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Susanne Riess: Frauen sollen mutiger und kühner sein

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11 min

Wüstenrot CEO Susanne Riess

©Rafaela Pröll
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Die Generaldirektorin der Wüstenrot-Gruppe Susanne Riess schreibt in ihrem trend-Essay, dass für echte Gleichstellung faire Rahmenbedingungen entscheidend seien. Und davon seien wir in Österreich noch weit entfernt. Ihre Bitte an alle Frauen: Lernen wir, kühner und mutiger zu sein.

Dem Wort "Frauenkarrieren" haftet immer noch das Odium des Besonderen an, beim Wort "Karrierefrau" schwingt neben einem gewissen Überraschungsmoment und einer nicht immer aus reinem Herzen kommenden Bewunderung auch stets ein kleiner, manchmal auch ein größerer negativer Touch mit. Als "ungewöhnlich" werden solche Karrieren oft zweideutig charakterisiert..

Fast rituell wird hinterfragt, welche "Opfer" erfolgreiche Frauen für ihre Karriere erbracht haben. Manch eine/r sieht da schon Nannies oder in Internate abgeschobene Kinder vor seinem geistigen Auge. Dies mündet auch fast immer in die Frage: "Haben Sie eigentlich als Mutter manchmal ein schlechtes Gewissen?" - eine Frage, die einem "Karrieremann" so gut wie nie gestellt wird

Wie überhaupt der Begriff "Karrieremann" im allgemeinen Sprachgebrauch nicht existiert, weil offensichtlich ein Neoplasmus. Kinderlose Karrieremänner gelten gemeinhin auch nicht als überehrgeizig oder familienfeindlich. Alles ein wenig zugespitzt? Mag sein, aber doch sehr real.

Wir sollten aber auch die positiven Entwicklungen betrachten. Die Welt von heute wird zunehmend von Frauen geprägt, in der Vergangenheit war das nicht der Fall, und damit meine ich nicht nur das Mittelalter, sondern durchaus auch die jüngere Vergangenheit. Noch Ende der 60er-Jahre zum Beispiel durften Frauen in weiten Teilen Europas nur mit Zustimmung ihres Ehemanns ein Konto eröffnen oder arbeiten gehen und damit ein eigenes Einkommen verdienen.

Wenn wir weiter in die Geschichte zurückgehen und uns die Biografien von Frauen ansehen, die Pionierleistungen in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst erbracht haben, so sehen wir auch, dass ihnen die gebührende Anerkennung oft verwehrt wurde. Nur wenn die Umstände besonders günstig waren und die betreffenden Frauen eine enorme Kraftanstrengung auf sich nahmen, konnten sie sichtbar werden.

Meistens war die Realität eine andere. Künstlerinnen wurden oft als verhaltensauffällig abgetan, Hysterie war ein eigens für unangepasste Frauen erfundenes Krankheitsbild. In der Wirtschaft konnten Frauen nur in der Selbstständigkeit finanziell und beruflich unabhängig werden, und es waren sehr wenige, die dies - meist als Witwen oder Töchter gut situierter Männer - geschafft haben. Selbst heute machen sich nur rund zehn Prozent der erwerbstätigen Frauen selbstständig, halb so viele wie Männer. In der Wissenschaft wurden Frauen im Regelfall zu Assistentinnen degradiert, man denke nur an Lise Meitner oder Mileva Maric, Albert Einsteins hochbegabte und für den Erfolg seiner Forschungen maßgebliche Frau.

HERRSCHERINNEN WIE KLEOPATRA, Elisabeth I. oder Katharina die Große sind mehr wegen ihrer Affären in Erinnerung als wegen ihres zweifellos geschichtsmächtigen Wirkens. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Frauen in Regierungen und Parlamenten eine exotisch anmutende Minderheit, und in manchen Teilen der Welt sind sie es heute noch. Ist bei uns die Ausnahme schon zum Normalfall geworden? Bis zu einem gewissen Grad würde ich sagen: Ja! Regierungschefinnen, Ministerinnen, weibliche Abgeordnete, Bürgermeisterinnen sind Gott sei Dank keine Exotinnen mehr.

In Europa werden Deutschland, Estland, Dänemark, Finnland und Litauen von Frauen regiert, Ursula von der Leyen ist Präsidentin der Europäischen Kommission, Paris, Rom und zahlreiche weitere Städte werden von Frauen verwaltet.

Können wir anhand dieser Beispiele beweisen, dass Politikerinnen bessere Politik machen? Wenn wir ehrlich sind: Nein! Frauen in politischen Führungspositionen sind derselben Logik unterworfen wie ihre männlichen Kollegen, aber die Wahrnehmung dessen, was sie tun, ist unterschiedlich. Als aufschlussreiche Lektüre dazu empfehle ich Anton Pelinkas "Der politische Aufstieg der Frauen -am Beispiel von Eleanor Roosevelt, Indira Gandhi und Margret Thatcher". Mit letzterer bin ich immer wieder mal verglichen worden, und es war - selbstredend - nie als Kompliment gemeint. Und das hat sehr viel mit der Wahrnehmung zu tun.

Was bei einem Mann als konsequent und durchsetzungsfähig gilt, nimmt man(n) bei einer Frau als hart und unsympathisch wahr. Dieser Wahrnehmung verdanke ich einige meiner bekannt gewordenen Spitznamen, von denen die Königskobra mir besonders ans Herz gewachsen ist. Fast ein Ehrentitel. Jedenfalls ein deutlicher Fortschritt zum "Fräulein", das mich durch die Anfänge meiner Karriere begleitet hat, oder die Verwechslung mit Dolmetscherinnen, wenn meine männlichen Mitarbeiter als Ehrengäste begrüßt wurden, tatsächlich keine Einzelfälle.

Dennoch: Die reale Gleichstellung von Männern und Frauen ist in der Politik eindeutig besser gelungen als in den Vorständen und Aufsichtsräten der Konzerne. Und dies, obwohl laut einer aktuellen Studie von BCG Unternehmen mit diversen Führungsgremien einen um fast 20 Prozent höheren Umsatz durch Innovation erzielen. Der Österreichische Bankenverband hat sich nicht zuletzt deswegen zum Ziel gesetzt, den Anteil der Frauen in Vorständen von Aktienbanken bis zum Jahr 2030 zumindest zu verdoppeln. Und jede Frau, die schon in einer Führungsfunktion ist, hat hier einen absoluten Pull-Effekt.

Als ich meine Karriere begann, war ich in ganz vielen Positionen die erste und oft lange die einzige Frau. Auch bei Wüstenrot gab es kaum Frauen in Leitungsfunktionen, heute sind wir bei rund 40 Prozent. Und ich bin nirgendwo mehr die einzige Frau, das ist ein sehr gutes Gefühl!

ENTSCHEIDEND FÜR ECHTE nachhaltige Gleichstellung ist aber, dass wir faire Rahmenbedingungen schaffen. Davon sind wir auch in Österreich noch weit entfernt. Internationale Beispiel zeigen uns, wie es besser gehen könnte: Island beispielsweise war das erste Land weltweit, das Unternehmen mit mehr als 25 Angestellten per Gesetz dazu verpflichtete, Männer und Frauen gleich zu entlohnen. Allein mit dieser Maßnahme hat die Väterkarenz enorm an Attraktivität gewonnen. Zudem sind in Island von der insgesamt zwölfmonatigen Karenzzeit fünf Monate für die Mütter und fünf Monate dezidiert für die Väter vorgesehen. Die weiteren zwei Monate können individuell aufgeteilt werden. Das Resultat: mehr als 90 (!) Prozent der Väter nutzen ihren Anspruch auf Karenz. It's that simple!

ABER ES IST NICHT NUR DIE POLITIK, sondern das gesamte gesellschaftliche Umfeld entscheidend. Hier besteht großer Aufholbedarf. Familie gilt nach wie vor in erster Linie als Frauensache, und Mütter sitzen in der Teilzeitfalle. Unser Arbeitsrecht, unsere Kollektivverträge und unser Pensionsrecht benachteiligen Frauen in jeder Hinsicht. Dazu kommt die mangelnde gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung jener Leistungen, die Frauen in der Familie und -das wurde in den letzten Monaten besonders deutlich - systemrelevanten Berufen im Gesundheits- und Pflegesektor erbringen.

Im März diesen Jahres gelangte erstmals eine Frau an die Spitze einer der fünf größten Banken der Wall Street. Auf die Frage, wie sie das geschafft habe, sagte sie: "I learned to be much bolder!" Das ist meine Bitte an alle Frauen: lernen wir, mutiger und kühner zu sein! Und was noch wichtiger ist: Vergessen wir nicht die Verantwortung, die wir für jene Frauen haben, für die es nicht um ihre Karriere geht, sondern um ihr nacktes Überleben. Und das sind immer noch Millionen Frauen auf dieser Erde.

Die Autorin

Susanne Riess ist seit 2004 Generaldirektorin der Wüstenrot-Gruppe. Sie ist Vizepräsidentin des österreichischen Bankenverbandes und war von 2000 bis 2003 Vizekanzlerin.

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