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Nachhaltigkeit: Europas Industrie vor Paradigmenwechsel

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Christoph Kopp, Managementberatung Horváth in Wien
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Das Thema Nachhaltigkeit ist für die Industrie vom reinen Lippenbekenntnis zu einer ernstgemeinten, strategischen Priorität geworden. Mit Nachhaltigkeit verdient man nicht nur gutes Image und Glaubwürdigkeit, sondern langfristig auch gutes und sauberes Geld. Dennoch sind viele Unternehmen noch am Anfang ihrer Reise und werden durch die aktuellen Krisen ausgebremst.

Nachhaltigkeitskriterien werden in Zukunft Bestandteil des Geschäftsmodels, der Strategie und der Unternehmenssteuerung sein. Und das mit gutem Grund, denn der Paradigmenwechsel von „profitabel trotz Nachhaltigkeit“ zu „profitabel wegen Nachhaltigkeit“ ist voll im Gang. Nichtsdestotrotz haben die jüngsten multiplen Krisen und der Kampf gegen massive Preiserhöhungen und Lieferengpässe, verstärkt noch durch die russische Invasion in der Ukraine, das Tempo der grünen Transformation etwas ausgebremst

Doch das Ziel, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen, steht trotz aller Marktverwerfungen und Unsicherheiten fest. Ein wichtiger Nachweis nachhaltiger Unternehmensführung ist das sogenannte ESG-Rating, das standardisiert und möglichst objektiv Transparenz über den Reifegrad und Fortschritt der Nachhaltigkeit im Unternehmen schaffen soll. Jedes vierte Unternehmen hat eine solche objektive Bewertung seiner Nachhaltigkeitsstrategie bereits durchführen lassen.

Allgemein gültige Marktanforderung

Die jüngste Horváth-Befragung führender Unternehmen zur Bedeutung von ESG-Ratings stimmt positiv. Die Industrie ist grundsätzlich von ESG-Ratings überzeugt, die zögerliche Umsetzung lediglich eine Folge der Covid-19-Pandemie und des Ukraine-Krieges. In den vergangenen Monaten mussten die Unternehmen ihre Strukturen und Abläufe erst einmal auf andere Parameter hin durchleuchten und ihr Augenmerk auf die operativen Herausforderungen legen.

Mittlerweile verlangen allerdings bereits viele große, internationale Konzerne ESG-Zertifizierungen von ihren Lieferanten. Insofern wächst der Druck auf die produzierende Industrie, ihre Umweltverträglichkeit zu überprüfen, um überhaupt im Geschäft zu bleiben. So planen 40 Prozent, ESG-Ratings 2023 umzusetzen, bis 2025 wollen 80 Prozent den ESG-Prozess durchlaufen haben. Lediglich ein Fünftel der Industriefirmen sieht (noch) keinen Anlass für ein ESG-Rating.

Interessant dabei ist, dass sich die grundsätzliche Einschätzung zu ESG-Ratings verschoben hat. Waren sie zu Beginn stärker als Bewertungsmaßstab für Investoren auf der Tagesordnung, so haben sich die Ratings längst zu einer allgemein gültigen Marktanforderung entwickelt. Sie sind Orientierungs- und Entscheidungshilfe für Kunden, aber auch für Partner und vermehrt für Mitarbeiter, für die nachhaltige Unternehmensführung ein Kriterium in der Arbeitgeber-Auswahl wird.

Grundlegender Paradigmenwechsel

Bei fast allen Strategie-Entwicklungsprojekten geht es jetzt in Richtung Nachhaltigkeit. Der Studie zufolge hat bereits ein Drittel der Unternehmen eine konkrete Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet, die den Stellenwert des Themas unterstreicht und die wesentlichen Eckpfeiler, Ziele und Meilensteine für die grüne Transformation festlegt.

Ein Viertel der Unternehmen hat immerhin schon ein konkretes Nachhaltigkeitszielbild definiert, und rund 30 Prozent befinden sich in der Vorphase des Messens und Abwägens.

Zwei von drei Managern wollen mit ihrem Unternehmen bis 2030 CO2-neutral sein. Nachhaltigkeit ist also nicht mehr bloß Pflichtaufgabe oder Lippenbekenntnis, sondern eine echte Überzeugung. Auch dafür liefert die Studie Indizien: So werden als Hauptmotivatoren für das Sustainability-Engagement

  • a) Kundenanforderungen,
  • b) der „Purpose“des Unternehmens
  • c) die Markenwahrnehmung

genannt. Erst danach folgen gesetzliche Vorgaben wie die EU-Taxonomie.

Damit zeigt sich klar, dass der Markt und die Mitarbeiter in den Unternehmen die Taktung vorgeben und nicht die Regulatorik, wobei die – insbesondere europäischen – Gesetzgeber ihre Schrauben in den nächsten Jahren fester anziehen werden und damit neben dem Zwang zur systematischen Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit auch der Berichtsaufwand signifikant steigen wird.

Lieferketten als zentrales Feld

Geht es um die wichtigsten Stellschrauben, durch die mehr Nachhaltigkeit erzielt werden soll, steht die Umstellung auf nachhaltige Lieferketten an erster Stelle. Gleich dahinter folgen eine nachhaltigere Produktion und bewusst nachhaltigere Produkte.

Die Eigenproduktion nachhaltiger Energie und der Erwerb von CO2-Zertifikaten reihen sich dahinter, wobei gerade die Energieversorgung durch die aktuellen Strom- und Gaspreise stärker in den Fokus rückt. Der Wille zur Durchsetzung echter Nachhaltigkeit ist groß, „Greenwashing“ wird allgemein abgelehnt.

Fazit: Der absehbare Weg der europäischen Industrie in Richtung Klimaneutralität hat einen Paradigmenwechsel in Richtung ‚Profitabilität mit Nachhaltigkeit’ eingeleitet. Eine gute Nachhaltigkeitsstrategie samt Erfüllung von anspruchsvollen ESG-Kriterien wird daher künftig zum Prüfstein für unternehmerischen Erfolg. Nur wenn die Attraktivität eines Industrieunternehmens für Mitarbeiter, Kunden und Partner gleichermaßen gegeben ist, kann dieses Ziel erreicht werden.

Die Studie
Für die Horváth-Studie „Nachhaltigkeit im produzierenden Gewerbe 2022 – ökonomische Potenziale der Green Transformation“ wurden Industrieunternehmen mit über 100 Millionen Euro Jahresumsatz in der DACH-Region befragt.

DER AUTOR
Christoph Kopp ist Associate Partner am Wiener Standort der Managementberatung Horváth und berät Unternehmen der produzierenden Industrie seit über 17 Jahren.

Die Serie "Management Commentary" ist eine Kooperation von trend.at und der Managementberatung Horváth. Die bisher erschienen Beiträge finden Sie zusammengefasst im Thema "Management Commentary".

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