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Erste Group CEO Willibald Cernko: "Wir sollten uns nicht so fürchten" [INTERVIEW]

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Erste Group CEO Willibald Cernko
Erste Group CEO Willibald Cernko: "Wir wollen nicht, dass die Kunden die Nerven verlieren."©trend / Michael Rausch-Schott
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Der neue Erste-Group-Chef Willibald Cernko im trend. INTERVIEW über seinen ungeplanten Aufstieg, seinen - trotz Krise - ziemlich optimistischen Ausblick und über Data Analytics als einen der "use cases" der Unternehmensstrategie.

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Zur Lebensplanung von Willibald Cernko gehörte nicht unbedingt, zum zweiten Mal CEO einer österreichischen Großbank zu werden, nach der Bank Austria (bis 2016) nun bei der Erste Group. Doch nach dem so nicht erwarteten Abgang von Bernhard Spalt (siehe trend. INTERVIEW: "Ich glaube nicht an eine Rezession" vom April 2022) wurde er gebeten, mit 1. Juli das Ruder zu übernehmen.

Eine Übergangslösung bis Ende 2024, aber kein Pro-forma-General, der nur verbindlich Hände schüttelt. Das hat Cernko zur Bedingung gemacht.

Von Andreas Treichl, Langzeit-CEO und nunmehr Präsident der Erste Stiftung, und von Aufsichtsräten wurde Spalt vorgehalten, die Transformation der Bankengruppe zu bedächtig umzusetzen. Diese Sorge wird man sich bei Cernko nicht machen müssen. Der gebürtige Steirer gilt als Hands-on-Banker, der eine Strategie nicht lange von allen Seiten betrachtet, sondern schnell loslegt.

Wie schnell, das zeigt erste aufsehenerregende Personalentscheidung Cernkos: Mit dem langjährigen Magenta (zuvor T-Mobile Österreich) CEO Andreas Bierwirth hat Cernko einen hochkarätigen neuen Vorstand für das Privatkundengeschäft der Erste Group gefunden, der Cernko womöglich 2025 dann auch als CEO nachfolgen wird.

Im trend. Interview erklärt Cernko seine Beweggründe als neuer Chef der Bankengruppe und seine Ziele.

Interview

Ich bin weit davon entfernt, mir einen Kollaps vorzustellen.

Willibald CernkoErste Group CEO
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Willibald Cernko, Vorstandsvorsitzender Erste Group: "Ich bin kein Übergangskandidat, der in der Früh die Bank auf- und abends wieder zusperrt."

© trend / Michael Rausch-Schott

trend: Hatten Sie Udo Jürgens im Kopf, als Sie sich entschieden haben, mit 66 Jahren ein zweites Mal als CEO zu starten?
Willibald Cernko: Da fängt das Leben an. Ich hab das öfter verwendet, wenn mir Leute gratuliert haben. Aber natürlich zeigt man mit diesem Lebensalter nicht mehr auf und sagt: "Ich will CEO werden." Ich habe das Glück, in dieser Bank das tun zu können, was mir Spaß macht, nämlich das Kundengeschäft. Es war schon zuvor vereinbart, dass ich bis Ende 2024 bleibe, also weit über den Zeitpunkt eines Pensionsantritts hinaus. Ich war also in der gegebenen Situation nicht völlig überrascht, dass ich gefragt wurde.

Ihr Golfspiel wird demnach zwei weitere Jahre auf der Strecke bleiben?
Im Minimum, aber es geht mir, ehrlich gesagt, auch nicht mehr so ab.

Hat das Datum Ende 2024 auch damit zu tun, dass dann Ex-Vorstand Peter Bosek eventuell wieder zur Verfügung stünde?
Das hat mit keiner bestimmten Person etwas zu tun, sondern nur mit der Umsetzung der Strategie in den nächsten zweieinhalb Jahren. Die ist in allen Facetten ausdiskutiert, ich muss also keine Debatte darüber lostreten. Da meine Persönlichkeit im Haus bekannt ist, war auch klar, dass ich kein Übergangskandidat bin, der in der Früh auf- und abends zusperrt. Ich werde ein sehr aktiver CEO sein. Letztlich geht es auch darum, ohne Zeitdruck eine langfristige Nachfolgeregelung vorzubereiten. Ich bin sicher, da werden sich einige melden.

Nach außen besteht der Eindruck, dass es nicht mehr ganz so rund läuft, seit Andreas Treichl nicht mehr CEO ist. Ist der nunmehrige Präsident der Erste Stiftung noch zu präsent?
Nein! Andreas Treichl hat das Unternehmen über 20 Jahre geprägt und aufgebaut, jetzt ist er Aufsichtsratsvorsitzender des Hauptaktionärs. Dass nach einer so langen, von Wachstum bestimmten Periode die Abnabelung nie ganz leicht fällt, ist keine erstmalige Erkenntnis. Da kommt es da und dort zu Reibereien. Aber das Thema ist durch. Ich habe zu Treichl und zu Bernd Spalt ein sehr gutes Verhältnis.

Wir müssen auf unsere Kunden aktiv zugehen und nicht warten, bis sie zu uns kommen.

Bernhard Spalt sprach bei seinem Abgang selbst von Differenzen strategischer Natur, vor allem punkto Umsetzungsgeschwindigkeit. Was wollen denn die Aktionäre und der Aufsichtsrat von Ihnen konkret anders gemacht haben?
Meine Aufgabe ist, das Strategiepapier durch möglichst viele "use cases" mit Leben zu erfüllen. Ich möchte in drei Jahren niemandem mehr erklären müssen, was gemeint ist, wenn wir sagen, wir sind eine "Financial Health Company" und kümmern uns um die finanzielle Gesundheit unserer Kunden. Aktuell ist das mehr denn je notwendig. Ein Beispiel: Eine Familie hatte vielleicht schon vor Covid zum Monatsende immer finanziell zu raufen und hat durch die Energiepreise jetzt richtig Stress. Auf diesen Kunden müssen wir aktiv zugehen, ihm sagen: "Wir wissen, was Sache ist, wir können dir zu sehr günstigen Zinsen eine Überbrückung zur Verfügung stellen." Und nicht warten, bis er zu uns kommt. Gleiches gilt für Kunden, die sich etwas Vermögen auf einem Wertpapierdepot aufgebaut haben, das jetzt 40 Prozent verloren hat. Denen müssen wir proaktiv Expertise anbieten.

Ich würde mich vielleicht freuen, wenn jemand anruft, aber an den minus 40 Prozent ändert das auch nichts, oder?
Natürlich haben auch wir nicht den Stein der Weisen und können alles egalisieren. Aber man kann mit Vernunft und professioneller Begleitung schon einige Fragen klären: Ist es sinnvoll, schrittweise umzuschichten? Ist es sinnvoll, jetzt zu extrem günstigen Kursen nachzuladen, wenn noch finanzieller Spielraum da ist? Es geht darum, die Kunden bei der Hand zu nehmen und gemeinsam zu überlegen, wie man das Beste aus der Situation machen kann. Denn nach jedem Crash kommt eine Erholung. Wir wollen nicht, dass die Kunden jetzt die Nerven verlieren und unbedacht Verluste realisieren.

Ist Financial Health ein zeitgemäßer Slogan? Womöglich droht ja ein Kollaps. Gibt es überhaupt Optionen, einen massiven Vermögensverlust zu vermeiden?
Ich bin weit davon entfernt, mir einen Kollaps vorzustellen. Selbst eine Rezession, die ich nicht für das realistischste Szenario halte, würden wir meistern. Ich wüsste nicht, warum alle Rollläden runtergehen und wir nicht aus dieser Krise wieder rauskommen sollten. Meine Gespräche mit Unternehmen vermitteln ein komplett anderes Bild, als es oft vermittelt wird. Da geht es häufig um Wachstum durch Übernahmen, weil Krisen ja immer auch Chancen bieten. Und viele österreichische Unternehmen haben genügend Kapital, diese Chancen zu nutzen. Das einzige Thema, wieso manche vor Kapazitätserweiterungen in Europa zurückschrecken und eher nach Asien tendieren, ist der ausgetrocknete Arbeitsmarkt.

Das klassische Sparprodukt ist nicht nur aus der Mode, sondern wird auch in Zukunft deutliche Verluste bringen - wir müssen in Alternativen denken.

Ist das für jemanden, der sein Erspartes retten möchte, nicht Zweckoptimismus? Die Zinsen liegen um Welten unter der Inflation, die Kapitalmärkte sind extrem riskant, Immobilien werden es zunehmend, nicht einmal Gold steigt wie erwartet.
Wir sollten uns nicht zu sehr fürchten. Die Immobilie in Ballungsräumen wird weiter Wertsteigerungen sehen. Als Altersvorsorge kann man da nicht viel falsch machen. Und über Wertpapiere wird man von Wertsteigerungen, die Unternehmen erfahren, profitieren können. Wir müssen nur den Zugang erleichtern und attraktiver gestalten. Es liegen viele Vorschläge auf dem Tisch - Stichwort: Abschaffung der Wertpapier-KESt. Die Politik ist gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen. Das muss im Interesse aller sein und würde auch den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern - denken Sie etwa an Mitarbeiterbeteiligungen. Das klassische Sparprodukt ist nicht nur aus der Mode, sondern wird auch in Zukunft deutliche Verluste bringen - wir müssen in Alternativen denken.

Eine der Möglichkeiten wäre, bei Investitionen in die grüne Transformation zu partizipieren. Banken machen sich für entsprechende Modelle stark, dringen aber in der Politik offenbar nicht durch.
Dazu kann ich nur sagen: Wenn wir die Idee, Europa zu einer Supermacht in grünen Technologien zu machen, mit Leben erfüllen wollen, werden wir ohne Kapitalmärkte in ihrer ganzen Bandbreite keine Chance haben. Wir reden alleine in Österreich von 140 Milliarden Euro für notwendige Investitionen. Dafür wird man auch privates Kapital ansprechen müssen. Das funktioniert bei institutionellen Investoren nur nach den international üblichen Spielregeln. Und ja, es wäre sehr sinnvoll, mit Wertpapiermodellen auch Private anzusprechen, die nicht Hunderte Millionen investieren, sondern 10.000 Euro - und dafür vom Staat vielleicht noch incentiviert werden.

Die heimische Politik ist da sehr zurückhaltend. Hoffen Sie auf ein Umdenken?
Ich hoffe auf die Erkenntnis, dass es wichtig für den Wirtschaftsstandort ist, österreichischen Unternehmen den Zugang zu Kapital zu ebnen. Die Instrumente dafür gibt es alle - Beispiel: Gleichstellung von Eigen- und Fremdkapital. Ich muss nichts neu erfinden, nur machen. Gleiches gilt für Planungssicherheit bei Projekten. Die Dauer von Widmungs- und Genehmigungsprozeduren bei uns ist unerträglich. Jeder redet von Unabhängigkeit von russischem Gas. Wann also, wenn nicht jetzt, wäre die Zeit, ganz neue Wege zu gehen. Alles, was es braucht, liegt am Tisch. Es muss jetzt Schluss sein mit Ausreden!

Wir sehen keinen Grund, die Kreditpolitik zu ändern, und wollen der hohen Nachfrage entsprechen.

Die hohe Inflation wird die EZB zwingen, die Zinsen stärker zu erhöhen, was wiederum ungünstig für Investitionen in die Klimawende ist. Wie rauskommen aus diesem Dilemma?
Ich sehe kein Dilemma. Wir kommen von historisch niedrigen Zinsen. Ein Projekt, das ein zu erwartendes Zinsniveau nicht verträgt, sollte man sowieso bleiben lassen. Was jetzt schwieriger wird, ist, sich für längere Zeiträume Fixzinsen zu sichern. Aber es gibt genug Liquidität. Und die Banken sind auch gut aufgestellt. Sie haben Kapitalpolster, die besser nie waren.

Sollte die EZB aus Ihrer Warte trotz vorhandener Rezessionsängste größere Zinsschritte setzen?
Das ist eine komplexe Frage. Wir profitieren wie alle Exportnationen vom schwachen Euro, andererseits sind die Preise für Importe dramatisch gestiegen. Wie die Rechnung unter dem Strich ausschaut, lässt sich noch schwer sagen. Momentan sind so viele Variablen und Unsicherheiten im Spiel. Aber die EZB hat ein deutliches Signal gesetzt. Man wird warten müssen, ob und wie sich das auf die Inflation auswirkt.

Steigt die Erste bei Firmenkrediten für den Fall eines massiven Abschwungs schon auf die Bremse? Die Notenbank berichtete kürzlich von einer steigenden Ablehnungsquote seitens der Banken.
Für unser Haus gilt das nicht. Wir haben in allen unseren Märkten ein zweistelliges Kreditwachstum. Es gibt auch das negative Umfeld gar nicht. Das Kreditrisiko ist nach wie vor sehr niedrig, die Insolvenzen liegen unter dem Niveau von 2019. Wir sehen keinen Grund, die Kreditpolitik zu ändern, und wollen der hohen Nachfrage entsprechen.

Ihr Blick nach vorne sieht kein Szenario, in dem die Ausfälle von einem Tag auf den anderen in die Höhe schnellen, weil Russland den Gashahn zudreht?
Das ist nicht das Szenario, von dem wir ausgehen. Wir glauben, dass weiter Gas kommen wird und alternative Quellen bzw. Energiesparen helfen werden. Es wird auch Wirtschaftswachstum geben - in Österreich genauso wie in CEE. Dort im Schnitt sogar um rund einen Prozentpunkt über dem hiesigen Niveau. Es gibt unser Portfolio keinen Grund zur Sorge. Und selbst wenn Russland ganz zumacht und dadurch eine Rezession auslöst, sind die Banken ganz anders aufgestellt als zu Beginn der Finanzkrise 2008. Wir haben in allen Märkten hohe Reserven aufgebaut und 15 bis 20 Prozent hartes Kernkapital. Auch Covid war dafür ein Training der Extraklasse. Sehr viele Unternehmen, die ich kenne, sind gestärkt daraus hervorgegangen. Ich bin komplett entspannt.

Es ist ein ehernes Gesetz, dass keine Daten an Dritte verkauft werden. Das wäre der Super-GAU.

Kommen wir noch einmal auf die anfangs erwähnten "use cases" auf Basis der Strategie zurück. Was wären noch Beispiele dafür?
Unsere Gruppe bemüht sich bekanntlich sehr um Finanzbildung, sozusagen die Prävention für finanzielle Gesundheit. Unsere Bank in Serbien hat dafür Ausbildungsmaterial in Kooperation mit dem dortigen Bildungsministerium erarbeitet. Unsere Bank in Rumänien hat es mit einer Schulstunde zu Finanzbildung für über 12.000 Menschen sogar ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Am Ende sollen mündige Bürger stehen, die auch selbst entscheiden können. Eine andere Sache ist, dass wir vor allem in Osteuropa vermehrt Kapital für Investitionen in leistbares Wohnen zur Verfügung stellen.

Das sind aber zum Teil Metathemen. Gibt es denn noch Innovationen im Geschäftsmodell einer Bank?
Ein wesentliches Thema sind Daten. Wir werden durch Data Analytics Informationen so aufbereiten, dass sie den Kunden nützen. Zum einen den Unternehmen: Wir wollen ihnen widerspiegeln, wie wir sie und ihre Bonität sehen, aber auch, wo sie im Vergleich zu ihrer Peergroup stehen. Das hilft dem Verständnis, bei welchen Hebeln angesetzt werden kann. In Kroatien läuft dazu schon ein Pilotprojekt. Ein ähnliches Angebot für Private wird auf unserer digitalen Plattform "George" kommen: mit einem klaren Bild über die Ausgaben genauso wie über Möglichkeiten, frei verfügbare Beträge zu verwenden. Dadurch bekommt das Konto einen tieferen Sinn.

Werden Kunden dann wie bei Facebook oder Google auch ständig ungefragt mit Angeboten bombardiert?
Selbstverständlich nicht. Es ist ein ehernes Gesetz, dass keine Daten an Dritte verkauft werden. Das wäre der Super-GAU. Was im Übrigen auch interessant ist: Es kommen gerade in großer Zahl Softwareingenieure und IT-Spezialisten aus der massiv durchgeschüttelten Tech-Szene auf den Markt. Und die Erste bietet die Flexibilität, um solche Leute, die nicht in üblichen Büroabläufen arbeiten wollen, zu gewinnen.

Beim Stichwort Digitalisierung fällt uns eine frühere Aussage von Andreas Treichl ein: Banken werde es auch künftig brauchen, möglicherweise aber keine Banker mehr. Ist das die Richtung?
Ich bin überzeugt: Das hybride System ist überlegen. Basisfunktionen werden die Menschen selbst erledigen. Aber viele Ereignisse, etwa ein Wohnungskauf, verlangen Hilfestellungen bei Entscheidungen. Unsere Herausforderung ist, einen Mehrwert für häufig sehr gut informierte Kunden zu bieten. Wir werden in der Beratung mehr denn je gefragt sein. Darum wird es auch künftig Banker brauchen - die ihre Kunden wirklich verstehen.

Zur Person

WILLIBALD CERNKO, geb. 07.07.1956 in Knittelfeld, kann auf eine vier Jahrzehnte andauernde Karriere als Bankenmanager verweisen, die 1983 in der steirischen Filiale Raiffeisenkasse Obdach-Weißkirchen begann. Zur Jahrtausendwende übernahm er in der Bank Austria als Bereichsleiter das Firmenkundengeschäft. 2003 wurde Cernko in den Vorstand der Bank Austria Creditanstalt berufen und 2006 zusätzlich Mitglied in den Vorstand der HypoVereinsbank in München. 2009 übernahm der Steirer die Position des Vorstandsvorsitzenden der mittlerweile zur italienischen UniCredit Gruppe gehörenden UniCredit Bank Austria AG und leitete die Bank bis März 2016. Seit 2017 ist er Risikovorstand in der Erste Group und ist zugleich verantwortlich für die Sustainability-Agenden in der Bankengruppe. Seit 1. Juli 2022 ist er CEO der Erste Group und Chief Retail Officer in der Erste Group.

Aktuelle Tätigkeiten:

Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 29.7.2022 entnommen.

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