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Malik on Management: Die Mission zählt, nicht die Vision

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Erfolg im Business: Es ist die Mission, nicht die Vision, die zählt.
Erfolg im Business: Es ist die Mission, nicht die Vision, die zählt.©Getty Images
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Visionen? Management- und Leadership-Doyen Fredmund Malik mahnt, stattdessen Business Missionen klar und konkret zu bestimmen. Wer im Unternehmen Visionen hat, solle besser zum Arzt gehen - oder versuchen, konkrete Aufgaben umzusetzen.

Über Visionen als Richtschnur des Handelns von Managern und als Grundlage einer Unternehmensstrategie wird nicht mehr so viel geschrieben wie bis vor kurzem. Die Visionsautoren sind zu neuen Ufern aufgebrochen, sie haben sich anderen Themen zugewandt. Im Denken und in den Diskussionen von Führungskräften spielt das Konzept der Vision aber nach wie vor eine maßgebliche Rolle. Und es ist auch nach wie vor so unklar, wie es immer schon war.

Wegen der bisher nicht beseitigten Schwammigkeit und vor allem wegen der Beliebigkeit der Verwendung des Visionsbegriffs ziehe ich den englischen Begriff der "Mission" vor und für den Zweck der Unternehmensführung den Begriff "Business Mission" oder "Corporate Mission".

Elemente einer Business Mission

Elemente einer Business Mission. Eine brauchbare Business Mission muss drei Elemente umfassen; sie muss auf drei Säulen stehen. Man beginnt daher nicht mit der Formulierung einer Mission, schon gar nicht damit, einen möglichst eingängigen Slogan zu finden. Zuerst müssen die Grundelemente der Business Mission erarbeitet werden. Sie müssen so klar wie irgend möglich gemacht werden, und das erfordert gründliche und daher meistens auch zeitraubende Diskussionen.

Das ist nach meinen Beobachtungen einer der Hauptgründe, weswegen sich Führungskräfte nicht so gerne der Aufgabe der Erarbeitung einer Business oder Corporate Mission stellen. Wenn auch nur eines der Elemente fehlt, kann die Aufgabe noch nicht als gelöst betrachtet werden. Eine Business Mission muss Antworten auf die folgenden drei Fragen geben. Sie sind nur scheinbar einfach - oder, wie manche Leute gelegentlich zu meinen belieben, banal. Natürlich gibt es immer leichte und schnelle Antworten darauf. Sie sind nur auch so gut wie immer falsch.

Wer daran geht, diese drei Fragen mit jener Ernsthaftigkeit zu beantworten, die die Entscheidungen benötigen, die man darauf stützt, wird sehen, dass es schwierige Fragen sind, solche, die in den Wesenskern jeder Organisation gehen. Und das ist ja der Sinn der Business Mission.

  • 1. Der Bedarf: Was benötigt der Markt?, oder: Wofür bezahlt uns der Kunde?

  • 2. Die Stärken: Worin besteht unsere Überlegenheit? Oder: Was können wir besser als andere?

  • 3. Der Glaube: Woher kommt unsere Kraft? oder: Woran glauben wir?

1. Der Bedarf

Die scheinbar unschuldige Frage, was der Markt benötigt, führt zu den fast regelmäßig schwierig zu beantwortenden weiteren Fragen:

  • Wer ist eigentlich unser Kunde?

  • Wer sollte es sein?

  • Wer ist nicht unser Kunde?

  • Warum nicht?

Man kommt damit zwangsläufig zu den Kunden und den Nichtkunden. Diese werden fast immer übersehen, mit oft desaströsen Folgen. Wer als Unternehmen 30 Prozent Marktanteil hat, darf ohne Zweifel auf eine stolze Leistung verweisen. Wer 30 Prozent hat, hat aber 70 Prozent des Marktes nicht ...! Warum nicht?

Das Wichtigste in Zusammenhang mit dem ersten Element einer Business Mission ist der Zwang hinauszuschauen - dorthin, wo die wirkliche Wirklichkeit des Unternehmens ist, wo die wirklichen Chancen und die wirklichen Gefahren sind. Das war naturgemäß immer wichtig. Heute ist es aber noch viel wichtiger als je zuvor. Verwöhnt durch die ungeheure Menge an Information, die Manager im Gegensatz zu früher heute problemlos, praktisch auf Knopfdruck, bekommen können, glauben sie informiert zu sein. Worüber sie meistens "alles" wissen, ist die Innenwelt ihrer Organisationen; und worüber sie meistens fast gar nichts wissen, ist ihr Umfeld.

2. Die Stärken

Das zweite Element jeder Business Mission ist die Frage: Was können wir? Was können wir besser als andere, und woraus folgt daher unsere Überlegenheit? Als junger Consultant war ich stolz darauf, wenn wir für ein Unternehmen in einem Problemkatalog sauber die Schwächen erarbeitet hatten und selbstverständlich auch die Maßnahmen zu ihrer Beseitigung. Ich fand, dass wir eine gute Arbeit geleistet hatten und mit Recht eine Rechnung stellen durften.

Es brauchte seine Zeit, bis mir klar wurde, dass das der einfachere und unwichtigere Teil der Arbeit war. Heute betrachte ich es als meine wichtigste - und im Grunde meine einzige - Aufgabe als Consultant, meinen Kunden zu helfen, ihre Stärken zu finden, jene der Menschen als auch jene der Unternehmen. Das ist mit Abstand schwieriger; es ist aber auch wichtiger.

Was können wir? Was können wir wirklich? Und was können wir - ein bisschen - besser als andere? Man beachte, dass hier nicht von Spitzenleistungen die Rede ist, nicht von Rekordabständen und nicht von den Wundern, die in den Büchern so oft im Zentrum stehen. Ein bisschen besser als andere zu sein ist schon sehr viel, und jeder erfahrene Manager weiß, dass es alle Kraft kostet, schon kleine Abstände zu halten oder gar auszubauen. Es ist dieselbe Erfahrung, die jeder Sportler macht.

3. Der Glaube

Das dritte Element der Business Mission kann leicht missverstanden werden. Es geht, wie aus dem Zusammenhang wohl klar sein muss, nicht um religiösen Glauben; es geht überhaupt nicht um transzendente Dinge, sondern um sehr irdisch-menschliche. Aber es geht um etwas, was nicht leicht zu fassen ist und daher immer wieder Anlass zu metaphysischen Spekulationen gibt.

Woher kommt die Kraft, die man braucht, als Mensch und als Organisation, um Leistung zu erbringen? Und zwar die Kraft nicht für die gewöhnliche, übliche Leistung, für das Tagesgeschäft. Das ist zwar auch keine Selbstverständlichkeit, aber doch auch kein ernsthaftes Problem. Was ich hier meine, ist weit mehr, als man unter Motivation zu verstehen pflegt.

Es ist jene Kraft, die man dann braucht, wenn man in wirklichen Schwierigkeiten ist; wenn man die wirklich großen Anstrengungen zu erbringen hat, wenn man die letzten Reserven mobilisieren muss. Das ist keine Frage der üblichen Motivation, von Incentives usw.

Die Geschichte insgesamt und auch die Wirtschaftsgeschichte kennt genügend Beispiele für dieses Phänomen, dass es die Mobilisierung der letzten Kraftreserven war, die - oft in hoffnungslos erscheinenden Situationen - die entscheidende Wende bewirkte. Vielleicht braucht eine Organisation das nie; umso besser.

Vielleicht kommt sie aber in eine Lage, in der es notwendig wird, jenen an die wirkliche Grenze der menschlichen Leistungsfähigkeit gehenden Einsatz zu verlangen, der weit jenseits dessen liegt, was man sich in gewöhnlichen Zeiten vorzustellen vermag. Die Gründe für die Freisetzung solcher Reserven liegen in der Regel in einer existenziellen Bedrohung, oder es ist die Überzeugung, dass man im Dienste einer Sache oder Aufgabe steht, die wichtig genug ist, um eben diesen Einsatz zu leisten - zum Ersten, und zum Zweiten, dass man das im Kern auch leisten kann, weil man eben Stärken hat.

Das Zusammenwirken der Elemente

Die Klärung jedes einzelnen Elementes für sich ist wichtig genug. Es dürfte kaum zu übersehen sein, dass das über den Stand hinausgeht, der mit der Visionsdiskussion erreicht wurde, und dass erst auf dem hier dargestellten Wege jenes Maß an Gründlichkeit und Konkretheit erreicht werden kann, das nötig ist, wenn folgenreiche Entscheidungen über Strategie, Struktur und Kultur eines Unternehmens eine vertretbare Grundlage haben sollen.

Es gibt aber noch mehr zu sagen. Erst aus dem Zusammenwirken, aus der Interaktion dieser drei Elemente ergibt sich ein Ganzes, und, wie ich meine, ein ziemlich wichtiges. Es sind drei weitere Komponenten, die aus den ersten entstehen. Sie sind das, was man in den Systemwissenschaften als "Emerging Phenomena" bezeichnet.

Aus dem Zusammenwirken von Bedarf und Stärken entsteht Nutzen, das, was im Englischen als Value bezeichnet wird, vor allem Customer Value. Das kann man sofort erkennen, wenn man die beiden Elemente in ihrem Zusammenhang durchdenkt: Wo zwar ein Bedarf da ist, aber ein Unternehmen keine Stärken hat, kann kein Nutzen entstehen. Andererseits gibt es auch keinen Nutzen, wenn ein Unternehmen zwar etwas kann, dafür aber kein Bedarf existiert. Die Schaffung von Nutzen und von Wert setzt also beides voraus.

Aus der Interaktion von Stärken und Glauben entstehen so wichtige Dinge wie Stolz auf das Unternehmen und seine Leistung sowie Selbstrespekt und Selbstvertrauen. Man kann nicht stolz sein auf etwas, was das Unternehmen nicht kann, und daher wird es auch keinen Glauben daran, keine Überzeugung geben können.

Und schließlich entsteht aus dem Zusammenwirken von Glauben und Bedarf das, was man vielleicht als Sinn bezeichnen darf - nicht in irgendeiner metaphysisch-philosophischen Bedeutung, sondern in der praktischen Bedeutung, die der von mir hoch geschätzte Viktor Frankl diesem Begriff gegeben hat.

Es ist jener Sinn, der im Dienst an einer Sache oder einer Aufgabe liegt. Das ist, wie schon gesagt und wie Frankl immer betont hat, etwas anderes als die übliche Motivationsvorstellung: Es ist die Basis für jede Motivation. Das kann kaum besser formuliert werden als in dem von Frankl immer wieder zitierten Satz von Nietzsche:

Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie ...

Beispiel: Daimler-Benz

Es ist mir klar, dass man die hier dargelegten Ideen und Formulierungen missverstehen und missdeuten kann. Ich habe das oft genug in Vorträgen und Seminaren erlebt und entsprechende Diskussionen zu bestehen gehabt. Manche empfinden das als eine offene Einladung zur Rechtfertigung dessen, was ich als Metaphysik des Managements bezeichne. Gerade das will ich aber, so gut ich kann, vermeiden.

Vielleicht hilft ein praktisches Beispiel. Es liegt zeitlich wohl weit genug zurück, um es verwenden zu dürfen. Und es ist nicht als Kritik an Personen gemeint, sondern als hoffentlich lehrreicher Fall für einen Kunstfehler in der Führung eines Unternehmens und dafür, dass und wie er vermeidbar gewesen wäre. Ich bin mit Kritik an Managementpraktiken in der Regel zurückhaltend, und zwar deshalb, weil es immer leicht ist, im Nachhinein klüger zu sein. Das ist aber eben darum auch wertlos.

Hier liegt aber ein Fall vor, wo man zur damaligen Zeit mit den damals verfügbaren Kenntnissen und geschichtlichen Erfahrungen wissen konnte - und daher als Führungskraft auch wissen musste -, dass man einen Fehler macht. Ich habe damals schon darauf hingewiesen, mit denselben Gründen, die ich hier darlegte.

Unter dem Vorstandsvorsitz von Edzard Reuter bei Daimler-Benz wurde in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre - es war die große Zeit des Rufes nach Visionen - die Idee des "integrierten High-Tech-Konzerns" geboren. Wahrlich visionär - wenn man bedenkt, was das Unternehmen bis dahin gemacht hatte. Die Folge war eine groß angelegte Diversifizierungs- und Akquisitionsstrategie, die in den neunziger Jahren als Fehler erkannt wurde und schmerzhaft korrigiert werden musste.

Was war falsch? Fast alles! Noch falscher kann man eine Business Mission nicht formulieren.

  • Zum Ersten: Wo ist der Bedarf? Wer braucht einen "integrierten High-Tech-Konzern"? Wie sich zeigte, offenbar niemand. Was die Welt damals brauchte, heute braucht und wohl noch eine Zeit lang brauchen wird, sind Autos, darunter auch qualitativ hervorragende, Flugzeuge, Motoren, Turbinen, Computer, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen und vieles andere mehr. Wie das alles aber entsteht, ist der Welt völlig gleichgültig. Als Kunde interessiert es mich wenig, wenn überhaupt, wie ein Unternehmen mein Auto herstellt, integriert oder nicht, High-Tech oder nicht ...

    Es soll ein gutes Auto sein, vielleicht das weltbeste; das ist es, was den Kunden interessiert. Sonst nichts. Die Sicht des "integrierten High-Tech-Konzerns" ist so total innengerichtet, dass man sich nicht wundern darf, wenn man darob den Kunden und die Konkurrenten aus den Augen verliert, für die das eine willkommene Chance ist, Marktanteile dazuzugewinnen.

  • Zum Zweiten: Was waren die Stärken? Daimler-Benz konnte Autos bauen; sonst nichts. Sie konnten die besten Autos bauen, und sie konnten das alles auch hervorragend managen. Aber was sonst noch? Flugzeuge, Elektronik und was schließlich sonst noch alles als Folge der Diversifikation und Akquisition dazukam, waren so gänzlich verschieden von dem, was als Stärke vorhanden war, dass es aussichtslos war.

  • Und zum Dritten: Woran glaubten die Mercedes-Leute, die Facharbeiter, die Meister, die unteren, mittleren und höheren Manager und - nicht zu vergessen - ihre Frauen und Kinder, das ganze - schwäbische - Umfeld, das man nämlich braucht, wenn die Reserven zu mobilisieren sind? Nicht an die behaupteten Potenziale eines "integrierten High-Tech-Konzerns", falls sie überhaupt je verstanden hatten, was diese Vision bedeuten sollte, und nicht an die rituell beschworenen Synergien. Sie glaubten - mit guten Gründen - an Mercedes, an Autos und daran, dass die Welt sie braucht und haben will, und daran, dass sie sie bauen können.

Eine Mission ist keine Garantie

Damit behaupte ich nun keineswegs, dass eine wohlüberlegte Business Mission eine Garantie für unternehmerischen Erfolg sei. Schon der Gedanke an eine solche ist abwegig und kann nur von Leuten kommen, die die Wirtschaft nur vom Hörensagen kennen. Es wird nie eine Garantie für den Erfolg geben.

Jede, auch die beste Business Mission, kann und wird irgendwann von den Ereignissen und Veränderungen in Markt und Gesellschaft überholt werden und wird sich überleben. Besonders gefährlich sind jene Business Missions, die sich über lange Zeiträume, 50, 80 Jahre oder noch länger, als richtig erwiesen haben. Sie zu hinterfragen erfordert fast übermenschlichen Mut.

Erfolgsgarantien kann es also nicht geben. Was es allerdings gibt, sind Garantien für den Misserfolg. Eine davon ist eine offenkundig falsche Business Mission. Und der Ursprung dafür ist das Unverständnis dafür, was eine Business Mission überhaupt ist und sein muss, und ihr Ersatz durch wolkige, aber modern erscheinende Metaphysik, die imponierend formuliert ist und rhetorisch eindrucksvoll vorgetragen wird.

Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.

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