von einigen Tausend Menschen abhängig zu sein, als von einem oder zwei.

55 Jahre trend

trend: In der Musikindustrie war man lange davon überzeugt, dass alles nur noch gratis sein würde. Für Streaming wird nun aber sehr wohl bezahlt. Kommt etwas Ähnliches auf Medien zu?

Wir erleben es, dass auch junge Leute bereit sind, für Qualitätsjournalismus zu zahlen. Früher haben die Leser für Medien einen sehr geringen Preis gezahlt, für die Differenz kamen die Inserenten auf. Diese haben, je nach Medium, zwischen zwei Drittel und drei Viertel der Kosten bezahlt. Und dieser Teil fällt nun zu einem hohen Prozentsatz weg. Nicht ganz, aber doch und verhältnismäßig schnell. Die Umgewöhnungszeit ist sehr knapp. Jetzt müssen die Leser und User die Differenz zahlen, die abhanden kommt. Das versuchen wir, mit sehr konsequenten Abo-Preissteigerungen zu erreichen. Die Leser halten uns die Stange, letztlich werden sie die Mehrheit der Kosten tragen müssen. So wird vermutlich auch eines Tages entschieden, welche Medien überleben werden und welche nicht.

trend: Im Wirtschaftsjournalismus sind „FT“,„Economist“ und „Wall Street Journal“ weltweit erfolgreich und gelten als relativ krisensicher. Was heißt das aber für den regionalen Wirtschaftsjournalismus?

Es gibt eine Handvoll Medien, die weltweit erfolgreich sein können. Wir haben keine Chance, da mitzuspielen. Dafür kommen wir aus dem falschen Land, haben die falsche Sprache. Aber diese Vorbilder muss man nutzen und sich von ihnen Details abschauen. Die Paywalls werden immer geschickter. Aber auch wir sind innovativ: Der "Standard" hat zum Beispiel das Pur-Abo entwickelt, das von anderen Medien wie Spiegel und Zeit übernommen worden ist. Es werden sicher nicht alle Printmedien überleben können, aber es werden auch nicht alle sterben. Es wird ein kleinerer Markt, das hat auch mit dem Zeitbudget der Menschen zu tun. Wir verbringen viel Zeit online oder mit Podcasts, daher muss irgendwo etwas nachgeben.

trend: Wird das Lesen langer, analytischer, gut geschriebener Texte in dem sich wandelnden Medienumfeld – Stichwort: Drei-Minuten-Videos –elitärer?

Sie tun so, als wäre das bisher nichts Elitäres. Das war es schon immer. Ich war früher Abonnent des „Atlantic", des ziemlich elitären Magazins aus den USA. Schon lang vor der digitalen Welt war es, so wie „Harper's", von Subventionen abhängig. Mittlerweile haben sie eine enorme Verbreitung dadurch, dass diese Texte online verfügbar sind. Die langen Texte werden auch online gelesen und weitergereicht. Es dreht sich letztlich um die Inhalte. Wie sie transportiert werden, halte ich für sekundär.

trend: Sie haben immer die Medien gegründet, die Ihnen gefehlt haben. Wenn es um Wirtschaftsinformationen geht, fehlt Ihnen da heute irgendetwas?

Nein, wobei ich kein typischer Konsument von Wirtschaftsmedien bin. Ich habe auch den trend damals primär gegründet, weil ich eine große Marktlücke sah. Er hat als Startrampe für profil gedient. Da es nun einmal mein Baby ist, habe ich ihn über all die Jahre auch mehr oder weniger intensiv gelesen. Ich hätte zum Beispiel die Marktlücke von Bloomberg nicht erkannt, weil ich kein Trader bin. Mir sind diese Informationen nicht abgegangen. Daraus wurde eine der großen Erfolgsstorys der Medienbranche.

trend: Ist der Serviceteil also das stabilere Standbein? Und der Analyse und Reflexionsteil eher für ein kleineres Publikum?

Man kann es empirisch nachweisen: Der trend war unter Jens Tschebull auch ein nützliches Magazin. Wir hatten Tabellen, in denen zum Beispiel verglichen wurde, welche Bausparkasse für mich am besten ist. Das war mühsame Arbeit, aber es gab einen Mehrwert. Spätere Chefredakteure haben sich lieber in Essays wiedergefunden. Der unbedankte, nützliche Teil, die Knochenarbeit, ist weggefallen. Daraufhin ist ein anderes Magazin gegründet worden: Der „Gewinn", der diese Tabellen gebracht hat. Es hat nicht lange gedauert, da hatte der „Gewinn" eine höhere Auflage als der trend.

trend: Heute sind Unternehmen relevant, die nicht in Österreich sind, Unternehmen wie Amazon, Facebook etc. Man kann dabei nie vor Ort recherchieren. Ist das mit Qualitätsjournalismus vereinbar?

Auch damals war IBM sicher sexier als Semperit, auch diese Frage ist also nicht neu. Bei der Gründung des trend wurde ich gewarnt: „Wenn du ein Magazin über die österreichische Wirtschaft machst, was wirst du denn da spätestens in einem Jahr schreiben? Da gehen dir ja die Themen aus.“ Also 51 Jahre lang ging es, und ich bin zuversichtlich, dass es weiter geht. Es entsteht immer etwas Neues, es gehen Dinge unter. Wirtschaft ist ein lebendiger Organismus.

trend: In den ersten Ausgaben des trend kommen praktisch keine Frauen vor. Das war ein Magazin von und für Männer - auch von und für Machos.

Die ganze Wirtschaft war eine Männerwelt. Der trend war natürlich primär ein Wirtschaftsmagazin, das sich mit der Wirtschaft beschäftigt, aber auch nützlich war, und nebenbei war es auch ein Männermagazin. Es gab keine nackten Frauen, aber wir sprachen Lifestylethemen an, die primär Männer interessiert haben, etwa Autos. Mir waren damals nur wenige Wirtschaftsjournalistinnen bekannt. Im Laufe der 50 Jahre ist der Journalismus insgesamt – auch der Wirtschaftsjournalismus – weiblicher geworden. Heute haben wir sehr wichtige und prominente Wirtschaftsjournalistinnen. Aber in der Wirtschaft selbst? Wir kennen die Einkommensstatistiken, wir kennen die Zahlen aus den Führungsetagen: Viel ist da nicht passiert. Und es gibt nur eine Handvoll weiblicher CEOs, die müssen für alle diesbezüglichen Interviews herhalten, weil es andere nicht gibt.

trend: Sie haben dreimal Printmedien gegründet. Bei trend und profil waren Sie 26 Jahre alt, beim Standard 45. Was macht man mit Mitte 40 anders als mit Mitte 20?

Ich habe den Markt ein bisschen besser gekannt, obwohl ich 14 Jahre lang aus dem Verlagsgeschäft ausgestiegen war. Ich bin aber wahrscheinlich mit der gleichen Naivität hineingegangen, habe alle Warnungen in den Wind geschlagen und war durchdrungen von der Idee, dass es funktionieren wird. Ich kannte die Probleme, die ich bei trend und Profil erlebt habe. Die Probleme, die auf mich bei einer Tageszeitung warteten, kannte ich nicht. Wenn ich sie gekannt hätte, hätte ich es vielleicht nicht mehr gemacht. Bei allen drei Gründungen gab es sehr viele Klippen, alle drei waren jeweils knapp vor dem Absturz - hauptsächlich, weil ich selbst kein Kapital hatte, aber trotzdem die Kontrolle behalten wollte. Neben Gehirnschmalz und Energie hat auch eine Portion Glück dazugehört, dass es alle drei heute noch gibt.

trend: In allen Ihren Gründungen standen Sie für Liberalismus. Ist er heute am Rückzug?

Sie sprechen ein mich deprimierendes Thema an. Der Liberalismus ist derzeit in der Defensive. Ich staune, wie unverschämt antiliberale Bestrebungen heute Erfolg haben. Das geht von Trump über Orbán bis zu den Neonazis. Liberalismus war nie eine Mehrheitsangelegenheit, jedenfalls nicht in Österreich. Aber heute ist der Zeitgeist antiliberal, und zwar weltweit. Ich bin aber ein unverbesserlicher Optimist, daher hoffe ich, dass der Pendelschlag irgendwann wieder in die andere Richtung geht. Nur: Von selbst wird das nicht passieren. Wenn man sich als liberal empfindet und die liberale Demokratie haben will, muss man etwas dafür tun. Früher hatten alle Parteien mehr oder weniger starke liberale Flügel, selbst die FPÖ. Wo sind die alle geblieben?

trend: Erwarten Sie eine stärkere Rolle des Staates, was Medien betrifft? Der ORF war in den letzten Monaten zum Beispiel enorm stark. Der ORF war in Österreich immer stark.

In der Zeit, als trend und profil gegründet wurden, gab es weder Privatfernsehen noch Privatradio, der politische Einfluss des ORF war daher noch größer als er heute ist. Mit Besorgnis beobachte ich, wie der Staat heute auf andere Weise Einfluss nimmt. Wenn ich mir die Ministerien anschaue, sitzen dort heute mehr Leute, die im weitesten Sinn mit Journalismus zu tun haben, als in vielen Medien. Sie machen Propaganda und PR für ihre Minister. Mit Besorgnis bemerke ich, wie die gesetzlich geregelte Presseförderung in Österreich jahrelang gesunken ist und gleichzeitig über freihändig vergebene Inserate der Politik ein Mehrfaches an Steuergeldern verteilt wird. Und mit dieser Freihändigkeit vor allem genehme Medien bedacht werden, für Qualitätsmedien fallen dabei Brosamen ab. Das geht in diesem Land, weil sich niemand dafür schämt. Weder die Gebenden noch die Nehmenden.

trend: Was wünschen Sie Ihrem ersten Baby heute?

Ich wünsche dem trend, dass er auch sein hundertjähriges Jubiläum noch feiern kann, und zwar in der Unabhängigkeit, in der er gegründet worden ist.

Zur Person

Oscar Bronner, 77, ist Herausgeber des „Standard“ und Aufsichtsrat der Standard Medien AG, die sein Sohn Alexander Mitteräcker leitet. Ende 1969 gründete er den trend, die erste Ausgabe des Magazins erschien im Jänner 1970.

Das Interview ist im trend vom 16.10.2020 erschienen.

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